Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 21

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Ein Geschenk für Mutti


Manchmal hasste Peter Winkler seinen Beruf. Es gab Hübscheres, als Leuten auf die langen Finger zu klopfen, aber einer musste es schließlich tun.

Bedächtig spazierte er durch die Spielwarenabteilung und hing seinen düsteren Gedanken nach. Da stutzte er. Der Junge, der nun schon zum fünften Mal um den Tisch mit den Plüschtieren schlich und verlangend zu den kuscheligen Herrlichkeiten schielte, weckte seinen Argwohn.

Tatsächlich! Die Hand des ungefähr Achtjährigen zuckte blitzschnell vor, nachdem er sich nach allen Seiten vergewissert hatte, dass ihn niemand beobachtete, schnappte sich eine von den possierlichen Katzen und verschwand damit unter seiner Jeansjacke. Mit hochrotem Gesicht strebte er der Rolltreppe zu, um sich mit seiner Beute aus dem Staub zu machen.

Peter war schneller. Er hielt den Dieb an der Schulter zurück und raunte ihm zu.

"Die Kasse befindet sich auf der anderen Seite. 29 Euro fünfzig kostet die Katze."

Der Junge versteifte sich, ohne den Mann anzusehen. Tränen schossen in seine Augen. Er schluchzte los, aber dadurch durfte sich Peter nicht erweichen lassen. Schließlich hatte er als Warenhausdetektiv derartige Übergriffe zu verhindern. Wo käme man denn da hin, wenn alle Kinder auf diese Weise ihre Wünsche erfüllten.

"Ich muss dich zur Direktion bringen", sagte er ernst. "Und dann gehen wir zu deinen Eltern. Hast du so etwas schon öfter gemacht?"

Natürlich verneinte der Junge entschieden, aber das kannte man ja.

Über Lautsprecher pries eine suggestive Frauenstimme die saftigen Rollschinken im Sonderangebot an. Anschließend füllte der Sound von James Last die Abteilungen.

"Bitte, gehen Sie nicht zu meiner Mutti!", flehte der Junge.

"Du hast Angst vor Schläge, wie? Wie heißt du?"

"Manuel", kam es verzagt. "Mutti haut mich nie. Sie ist so lieb, und jetzt ist sie krank. Der Doktor hat doch gesagt, sie müsse sich immer schön warm halten. Ein Katzenfell wäre gut für sie. Ich ... ich wollte es ihr schenken. Zu ihrem Geburtstag." Der Kleine zitterte am ganzen Körper.

Offenbar besaß er keinen Vater mehr. Plötzlich tat Peter der völlig verstörte Junge leid, der nichts weiter gewollt hatte, als dass seine Mutter wieder gesund wird.

Er nahm die Katze und warf sie auf den Tisch zu den anderen Stofftieren zurück.

"So ein Fell hat der Doktor nicht gemeint", versicherte er. "Du weißt doch, dass man nicht einfach Dinge wegnehmen darf, ohne sie zu bezahlen. Hat dir das deine Mutti nicht beigebracht?"

Manuel nickte heftig.

"Wenn sie es erfährt, wird sie schrecklich traurig sein. Ich wollte die Katze ja bezahlen. Wenn ich wieder Taschengeld bekomme. Sie hat gesagt, wenn wir wieder einen Untermieter haben, kriege ich jede Woche drei Euro."

Peter freute sich über den Vorwand, Manuels Mutter aufsuchen zu können. Er würde einfach behaupten, sich für das Zimmer zu interessieren.

In einer Viertelstunde schloss das Warenhaus. Dann wollte er tun, was getan werden musste. Er durfte diesen Zwischenfall nicht auf sich beruhen lassen.

Manuel ging verzagt neben ihm. Er wohnte ein paar Straßen entfernt. Seine Mutter war schon sehr aufgeregt, weil er längst hätte zu Hause sein müssen.

"Es ist meine Schuld, Frau Tögel", behauptete Peter. Es fiel ihm schwer, die zerbrechliche Frau zu belügen, die ihn mit ihren großen, blauen Augen erschrocken anschaute, als käme er als Verkünder entsetzlichen Unheils. "Manuel erzählte mir, Sie hätten ein Zimmer zu vermieten."

Lena Tögel atmete merklich auf.

"Allerdings. Ich zeige es Ihnen. Es ist leider nicht sehr komfortabel. Das ehemalige Arbeitszimmer meines Mannes. Er starb vor drei Jahren. Bis jetzt hatte ich mit meinen Untermietern wenig Glück. Der letzte ist für sechs Monate die Miete schuldig geblieben."

"Ich würde im Voraus zahlen", versicherte Peter eilig, als fürchtete er, ein anderer käme ihm zuvor.

Wie wunderschön sie war! Und ihre Stimme berührte ihn auf seltsame Weise.

"Ihnen würde ich auch nichts Schlechtes zutrauen, Herr ..."

"Winkler. Peter Winkler. Manuel sagte, Sie seien krank."

"Es geht schon wieder aufwärts." Lena Tögel lächelte so intensiv, als wollte sie beweisen, dass sie völlig auf der Höhe sei. "Eine langwierige Nierengeschichte. Natürlich soll ich mich noch schonen, aber so ein Arzt redet leicht daher. Draußen das nasskalte Wetter, und ich kann Manuel nicht jede Besorgung aufladen. Er hilft mir viel. Ich habe Angst, dass seine Leistungen in der Schule darunter leiden."

Sie zeigte Peter das Zimmer, das ihm gut gefiel. Aber er brauchte es nicht. Schließlich besaß er eine Vierzimmerwohnung, die ohnehin zu groß für ihn war.

Irgendwie musste er auf den Diebstahl zu sprechen kommen. Es fiel ihm unglaublich schwer, denn der Junge ließ keinen Blick von ihm. Beschwörend schaute er zu ihm auf.

"Manuel ist ein netter Bursche", begann er.

"Das sagen alle", erwiderte die blonde Frau in dem wollenen Hauskleid stolz. "Dazu ist er fleißig und vor allem grundehrlich. Das ist doch das Wichtigste, nicht wahr?" Sie strahlte ihren Besucher an.

Peter nickte nur.

"Ich nehme das Zimmer", hörte er sich sagen. "Kann ich noch vor dem Ersten einziehen?"

"Gewiss." Lenas Wangen röteten sich leicht. Ob sie noch Fieber hatte?

"Darauf sollten wir anstoßen", schlug Peter heiter vor. "Ich besorge eine Flasche Wein."

Lenas Blick verdunkelte sich.

"Ich darf zur Zeit keinen Alkohol trinken. Aber ich könnte uns einen Tee aufgießen, wenn Ihnen das nicht zu profan ist."

"Tee wäre prima", beteuerte Peter und strich Manuel übers Haar, als seien sie alte Bekannte.

Er folgte dem Jungen ins Wohnzimmer, während Lena in der Küche hantierte. Sein Blick fiel auf die Gitarre an der Wand. Er wurde an seine eigene Kindheit erinnert, als er noch selbst ein solches Instrument gespielt hatte, während seine Schwester dazu sang. Seitdem war vieles anders geworden. Nüchterner, rationeller.

"Wann werden Sie es ihr sagen?", flüsterte Manuel beklommen.

"Du tust so etwas nie wieder, oder?"

Der Junge schüttelte heftig den Kopf.

"Ganz bestimmt nicht, Herr Winkler."

"Ich verlass mich auf dein Wort. Deine Mutter wäre sehr traurig."

Zum ersten Mal stahl sich ein scheues Lächeln auf die Lippen des Achtjährigen.

"Sie sind sehr nett."

Diese Feststellung traf er noch ein paarmal, nachdem Peter Gefallen daran gefunden hatte, mittels einiger fingergroßer Indianer auf dem Teppich einen Angriff gegen eine Plastikpostkutsche zu starten, den der Junge bravourös zurückschlug, die Indianer gefangennahm, ihr Leben aber großherzig schonte.

"Soll ich den Tee auf dem Fußboden servieren?", ließ sich Lena hören.

Peter schoss in die Höhe. Er war erhitzt und hatte für einen Moment seine Umgebung vergessen. Die blonde Frau brachte sie ihm mit ihrem zauberhaften Lächeln wieder in Erinnerung.

Der Tee war heiß. Sie tranken in kleinen Schlucken und redeten fast nichts, während Manuel das Interesse des Besuchers mit Hilfe einer lärmenden Feuerwehr auf sich zu lenken suchte.

"Manchmal kann er eine richtige Nervensäge sein", erklärte Lena. "Sie müssen ihm das nachsehen. Manuel, hole bitte etwas Leiseres zum Spielen!"

"Er ist nicht immer so", versicherte sie, als der Junge das Zimmer betrübt verließ. "Er wird Sie bestimmt nicht stören, wenn Sie bei uns wohnen. Dafür sorge ich schon."

"Er ist ein Kind, das spielen möchte, liebe Frau Tögel. Sicher vermisst er auch seinen Vater."

"Und wie! Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Eigentlich verhält er sich fremden Männern gegenüber eher zurückhaltend. Sie bilden da eine Ausnahme."

Manuel kehrte mit einer Blockflöte zurück.

"Etwas Leiseres", erinnerte Lena beschwörend.

"Du musst singen, Mutti. Sie singt wunderbar, Herr Winkler."

Lena wurde verlegen, aber der Junge begann bereits "Die Blümelein, sie schlafen" zu spielen. Da blieb ihr nichts anderes übrig, als mit einzustimmen.

Peter lauschte. Dann griff er vorsichtig nach der Hand seiner Gastgeberin, die nur sekundenlang zusammenzuckte, die Hand aber nicht zurückzog.

Bei der dritten Strophe ging sein Blick erneut zur Gitarre.

"Darf ich?"

Lena wandte ihm ihr Gesicht zu. In ihren Augen leuchtete es flüchtig auf, bevor sie nickte.

Sie musizierten zu dritt, und als Manuel ins Bett musste, protestierte er nur schwach. Er wirkte erleichtert und glücklich.

"Ein lieber Kerl", sagte Peter, als er mit Lena ins Wohnzimmer zurückkehrte.

"Er mag Sie offensichtlich."

"Ich mag euch auch, Lena." Er nahm sie in den Arm und küsste sie.

Lena seufzte und schmiegte sich an ihn.

"Ich kann es noch gar nicht richtig fassen, Peter", hauchte sie. "Alles ist so unwirklich, dass ich fürchte, es könnte morgen wieder vorbei sein."

"Wenn es nach mir geht, dauert es ein Leben lang. Dass ich Manuel auf der Straße traf, kann doch kein Zufall gewesen sein."

"Als ich dich vor der Tür stehen sah, fürchtete ich, es wäre etwas Schreckliches passiert. Du sahst so ernst aus."

Plötzlich hasste er seinen Beruf nicht mehr.

"Es ist auch etwas passiert, Lena", gab er zu. " Ich habe mich verliebt. In dich und deinen Sohn."

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