Читать книгу Fanrea Band 3 - A. E. Eiserlo - Страница 4
Drachen
ОглавлениеDem roten Drachen Red Fire war zu Ohren gekommen, dass die Höhle von Bernsteinauge leer stand. Schon immer begehrte er deren Schätze. Den Tod von ihr hatte der große Rote damals nicht mitbekommen, da er selbst so angeschlagen war, dass er Schutz in seiner Höhle suchen musste. Es dauerte eine Weile, bis die Wunden verheilten. Er lebte stets als absoluter Einzelgänger, der niemandem vertraute und die Gesellschaft anderer verabscheute. Deshalb erhielt er wenig Informationen von außerhalb. Allerdings Gerüchten zufolge, die er dem dummen Geschwätz vorbeifliegender Vögel entnehmen konnte, erlag Bernsteinauge den Verletzungen noch auf dem Kampfplatz. Somit gehörte ihre Höhle mit den Schätzen darin ihm, Red Fire, dem Sieger des Kampfes! Endlich sah seine Chance gekommen, sich diese unter den Nagel zu reißen.
Die gewaltigen Schwingen schlugen gleichmäßig auf und ab, während Wind über die empfindlichen Flügelhäute strich. Das Licht der Sonne fiel auf die schimmernden Schuppen und rief unzählige Schattierungen von Rot hervor. Tief atmete Red Fire die kühle Luft ein. Mit scharfen Augen die Umgebung musternd, nahm er jede noch so kleine Bewegung wahr. Der Hunger rumorte in den Eingeweiden. Seitdem der Drache die eigene Höhle in den Rough Mountains verlassen hatte, war kein Wild zu sehen. Zudem verspürte er das dringende Bedürfnis zu töten. Den Tod zu bringen, bereitete ihm Vergnügen. Der rote Gigant genoss es, wenn sich das Feuer im Inneren aufbaute, in der Kehle brannte, bis es schließlich herausschoss, um Zerstörung zu bringen. Wenn er die Krallen in die weiche Haut eines Opfers schlug, sodass Blut herausspritzte, hatte er das Gefühl, Herrscher über Leben und Tod zu sein.
Unter dem Drachen befand sich eine wilde Berglandschaft, die von einem reißenden Fluss zerschnitten wurde, an dessen Ufer kaum Vegetation wuchs. Es regte sich kein Tier, doch der Hunger wurde quälender.
Endlich erspähte der Drache Beute: einen Monolan, der sorglos am Fluss entlang trabte. Red Fire legte die Flügel an, schoss im pfeilschnellen Sturzflug hinab, mit dem Gefühl, eine sichere Mahlzeit vor Augen zu haben.
Im letzten Moment schien der Monolan den Schatten des Drachen zu bemerken, denn er rettete sein Leben mit einem waghalsigen Sprung in den tosenden Fluss. Unter Wasser verwandelte das Tier sich sofort in ein Walross, tauchte tief hinab bis zum Grund und fand dort ein Versteck unter Felsen. Es war Bogidahab, der für seine Familie jagte, während Wanda die Babys hütete. Nur knapp konnte er dem Tod entrinnen, aber noch bestand Gefahr. Bogidahab sah den mächtigen Schatten des Drachen, der über die Wasseroberfläche huschte. Das dunkle Fell des Walrosses verschmolz mit den Felsen, deshalb hoffte er inständig, von oben nicht gesehen zu werden. Regungslos verharrte er, denn jede kleinste Bewegung wurde von den scharfen Drachenaugen registriert.
Da Red Fire nicht wusste, wie tief das Wasser an dieser Stelle war, unterließ er es, Bogidahab hinterher zu tauchen. Vor Jahren zog der Drache sich in einem flachen Flussbett eine tiefe Verletzung zu. Seither verhielt er sich vorsichtig an solchen Stellen. Verärgert schwenkte er ab, seine Laune sank auf den Tiefpunkt. Der rote Riese musste etwas zu Fressen finden. Als er den Blick schweifen ließ, stellte er enttäuscht fest, dass sich ansonsten nichts unter ihm bewegte, so als ob alle Lebewesen vor ihm geflüchtet wären. Er empfing nicht einmal eine Schwingung von Leben.
Der Drache beschloss, zunächst die Schatzhöhle aufzusuchen, um dort die Bestände zu prüfen. Schon sah er sich in einem Meer aus Gold und Diamanten baden. Er liebte es, wenn das Licht in den Diamanten brach, darin funkelnd schimmerte und das Gold leise klimperte, wenn es bewegt wurde. Nach dem Bad in den Kostbarkeiten würde er im nahen See Lorells fangen. Dort, wo auch Bernsteinauge gern gejagt hatte. Besser fette Fische als gar nichts im Bauch.
Endlich geriet die Höhle in Red Fires Blickfeld. Aber was tat sich dort? Zwei Drachen schwenkten um den Berg herum, befanden sich seitwärts im Anflug. Sie schienen nicht so gewaltig wie er selbst, sondern jünger zu sein. Mit den beiden konnte er es leicht aufnehmen. Sie nahmen doch wohl nicht die Höhle von Bernsteinauge in Anspruch? Was für eine Unverschämtheit – fremde Drachen in seinem Revier! In seiner Höhle! Mit seinen Schätzen!
In diesem Moment steuerten Nijano und Soraya, das verliebte Drachenpaar, die Höhle von Bernsteinauge an. Es wohnte seit kurzem dort. Sogleich bemerkten sie den roten Giganten.
»Da kommt ein roter Drache! Er wirkt nicht gerade freundlich«, stellte Soraya besorgt fest.
Aus zusammengekniffenen Augen musterte der Grünschwarze den Fremdling, während in seinem Herzen grenzenlose Wut entflammte. Besaß nicht der Drache rote Schuppen, der seine Mutter getötet hatte? Wenn das der Mörder war, würde der Jungdrache ihn zerfetzen. Jetzt! Sofort!
Als Soraya über die Schulter schaute, sah sie Nijanos Mienenspiel und erschrak. »Was ist los mit dir? Du willst ihn doch nicht etwa angreifen?«
»Das könnte Red Fire sein. Der hat meine Mutter umgebracht!«
»Was, wenn er das nicht ist? Du hast nicht etwa vor …«
»Soraya, das ist meine Sache!«
»Nein, ist es nicht!«
»Das mit meiner Mutter geht dich nichts an!« Voller Zorn schnaubte der Grünschwarze.
»Ich habe auch was zu sagen!«
»In dem Fall nicht!«
Die beiden landeten vor der Höhle. Unverwandt starrte Nijano in Red Fires Richtung. Zornig peitschte der Jungdrache mit dem Schwanz hin und her, schnaufte dabei laut. »In diesem speziellen Fall hast du nichts zu sagen! Sie war meine Mutter!«
»Aber wer flickt nachher deine Knochen zusammen? Nicht sie, sondern ich! Meinst du, ich habe Lust, dein Blut von den Bergen zu kratzen?«
»Ach so, du gehst direkt davon aus, dass ich verliere? Du traust mir ja nicht viel zu!« Drohend schaute Nijano Soraya an.
Verunsichert trat sie zwei Schritte zurück und lenkte ein: »Doch, schon. Aber sogar deine Mutter wurde von diesem aggressiven Kerl besiegt. Du bist viel jünger als er, somit bist du …«
»Ein Loser? Schwächer, schlapper, wehrlos?« Er fauchte. Wütend schleuderte er einen Feuerstoß in Sorayas Richtung und stürzte sich wortlos in die Tiefe, um dem Gegner entgegenzufliegen.
In diesem Moment wurde Nijano von jemandem gerammt, kam ins Trudeln und fiel.
*
Einsam glitt der schwarze Drache Songragan über die zerklüftete Bergwelt seiner Heimat, in der Nähe der Felsenstadt Angar. Die schwarzen Schwingen glänzten im Licht wie erstarrte Lava. Kalt strich die Luft darüber – kalt war auch das Herz. Dem mächtigen Schwarzen fehlte Richard, sein Reiter, mit dem er früher fast täglich als Team zusammen geflogen war. Sie liebten es, gemeinsam zu kämpfen, zu töten oder Abenteuer zu erleben. Jetzt fühlte der Drache sich verlassen. Ihm wurde zunehmend bewusst, wie sehr er Richard ins Herz geschlossen hatte. Wie aufregend und entspannend zugleich die miteinander verbrachte Zeit sich anfühlte. Aber nun blieb Richard weg. Für immer! Der Tod raubte das, was man liebte. Songragans Herz schmerzte, und er stellte wieder einmal verwundert fest, dass überhaupt eines in ihm schlug, das so viel spürte.
Um sich abzulenken streifte er seit Tagen umher, in der Hoffnung, einem Drachen zu begegnen, den er zum Kampf herausfordern konnte. So, wie früher mit Richard! Wenn der schwarze Gigant Rivalen tötete, war es ein bisschen so, als lebte sein Reiter noch bei ihm. Endlich entdeckte der Drache am Horizont einen sich schnell bewegenden Punkt von gewaltiger Größe. Das Tempo erhöhend, nahm der Schwarze die Verfolgung auf. Als das Ziel näherkam, sah er die Annahme bestätigt.
Der fremde Drache bemerkte den Angreifer viel zu früh und änderte die Flugrichtung, schien ein bestimmtes Ziel in den Bergen anzusteuern.
Allerdings holte Songragan rasch auf, schrie dem Flüchtigen hinterher: »Feigling, warum haust du vor mir ab? Komm, stell dich einem Kampf!«
Blitzartig absolvierte der Fliehende ein Wendemanöver, schlug in hohem Tempo die gewaltigen Flügel auf und ab. Er steuerte nun direkt auf den Angreifer zu, schien ihn ungebremst rammen zu wollen.
Das gefiel dem Schwarzen! Er vollführte einen Salto nach oben, kurz bevor er mit dem Fremdling zusammenstieß, sodass jenem nach Vollendung der Rolle der dornenbewehrte Schwanz gegen den weichen Bauch donnerte.
Der Überrumpelte brüllte vor Schmerz auf und ging in einen Sturzflug über, um aus der Reichweite des Schwarzen zu kommen.
Der nahm direkt die Verfolgung auf, raste hinterher und biss in den Nacken des Fremdlings. Dieses Mal vollführte der ein waghalsiges Manöver, indem er versuchte, den Angreifer mit einer Schraube wegzuschleudern. Als dies nicht gelang, setzte der Drache alles auf eine Karte. Mehrfach drehte er sich um die eigene Achse, sodass der schwarze Riese tatsächlich von ihm ablassen musste.
Das schürte die Wut in Songragan noch mehr. In seinen nächsten Angriff legte er all die gefühlte Trauer über Richards Tod hinein, stürzte auf den Rücken des Fremdlings, riss ihm die lederne Haut in Fetzen. Dessen Schmerzensschreie hallten über die Bergwelt. Die messerscharfen Zähne des Schwarzen bohrten sich in den blutenden Nacken, pressten unerbittlich zu, bis das Genick brach. Mit einem Brüllen ließ der Schwarze vom Gegner ab, beobachtete, wie der besiegte Drachen zu Boden trudelte und dort zerschellte.
Aber das absolute Triumphgefühl blieb aus. Richard fehlte, um den Sieg mit ihm zu teilen und zu prahlen. Die Leere, die der Reiter hinterließ, konnte durch nichts gefüllt werden. Es blieben nur Sehnsucht und Schmerz. Wenn selbst der Tod Songragan nicht mehr befriedigte, was sollte er dann noch anstellen, um den Kummer loszuwerden? Aus lauter Verzweiflung stieß der schwarze Riese einen lauten Schrei aus, der von den Bergen als Echo zurückgeworfen wurde.
Vielleicht sollte er wenigstens Soraya zurückholen? Der mächtige Schwarze spielte ernsthaft mit dem Gedanken, über die Gonorawüste zu fliegen, um die attraktive Drachin anzuflirten und zu überreden, zurück mit ihm nach Angar zu kommen. Es würde bestimmt nicht schwer werden, seinem schwächlichen Sohn die kesse Lady abspenstig zu machen. An so einem Milchbubi konnte eine richtige Drachin nichts finden!
Außerdem ärgerte es den Schwarzen, dass Bernsteinauge es hinbekommen hatte, die mörderische Wüste zu überqueren, ebenso Nijano, Soraya und der Weiberhaufen. Er selbst versuchte es noch nicht einmal, deshalb befürchtete er, dass die Drachinnen seiner Herde glaubten, ihm fehlte der Mut. Das durfte er nicht auf sich sitzen lassen. Für ihn wäre der Flug über die Wüste ein Leichtes!
Die Entscheidung war gefallen: Songragan wollte allen beweisen, dass es ihm ebenfalls gelang. Er würde die Gonorawüste überfliegen!
*
Nijano kämpfte ums Gleichgewicht, versuchte, den Fall zu stoppen. Mit einem Salto bekam er den Kopf wieder nach oben, gleichzeitig stabilisierte er mit ein paar kräftigen Flügelschlägen den Körper. Diese Manöver hatte er unermüdlich geübt. Erst jetzt erkannte Nijano, von wem er gerammt worden war: Jaspis, die Mutter von Soraya! Au weia – das bedeutete Ärger!
»Wie gehst du mit meiner Tochter um? Wie benimmst du dich? Du hast kein Recht, sie anzuschreien!«, brüllte Jaspis ihn an.
Die beiden flogen lauernd umeinander.
»Aufhören!«, brüllte Rosenquarz, Sorayas Tante. Doch sie wurde ignoriert.
Nijano schnaubte. »Wir kommen allein klar! Deine Tochter braucht dich nicht als Aufpasserin, Jaspis! Viel zu oft mischst du dich ein, das passt mir schon lang nicht mehr. Endlich habe ich es dir mal gesagt! So, jetzt muss ich los, um den Mörder meiner Mutter zu töten!« Er drehte ab und flog erneut dem roten Giganten entgegen.
Der bemerkte die Neuankömmlinge und vertagte den Angriff. Mit vier Drachen gleichzeitig wollte selbst Red Fire es nicht aufnehmen, sondern lieber dafür sorgen, dass er etwas zu essen bekam. Er änderte die Richtung und verschwand schließlich aus Nijanos Blickfeld hinter einem Berggipfel.
Enttäuscht kehrte der Jungdrache zurück zur Höhle, um auf dem dortigen Absatz zu landen. Drei grimmige Drachinnen starrten ihm entgegen.
»Wie sprichst du mit meiner Mutter?«, fuhr Soraya ihn an.
»Du hast einen unverschämten Ton mir gegenüber!«, schimpfte Jaspis.
Rosenquarz globalisierte wieder einmal: »Alle Drachenmänner spinnen und wollen uns Drachinnen beherrschen.«
»Ich habe euch drei ebenso satt wie euer Genörgel!« Genervt wendete Nijano und flog zur Höhle über dem See, die ebenfalls Bernsteinauge gehörte. Er musste jetzt allein sein. Durch Sorayas verkrampfte Verwandtschaft wäre seine Geduld bald am Ende, sodass er nachher Dinge sagte, die er später bestimmt bereute. Seit Jaspis mit ihrer zweiten Tochter Samira und der eigenen Schwester Rosenquarz in der Nähe lebte, prägten Diskussionen oder Bevormundung das Leben.