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Gedanken und Gefühle

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Tief atmete Emma die kalte Luft ein, während sie den winterlich kahlen Garten ihres Hauses betrachtete. Einsam wirkte er, zudem wie versunken in einen tiefen Schlaf. Im Kopf des Mädchens schwirrte die Melodie von Ed Sheeran herum und es summte ein paar Takte von Thinking out loud. Plötzlich befand es sich gedanklich am Strand in Frankreich im letzten Sommer, tanzend mit John, barfuß im Sand. Wie von selbst bewegte sich der graziöse Körper, der mit Tanzschritten über die Terrasse schwebte.

Völlig verblüfft beobachtete eine Ratte das Mädchen – Bosrak! Wie hypnotisiert beobachtete er, was die Kriegerin dort trieb. Vor lauter Verwunderung kroch der Nager näher, das anmutige Mädchen nicht aus den Augen verlierend. Tanzte sie etwa? Einfach so? Draußen und allein?

Plötzlich brach Emma ab, fluchte und stapfte in Richtung Haus. Sie wirkte sehr zornig.

Der Gestaltwandler wartete, bis sie nicht mehr zu sehen war. Er konnte ihre Wut bis zu seinem Versteck spüren. Kurz spielte er mit dem Gedanken, ihr ins Haus zu folgen, denn irgendeine Ritze als Durchlass gäbe es bestimmt. Aber was sollte das bringen? Nichts! Bosrak schoss davon, rannte in Richtung Wald.

Die Erinnerungen an John hatten der Tänzerin die Laune gründlich verdorben. Im eigenen Zimmer sitzend, las die Hüterin der Bücher wieder und wieder die alten E-Mails von John. Diese waren ein Gemisch aus Liebesbrief und Reisebericht, die sie fast alle auswendig kannte. Von Frankreich aus ging die Reise zusammen mit Samuel nach Italien, um dort als Zitronenpflücker zu arbeiten. Die nächste Station befand sich in Spanien, wo die Jungen bei einem Pferdezüchter eine Bleibe fanden. Der Inhaber zeigte so große Begeisterung von ihnen, dass er sie am liebsten fest eingestellt hätte, aber es zog die Freunde weiter nach Portugal. Eine Weile kamen die beiden auf einer Korkplantage unter, danach fuhren sie mit Fischern aufs Meer hinaus. Wahllos pickte Emma eine E-Mail heraus: jene, die John in Portugal geschrieben hatte, während seiner Zeit als Fischer.

Meine süße Emma,

der heutige Tag auf dem Meer war ein großer Erfolg. Unsere Netze sind fast geplatzt, so voll waren sie. Auf dem Weg zurück in den Hafen begleitete uns eine Delfinschule. Es sah unglaublich elegant aus, wie die schönen Geschöpfe neben unserem Boot durch die schäumende Gischt glitten. Du wärst begeistert gewesen – du hast ein wunderschönes Krafttier!

Wie immer hätte ich dich gern währenddessen in meinen Armen gehalten und die Delfine mit dir gemeinsam beobachtet. Du fehlst mir sehr! Ich vermisse dein Lachen, die Küsse, den Geruch deiner Haut, ja sogar den trotzigen Gesichtsausdruck, wenn du sauer bist!

Ich muss jetzt los, die Fischer haben uns heute Abend zum Sardinenessen eingeladen. Wir grillen am Strand, Samuel wartet schon draußen auf mich. Wie hat deine Mathearbeit geklappt?

Meine Gedanken sind bei dir,

dein John

PS. Ich denke viel an Soraya. Geht Ben das mit seinem Drachen genauso? Manchmal schmerzt es geradezu!

Emma seufzte. »Ich kann mit dem Schwert kämpfen, aber bei Gefühlen krieg ich nichts gebacken! Wie losermäßig ist das denn?«

Weihnachten und Bens Geburtstagsfeier hatte sie ohne John verbracht. Zu dessen eigenem Geburtstag im Januar waren sie ebenfalls nicht zusammen gewesen. Seine Strategie ging auf: Durch die räumliche Trennung wurde dem störrischen Mädchen klar, dass es viel für ihn empfand und bereit für eine feste Bindung schien. Das Herz sprach eine eigene Sprache, auf John wollte Emma nicht verzichten! Ungeduldig hoffte sie auf seine Rückkehr, mit jedem Tag der Trennung fiel ihr das Warten schwerer. Sie dachte an den Rat von Nala, John zu sagen, dass sie ihn liebte. Warum nur fiel es so schwer auszusprechen, was das Gefühl vorgab? Die mutige Kriegerin litt darunter, dass die Worte nicht flossen, wenn sie das Herz öffnen wollte. Der Mund fühlte sich dann wie zugenäht an, der Magen verkrampfte, der Atem stockte. Weshalb kam das Wort Liebe nicht über ihre Lippen? Hing das mit den Verlustgefühlen zusammen? Leider wusste Emma nicht, wie sie das Verhalten ändern konnte. John legte ihr seine Liebe zu Füßen, sprach offen über Gefühle – sie dagegen blieb ein Stockfisch. Es war zum Heulen!

Der Blick fiel auf die Bücher, die verstreut auf dem Boden lagen. Einige handelten von alternativen Heilmethoden. In den letzten Wochen hatte sie viel über das Thema Heilen gelesen, auch Esthers Buch. Es war wichtig, ein größeres Verständnis dafür zu entwickeln, wie die Fanreaner Krankheit bekämpften und den Körper betrachteten. Immer mehr verstand das Erdenmädchen, welche große Bedeutung die Einheit von Körper, Geist und Seele besaß. Alles hing zusammen! Wer die Verbindung sah, konnte anders an den Heilprozess herangehen.

Das Buch Zweiherz* von Antje Babendererde, das sie gerade las, handelte allerdings von einem anderen Thema. Emma wollte mehr über Indianer wissen, besser verstehen, wie sie dachten und wodurch sie geprägt wurden. In ihr wuchs das starke Bedürfnis, John und seinen Gedanken, Gefühlen und Erlebnissen näher zu sein. Einige Romane, bei denen die Handlung in den heutigen Indianerreservaten spielte, hatte sie schon verschlungen und tauchte in eine Welt ein, die ihr bis dahin völlig fremd war. Die Gräueltaten der Weißen gegenüber den Indianern in der Vergangenheit wurden ihr bewusst, sie schämte sich für das, was damals passierte. Als Emma las, wie viel Unrecht auch heute noch den Indianern widerfuhr, wuchs die Empörung und das Kämpferherz meldete sich. Am liebsten wäre sie zum Weißen Haus gestürmt, um den Verantwortlichen gewaltig die Meinung zu sagen.

Durch die Geschichten begann das Mädchen, John besser zu verstehen. Seine Worte über Armut, Hoffnungslosigkeit und Alkoholprobleme blieben nicht weiter leere Worthülsen, sondern füllten sich mit Schicksalen von Menschen. Durch die Bücher rückten die Probleme in den Reservaten näher an die Kriegerin des Lichts heran. Sie begriff, was ihr Freund empfand, wenn er an seine Kindheit dachte.

Nachdenklich griff das Mädchen nach Zweiherz, begleitete Kaye auf dem Weg durch die Prärie und bangte um Will, wenn er gegen den zwielichtigen Kojoten kämpfte. Den restlichen Tag wollte Emma mit Lesen verbringen, sie verspürte keine Lust, mit jemandem zu reden.

*

Im Indianerreservat Pine Ridge sprang John von einem klapprigen Transporter und bedankte sich bei den beiden jungen Indianern, die ihn hier netterweise absetzten. Mit lautem Hupen und Gejohle antworteten sie. John kam aus San Francisco, der Stadt, in der er eine Weile als Junge mit seinen Eltern gelebt hatte.

Bevor er in die USA flog, trennte er sich in Lissabon von Samuel, der zu Magor zurückkehren wollte. Somit gelangte John allein ans Ziel seiner Reise – Telling Bear. Zwei Autos parkten vor der Hütte des Onkels. Einen Moment lang nahm der junge Lakota sich Zeit, um in Ruhe das verschneite Blockhaus zu betrachten und stellte fest, dass es einen neuen Anbau gab. Sonst entdeckte der Heimkehrer kaum Veränderungen. Der alte Schaukelstuhl mit dem Bisonfell stand noch auf der Veranda, sogar das Mobile, das er als Kind für den Onkel gebastelt hatte, schwang bedächtig klappernd im Wind.

Ein alter, halbblinder Hund trottete neugierig um die Ecke und fletschte die Zähne. John kniete nieder, streckte die Hände aus und sagte leise: »Hey, Ringo. Ich bin’s! Schnupper mal an mir! Erkennst du mich wieder?«

Beim Klang der Stimme stellte der schwarze Hund die Ohren auf, humpelte langsam näher und roch an den Fingern. Die Anspannung verschwand aus dem struppigen Körper, erfreutes Schwanzwedeln setzte ein. Schließlich versuchte der Hund, dem ehemaligen Spielkameraden übers Gesicht zu lecken.

»Komm her, alter Knabe!« Lächelnd kraulte der Lakota den in die Jahre gekommenen Freund. Er erinnerte ihn an vergangene Zeiten. Erst nach einer Weile öffnete John mit klopfendem Herzen die Tür, die nur angelehnt war, und trat mit zögernden Schritten ein. Welche Gefühle und Gedanken tobten in seinem Inneren? Liebe, Sehnsucht, Zuhause, Geborgenheit, Familie, Freundschaft. Aber auch Schmerz, Abschied, Trauer, Außenseiter.

Eine fröhliche Mädchenstimme rief: »Steve? Bist du das?«

Der Lakota nahm Geklapper von Geschirr wahr, während der Duft von Kürbiseintopf ihm entgegenschlug. Es roch verführerisch. John bekam Hunger. Er machte ein paar Schritte, bog um einen Schrank herum und stand direkt in der Küche. »Nein, ich bin nicht Steve!«, erwiderte er.

Ein junges Mädchen hantierte am Spülbecken, summte leise ein Lied.

Telling Bear saß am Küchentisch und las. Er trug ein kariertes Wollhemd zur Jeans. Sein langes graues Haar war wie früher zu einem Zopf gebunden.

Die Köpfe der beiden flogen herum, überrascht wirkende Augen fixierten den Neuankömmling.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sein Onkel ihn erkannte und erfreut rief: »John! Du bist es tatsächlich! Ich wusste, dass du bald kommen würdest!« Schnell stand er auf und schloss den Neffen glücklich in seine Arme, drückte ihn fest und ließ eine Weile nicht los.

Der junge Lakota spürte, dass Telling Bear trotz seines fortgeschrittenen Alters noch über große Kraft verfügte. »Mensch, du siehst aus, als wärst du keinen Tag älter geworden!«, stellte John fest.

Telling Bear grinste. »Jetzt schmeichelst du mir aber! Du bist allerdings kräftig gewachsen, bist ein junger Mann!«

Das Mädchen kam langsam näher und musterte fassungslos den Besucher. »John?« Ihre dunklen, leicht schräg stehenden Augen hielten seinen Blick gefangen.

Da erst löste John sich aus der Umarmung des Onkels und betrachtete eingehend die Indianerin: Das schwarze Haar lag locker über den Schultern und umrahmte ein hübsches Gesicht. Sie trug Jeans mit einem engen Pullover, der ihre schlanke Figur betonte. »Annie! Meine kleine Freundin White Bird, die vor vielen Jahren als Kind so gern in den Pfützen herumsprang?«

»Ja, das bin ich!«, rief sie und flog ihm stürmisch entgegen. Sie umarmte ihn so fest, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.

Diese heftige Begrüßung überraschte John, damit hatte er nicht gerechnet. Der Duft von frisch gewaschenem Haar stieg in seine Nase: Pfirsichgeruch. Wie früher!

Der Onkel beobachtete die beiden schmunzelnd, setzte sich hin und forderte die zwei auf, dasselbe zu tun.

Nur zögernd ließ Annie den Freund los und bestürmte ihn sogleich mit Fragen: »Wo warst du die ganze Zeit? Wie lang bleibst du? Wie geht es dir?« Ihre Stimme klang aufgeregt.

»Mein Herz ist voller Freude, dich zu sehen. Gut siehst du aus, Junge!«, bemerkte Telling Bear.

»Stimmt!«, bestätigte Annie und kaute nervös auf der Lippe. »Obwohl du deine Haare kurz trägst.«

John räusperte sich und gab das Kompliment an Annie zurück: »Du siehst jedenfalls umwerfend aus. Gar nicht mehr das kleine Mädchen, das mit mir bei deiner Tante die leckeren Kuchen klaute.«

Annie grinste: »Du hast sie geklaut! Ich hab nur Schmiere gestanden.«

Die Erinnerung löste die Anspannung bei Annie. Binnen Sekunden kehrte die alte Vertrautheit zurück, sodass beide einander verschwörerisch anlächelten.

»Wieso trägst du deine Haare kurz?«, hakte Annie nach.

»Sie sind schon nachgewachsen, sie waren richtig kurz. Ich wollte es mal ausprobieren.« Den wahren Grund verschwieg er und stellte erstaunt fest, dass er Annie nichts von Emma erzählen mochte.

Mit einer zärtlichen Geste fuhr die Indianerin ihm durch das Haar: »Lang gefällt es mir besser. Dann siehst du mehr wie ein Lakota aus. Aber nun erzähl mal! Wo hast du dich so lange Zeit herumgetrieben?«

Mit einem fragenden Blick schaute John zum Onkel, dessen Augen noch immer vor Glück leuchteten, weil sein Neffe ihn endlich besuchte. Liebevoll betrachtete der das wettergegerbte Gesicht des Mannes, der ihm den Vater ersetzt hatte und in den schwersten Stunden seines Lebens für ihn dagewesen war.

»Annie weiß, wo du jetzt lebst und was damals passiert ist«, erklärte Telling Bear. »Du kannst bei der Wahrheit bleiben!«

»Womit soll ich beginnen?«

»Na, mit dem Anfang«, schlug Annie vor. »Ich mache uns einen Tee dazu.«

Fanrea Band 3

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