Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 5

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2.


Die Glastüren öffneten sich mit einem leisen Zischen. Sofort umgab Sarah trotz dieser späten Stunde ein hektisches Treiben und ein Gesumme von Stimmen wie in einem Bienenstock.

Sarah informierte sich an einer Informationssäule, an welchem Terminal sie einchecken konnte. Die Abfertigungsformalitäten verliefen schnell und ohne größere Verzögerungen. Sarah erhielt ihren Reisepass und ihre Tickets zurück und stopfte alles in ihre Handtasche.

Sie lief weiter zur Sicherheitskontrolle, schmiss ihre Handtasche in die Gepäckwanne, lief durch den Metalldetektor und wurde anschließend von einer netten Beamtin begrüßt.

Sie hob automatisch ihre Arme und ließ sich wortlos abtasten. Am hinteren Ende des Kontrollbandes fischte sie ihre Handtasche aus dem Behälter und steuerte Richtung Ausgang.

Die Glastüren vor ihr schwangen automatisch auf, als sie sich ihnen näherte und dann blies ihr warmer, böiger Wind vom Flugfeld her entgegen.

In einer lachenden und scherzenden Reisegruppe eingekeilt, ließ sie sich das kurze Stück über das Rollfeld auf die wartende Maschine zutreiben. Ein Gewirr internationaler Sprachbrocken drang an ihr Ohr, aber sie hörte die einzelnen Worte nicht wirklich.

Jemand zupfte an dem Ärmel ihrer Strickjacke. Sie wandte den Kopf, sah einen circa sechsjährigen dicken Jungen, der einen kleinen aufblasbaren Dinosaurier unter dem Arm trug. Sie sah seinen von Schokolade verschmierten Mund, sah, dass der Junge aufgeregt plapperte und ihr irgendetwas wahrscheinlich außerordentlich Wichtiges erzählen wollte. Von alledem, was er ihr mitteilen wollte, begriff sie nichts.

Die Menschen um sie herum flogen zu ihren Urlaubsorten, waren allesamt in einer freudigen Erwartung, die Sarah nicht nachvollziehen konnte.

Sarah war auf der Flucht.

Sie bestieg dieses Flugzeug nicht, um eine schöne Zeit zu erleben, sie wollte fort, um eine schlimme Enttäuschung zu vergessen.

Eigentlich gehörst du nicht in diese Gemeinschaft fröhlicher Menschen, dachte sie, mit ihnen hast du nichts gemeinsam. Du gehörst in dein Zimmer mit verdunkelten Fenstern, in eine kahle Zelle, bekleidet mit Jogginghose und Schlabbershirt, viel trauriger Musik und mit Asche auf dem Haupt.

Sie schlurfte mehr als sie ging und verfehlte die unterste Stufe der Gangway, strauchelte und fing sich wieder. Aber dieser kleine Zwischenfall verhinderte, dass sie sich immer weiter in ihre Trauer hineinsteigerte. So wird Verzweiflung geboren, mahnte sie sich selbst.

Übertreibe es nicht! Du hast Vertrauen geschenkt und bist enttäuscht worden. Das ist schlimm und schmerzlich, aber es ist nun mal geschehen. Das Leben kann grausam sein. Im Augenblick ist es Nacht, aber bald geht die Sonne wieder auf.

Sarah setzte sich auf ihren Platz am Fenster und blickte auf die silbrig glänzende Tragfläche hinaus.

Sie dachte an die Reaktion von Melanie ihrer Freundin, als sie erfuhr, was vorgefallen war. „Siehst du, ich habe es gewusst!“, hatte Melanie gesagt und in ihren Augen blitzte so etwas wie Triumph auf. „Ich habe dich von Anfang an vor diesem Mann gewarnt!“

Ja, Melanie hatte sie gewarnt. Aber Melanie warnte vor allem und jedem. Melanie war die misstrauischste Person, die Sarah kannte und der Begriff – Lebensfreude – war ihr so fremd wie einem Fisch eine Wanderdüne.

Sarah kramte ihr Handy aus der Tasche und schrieb Melanie eine kurze Nachricht, dass sie für ein paar Tage raus aus der Stadt musste und bereits im Flugzeug saß. Das war Sarah ihrer besten Freundin einfach schuldig. Es wäre fies gewesen, ihr nicht Bescheid zu geben und einfach zu verschwinden.

Sarah dachte an den Anfang ihrer Beziehung mit Benjamin zurück. Sie hatte Melanie nach circa einem Monat von ihrer neuen Liebe erzählt.

Es dauerte nicht ganz eine Woche, da piepste Sarahs Handy

– WhatsApp von Meli –

Meli:

Stell dir vor, er war mal verheiratet! ... *Smiley Entsetzt*

Sarah:

Ich weiß ... *Smiley Lach*

Meli:

Wie, du weißt? ... *Smiley Hochgezogene Augenbraue*

––––––––


Weiß der Teufel, woher Meli das erfahren hatte. Melanie hatte die Welt nicht mehr verstanden.

Aber Sarah wusste mehr als Melanie. Sarah rief Melanie an und erklärte ihr am Telefon, dass Benjamin ihr längst alles selbst erzählt hatte.

„Weißt du Melanie, er hat mir seine Vergangenheit gebeichtet. Er war kaum erwachsen, da hatte er eine Freundin aus Kindertagen geheiratet, weniger aus Liebe als vielmehr um allen zu beweisen, wie reif sie beide doch schon waren.

Eine dumme Kinderei, nichts weiter, hatte Benjamin mir gesagt. Und es war kein Wunder, dass diese Ehe nicht halten konnte. Als sie wirklich erwachsen waren, hatten sie eingesehen, dass es besser für alle war, sich wieder zu trennen, und sie sind gute Freunde geblieben.“

„Und das nimmst du ihm ab?“, hatte Melanie gegiftet.

„Gute Freunde, wenn ich so etwas schon höre. Ein Charakter ändert sich nicht. Du wirst noch mal an meine Worte denken ...“

Sarah dachte an Melanies Worte. Sie dachte an nichts anderes, als das Flugzeug allmählich in seine Startposition rollte. Als die Düsen aufheulten, sich die Maschine in die Luft erhob und die Stadt mit Benjamin und Melanie unter ihr immer kleiner zurückblieb.

Sarah wusste nicht, was schlimmer war, die Wahrheit selbst oder die Art, wie Benjamin es ihr über WhatsApp mitgeteilt hatte.

Benny:

Ich will es nicht mehr länger geheim halten. Es gibt eine andere Frau in meinem Leben, die mir sehr viel bedeutet ... *Smiley Herzchen *

Ich möchte sie dir unbedingt vorstellen ... * Smiley Kuss*

Das war alles. Sarah starrte ungläubig auf die Nachricht.

Im ersten Augenblick hatte Sarah an einen Scherz gedacht und überlegt, wo die Pointe liegen konnte. Das, was der Text vordergründig aussagte, konnte nicht die Wirklichkeit sein.

Dazu kannte Sarah Benjamin zu gut und zu lange schon. Wenigstens bildete sie sich das ein. Sie vertraute auf ihr Gefühl auf ihre Intuition, solange jedenfalls, bis Melanie die Wahrheitsfindung in ihre Hand genommen hatte.

Sarah leitete die Nachricht weiter an Melanie, die keine halbe Stunde später vor Sarahs Tür stand. Einen ganzen Nachmittag redete Melanie auf Sarah ein. Führte Telefongespräche mit irgendwelchen Bekannten und mit Bekannten von Bekannten, versuchte zu beweisen, wie schändlich Sarah hintergangen worden war, reihte Gerücht an Gerücht.

„Ich will dir doch nur helfen, Mädchen“, sagte Melanie.

„Das ist das Mindeste, was ich für dich tun kann“, schob sie hinterher.

Trotz allem hatte Sarah immer noch an Benjamin geglaubt. Das Trommelfeuer von Melanies Propaganda hatte ihren Glauben nicht erschüttern können.

Aber vielleicht hatte ihr Vertrauen Risse bekommen, war dünner geworden. Denn als Melanie gegangen war, spät am Abend, hatte Sarah sich schließlich dazu hinreißen lassen, Benjamin anzurufen. Sie wusste nicht genau warum. Vielleicht gingen die bitteren Keime, die Melanie gesät hatte, doch auf, vielleicht wollte sie nur Gewissheit haben. Und dann schien alles klar.

Eine Frauenstimme hatte sich gemeldet, und sie klang so unbeschwert und fröhlich, dass es Sarah beinahe körperlich wehtat. „Wer ist denn da?“, hatte Sarah Bennos Stimme im Hintergrund gehört und die Frauenstimme hatte gesagt, wahrscheinlich eine von deinen anderen Verehrerinnen ... Sarah war das Handy aus der Hand geglitten.

Wie eine Endlosschleife hörte sie immer wieder Melanies Stimme im Kopf, ihre Warnungen und Verdächtigungen.

Die Worte rauschten vorbei und mit einem Mal bekamen sie so etwas wie eine innere Logik, wurden wahrscheinlich.

Melanie hat recht, die alte Miesmacherin hat tatsächlich recht, sagte etwas in Sarahs Kopf und diese Meinung war stärker als die Stimme der Vernunft, die ganz leise flüsterte: Ein Missverständnis, vielleicht nur eine kleine Verkettung unglücklicher Zusammenhänge ...

Sarah hatte das Handy wieder aufgehoben, hatte gehandelt wie in Trance, den Flughafen angerufen und sich ein Ticket in den Süden reservieren lassen. Ihr war es ganz gleich wohin, nur fort, wo es keine Melanies und keine Benjamins gab, keine kichernden Frauenstimmen am Telefon, nur Ruhe und Muße und Zeit, um nachzudenken ...

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