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16. Timmy

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Karl der III.und eine Badewanne

Warum Timmy hinter dem Schwulen hertrottete, wie ein regennasser Hund seinem Herrchen, konnte er selbst nicht erklären.

Denn dass Sammy wohl zum "anderen Ufer" gehörte, wurde ihm nicht nur durch dessen manieriertes Verhalten, seine Kleidung und sein offensichtliches Interesse für Timmies Geschlechtsorgane langsam klar.

Klar, dass ihn seine Kumpels auf keinen Fall so sehen durften, sie hätten den "Arschficker" vermutlich zu Mus gehauen, wenn sie ihm hier begegneten und ihn selbst gleich mit, aber im Moment stellte Sammy so ziemlich seinen einzigen Rettungsanker dar, den er in seiner Reichweite sah, und die Aussicht auf ein Essen und eine vorübergehende Unterkunft beschwichtigten seinen Zweifel und seine Abneigung.

Sammy, neben seinem Hundchen herwatschelnd, blickte immer wieder zu ihm zurück, lächelte freundlich und ging dann unbeirrt weiter. Als er am Parkausgang um eine Ecke biegend Timmies Blicken entschwunden war, beeilte der sich, um Sammy nicht etwa aus den Augen zu verlieren, indem er ein paar rasche Schritte auf das Parktor zu machte. Dort hatte Sammy sich allerdings bereits hinter dem gemauerten roten Backsteinpfeiler des Parktores versteckt und schaute ihn schelmisch an, als Timmy eilig um die Ecke biegend beinahe mit ihm zusammen stieß. "Hubs, da haben wir es aber eilig", grinste er und drückte Timmy die Hundeleine in die Hand.

"Also", flötete er und blickte Timmy mit gespielt ärgerlich in die Hüften gestemmten Fäusten an, "entweder du entscheidest dich, was du willst oder unsere Wege trennen sich leider hier."

Timmy schaute erst verblüfft Sammy an und dann die Hundeleine, die er in der Hand hielt, und schaffte es irgendwie nicht, die widersprüchliche Situation zu klären.

Außer einem blöden "Äääh, wie jetzt?", brachte er nichts hervor.

"Okay", half ihm Sammy, "sei doch einfach mal locker, wir haben ein bisschen Spaß miteinander und ich tu dir auch nichts, okay?"

"Okay!", antworte Timmy zögernd, weil er ohnehin nicht wusste, was er sonst hätte antworten sollen.

"Na, Kopf hoch, Kleiner", munterte ihn Sammy auf und hakte ihn einfach unter. Timmy war viel zu verwirrt, um sich dieser Geste zu entziehen, hielt seinen Arm jedoch steif, als sei er aus Beton und nicht sein eigener.

So überquerten sie einige verkehrsreiche Straßen, liefen an unzähligen Häuserfronten gleichförmiger heruntergekommener Nachkriegsbauten entlang, vorbei an unscheinbaren Menschen, meist türkischer Herkunft und traditioneller Kleidung, die Frau vorgealtert, mit bäuerlichen Kopftüchern gekleidet, die Männer mit fleckigen Pullovern unter nicht minder schäbigen Jacketts, in Gruppen zusammen stehend oder vor dem ein oder anderen Dönerimbiss auf unbestimmte Ereignisse wartend. Er war froh, dass offenbar niemand an ihm mehr Interesse zeigte, als an einem Straßenköter, von denen es in den Türkenvierteln ohnehin nicht viele gab.

Schließlich lichtete sich die Straße und ein kleiner Park wurde sichtbar, an dessen Seite ältere Villen und Häuser standen, die den Krieg wundersamerweise unbeschädigt überstanden haben mussten, mit großen kunstvoll verzierten Fassaden voller Putz und Pomp. Sammys Redeschwall, der wie ein endlos fließender, nie versiegender Wasserfall den ganzen Weg über auf Timmy einprasselte, ohne dass er ihm größere Aufmerksamkeit widmete als der Frage, wie er seinen inzwischen steif gewordenen Arm unbemerkt aus Sammys Klammergriff befreien konnte, kam mit dem fröhlichen Ausruf, " Viola, da wären wir!", zu einem abrupten Ende und endlich konnte Timmy seinen Arm entspannen. Sie standen vor einer riesigen Villa, die, wie Timmy an den messingfarbenen glänzenden Klingelknöpfen und Namensschildern erkennen konnte, von mehreren Parteien bewohnt sein musste.

Die riesige Eingangstür öffnete den Blick in ein marmorbeschlagenes hochherrschaftliches Treppenhaus, dessen gepflegte Eichendielentreppe sie direkt in den ersten Stock führte.

Sammy öffnete und rief ein fröhliches: "Hallöchen, da bin ich wieder!", in die riesige Diele, von der mehrere weiße Türen von fast 3 Meter Höhe, versehen mit blitzblanken Messingklinken in verschiedene Räume führten.

Timmy staunte. Im Vergleich zu der dürftigen, gesichtslosen Etagenwohnung, die er und seine Mutter bewohnten, war dies ein Palast.

Sammy war inzwischen durch eine der Türen verschwunden, das Hundchen gleich hinterher und Timmy blieb unentschlossen in der geöffneten Tür stehen.

Er hörte das Öffnen einer Kühlschranktür aus dem gegenüber liegenden Raum, dann das Klappern einer Blechschüssel, die auf dem Boden abgestellt wurde und das zufriedene Winseln des Hundes. "Süße, ich hab Besuch mit gebracht!", kam es aus der Küche. "Nanu, wo ist er denn?"

Im nächsten Moment kam Sammys Kopf im Türrahmen wieder zum Vorschein und er rief erstaunt: "Na, nun komm doch rein, was stehst du in der Tür? Komm rein und mach die Tür zu, es zieht. Fühl dich wie zuhause, ich komme gleich!"

Unsicher schob sich Timmy durch die Tür und zog sie hinter sich zu. Unschlüssig, was er als Nächstes tun sollte, blickte er sich im Flur um. Alles war auf das äußerste gepflegt, eine altertümliche Anrichte stand neben einer ebenso altertümlichen Garderobe, über der ein mit goldenem Rahmen versehener verspielter Ovalspiegel hing, drapiert mit einigen farbigen Seidentüchern, die die Blumenornamente des Rahmens teilweise verdeckten. Ein bordeaufarben gepolsterter Stuhl mit vergoldetem Gestell und verschnörkelter Lehne stand daneben, wie ein Diener, der auf die Ankunft der Herrschaft wartet. Gegenüber waren eine Unmenge von Schuhen fein säuberlich aufgereiht, daneben ein Hundekörbchen mit blumengemustertem Inneren.

Derweil hörte er Sammy mit irgendjemanden sprechen, der sich in einem der entfernteren Räume aufhalten musste, einer zweifellos weiblichen Person. Timmy atmete auf. Er hatte schon befürchtet, allein mit der Schwuchtel sein zu müssen.

Wieder hörte er Sammys unaufhörlich plaudernde Stimme näher kommen. Als dieser wieder, nun aus einer anderen Tür kommend, im Flur erschien, eilte er mit gespieltem Entsetzen auf Timmy zu. "Entschuldige mein Lieber, wo habe ich meine Manieren gelassen? Du wirkst verschreckt. Komm rein, aber zieh bitte deine Schuhe aus und nimm dir ein paar von den Strohlatschen. Angeline mag es überhaupt nicht, wenn die Böden mit Straßenschmutz verunreinigt werden."

Timmy nickte stumm und begann sich unbehaglich seiner Turnschuhe zu entledigen, die er trug. Er fühlte sich dadurch ein wenig hilflos und nackt. Vorsichtig schaute er auf seine ungewaschenen, Schmutz starrenden Socken, ein Anblick, der ihm noch nie vorher solches Unbehagen bereitet hatte, und schlüpfte vorsichtig in ein paar der bereitliegenden Hauslatschen. Sammy war inzwischen wieder in einem der Räume verschwunden und so blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm verlegen nachzugehen, die Hände in den Hosentaschen seiner löchrigen, ausgeblichenen Jeans vergraben, mit hochgehobenen verkrampften Schultern.

Das edle Mobiliar der Wohnung wirkte wie ein Museum auf ihn, unantastbar und auch unberührt. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn Tische und Stühle mit kleinen roten Kordeln mit der Aufschrift "Nicht berühren!" versehen gewesen wäre.

Im nächsten Zimmer erblickte er eine derartig schöne junge Frau, dass es ihm schier den Atem verschlug. Sie saß oder eigentlich lag sie mehr auf einem moosgrünen Sofa, gekleidet in einen weißen Hausmantel, der ihre üppige, aufreizende Figur nachzeichnete, als sei er gar nicht vorhanden. Ihre langen, hellblonden, fast goldenen Haare fielen locker über ihre Schultern und umspielten das weite Dekolleté. Die großen, dunklen Augen in dem zierlichen Gesichtchen blickten ihn kurz an, während sie sich weiter der Maniküre ihrer Fingernägel hingab, als sei er die nebensächlichste Erscheinung der Welt.

Sammy, der sich an einem Vertiko zu schaffen machte, dem er einige Gläser und Flaschen entnahm, lächelte sie an während er so etwas wie, "Ein Findling", in ihre Richtung murmelte, was sie mit einem überdrüssigen Seufzer zur Kenntnis nahm.

"Sag ihm, er soll sich erst mal waschen!", woraufhin Sammy eilfertig auf Timmy zukam und ihm den Arm auf die Schulter legte.

"Sofort mein Engel!", flötete er und flüsterte Timmy vertraulich ins Ohr, "Wir erwarten Gäste und du willst dich doch bestimmt noch etwas frisch machen!"

Trotz der unangenehmen Situation konnte Timmy gar nicht die Blicke von der schönen Frau wenden, was diese mit einem angedeuteten amüsierten Spitzen ihrer Lippen kommentierte, worauf Sammy derartig die Röte ins Gesicht schoss, dass er sich verlegen abwandte.

Sammy führte ihn aus dem Zimmer und die Treppe in einen weiteren Stock hinauf, wo er das Badezimmer vermutete. "Gib ihm doch bitte einen Hausanzug, du kannst den von Rolfi benutzen, der kommt ja heute nicht und der dürfte passen!", hörte er sie ihnen nachrufen.

"Du hast Glück", grinste Sammy verschwörerisch, "Sie mag dich!"

Timmy war viel zu verwirrt, um darauf etwas zu entgegnen. Er ließ sich widerstandslos in ein riesiges Badezimmer führen, in dessen Mitte eine altertümliche Badewanne stand, die dennoch keinerlei Zeichen von Abnutzung zu zeigen schien, so als sei sie direkt aus dem letzten Jahrhundert, weiß emailliert und golden ziseliert, hier aufgetaucht.

Sammy drehte einen der goldenen Drehknöpfe auf, die in der Mitte mit einem Emailleknopf verziert waren und ein breiter Schwall warmen Wassers ergoss sich, die Wanne in dumpfe Schwingungen versetzend, hinein. Timmy konnte sich nicht erinnern, wann er überhaupt zuletzt in einer Wanne gesessen hatte. Bei ihnen zuhause gab es aus Platzgründen nur eine Dusche.

"Ich denke, du willst nicht, dass ich dir den Rücken schrubbe?", säuselte Sammy, während er mit einem blauseidenen Hausanzug im Arm zurück kam.

"Ne!", entfuhr es Timmy ziemlich unfreundlich. Wenn die Schwuchtel ihn anfassen würde, dann würde er ihm eins in die Fresse geben, das schwor er sich.

Sammy machte ein angestrengt beleidigtes Gesicht. "Na ja, dachte ich mir. Wenn

du fertig bist, dann komm doch einfach runter. Wir kochen noch ein bisschen zusammen."

Lange stand Timmy unschlüssig vor der Wanne, in der sich der Seifenschaum zu gewaltigen Bergen auftürmte. Erst als dieser sich über den Rand der Wanne zu ergießen drohte, stellte er den Wasserzufluss ab und überwand sich, sich vorsichtig nach allen Seiten absichernd, dass er nicht beobachtet würde, in die Wanne zu steigen.

Das warme Wasser tat ihm wieder erwarten sehr gut, ein angenehmer Geruch breitete sich um ihn aus und er begann sich wohlig auszustrecken. Der Gedanke an die schöne Angeline zog eine sofortige und unerwartete angenehme Reaktion in seinem Glied nach sich, so dass er froh war, alles von Schaum bedeckt zu wissen. Mit leisem Knistern, platzten die Schaumblasen vor seinem Gesicht und je länger er hinschaute, desto mehr bekam er den Eindruck, dass ein merkwürdig verwobenes Muster sich in den platzenden Blasen bildete, das seinen Blick in eine tiefe, unermessliche Landschaft zog, eine merkwürdige, irritierende, aber wunderschöne Landschaft.

Der Tanz der Bienen

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