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4. Bruderschaft Erasmus von Rotterdam

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Das Geheimnis

"Herrschaften, fassen wir einmal zusammen, was wir bislang an Fakten vorliegen haben!" Die knarrige Stimme des Großmeisters durchschnitt die betretene Stille im Raum. Nur das Scharren unruhiger Füße auf dem Eichenparkett wies auf die nervöse Spannung der Anwesenden hin, die sich hier versammelt hatten, in aller Eile und zu ungewöhnlicher Stunde, es war kurz vor 2 Uhr morgens. Schlaftrunken die einen, die der Ruf des Großmeisters aus dem Bett befohlen hatte, mürrisch die anderen, die sich gerade bereit machten, sich nach durchgearbeitetem Abend endlich zur Ruhe zu begeben.

Aus antiken Eichenmobiliar, liebevoll und aufwändig restauriert, stieg der Geruch vieler Jahrhunderte auf und vermischte sich mit dem essigsauren Duft alter Steinsäulen. Das heisere Räuspern einiger Anwesender warf ein trockenes Echo von den holzvertäfelten Wänden zurück, an denen alte Porträts ehrwürdiger Meister in ersterbenden Farben hingen, die ausdruckslos aus toten Augen die Runde der Anwesenden prüfend und ernst zu durchdringen schienen.

Nein, wohl war den Anwesenden nicht zumute, denn der ungewöhnliche Tot eines ihrer Mitglieder, des Berliner Psychiatrieprofessors Herold warf Fragen auf, unangenehme Fragen, die durch bittere Vermutungen und Verdächtigungen genährt wurden.

Noch nie in der langen, nahezu 500-jährigen Geschichte des Ordens "Erasmus von Rotterdam" war einer der Meister auf diese Weise hingerichtet worden.

Noch niemals!

"Was wissen wir schon?", räusperte sich säuerlich einer der Anwesenden mit schütterem grauen Haar.

"Ich habe gleich davor gewarnt, das Siegel zu benutzen!", fiel ihm ein anderer ins Wort, dessen blasses faltiges Gesicht, eingefallen durch die Entbehrungen freiwilliger Askese oder aber fanatischer Studiersucht, eine bogenförmig gekrümmte Nase aufwies.

Ein unwilliges Raunen ging durch die Runde.

"Ach was!", empörte sich ein Dritter, "Wir sind alle nur zum Narren gehalten worden. Da ist nichts dran, gar nichts!"

"Mäßigen Sie sich!", hob der Großmeister beschwörend die Hände, da der Disput in einen offenen Streit auszuarten drohte.

"Brüder!", meldete sich nun eine kräftige sonore Bassstimme, die einem Mitglied des Ordens gehörte, dessen stämmige, beleibte Gestalt sich nur unwillig in die engen, hölzernen, kunstvoll geschwungenen Stuhllehnen einfügen wollte, "Brüder, ich bitte Euch, wir wissen rein gar nichts! Es muss unsere heilige Aufgabe sein, nun endlich Wissen und Klarheit in die Angelegenheit zu bringen, anstatt mit unnützen Spekulationen die späte Stunde zu verbringen."

Zustimmendes Brummen von der ein oder anderen Seite war zu vernehmen, was der Großmeister mit einem unwilligen Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm. War er im Begriff seine Autorität über die hier Versammelten einzubüßen?

"Nun, danke Bruder Pankratius", hob er denn auch sofort an, um dem anderen keine Chance für einen weiteren Satz zu lassen, " Es ist eine gewisse Eile geboten! Und ...", er verharrte einen Moment, um zu prüfen, dass auch wirklich jeder ihm genügend Aufmerksamkeit schenkte, "und ... es ist nicht ausgeschlossen, dass dies nicht der letzte Mord sein könnte, der unsere Bruderschaft betrifft." Entsetztes Murmeln ging durch den Raum, was der Großmeister mit selbstgefälligem Wohlwollen quittierte. Allerdings musste er sich eingestehen, dass genau dies die Angst gewesen war, die ihn veranlasst hatte, alle anderen Verschworenen der Gemeinschaft zu so später Stunde noch zusammen zu rufen, dass es die Angst war, es könne als Nächsten ihn selbst treffen!

Genau genommen hatte er seit dem Erscheinen der Zeitungsmeldung über den mysteriösen Mord kein Auge mehr zugetan, war übermüdet und voller verzweifelter Grübeleien.

"Wieso meint Ihr, verehrter Großmeister", war nun die zittrige Stimme des Ordensältesten zu vernehmen, "dass sich eine derartige Tragödie wiederholen könnte?"

"Malt nicht den Teufel an die Wand!", brummte ein anderer unwohl.

"Ja, erklärt Euch!", rief es aus der Runde.

"Herrschaften", hob nun der Großmeister an und merkte, dass ihm die Angst die Kehle zuzuschnüren begann. Er zwang sich zur Ruhe. Es stand nicht nur seine Autorität, sein Status auf dem Spiel, nein, er fürchtete zum ersten Mal um sein Leben.

"Herrschaften, ist denn nicht offensichtlich, dass es sich um eine finstere Intrige handelt? Ein mörderischer Machtkampf?"

Die anderen schauten ihren Großmeister sprachlos an. Hatte er den Verstand verloren? Sicher, es gab Konkurrenz unter den Orden vor allem um die Besetzung wichtiger Positionen in Wirtschaft und Politik, aber auch die Wahl des Hierophanten und Leiters aller vereinigten Bruderschaften Europas stand bevor, aber Mord?

Der Großmeister räusperte sich, um seinen Hals frei zu bekommen. "Es ist das Siegel, Herrschaften, was mir Sorgen macht. Das Siegel, welches uns durch dunkle Kanäle offenbart wurde und welches jetzt als zynisches Zeichen auf die Stirn unseres geliebten Vizegroßmeisters gebrannt wurde. Herrschaften, ist das nicht Warnung genug?"

Die anderen schwiegen betroffen. In der Tat war dies wohl mehr als ein Zufall.

Das Siegel hatte inzwischen bei Lichte betrachtet durch seine bloße Existenz mehr Schaden angerichtet als jedes andere Symbol vorher. Es hatte genau genommen die Bruderschaft zersetzt, das Denken verwirrt, den Zusammenhalt, geschmiedet aus gemeinsamen Studien alter Traditionen und Riten, zerrüttet.

Der Streit hatte schon begonnen, als es zum ersten Mal aufgetaucht war.

Der Großmeister versuchte, sich zu erinnern.

Es war kurz vor dem spanischen Osterfest, der Semana Santa, nahe Alozaina in einem versteckten Ort Namen Jorox, auf der Hochebene "La Mesa".

Ostern versammeln sich dort im Laufe des Nachmittags am Samstag die Einwohner, schmücken Kreuze mit Altären, Dekorationen und Blumen, die dann in den Straßen von Alozaina gezeigt werden. Die Wallfahrt wird am Sonntag gefeiert, wenn das Heilige Kreuz mit Spiegeln und Glas versehen und geschmückt mit Blumen nach Jorox getragen wird. Nach Tanz und Gebeten genießen die Pilger einen Tag auf dem Land mit Lebensmitteln und traditionellem Fandango.

Allerdings hatte der Ort auch eine ältere maurische Tradition und noch davor war die La Mesa eine heilige Stätte archaischer Religionen mit so manchem Blutopfer gewesen.

In Anbetracht der kultischen Bedeutung dieses Ortes und dessen großer spirituellen Energie, genährt auch durch die Kraft kleinerer kalter Gebirgsbäche, die früher einmal verschiedene Mühlen antrieben, begab man sich jährlich zum Treffen der europäischen Bruderschaften am Tage vor dem eigentlichen Fest, um geheime mystische Kulte zu zelebrieren, die in die graue Urzeit zurückreichen mussten.

Einer der älteren spanischen Brüder blieb mit dem Fuß an einem flachen lockeren Stein hängen, so dass er unweigerlich gefallen wäre, hätte man ihn nicht umgehend gestützt.

Ein Mitbruder hob die kleine Steinplatte auf, um das Hindernis aus dem Weg zu räumen, ... da lag das Siegel darunter. Eine mattgrau glänzende Medaille mit diesem merkwürdigen Zeichen, mit diesen Schriftzeichen und Zahlen auf beiden Seiten. Hebräische und griechische Schriftzeichen und römische Zahlen, I, V, VI und XV. Im Zentrum des Siegels, einem kleinen Kreis, glitzerte ein kleiner Diamant, wie man damals glaubte. Am oberen Ende der Medaille war ein Loch angebracht, ganz offensichtlich, um eine Kette oder Ähnliches befestigen zu können.

Doch als der Bruder es aufheben wollte, da verbrannte es ihm die Handfläche. Es war so heiß, dass niemand der Anwesenden es ohne Schutz anfassen konnte.

Und nicht nur dass, nachdem es endlich heimlich und schnell geborgen war, eingepackt in schützendes Asbest, so stellte sich heraus, dass es radioaktiv strahlte und tödlich für jeden war, der sich längere Zeit in seiner Nähe aufhielt.

Damals war es äußerst schwierig, den Fund geheim zu halten, um ihn vor der Welt und auch den anderen Bruderschaften zu verbergen, bis man das Rätsel um seine Herkunft und Bedeutung gelöst hatte.

Welche Hoffnung auf unsterblichen Ruhm war für den Großmeister damit verbunden gewesen, nur getrübt durch den Tod der Brüder, die das Siegel gefunden und berührt hatten!

Seitdem ruhte es tief in den Bleikammern des Ordens. Aufgrund der radioaktiven Strahlung war es äußerst gefährlich, ungeschützt die Bleikammer nochmals zu betreten.

Nur ein Foto beider Seiten durfte einem engeren Kreis der wissenschaftlich tätigen Brüder zur Grundlage der Studien über die Bedeutung der Symbolik dienen. Und jetzt schien das gut geschützte Geheimnis durch einen heimtückischen Mord verraten, an die Öffentlichkeit gezerrt.

"Ist ... es ... denn noch dort?", fragte der Bruder mit der sonoren Stimme in die schweigende Runde.

Ratlos blickten die Anwesenden einander an. Niemand würde es wagen, in die Gruft zu steigen, um nachzuschauen. Niemand, dem das Leben noch lieb war!

Der Tanz der Bienen

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