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8. Aufs Kreuz gelegt

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Wulf Lindau trank Kaffee in der Dorfschenke am Anger. Er saß bequem im Schatten der Linde, dicht an der Hauswand und betrachtete die staubbedeckten Fenster, die die Sicht in den Schankraum fast unmöglich machten. Seine Frau war vor einiger Zeit im Inneren hinter einer hellbraunen Holzimitat- Falttür aus Plastik verschwunden, die den Sanitärtrakt vom Schankraum abtrennte. Wulf Lindau schob die dünne Klarsichtmappe mit dem Exposé der Schule vor sich auf den Tisch, öffnete sie und studierte die Grundrisszeichnungen. In Gedanken fantasierte er über eine neue Aufteilung des Dachgeschosses, aber er war nicht recht bei der Sache.

Er schob die Mappe von sich weg und dachte nach. Hinter vergilbten Gardinen fristete ein Topfasparagus ein unbeachtetes Alibi-Dasein und die Fotos an der Wand zeigten Fußballmannschaften aus den sechziger und siebziger Jahren. Darüber hingen Wimpel. SC Schwerin stand auf dem einen, auf einem anderen Anker Wismar. Darunter war ein stilisierter Anker. Daneben hing eine verblichene Schwarzweiß-Fotografie des Gasthauses, zwei Linden rahmten das Gebäude. Im Eingang standen ein dicker Mann mit weißer Schürze und eine kleine dünne Frau in schwarzem Kittel, an deren Bein sich ein kleiner Junge schmiegte. Ein Familienbetrieb. Eine vergrößerte Ausgabe des kleinen Jungen brachte große Portionen Hering mit Bratkartoffeln. Er wünschte guten Appetit und verschwand in der Küche. Wolf Lindau aber fühlte sich aufs Kreuz gelegt und das lag nicht am Brathering.

Er ging bislang selbstverständlich davon aus, dass er es wäre, der die Entscheidungen über sein Leben traf. Das war eine grandiose Fehlannahme, wie er jetzt klar erkennen musste. Es waren andere, die sein Leben strukturierten. Ganz vorne stand dabei seine Frau. Sie hatte ihn glatt aufs Kreuz gelegt, einfach so, ansatzlos. Ihn, der so oft andere führte, dass er auf den Gedanken, selber von jemandem gelenkt zu werden, gar nicht kam. Er hatte es nicht kommen sehen, zu sicher hatte er sich gefühlt. Katharina war eigentlich eine Sanfte. Sie stritt sich nie, war kein bisschen hysterisch und glaubte unerschütterlich an den Sinn ihrer Ehe. Sie war der grundoptimistische Typ, der an das Gute im Leben glaubte und wenig Zukunftsängste hatte. Normalerweise zog sie nicht an Strippen im Verborgenen. Das kannte er nicht an ihr. Oder war er einfach blind gewesen?

Denn diesmal war er die Marionette und sie führte Regie. Wenn er unterwegs war, machte er sich nie Gedanken darüber, was seine Frau so trieb. Er arbeitete. Das war sein Universum. Irgendetwas würde sie schon tun, das war klar. Aber gleich ein Haus suchen? Eigentlich war sie gar nicht der Typ dafür. Aber so konnte man sich täuschen. Sie war Lektorin in einem bekannten evangelischen Verlag aus Hamburg und arbeitete häufig in ihrem Home Office. Sie hütete die gemeinsame geräumige Altbauwohnung mit dem großen Balkon und dem Kamin in der Bibliothek. Auch wenn sie sich so selten sahen, dass er das Bibliothekszimmer nur alle drei Monate benutzte und den Kamin noch seltener, glaubte er fest, sie seien zufrieden. Anscheinend traf das nur auf ihn zu. Ihre Hamburger Wohnung lag in Bahrenfeld. Eine ruhige Seitenstraße, in der alte Eichen standen und Erlen. Es gab Vorgärten, in denen Rhododendren und Robinien wuchsen. Ein Katzensprung bis Altona und bis zur Elbe. Was kann man mehr wollen? Höchstens eine eigene Immobilie mit Charakter. Eben, genau diese alte Schule. Sie hatte präzise ins Schwarze getroffen. Deshalb fühlte er sich aufs Kreuz gelegt.

Aber egal, das war nicht wichtig. Die Schule, mit der sie ihn en passant übertölpelt hatte, war eine verwelkte Sensation. Er war dankbar für so eine kluge und intelligente Frau. Gleichzeitig machte sie ihm ein bisschen Angst, musste er sich eingestehen, als er sie durch den Raum auf sich zugehen sah.

Der Wirt kam um zu kassieren, bückte sich, um die Teller abzuräumen. Sein Blick blieb an der Exposémappe hängen. "Das ist ja die alte Schule. Die habe ich als Kind besucht. Wollen Sie hierher ziehen?"

"Vielleicht", sagte Wulf Lindau vage, während seine Frau nachdrücklich nickte.

"Sie werden sehen, das ist ein guter Ort hier. Ruhig, lauter nette Menschen. Es wird Ihnen gefallen, Sie werden sehen! Wenn Sie wollen können sie gleich mit dem Bürgermeister sprechen. Da drüben sitzt er." Er zeigte auf einen kleineren untersetzten Mann in den mittleren Jahren, der einen gepflegten Kinnbart trug. Mit einem Glas Bier und einem Kalbsbraten vor sich machte er einen gemütlichen Eindruck.

"Ach wirklich?", sagte Katharina, "das ist der Bürgermeister?"

Der Wirt nickte und Wolf Lindau seufzte, als er sah, wie seine Frau auf den Tisch des Bürgermeisters zu steuerte.

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