Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 6
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Das Flugzeug war inzwischen schon mehrere Minuten in der Luft, aber noch immer forderte die Leuchtschrift die Passagiere auf, angeschnallt zu bleiben.
Zwei Stewardessen standen im vorderen Teil des Ganges vor der Tür zur Pilotenkanzel und flüsterten miteinander. Sie lächelten, aber das Lächeln schien auf ihren Gesichtern festgefroren zu sein. Es war nicht ehrlich, nicht natürlich. Es war kein wirkliches Lächeln, war eher eine Maske, hinter der Besorgnis und Furcht versteckt werden konnten.
Wenn Sarah aus dem Fenster blickte, sah sie tief unter sich die Stadt.
Die Sonne ging auf und schickte waagerechte Strahlen. Die Luft war klar und viele Einzelheiten waren deutlich zu erkennen, Häuser, Straßen, Bäume, Gärten und das Rollfeld des Flughafens.
Sarah sah alles aus immer neuen Perspektiven, aber die Stadt blieb die gleiche. Das Flugzeug kreiste am Himmel, doch es entfernte sich nicht. So, als ob es sich nicht wirklich dazu entschließen konnte, endlich den Weg in den Süden einzuschlagen, oder als ob es von einer unsichtbaren Kraft zurückgehalten würde.
Die letzten fünfundvierzig Minuten die Sarah jetzt auf ihrem Platz saß, waren die ersten wirklich ruhigen Minuten seit der Ankunft jener WhatsApp-Nachricht.
Das ging ihr durch den Kopf, während sie auf ihre Stadt hinabblickte. Melanie, die eine halbe Stunde später in ihrer Wohnung aufschlug, hatte sofort ihre Propagandamaschinerie in Gang gesetzt, der Nachmittag war ein einziges Durcheinander gewesen.
Am Abend dann der Anruf am Flughafen, die überstürzte Flugreservierung, das gehetzte Packen des Koffers, noch in derselben Nacht, die Taxifahrt zum Flughafen ...
Zum ersten Mal seit vielen Stunden genoss Sarah so etwas wie Entspannung. Vielleicht war dafür auch ihre Übermüdung nach der durchwachten Nacht verantwortlich, das monotone Geräusch des Fliegers oder die beruhigend wirkenden Bilder der unter ihr dahinziehenden Landschaft.
Zum ersten Mal jedenfalls dachte sie daran, dass sie vielleicht zu unüberlegt, zu überstürzt gehandelt hatte. Klar, sie hatte einen Schock erleben müssen.
Aber war daran nicht viel eher die Atmosphäre schuld, die Melanie geschaffen hatte? Wäre es nicht besser gewesen, wirklich mit Benjamin zu sprechen?
Sie erinnerte sich jetzt daran, dass ihre erste Reaktion auf die Nachricht war, dass sie an einen Scherz dachte, den sie nicht verstand. An Bennos Ehrlichkeit hatte sie bis dahin nicht gezweifelt.
Das kam erst sehr viel später, als Melanies Misstrauen auch auf sie überzugreifen begann. Sicherlich hatte es Melanie nur gut gemeint. Sie wollte ihre Freundin vor noch größerem Schmerz in ihrer vielleicht ungeschickten Art schützen.
Und dann das Telefongespräch ... War das denn nicht eindeutig genug?
Mit einem Mal war sich Sarah nicht mehr so ganz sicher. Irgendwo gab es da ein Missverständnis. Es muss ein Missverständnis geben. Oder war es möglich, dass man sich so in einem Menschen, mit dem man lange Zeit sehr, sehr glücklich gewesen war, den man wirklich zu kennen glaubte, mit all seinen Stärken und Schwächen täuschen konnte?
Sarah wünschte sich, sie wäre noch immer dort unten in ihrer Stadt, könnte Benjamin in die Augen sehen und alles verstehen. Es müsste eine Kraft geben, so etwas wie eine gute Fee, die ihre schützende Hand über alle Liebenden hält und sie vor Ungerechtigkeiten und Angriffen schützt.