Читать книгу Fanrea Band 3 - A. E. Eiserlo - Страница 12
D ie zwei ungleichen Brüder
ОглавлениеInzwischen erreichten Gyar und Bosrak das Schloss, der Gestaltwandler in Form des Pferdes. Dessen Gedanken überschlugen sich. Was für ein Glücksfall, dass der Königsbruder ihm im Wald über den Weg gelaufen war! Er hatte alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Nun hieß es in Ruhe üben, eigene Pläne zu verfolgen, eigenständig zu denken. Es musste einfach gelingen, stets die Fäden in den Händen zu halten. Immer wieder fragte er sich, warum er so lang dieser miesen Hexe gedient hatte. In welche Abhängigkeit war er da geraten? Wie gut, dass er sich endlich frei fühlte!
Gyar strahlte übers ganze Gesicht, er sah das Ziel ganz nah. Im Kopf setzten sich einzelne Bilder zu einer dramatischen Szene zusammen: Wie er als Überlebender nach Hause käme, mit der Leiche des Bruders im Arm. Die passende Geschichte dazu fiele ihm noch ein – Bosrak oder die Eidechsenmenschen würden dafür büßen. Das Elfenvolk sollte ihn, Gyar, endlich lieben! Als König wäre er bestimmt großartig! Wie geschaffen dafür!
Zunächst einmal machte er seinem Bruder dieses herrliche Pferd, also Bosrak, zum Geschenk. Dann kam der schwierige Teil: Er musste Elotiel und vor allem Faina einlullen, ihnen einen liebenswerten Charakter vorspielen. Bisher zeigte sie ihr Misstrauen gegenüber Gyar deutlich, deshalb bedeutete es eine große Herausforderung für ihn, sie davon zu überzeugen, dass er dem Herrscher treu ergeben war.
Gemeinsam trabte Bosrak mit Gyar durch den prächtigen Garten des Schlosses, vorbei an den Wachen und stoppte beim Eingangsportal. Mit Schwung sprang Gyar vom Rücken des Pferdes und ging zügig die Treppe zum Schloss empor. »Wo ist mein Bruder?«, rief er einer entgegenkommenden Elfin zu.
»Ich glaube, er ist bei seinem Sohn«, antwortete sie.
Er dankte und eilte zum Gemach der Königin. Die davor postierten Wachen grüßten, ließen ihn ohne zu Zögern eintreten. Elotiel lag auf dem Boden, wo er Prinz Fingir hoch über seinen Bauch hielt. Daneben saß laut lachend Faina. Ein Stich durchbohrte Gyars Brust. Die drei wirkten glücklich und strahlten diese unerträgliche Zufriedenheit aus, die er selbst nie verspürte. Der Elf riss sich zusammen, versuchte, die Mimik zu kontrollieren, damit seine eingefrorenen Züge ihn nicht verrieten.
Das Paar versank in Glückseligkeit, es nahm sein Eintreten nicht einmal wahr. Mit einem Räuspern machte Gyar sich bemerkbar.
Da erst setzte Elotiel sich auf und hob den Prinzen auf die Oberschenkel, während die Königin mit leicht gerunzelter Stirn Gyar entgegensah. »Wo warst du so lange, Bruder? Wir verspürten Sorge um dich. Vor allem Sani ist beunruhigt wegen deiner langen Abwesenheit.«
»In den Wäldern. Ich hatte Sehnsucht nach dem Flüstern der Bäume, dem Tau der Nacht und der Weite des Himmels.«
Bei diesen Worten blickte Elotiel verklärt zu Boden, ein Schmunzeln in den Mundwinkeln. »Weißt du noch Bruder, wie wir manchmal als Kinder tagelang draußen in den Wäldern herumgestrolcht sind? Unterm Sternenhimmel geschlafen haben und davon träumten, ferne Länder zu bereisen, um Abenteuer zu erleben? Das waren noch Zeiten, als wir einfach losziehen konnten!« Sehnsucht flutete das Herz, dann schmunzelte er. »Erinnerst du dich, wie du mich vor den Trollen gerettet hast?«
Mittlerweile bedauerte Gyar, dass er dem Bruder damals das Leben rettete, sonst wäre er selbst schon seit langer Zeit der Herrscher. Die Miene verfinsterte sich für eine Sekunde, aber der kritische Blick Fainas zwang ihn dazu, ein Lächeln ins Gesicht zu zwingen. »Ja, ich erinnere mich, Elotiel. Wie gut, dass du uns das alles ins Gedächtnis rufst. Wir könnten mal abermals zusammen aufbrechen und die alten Zeiten aufleben lassen. Ich habe passenderweise eine Überraschung für dich. Folge mir nach draußen!«
Mit fragenden Augen schaute Elotiel zu Faina. Sie lächelte ihn an. »Geh nur, mein Geliebter!«
Noch zögerte der König, dann siegte allerdings die Neugier. Er beugte sich über seine Gefährtin, küsste erst sie zärtlich, danach den Sohn. Gespannt folgte er dem Bruder, während Faina mit einem unguten Gefühl hinterherstarrte, einer Empfindung, die jedes Mal in ihr Herz schlich, wenn der Bruder in der Nähe weilte.
Gemeinsam gingen die Brüder die Gänge entlang. Elotiel wurde von Gyar mit alten Geschichten und witzigen Anekdoten aus der Kinderzeit unterhalten. Verstohlen musterte er den Bruder und schüttelte unauffällig den Kopf darüber, wie gutgläubig jener sich benahm. Für jemanden, der ein Volk lenkte, dachte er viel zu naiv. Gyar erinnerte an eine weitere Begebenheit: »Faina liebt doch die Blüte der blauen Distel so sehr. Deshalb traf uns der Zorn unseres Vaters.«
»Das weißt du noch?«
»Na klar, wir haben die blaue Blüte gegen seinen Willen für deine Angebetete an der Grenze zum Eidechsenland besorgt. Die Blume bedeutete für dich den absoluten Liebesbeweis. Schlecht nur, dass die Eidechsenmenschen Jagd auf uns gemacht haben.«
Elotiel lachte. »Jagd ist übertrieben, sie wollten uns einen Schrecken einjagen. Wir waren ebenso jung wie unbekümmert. Ein erzürnter Vater empfing uns, wir bekamen mächtig Ärger.«
»Und Faina ihre blaue Blüte. Das sollten wir unbedingt wiederholen – pflück ihr eine!«
»Ja, vielleicht!«
»Du mit deiner Zögerlichkeit!«
»Man könnte es auch Vernunft nennen!«
Bei den Pferden angekommen, tätschelte Gyar zärtlich den Hals des Rappen. »Das ist meine Überraschung: ein Geschenk für dich, Bruder! Ich finde wirklich, wir sollten mal wieder zusammen in die Wälder reiten. Nur du und ich, wie in alten Zeiten. Was hältst du davon?«
Mit Kennerblick musterte Elotiel das Pferd und bewunderte dessen Schönheit. »Mein Bruder, ich danke dir, es ist ein edles Tier!«
»Was ist mit unserem Ausflug?«
»Ja, irgendwann einmal. Ich habe gleich wichtige Dinge mit meinen Kriegern zu besprechen, sie melden Unruhen an den Grenzen. Außerdem möchte ich Faina mit dem Kleinen momentan nicht allein lassen.«
»Das schafft sie schon! Immer nur Babygequatsche ist langweilig.«
Überrascht musterte Elotiel den Bruder. »Nein! Ist es gar nicht! Ich kriege nicht genug von unserem Sohn, er macht mich glücklich!«
Fast wurde Gyar übel von diesem Überschwang, Magensäure stieß ihm auf. Als das Pferd schnaubte und ungeduldig von einem Huf auf den anderen trat, streichelte Elotiel beruhigend dessen Nüstern.
Innerlich schüttelte es Bosrak. Dieses ganze Getatsche widerte ihn an, es ekelte ihn geradezu, dauernd berührt zu werden. Unwillig zog er den Kopf zurück, schnaubte erneut und tänzelte ein paar Schritte nach hinten. Wie zufällig trat Bosrak dem Königsbruder dabei wiehernd auf den Fuß.
Schmerzhaft zuckte der zusammen. »Autsch!«
Elotiel dagegen freute sich: »Temperament hat es auch, das gefällt mir. Ich spreche mit Faina über den Ausflug.«
Es lief nicht nach Plan. Verstimmt kniff Gyar die Augen zusammen und hoffte, dass die Königin dem Bruder die Idee nicht ausredete. Ihm gegenüber blieb sie stets skeptisch, dabei himmelte er selbst sie von klein auf an. Stattdessen hatte der Bruder ihr Herz mit seiner sanften, unverdorbenen Art erobert, als sie noch ein junges Mädchen war. Elotiel stand für Güte und Liebe, Gyar dagegen für Machthunger und Kampfgeist. Mit dem eisernen Willen, nicht aufzugeben, würde er schließlich doch noch das Herz der zarten Elfe erobern … wenn Elotiel erst einmal beseitigt war. Der Trost des ebenfalls trauernden Bruders, im Verbund mit dessen Stärke würden irgendwann ihre Liebe zu ihm, Gyar, erblühen lassen. Er bezwang die Ungeduld, versuchte, freundlich zu bleiben. Deshalb schlug er vor: »Ich könnte dir helfen und mit dir zu dieser Besprechung gehen.«
»Nein! Schon gut, ich habe alles im Griff. Kümmerst du dich um das Pferd?«
Innerlich kochte Gyar, er war doch kein Handlanger oder Pferdeknecht! Dennoch antwortete er: »Natürlich! Mach ich gern.«
Elotiel ging zur Besprechung mit den Kriegern.
Er ließ einen wütenden Gyar zurück. »Verdammt!«, zischte dieser und kickte einen Stein weg.
»Hast du geglaubt, er springt direkt auf mich drauf und reitet mit dir davon? Wie naiv! Außerdem ertrage ich dieses dumme Getätschel kaum«, murrte Bosrak.
Ein eisiger Blick traf den Rappen, als Gyar knurrte: »Natürlich hatte ich gehofft, es ginge schneller. Gesell dich unauffällig zu den anderen Pferden und Einhörnern! Stell dich nicht so an! Bis später!« Mit energischen Schritten stieg er die Schlosstreppe empor.
Später, als Elotiel noch in der Besprechung weilte, gesellte sich Gyar zu Faina und dem Baby.
Sie saß singend im Schlossgarten auf einer Bank, während der kleine Prinz in ihrem Arm lag und schlief.
»Darf ich mich zu dir setzen?«
Erstaunt sah Faina dem hübschen Elf entgegen. Meistens ging er ihr aus dem Weg, aber sie wollte nicht unhöflich sein. So deutete sie auf den Platz neben sich. »Wenn du mein Baby nicht weckst.«
Lächelnd nahm der Elf neben ihr Platz und betrachtete den Prinzen mit gemischten Gefühlen. Süß sah er aus, zerbrechlich und unerträglich rein. Dennoch musste auch er sterben. Wenn erst Elotiel aus dem Weg geräumt war, musste der Prinz bald darauf dem Vater folgen. »Darf ich ihn mal halten?«, fragte Gyar mit leiser Stimme, da er dachte: ›Das Herz einer Mutter gewinnt ein Mann am einfachsten über ihr Kind.‹
Faina zögerte, sie wollte ihm den Sohn nicht überlassen. Doch sie mochte ihm auch die Bitte nicht verweigern. Schließlich nickte sie, was sollte schon geschehen, wenn sie direkt daneben saß? Vorsichtig legte sie den Prinzen in die starken Arme und musterte überrascht die Miene des Elfen. Wieso zeigte er auf einmal Interesse an Fingir?
Gyar riss sich zusammen. Wie einstudiert legte er einen weichen Gesichtsausdruck auf seine Züge, als er das Kind in den Armen hielt. Er beugte sich tiefer über das Baby und atmete dessen Geruch ein. Es roch süßlich nach Vanille und rief ungewohnte Gefühle in Gyar wach, die er nicht verspüren wollte. In diesem Moment fiel es ihm nicht schwer, etwas Nettes zu sagen. »Er ist sehr hübsch und erinnert mich an dich. Auch sein Duft erinnert mich an dich. Wobei du noch viel schöner bist als er.« Was faselte er da? War er jetzt völlig verrückt geworden? Er konnte die Zunge nicht zügeln. »Ich meine, er hat die Schönheit seiner Mutter.«
Mit großen Augen hörte Faina ihm zu, während ein zartes Lächeln ihre Lippen umspielte. »Du kannst ja Komplimente machen! Normalerweise bist du immer so mürrisch.«
War er das? Das musste schnellstens geändert werden! Einen Versuch startete er sofort: »Wenn ich öfter mit dir und Fingir zusammen wäre, würde ich vielleicht mehr Freude verspüren.« Er setzte einen treuherzigen Blick auf. Schließlich stupste er mit dem Kinn die Stirn des schlafenden Babys sanft an. Die winzige Nase rümpfend schlief es weiter.
Erstaunt beobachtete die Königin die Szene. Was war denn mit Gyar los? Der jetzige gefiel ihr weitaus besser als der griesgrämige, unberechenbare und zwielichtige Kerl, den er sonst verkörperte. Im Bauch allerdings blieb eine warnende Stimme, die zur Wachsamkeit mahnte.
Zögerlich gestand der Elf ein: »Es ist schön, dich und meinen Bruder so glücklich zu sehen. Vielleicht ist das ansteckend und überträgt sich auch auf mich.«
»Du könntest mit Sani ebenfalls ein Baby bekommen«, schlug Faina vor.
Die Schultern zuckend murmelte er: »Vielleicht hast du recht, und uns fehlt ein Kind.« Dann lenkte er vom Thema ab: »Hast du schon mein Geschenk für Elotiel gesehen?«
»Nein, noch nicht.«
»Es ist ein rassiges, wunderschönes Pferd. Soll ich es dir zeigen? Es wird dir gefallen.«
»Vielleicht später! Danke für das Angebot.«
Ein letztes Mal streichelte Gyar dem Prinzen über die Wange und verabschiedete sich dann. Nachdenklich sah Faina ihm hinterher.
*
Eigentlich lief für Gyar alles nach Plan – nur zu langsam. Es gelang ihm, Elotiels Aufmerksamkeit zu erlangen und die kalte Wand, die zwischen ihnen stand, aufzuweichen. Auch Faina schien Gyar gegenüber ihr Misstrauen allmählich aufzugeben. Viele Tage hatte er investiert, um das Vertrauen des Königspaares zu gewinnen, doch es zahlte sich immer mehr aus. Regelmäßig nahm Elotiel ihn nun zu Besprechungen mit, sodass Gyar einen tiefen Einblick in die Tätigkeit des Regierens erhielt. Dieses neu erworbene Wissen würde später helfen, wenn er selbst König wäre. Faina schenkte ihm inzwischen häufiger ein herzliches Lachen und überließ ihm weniger zögerlich den Prinzen. Somit stand einer späteren Eroberung Fainas nichts mehr im Wege, zunächst würde Gyar sie trösten, dann verführen.
Der Zeitpunkt des Mordes rückte in unmittelbare Nähe, deshalb traf Gyar Bosrak im Dunkelwald. Der hatte es nicht mehr länger als Pferd im Schloss ausgehalten und sich für eine Weile entfernt. Immer wieder kehrte er sporadisch zurück, um erneut zu verschwinden. Das war nicht allzu ungewöhnlich, Pferde stellten keine Besitztümer dar, sondern blieben freie Wesen.
An einen Baum gelehnt, verharrte Bosrak in der normalen Gestalt. Der Gesichtsausdruck verriet nichts über seine Gedankenwelt.
»Es ist soweit!«, begrüßte der Königsbruder den Verbündeten. »Am besten, du kehrst heute ins Schloss zurück.«
Ein unwilliger Blick begleitete die Antwort: »Ich hoffe, ich komme nicht umsonst.« Dieses Warten zermürbte den Gestaltwandler. Aus lauter Langeweile ließ er die schlechte Laune an Tieren aus, die er quälte. Gestern hatte er aus Frust einen Ameisenhaufen angezündet, letzte Woche sämtliche Vogeleier zerquetscht, deren er habhaft werden konnte. Danach fühlte Bosrak sich jedes Mal besser. Zunächst! Doch nach einer Weile pochte der dumpfe Schmerz erneut in ihm, und er wusste nicht, weshalb. Da kam der geplante Mord gerade recht, der würde ihn auf andere Gedanken bringen.
Das Band, welches die ungleichen Verbündeten zueinander knüpften, war gewebt aus dem geplanten Mord sowie der Gier nach Macht. Gegenseitige Zuneigung gab es keine, dafür aber jede Menge Misstrauen. Mit gemischten Gefühlen musterte Gyar den hässlichen Gnom, der etwas Unberechenbares ausstrahlte.
»Was glotzt du mich so an? Gefällt dir meine Fratze etwa nicht?«, blaffte Bosrak.
Geübt setzte der Elf sein charmantes Lächeln auf. »Äh, ich bin in Gedanken! Also, wir sehen uns später im Schloss.«
»Du hast mir noch nicht gesagt, was für mich dabei abfällt, wenn ich dir helfe.«
»Das sehen wir, wenn ich König bin! Wir werden schon einen Platz für dich finden.«
»Das rate ich dir auch. Du weißt, ich kann jede beliebige Gestalt annehmen …«
»Schon gut, ich habe verstanden!« Mit einem erzwungenen Lächeln verabschiedete sich Gyar. Diesen Typen musste er entweder bändigen oder töten. Niemand drohte ihm, dem zukünftigen Herrscher!