Читать книгу Fanrea Band 3 - A. E. Eiserlo - Страница 7

Befreiung

Оглавление

Bosrak, der Gestaltwandler, rannte in seiner Lieblingsgestalt als Ratte durch den Dunkelwald von Fanrea. Nach seinem heimlichen, kurzen Aufenthalt auf der Erde in Emmas winterlichem Garten setzte er die Suche nach seiner Herrin und ihren beiden Schwestern in Fanrea erfolglos fort. Tagelang harrte er im Hexenhaus aus und hoffte auf deren Rückkehr. Dann sah der Diener sich in den Bergen um, legte als Sarkan* große Strecken zurück, stieß aber statt auf Yarkona nur auf mehrere Drachen. Anscheinend lebte ein neues Rudel in Fanrea. Nur knapp entging er dem Tod, als es die Jagd auf ihn eröffnete.

Mittlerweile hatte die Ratte fast den ganzen Wald durchkämmt und setzte sich erschöpft ins weiche Moos. Die sie umgebende Luft begann zu flirren, die Konturen verschwammen, als Bosrak seine menschliche Gestalt annahm. Der gedrungene Körper mit kurzem Hals, faltigem, fahlen Gesicht schälte sich aus der flimmernden Luft. Mit schwieligen Händen strich der Diener das fettige Haar nach hinten.

Langsam war er es leid, sinnlos herumzulaufen. Müde stützte er die Ellbogen auf seine Beine und danach den hässlichen Kopf in die Hände. Nachdenken schien die Lösung zu sein, um zu versuchen, das Puzzle zusammenzusetzen. Allerdings strengte Denken an und führte zu Kopfschmerzen. Bosrak seufzte gequält und zwang sich, sein Hirn einzusetzen.

Zuletzt hatte er Yarkona beim Kampf vor Woraks unterirdischem Tunnel gesehen, sie dann jedoch aus den Augen verloren. Was war damals passiert? Hatte Magor etwa die Hexe, ihre Schwestern und Worak entführt? Eher unwahrscheinlich!

In Woraks Behausung gelangte Bosrak seit dem Kampf nicht mehr hinein, scheinbar wurden die Türen von Magor mit Magie versiegelt. Eine Idee nahm Formen an: Was wäre, wenn der Zauberer Worak sowie die drei Schwestern in der unterirdischen Höhle festsaßen und nicht hinauskonnten? Dann wäre nur er, der plumpe, hässliche Kerl, in der Lage, die vier zu retten! Vielleicht wäre seine Herrin ihm endlich dankbar!

Er musste dort unten hinein. Unbedingt! Verwandelt als Sarkan flog er in rasantem Tempo zur unterirdischen Höhle des Zauberers. Dort angekommen, wurde er erneut zu Bosrak. Alle Eingänge ging er ab, fand aber keinen Durchgang. Wieder überlegte er. In dieser Sache kam er nur weiter, wenn er seinen Kopf endlich richtig benutzte!

Unvermittelt wusste er die Lösung: Er selbst musste zu einem so winzig kleinen Tier werden, dass er sämtliche Türen umgehen konnte und einfach durch irgendeine Ritze passte. Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gebracht, als auch schon die Transformation begann – Bosrak wurde zur Ameise.

Der Gestaltwandler fand eine Spalte, durch die er hindurchpasste und behielt aus Gründen der Vorsicht zunächst diese äußere Form bei. Als Ameise trat er völlig unauffällig auf, egal, wer oder was hier unten lauerte. So zügig wie möglich, setzte er den Erkundungsgang fort und gelangte schließlich zu der Überzeugung, auf der richtigen Spur zu sein.

Woraks Höhle war unübersichtlich, für eine Ameise bedeutete sie ein ganzes Universum. Stundenlang wurden die weitverzweigten Gänge nach dem Zauberer mit den drei Hexenschwestern durchsucht. Der Diener fühlte nun deutlicher, dass er dem Ziel näherkam. Zumindest seine Herrin Yarkona steckte hier irgendwo, das fühlte er einfach. Glücklicherweise konnte er in den nahezu lichtlosen Tunneln sehen, obwohl die Fackeln schon lang nicht mehr brannten.

Plötzlich flogen schwarze Schatten durch die Dunkelheit, Bosrak wagte nicht mehr zu atmen. Schatten und Dunkelheit wurden eins, verschmolzen zur absoluten Schwärze. Die Masse des schwarzen Nichts raste pfeilschnell durch die Tunnel an ihm vorbei und verschwand. Wie sollte er diese gestaltlosen Wesen bändigen? Dieser Aufgabe fühlte der gedrungene Kerl sich nicht gewachsen, er war bedeutungslos. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig! Ihm musste etwas einfallen, denn seine Herrin wartete auf ihn!

Immerhin gelang es ihm in der Gestalt der Ameise, nicht entdeckt zu werden. Weiter rannte er durch die Dunkelheit – da nahm er endlich die Gegenwart seiner Herrin ganz deutlich wahr. Sie befand sich hinter der Tür, vor der er stand. Das fühlte er jetzt mit Gewissheit!

Flink lief der Diener unter der Tür hindurch und orientierte sich: Er stand in Woraks Schutzkammer, vor ihm saß bewegungslos der Zauberer mit den drei Hexen an einem Tisch.

Waren sie tot? Licht musste her! Die Ameise veränderte die Gestalt, wurde wieder zu Bosrak, der mit zittrigen Händen eine Kerze entzündete. Dann konzentrierte er sich auf Atmung und Herzschläge der vier und nahm beides sehr verzögert wahr. Sie lebten also! Sollte er sie berühren und ansprechen?

Jetzt hieß es erneut nachdenken. Was sollte der todesähnliche Zustand? Worak und die Hexen hatten sich vor den Schatten in der Schutzkammer versteckt, aber ihm gelang es scheinbar nicht, die Gefahr zu bändigen. Somit musste er sich selbst und die Schwestern in eine Art Winterschlaf versetzt haben, um zu überleben. Schlau, sehr schlau von Worak!

Das bedeutete für den Diener, dass er die Gruppe erst einmal besser nicht aufweckte. Zunächst musste er eine Lösung für die Beseitigung der Schatten finden. Suchend schaute er in der Kammer umher und entdeckte ein Regal mit Büchern. Vielleicht fand er dort etwas, was ihm weiterhalf? Wie gut, dass er sich selbst – wenn auch mühsam – heimlich das Lesen beigebracht hatte. Während er langsam das Regal entlangschritt, las er stockend die Titel auf den Buchrücken. Bosrak besaß Zeit! Er würde einen Weg finden, die Schatten außer Gefecht zu setzen!

*

Mit dunkel umwölkten Augen starrte der Elf mit Namen Gyar aus dem Fenster, nahm allerdings nichts wahr. Das schmale Gesicht des hübschen Elfen wurde eingerahmt von hellblonden Strähnen, die lose auf seiner Schulter lagen. Nervös tigerte er im Zimmer hin und her, band dabei sein Haar mit einem Lederriemen zum Zopf, sodass spitze Ohren sichtbar wurden. Nachlässig steckte der Elf ein paar Efeuranken dazu.

Unruhig knetete er seine Hände, rieb sich die Stirn und nahm schließlich einen Dolch aus dem Gürtel. Mit den Fingerkuppen strich er an der scharfen Klinge entlang, seufzte und steckte ihn zurück. Der Blick fiel auf ein Kästchen, und ein verschlagenes Grinsen überzog das Antlitz. Als der Elf den Kasten öffnete, schaute er auf eine Phiole, die eine grüne Flüssigkeit enthielt. Tödliches Gift! Mit zittrigen Händen versteckte Gyar den Kasten hinter einem losen Stein der Mauer, dort würde ihn niemand entdecken.

Die Enge des Zimmers quälte den Elf, schnürte ihn ein, trieb seine Gedanken im Kreis. Immer wieder dieselben Worte, die wie ein Echo durch seinen Kopf hallten: ›Tod und Macht! Tod und Macht!‹

Wenn er an die Macht wollte, führte der Weg dorthin nur über den Tod. Aber wollte er diese unbedingt? War er bereit, dafür zu morden? Ja! Sein ganzes Leben verbrachte er im Schatten der Königskrone und verzehrte sich danach, selbst an der Spitze zu stehen.

Anfangs quälte ihn Scham wegen dieser Gedanken und Gefühle, sodass er haderte, zweifelte, dagegen ankämpfte. Doch inzwischen hatte die Gier sich in jeder Zelle seines Körpers eingenistet. Der Geschmack von Eifersucht und Hass belegte die Zunge, und Gyar kostete das bittere Aroma.

Normalerweise lebten die Elfen seines Clans frei von negativen Wünschen, aber warum sollten Elfen stets nur gut, weise und gerecht sein? Wo stand geschrieben, wie er zu sein hatte? Nirgends! Er war eben anders!

Ein tiefer Seufzer entrang sich Gyars Brust. Die Weite der Wälder rief ihn, er brauchte die Freiheit der Wildnis, konnte nicht länger in den steinernen Wänden verharren. Mit herrischen Schritten verließ er das Zimmer und ergriff die Flucht – vor sich selbst.

Er sattelte sein Pferd und galoppierte ziellos durch den Dunkelwald. Es trieb ihn weiter weg von Zuhause. Konnte er vor den eigenen Gedanken und giftgetränkten Wünschen davonlaufen, indem er das Schloss verließ?

So viel Gier loderte in Gyar, schrie nach Befriedigung und zermürbte ihn. Bilder fluteten die Gedanken: Sein Bruder und er als kleine Kinder, wie sie miteinander um die Wette kämpften. Jedes Mal gewann der Bruder. Das Handfasting* des Bruders mit der Elfe, die er selbst begehrte. Die respektvolle Zuneigung der anderen Elfen für seinen Bruder, nach der er sich gesehnt und nie erhalten hatte. Das strahlende, stolze Lächeln des Vaters, das nur dem Bruder galt und nie ihm selbst!

Mühsam verdrängte er die Bilder, sie fraßen ihn schmerzhaft von innen auf. So lang kämpfte er schon gegen diese niederträchtigen Gefühle an, um letztendlich dennoch zu verlieren. Er, Gyar, Bruder des Königs, gab den Kampf gegen sich selbst auf und fügte sich seiner dunklen Seite!

*

Endlich hatte Bosrak ein passendes Buch gefunden. Da ihm die Übung fehlte, kämpfte er um jeden einzelnen Satz. Ebenso unermüdlich wie konzentriert arbeitete er Stunde um Stunde, denn jedes Wort brachte ihn der Befreiung der Herrin ein wenig näher.

Die Zaubersprüche für das Erwachen der vier Schlafenden sowie das Zerstören der Schatten lagen nun vor ihm. Jetzt hing alles von ihm selbst ab! Mit einem siegessicheren Grinsen stellte er sich vor die Gestalten, um sie intensiv zu betrachten.

Ein neues Gefühl ergriff Besitz von dem hässlichen Diener. Es lag nun in seiner Hand, ob die Hexen und der Zauberer aufwachten. Der Diener besaß gerade die Herrschaft über Leben und Tod. Genussvoll kostete er aus, was sich über ihn ergoss: Machtgier!

Sollte er die vier vielleicht weiter hier schmoren lassen und einfach wieder abhauen? Dann wäre er frei! Frei für immer! Ein sehr reizvoller Gedanke. Keine Prügel mehr, keine Vorhaltungen, nie mehr Yarkonas Gekeife oder Angst haben müssen vor Worak.

Bosraks Magen krampfte sich zusammen. Aber er wäre allein! Niemand, der zu ihm gehörte, niemand, der nach ihm verlangte, ja sogar niemand, der die Hand gegen ihn erhob! Der Gestaltwandler stieß einen verzweifelten Schrei aus und sank schwer atmend auf einen leeren Stuhl. Stöhnend barg er den Kopf in den Händen und schluchzte gequält.

Nein, er wollte nicht ohne Yarkona sein, auch wenn sie ihn nur schlug und peinigte! Besser Prügel als gar keine Aufmerksamkeit! Zitternd stand er auf, zog das Buch zu sich heran und flüsterte mit heiserer, brüchiger Stimme den Zauberspruch, der die schwarzen Schatten bannen würde. Nichts geschah!

Tief Luft holend richtete Bosrak sich auf und murmelte ein weiteres Mal: »Umbra expellerisatum diversus mortatum para siempus.« Eine Windböe fegte durch den Raum, Kälte breitete sich aus, die Hände begannen zu zittern. War das der falsche Spruch? Der Diener las ihn noch einmal sorgfältig durch. Die Worte beinhalteten die richtige Magie.

Bosrak straffte die Schultern und sprach erneut die Zauberworte, dieses Mal mit gebieterischer Stimme, laut und deutlich: »Umbra expellerisatum diversus mortatum para siempus!«

Der Wind verstärkte sich. Ein unerträgliches Kreischen erfüllte die unterirdische Höhle, schwoll an zu einem hohen, grellen Sirren, das die Sinne quälte. Erschrocken presste der Diener die klobigen Hände auf die Ohren. Sirenenartige Laute gellten durch die Gänge, schrill und betäubend. Dann herrschte abrupt Stille!

Ein zufriedenes Grinsen verzerrte Bosraks Gesicht. Der Zauberspruch war ein Erfolg gewesen. So einfach ging zaubern? Bedeutete das etwa, dass er nur ein paar Zaubersprüche benötigte, um Magie auszuüben? Als Gestaltwandler mit magischen Fähigkeiten läge ihm die Welt zu Füßen. Versonnen sah er umher und starrte die Regale mit Büchern an. Mit bedächtigem Schritt trat er zu einem davon und steckte mehrere Zauberbücher in eine herumliegende Tasche.

Nun musste der Zauberspruch zur Erweckung gesprochen werden. Hatte der Diener die richtige Entscheidung getroffen? Ja, auf jeden Fall! Ohne Yarkona fühlte er sich nach wie vor verloren. »Despertangan persalos pergidos qumquan«, murmelte er.

Stocksteif kippte Worak in Zeitlupe vom Stuhl.

Fanrea Band 3

Подняться наверх