Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 12

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3.


Ein wolkenloser Himmel, das azurblaue Meer, kleine weiße Häuschen an den Berghängen, unbeschwert lachende, fröhliche Menschen, Sonnenschirme und bunte Markisen.

Ines stand auf der Hotelterrasse und genoss das Panorama, dass sich ihr darbot. Kleine, helle Dreiecke glitten in einer festen Formation über das Wasser und näherten sich dem Ufer.

Vermutlich waren das die Boote der Segelschule. Gleich morgen früh würde sie sich für einen Kurs anmelden.

„Es gibt kaum ein schöneres Fleckchen Erde“, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr und unterbrach abrupt ihre Gedanken.

„Finden Sie nicht auch?“, Ines drehte sich um.

Der Mann war groß und kräftig, hatte ein offenes, sympathisches Gesicht, das von der Sonne tief gebräunt war.

„Es ist wirklich sehr hübsch“, sagte sie. Doch kaum waren die Worte ihrem Mund entschlüpft, da fiel ihr auf, dass das wohl eine sehr schwache Antwort gewesen war.

„Nur hübsch, sagen Sie?“ Der Mann trat neben sie. „Sind Sie schon so viel gereist, dass Sie ein solcher Anblick nicht mehr begeistern kann?“ Er sah sie voll an.

„Nein“, sagte er dann. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie schon so abgestumpft sind.“

Ines wurde rot. „Nein, es ist wirklich einmalig schön“, verbesserte sie sich.

„Einmalig“, sagte der Mann. „Das ist genau das richtige Wort. Das heißt allerdings nicht, dass sich die Schönheit der Eindrücke nicht noch stetig steigern ließe.“

Aha!, dachte Ines. Daher weht der Wind. Jetzt wird er dich wohl gleich zu einem Abendbummel einladen, um dir das auch zu beweisen.

„Ich würde Ihnen gern den Hafen und das Fischerdorf zeigen“, fuhr der Mann fort.

„Abends, wenn überall die bunten Lichter angehen, ist es besonders schön. Ich kenne mich hier ein wenig aus. Wenn Sie Lust haben, lade ich Sie heute Abend zu einer Autofahrt ein.“

Na bitte!, dachte Ines. Und jetzt musst du ablehnen!

„Ja, gern“, hörte sie sich sagen.

Sie hätte den frühen Abend eh allein verbracht, denn Robert hatte durch Zufall erfahren, dass an diesen Abend ein Fußballspiel des SSC Neapel gegen Inter Mailand stattfand und das wollte er auf keinen Fall verpassen.

Schon zehn Minuten vor dem verabredeten Zeitpunkt stand Ines auf der Straße.

Sie hatte sich hübsch gemacht, ihre langen dunklen Haare zu einer sommerlichen Hochfrisur gesteckt und ein dezentes Make-up aufgelegt. Das geblümte Kleid schmeichelte ihrer Figur und ihre nackten Füße stecken in offene Sandalen.

Warten brauchte sie allerdings nicht, Kai war ebenfalls schon da. Lachend winkte er ihr zu, als sie durch die gläserne Schwingtür des Hotels trat.

Ines ging auf ihn zu und ihr fiel auf, dass Kai fast den gleichen Wagen fuhr wie ihr Bruder Robert, mit dem sie gekommen war. Es war das gleiche Modell, auch ein Cabriolet, sogar die gleiche Farbe. Oder war dieser eine Nuance dunkler? Das Dämmerlicht des hereinbrechenden Abends konnte auch täuschen.

Ganz wie ein Gentleman rannte Kai um den Wagen herum und hielt Ines die Autotür auf. Sie stieg ein, lehnte sich bequem in den vertraut wirkenden Sitz und gab sich ganz den Eindrücken des Augenblicks hin.

Kai klemmte sich hinter das Steuer und losging die Fahrt.

Ines schaute sich unauffällig im Wagen um. Der Wagen sah nicht nur von außen wie Roberts aus, nein, auch von innen!

Sie erkannte die Sonnenbrille, die über den Rückspiegel hing und auch im Mittelfach, neben der Handbremse erkannte Ines die Schachtel Pfefferminzbonbons, die sie an einer Tankstelle gekauft hatte.

Sie runzelte kaum merklich die Stirn und schaute zu Kai herüber. Er plauderte völlig unbekümmert, während sie durch die abendlichen Straßen fuhren.

Was soll ich davon halten?, dachte Ines, während sie ab und zu, „ah ja, sehr schön, super“, seine Erläuterungen zur Stadtfahrt kommentierte.

Ines mochte Kai auf Anhieb. Nicht nur das er nett aussah. Er war auch noch höflich, ungemein sympathisch, man konnte sich gut mit ihm unterhalten und er machte auch nicht den Eindruck eines Halunken, der irgendwelche Autos stiehlt.

Ines beschloss für sich das Spiel erst einmal mitzuspielen und abzuwarten, wo die ganze Sache hinführte.

Es wurde ein herrlicher Abend. Die malerische Kulisse des kleinen Fischerdorfes, die fremdartigen Stimmen und Geräusche, die unzähligen Düfte und Gerüche, die in der Luft hingen und sich fast von Straße zu Straße zu verändern schienen, wirkten beinahe betäubend.

Kai führte sie in ein nettes kleines Restaurant, in dem er einen Tisch bestellt hatte, von dem man einen herrlichen Ausblick auf das Meer hatte.

Als Kai zwei Stunden später auf einem stillen Seitenweg auf einer Klippe hoch über der Bucht anhielt und den Arm um sie legte, sträubte sie sich nicht, denn er tat nur das, was sie sich selbst so sehr wünschte.

„Im Volksmund heißt dieser Berg die Klippe der wahren Liebe“, erklärte Kai.

„Es heißt, dass zwei Liebende, die sich hier ihre Liebe gestehen, von nichts und niemanden in der Welt getrennt werden können, wenn bei keinem von beiden ein böser Gedanke in der Seele ist.“

Die volle Scheibe des Mondes wurde von einer kleinen Wolke freigegeben und eine Spur aus silbrigem Licht legte sich auf das Wasser.

„Und wenn doch?“, fragte Ines.

„Was geschieht, wenn einer der beiden doch einen bösen Gedanken im Herzen trägt?“

Kai dachte nach. „Ich weiß nicht genau. Ich glaube, dann sollen die Mächte des Meeres aufsteigen und den Bösewicht verschlingen.“

Kai rückte noch näher an Ines heran. Seine Lippen berührten fast die ihren.

Ines war nun doch etwas verunsichert. Ihr Atem ging schneller und sie schloss die Augen. Sollte sie Kai gewähren lassen oder war es doch vielleicht besser, ihn auf Abstand zu halten?

Sie schob die Gedanken zur Seite und flüsterte: „Wir werden es versuchen, lass uns an den Rand der Klippe gehen und es im Angesicht der Mächte des Meeres ausprobieren.“

Und noch ehe Kai etwas erwidern konnte, hatte sie die Tür geöffnet, war ausgestiegen und die wenigen Meter vorgelaufen, bis sie tief unter sich die Wellen an das Ufer schlagen sehen konnte.

Als sie Kais Schritte hinter sich hörte, drehte sie sich um, nahm ihn in die Arme und wisperte: „Ich liebe dich.“

Ines war sich durchaus bewusst, dass man nicht nach einem Abend schon von Liebe sprechen konnte, doch dieses Spiel gab ihr die Gelegenheit, Kai zu zeigen, dass sie ihn mochte.

„Ich liebe dich auch“, sagte Kai. Er drückte sie fest an sich, und wie du siehst, ich habe keinen bösen Gedanken in meiner Seele.“

Sie schauten eng umschlungen hinunter aufs Meer, doch nichts passierte. Es blieb wirklich ruhig.

Der Mond zauberte ein romantisches Licht auf die glatte Wasseroberfläche.

Ines fühlte sich ganz plötzlich aufgewühlt. In ihr nagte die Ungewissheit, sie wollte das Spiel der Unwissenden nicht mehr spielen.

Woher hatte Kai das Auto ihres Bruders? Hatte er es doch gestohlen? Über Kais Schultern hinweg starrte sie auf den Wagen.

„Wem gehört das Cabriolet?“, fragte sie und ihre Stimme bebte vor Entrüstung.

„Hast du nicht gesagt, es sei dein Auto? Du hast es gesagt! Aber der Wagen gehört dir nicht. Ich kenne ihn. Ich erkenne die Nummernschilder. Wie kommst du zu diesem Wagen?“

Die Worte sprudelten förmlich aus Ines heraus und die romantische Stimmung schlug um in Wut.

Kai stand vor ihr mit hängenden Schultern und wirkte mit einem Mal ganz klein und hilflos. „Ich habe ihn mir geliehen“, murmelte er.

„Geliehen?“ Ines lachte höhnisch auf. „Mein Bruder würde seinen Wagen niemals verleihen, da bin ich mir sicher.“

„Bitte Ines“, sagte Kai. „Ich kann es dir erklären. Ich wusste nicht, dass der Wagen deinem Bruder ...“

Er verhaspelte sich, brach ab und sagte dann: „Ich habe einen guten Freund, der in der Hotelgarage arbeitet und die Autoschlüssel der Gäste unter Verschluss hält.

Wir erweisen uns gegenseitig von Zeit zu Zeit kleine Gefälligkeiten, verstehst du? Und es ist keine Schwierigkeit, sich manchmal für eine kleine Spritztour eins der Fahrzeuge auszuleihen. Wenn er vom Gast erfährt, dass das Auto an einem Abend nicht benötigt wird, dann ruft er mich an. Ich ersetze sogar immer das verbrauchte Benzin“, fügte er fast entschuldigend hinzu.

„Und mit solch schnittigen Sportwagen kann man dann wunderbar dummen Gänsen wie mir imponieren, nicht wahr?“, stieß Ines wütend hervor und kämpfte mit den Tränen. „Eine romantische Nacht auf der Klippe der wahren Liebe. Oh Gott, was für ein Kitsch!“

Sie lief zum Wagen zurück, damit er ihre Tränen nicht sah. „Fahr mich zurück“, sagte sie schroff. „Sofort!“

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