Читать книгу Das große Glück ist so nah: Lesefutter - Romane und Erzählungen großer Autoren - A. F. Morland - Страница 17

Aus Paris muss sie sein

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"Pardon, Monsieur!"

Alexander fuhr herum und blickte in die strahlend blauen Augen eines zierlichen Persönchens, das verzweifelt einen Stadtplan schwenkte.

"Kann ich Ihnen helfen?"

Die junge Frau mit der kess geschnittenen Kurzhaarfrisur erkundigte sich in zauberhaft gebrochenem Deutsch mit ihrem süßen Akzent nach dem Weg zum Museum für antike Kunst. Alexander hätte ihr stundenlang zuhören können. Seit seinem letztjährigen Urlaub in der Provence stand für ihn fest, dass er nur eine Französin heiraten würde. Diese Frauen besaßen einen unvergleichlichen Charme, der ihn restlos begeisterte. Die kleine Brünette vor ihm bot das beste Beispiel dafür.

Das Museum befand sich nur wenige Minuten entfernt, doch er erklärte den Weg so umständlich, dass die Fremde dankbar seinen Vorschlag annahm, sie im Wagen hinzufahren. Er wählte ein paar Umwege und erfuhr unterwegs, dass seine Begleiterin Giselle Durant hieß, in Paris beheimatet war, nun aber in Deutschland arbeiten werde.

"Ich finde diese Stadt ganz reizend", versicherte sie.

Ich dich auch, dachte Alexander überwältigt und bot seine Fremdenführerdienste an.

"Sie sind sehr charmant, Monsieur."

"Nennen Sie mich doch einfach Alexander."

"Dann müssen Sie aber auch Giselle zu mir sagen", kam es bereitwillig.

Alexander war froh, dass Giselles Deutsch wesentlich besser war als seine kümmerlichen Französischkenntnisse. Als er sie deswegen lobte, schenkte sie ihm ein dankbares Lächeln.

"Ich gebe mir große Mühe, aber Ihre Sprache ist furchtbar schwer."

Alexander witterte seine Chance.

"Wenn Sie wollen, könnte ich mit Ihnen arbeiten."

Sie willigte ein, und diese Vereinbarung musste nach dem Museumsbesuch unbedingt mit einem Glas Wein besiegelt werden.

Alexander schwärmte von den französischen Weinen, worauf Giselle die deutschen Tropfen von Rhein und Mosel lobte. Ein guter Grund für einen sofortigen Vergleich.

"Ich glaube, ich habe einen Schwips", kickste Giselle am späten Abend.

"Aber nur einen ganz winzigen", beruhigte Alexander sie zärtlich, bevor er sie in den Arm nahm und küsste.

"Olala!", staunte Giselle. "Ihr habt ja nicht nur einen guten Wein." Sie schmiegte sich an ihn, und Alexander wusste, dass er endlich die Frau gefunden hatte, die restlos seinen Vorstellungen entsprach. Fantastisch sah sie aus, unheimlich lieb konnte sie sein, und vor allem war sie eine waschechte Französin.

Er musste an seinen Freund Bernd denken, der ihn für ein bisschen verrückt hielt, seit er sich in den Kopf gesetzt hatte, unbedingt ein Mädchen aus Frankreich zu erobern. Der würde Augen machen.

Allerdings stellte Bernd auch eine gewisse Gefahr dar. Der Junge gefiel sich in der Rolle eines Westentaschencasanovas und brachte es womöglich fertig, ihm die süße Giselle auszuspannen. Es war wohl klüger, die beiden vorläufig noch nicht miteinander bekannt zu machen.

Sie trafen sich von nun an mindestens dreimal in der Woche, um intensive Sprachstudien zu treiben. Giselles schnelle Auffassungsgabe auch bei schwierigen grammatikalischen Problemen brachte ihr weitere Pluspunkte ein. Gescheit war sie also auch noch. Eine wirkliche Traumfrau mit sämtlichen nur denkbaren Vorzügen. Alexander war fest entschlossen, seine entzückende Pariserin für immer zu behalten.

Von Heirat sprach er zwar noch nicht, dafür aber umso eindringlicher von Liebe. Schon deshalb, weil Giselle daraufhin prompt ihr verführerisches Lachen hören ließ, das ihn im Geiste mitten auf die Champs Elysées versetzte. Ihre Stimme klang in seinen Ohren wie Musik.

Zum Glück war auch Giselle von ihm angetan. Sie versicherte, dass er ‚ein schrecklich liebes Mann‘ sei. Das konnte Alexander gar nicht oft genug hören. Nur manchmal ertappte er sie dabei, dass sie ein wenig traurig schaute. Ob es das Heimweh nach ihrer atemberaubenden Heimatstadt war? Oder gab es in Frankreich gar einen anderen Mann, der auf sie wartete?

Giselle arbeitete in einem großen Reisebüro. Obwohl ihr Chef solche Besuche gar nicht gern sah, fand sich Alexander dort gelegentlich ein. Die anderen Angestellten kannten ihn bereits und reichten ihn an Giselle weiter. Von ihr ließ er sich ein wenig von der Bretagne oder der Camarque vorschwärmen, nahm einige Prospekte in Empfang und konnte sich an ihrem unschuldig sinnlichen Augenaufschlag kaum sattsehen.

Die eigentümlichen Blicke ihrer Kolleginnen entgingen ihm dabei nicht. Es handelte sich ausnahmslos um attraktive Erscheinungen, von denen er in früheren Jahren zweifellos begeistert gewesen wäre. Doch seit er seine Giselle kannte, waren alle anderen Frauen für ihn ungefähr so begehrenswert wie Stoppschilder an Straßenkreuzungen. Er sah ihre Notwendigkeit ein, doch er ließ sie nach flüchtigem Aufenthalt hinter sich.

Mit Vorliebe führte er Giselle in ein kleines Bistro, das erst vor wenigen Wochen eröffnet hatte. Hier saßen sie oft stundenlang und wurden sich immer vertrauter.

Diesmal erzählte Giselle auf sein Drängen von ihrer Familie. Er wollte alles wissen, was für sie wichtig war. Mitten im Satz brach sie ab und starrte an Alexander vorbei ins Leere. Er wurde den Eindruck nicht los, dass die Erinnerung etwas Schmerzliches in ihr ausgelöst hatte. Sie wirkte auf einmal nervös und erhob sich schließlich mit der Entschuldigung, sich unbedingt ein wenig frisch machen zu müssen. Nachdenklich blickte Alexander ihr nach.

Er fragte sich, ob sie ihren Entschluss, die Heimat zu verlassen, bereute. Er jedenfalls wollte alles tun, um ihre Traurigkeit zu vertreiben.

Giselle ging verstört zu den Toiletten. Im Gang stieß sie auf einen Mann, der offensichtlich auf sie wartete.

"Hallo, Gisela!", begrüßte er sie. "Der Typ an deinem Tisch ist wohl deine neueste Eroberung. Hast du mir seinetwegen ein Zeichen gegeben?"

"Als ich sah, dass du zu uns an den Tisch kommen wolltest, habe ich einen Riesenschreck bekommen", gestand die erregte Frau. "Du kennst mich nicht, Karlheinz, verstanden?"

"Kein Wort. Sage mal, warum sprichst du denn so komisch?"

Sie lachte gequält, bevor sie den Mann stichwortartig in ihr Geheimnis einweihte.

"Das ist ja ein tolles Ding", staunte Karlheinz. "Und er hat wirklich keine Ahnung, dass du gar keine Französin bist?"

"Und dass ich nicht Giselle, sondern Gisela heiße", ergänzte Gisela zerknirscht. "Was sollte ich denn machen? Als ich ihn zum ersten Mal sah, war es sofort um mich geschehen. Du, so habe ich noch nie für einen Mann empfunden. Und da vertraute mir meine Freundin ausgerechnet an, dass für Alexander nur eine Französin in Betracht käme. Andere Frauen besäßen bei ihm nicht die geringste Chance. Also arrangierte ich ein 'zufälliges' Zusammentreffen und gab mich als ortsunkundige Pariserin aus. Die restliche Geschichte kennst du."

"Du bist mir vielleicht eine Marke", lachte Karlheinz. "Aber irgendwann musst du ihm ja doch die Wahrheit beichten."

"Ich weiß", sah Gisela bekümmert ein. "Doch dafür ist es noch zu früh. Erst muss ich seiner Liebe völlig sicher sein. Er soll es nicht durch einen dummen Zufall erfahren. Meine Kolleginnen wissen Bescheid. Sie halten dicht. Den richtigen Zeitpunkt will ich selbst bestimmen."

Karlheinz schaute sie nachdenklich an.

"Du kennst mich ja", begann er gedehnt. "Ich bin eine Seele von Mensch. Jede Art von Unredlichkeit ist mir ein Gräuel. Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich bei diesem Betrug mitspiele. Das hieße ja, eine gute Freundin zu verleugnen."

Gisela erwiderte fassungslos seinen scheinheiligen Blick.

"Ich höre wohl nicht richtig. Willst du damit andeuten, dass du ..."

"Mein Gewissen befiehlt mir, zu dem Ahnungslosen zu gehen und ihn aufzuklären. Wir Männer müssen zusammenhalten."

"Das kann nicht dein Ernst sein", stieß Gisela hervor. "Du führst doch irgendetwas im Schilde. Wird das eine kleine Erpressung?"

Er grinste sie an.

"Ich erwarte nur eine winzige Gefälligkeit von dir. Gehe mit mir am Sonnabend auf die Party, zu der ich eingeladen bin."

"Ich?", staunte die Verwirrte. "Bist du denn nicht mehr verlobt?"

"Doch, aber Angelika fühlt sich plötzlich von mir in ihrem Freiraum eingeengt, wie sie sich ausdrückt. Ich nenne das anders. Sie flirtet hemmungslos mit anderen Männern."

Allmählich begann Gisela zu begreifen.

"Du hast also vor, sie eifersüchtig zu machen. Ausgerechnet mit mir."

"Sie soll nur merken, dass sie mich nicht bereits im Sack hat. Von dir weiß sie übrigens, dass du mir schon früher gefallen hast. Da riecht sie den Braten nicht."

Gisela schüttelte entrüstet den Kopf.

"Tut mir leid, dafür musst du dir eine andere suchen. Nicht nur, dass ich so etwas grundsätzlich nicht mache, ich bin auch bereits mit Alexander verabredet. Er will mir einige Sehenswürdigkeiten außerhalb der Stadt zeigen."

"Das sehe ich ein", antwortete Karlheinz frostig, blickte sie bedeutsam an und wandte sich zur Tür, die in den Gastraum führte. Gisela hielt ihn ahnungsvoll am Arm zurück.

"Was hast du jetzt vor?"

"Ich will mich ein bisschen mit deinem Alexander unterhalten. Du lässt mir leider keine andere Wahl."

"Du Schuft!", zischte Gisela. "Also gut, ich tue es. Aber nur dieses eine Mal."

"Versprochen." Karlheinz schmunzelte zufrieden. "Ich wusste, dass du mich nicht im Stich lassen würdest. Wir werden Angelika eine Komödie vorspielen, die sie ganz schnell zur Vernunft bringen wird. Ich hole dich gegen acht Uhr ab."

Gisela kehrte zu Alexander zurück, der keinerlei Verdacht geschöpft hatte. Sie gab sich Mühe, möglichst unbefangen zu erscheinen, und Alexander war froh, dass sie ihr Stimmungstief offensichtlich überwunden hatte.

Am Wochenende würde er sie fragen, ob sie sich ein gemeinsames Leben mit ihm vorstellen könne. Ein bisschen fürchtete er sich vor ihrer Antwort.

Ein Jammer, dass Giselle zwei Tage darauf ihr Rendezvous für den Sonnabend absagen musste. Aber der Kongress der Reiseveranstalter, zu dem ihr Chef sie überraschend schickte, ging selbstverständlich vor. Das sah Alexander ein.

Er war auch ganz froh, dass dadurch die Entscheidung, von der sein ferneres Glück abhing, noch ein wenig hinausgezögert wurde. Wie konnte er auch ahnen, dass seine Herzdame keineswegs nach Düsseldorf flog, sondern mit einem anderen Mann zu einer Party ging?

"Toll siehst du aus", fand Karlheinz begeistert, als er sie abholte.

Seinen stürmischen Begrüßungskuss wehrte Gisela ab.

"Die Show läuft nur in Angelikas Gegenwart", brachte sie in Erinnerung, "und auch dann mit gebremstem Schaum."

Karlheinz verdrehte die Augen.

"Dich muss es ja mächtig erwischt haben. Verglichen mit deiner Tugendhaftigkeit ist jede Klosterschülerin eine wilde Maus."

"Deine Witzchen kannst du dir getrost sparen", wies ihn Gisela zurecht. "Meinst du, ich würde mit dir zu deiner blöden Party gehen, wenn mir nicht so viel an Alexander läge? Ich finde es hochgradig kindisch, Angelika eifersüchtig machen zu wollen. Hoffentlich verlierst du sie dadurch nicht endgültig. Verdient hättest du es."

Ihr Streit dauerte nicht lange. Sobald sie sich beobachtet wussten, säuselten sie in scheinbarer Verliebtheit miteinander und tanzten eng umschlungen.

"Hast du Angelikas wütende Augen gesehen?", freute sich Karlheinz und zog Gisela noch ein bisschen fester an sich.

"Ich sehe nur, dass sie mit einem sportlich aussehenden Burschen tanzt, der unheimlich gut in Form zu sein scheint", spottete Gisela. "Im Übrigen hältst du gleich eine Leiche im Arm, wenn du mir weiter die Luft abdrückst."

Der Mann schwenkte sie unbeirrt herum.

"Meine Wiederbelebungsversuche würden bestimmt nicht ihre Wirkung verfehlen", war er überzeugt. "Lass uns gleich mal die Mund-zu-Mundbeatmung für den Ernstfall üben."

Gisela drückte ihn energisch von sich fort, nachdem sie den Kuss nicht mehr hatte verhindern können.

"Ich kann Angelika gut verstehen", zischte sie ärgerlich. "Du bist ein Scheusal."

Karlheinz führte sie an die Bar und bestellte Champagner.

"Wenn du Angelika reinen Wein einschenkst", warnte er, "erfährt auch dein Supermann die volle Wahrheit."

Gisela nahm hastig einen Schluck aus ihrem Glas.

"Das darf er auf keinen Fall", beschwor sie ihren Begleiter.

*


Das Wochenende ohne seine Giselle erschien Alexander entsetzlich trostlos. Nur gut, dass sie am Montag wieder zurückkam. Am Sonntag hielt er es in seiner Junggesellenbude nicht mehr aus. Er verabredete sich mit seinem Freund, dem er nun endgültig die Neuigkeit anvertrauen wollte.

Bernd begrüßte ihn mit wenig freundlichen Worten.

"Dass du mich überhaupt noch kennst!", wunderte er sich. "Weißt du, dass wir schon seit acht Wochen nicht mehr richtig auf den Putz gehauen haben? Bist du krank?"

"Schlimmer", meinte Alexander verschmitzt.

Sein Freund holte tief Luft.

"Doch nicht etwa verliebt? Gratuliere, alter Knabe! Kenne ich die Unglückliche?"

Alexander verneinte.

"Sie ist erst vor kurzem aus Frankreich gekommen. Nicht wahr, da staunst du? Das Schicksal hat sie mir direkt in die Arme getrieben. Du hättest sie sehen sollen, wie sie mit dem verflixten Stadtplan nicht zurechtkam. Mich hat es sofort voll erwischt."

"Und das erfahre ich erst jetzt?", beschwerte sich Bernd.

Alexander zwinkerte ihm zu.

"Ich kenne dich zu genau, du unverbesserlicher Schürzenjäger. Bin ich verrückt, mir meine Giselle von dir ausspannen zu lassen? Dafür darfst du aber unser Trauzeuge sein, wenn du willst."

"Ist das dein Ernst?" Bernd strahlte. "Dann sei dir alles verziehen. Und wann lerne ich dein Prachtgirl endlich kennen?"

Alexander boxte seinem Freund übermütig in die Rippen.

"Ich werde sie morgen fragen, ob sie dich zu sehen wünscht. Große Hoffnungen kann ich dir allerdings nicht machen. Aber ein Foto kann ich dir heute schon zeigen. Sie ist unheimlich fotogen. Der unvergleichliche Schick wurde ihr eben bereits in die Wiege gelegt."

Bernd betrachtete das Farbbild, das Alexander ständig in seiner Brieftasche bei sich trug. Wortlos reichte er es seinem Freund zurück.

"Jetzt bist du sprachlos", freute sich dieser. "Oder gefällt sie dir etwa nicht?"

Bernd rieb sich zögernd das Kinn.

"Doch, doch, sie sieht echt super aus."

"Aber?"

Bernd räusperte sich und blickte sein Gegenüber wie ein Arzt an, der nicht recht wusste, wie er seinem Patienten die unheilbare Krankheit beibringen soll.

"Ich fürchte, ich muss dich bitter enttäuschen. Gestern habe ich sie zufällig auf einer Party gesehen. Sie war in Begleitung eines Mannes und amüsierte sich prächtig."

Alexander lachte rau.

"Du spinnst. Giselle hält sich in Düsseldorf auf. Du kannst sie gar nicht gesehen haben. Die Frau, die du meinst, sah ihr allenfalls entfernt ähnlich."

Bernd nahm erneut die Fotografie zur Hand.

"Irrtum ausgeschlossen", beharrte er. "Nimm's nicht so schwer, alter Knabe. Andere Mütter haben auch hübsche Töchter."

"Ich pfeife auf deine dummen Sprüche", brauste Alexander auf. Dann wollte er haargenau wissen, was sich auf der Party abgespielt hatte.

*


Am nächsten Tag stürmte er nach Büroschluss zum Reisebüro, wo die Frau seines Herzens gerade eine Kundin verabschiedete.

"Ich brauche zwei Flugtickets, Mademoiselle", erklärte er ruhig.

"Gern, Monsieur", ging Gisela auf seinen Tonfall ein. "Wohin soll es gehen?"

"Nach Paris. Ich möchte endlich deine Eltern kennenlernen, Giselle."

"Da werden sie sich aber freuen", stammelte Gisela entgeistert und überlegte verzweifelt, wie sie ihm diese Idee ausreden sollte. "Zu dumm, dass Mama und Papa gerade verreist sind. Für vier Wochen."

"Macht nichts. Sicher können wir bei deinem Onkel Pierre wohnen. Du hast mir so viel von seiner netten Familie erzählt. Du musst dir unbedingt ein paar Tage freinehmen. Ich werde deinen Chef bitten, dass er ..."

"Das ist nicht nötig", fiel ihm Gisela ins Wort. "Den Urlaub bekomme ich ganz sicher."

"Na, fein!", freute sich Alexander. "Dann kann es ja losgehen. Ich war erst ein einziges Mal in Paris. Diesmal bist du die Fremdenführerin."

Bereits wenige Tage später war es soweit. Gisela sah einigermaßen gelassen den kommenden Ereignissen entgegen. Rechtzeitig war ihr Claudine eingefallen, eine Austauschschülerin, mit der sie immer noch in brieflichem Kontakt stand. Sie hatte sie angerufen und ihr geschildert, in welch verzwickter Lage sie sich befand.

"Lass deinen Alexander nur kommen", hatte Claudine begeistert geantwortet. "Du weißt doch, wie sehr dich meine Eltern mögen. Sie spielen bestimmt mit."

Trotzdem wurde Gisela das Gefühl nicht los, dass sich über ihrem Kopf etwas zusammenbraute. Alexander gab sich zwar betont heiter, doch sie glaubte ihn gut genug zu kennen, um ihn zu durchschauen. Irgendetwas lag ihm auf der Seele.

"Sieh nur die Wolkenberge unter uns!" Alexander deutete aus dem kleinen Fenster.

"Das ist der siebente Himmel, Chéri", stellte Gisela ernsthaft fest und schenkte dem Mann an ihrer Seite einen verliebten Blick. Alexander wandte ihr sein Gesicht zu. Es war ungewöhnlich blass. "Bist du sicher?", murmelte er.

"Ganz sicher", bestätigte Gisela und schaute rasch geradeaus. "Ich muss dir etwas gestehen."

"So dramatisch?", witzelte er. "Willst du mir etwa beichten, dass du dir nur einen Spaß mit mir erlaubt hast, dass du in Wirklichkeit einen anderen liebst?"

"Sage doch nicht so etwas Schreckliches!" Nun war auch Gisela bleich. Um ihre Mundwinkel zuckte es.

"Warum nicht", fuhr er unbarmherzig fort. "Ich weiß nämlich noch mehr. Du warst nicht in Düsseldorf. Du hast mich belogen, um mit einem anderen Mann auszugehen. Versuche nicht, es abzustreiten. Man hat dich gesehen."

"Das weißt du also?" Giselas Augen sprühten kleine Funken. "Du hast demnach diesen Auftritt hoch über den Wolken genau geplant, um mich zu demütigen. Sehr wirkungsvoll, mein Lieber. Nur weiter! Schleudere mir deine Verachtung ins Gesicht! Sage, was du von mir hältst! So viel Gemeinheit hätte ich dir nie zugetraut."

Die Passagiere auf den vorderen Plätzen drehten sich verwundert um und schüttelten missbilligend die Köpfe.

"Sei doch ein wenig leiser!", mahnte Alexander erschrocken.

"Ich will aber nicht leise sein", fauchte Gisela. "Sie sollen alle hören, wie heimtückisch du mich in die Falle gelockt hast."

"Höre ich richtig?", grollte Alexander. "Jetzt bin wohl ich der Bösewicht? Wer hat denn wen betrogen?"

"Du Scheusal!"

Alexander hielt der immer lauter Werdenden den Mund zu.

"Ich flehe dich an! Aua!" Er ließ sie los und starrte auf seine Hand, an der sich die Abdrücke von Giselas Zähnen deutlich zeigten. "Du kleines Biest!"

"So sind wir Französinnen nun einmal", giftete sie. "Vor uns musst du dich in Acht nehmen."

"Französinnen? Dass ich nicht lache! Vor Aufregung hast du völlig deinen Akzent vergessen. Ich wette, deine Wiege stand in Wuppertal."

"Grund genug, mich nicht mehr zu mögen. Ich weiß." Giselas Stimme war plötzlich kaum noch zu vernehmen.

"Ich liebe dich, Giselle oder wie du auch heißen magst", gestand Alexander bewegt. "Ich liebe dich so sehr, dass ich dir alles verzeihen könnte. Wenn du mir sagst, dass du den Mann von der Party nicht wiedersehen wirst, glaube ich es dir."

Gisela konnte ihn beruhigen, indem sie ihm die Zusammenhänge erklärte.

"Er und seine Angelika haben sich übrigens noch am selben Abend ausgesöhnt."

Alexander zog ein kleines Kästchen aus der Sakkotasche und öffnete es.

"Ich finde, es gibt keinen schöneren Ort, eine Frau um ihr Jawort zu bitten, als über den Wolken von Paris", meinte er zärtlich.

Wieder schauten sich die anderen Passagiere nach ihnen um, aber diesmal lächelten sie verständnisvoll.

In Orly wurden sie von einer vielköpfigen Familie erwartet. Eine beleibte Frau drückte Gisela an ihre Brust und rief immer wieder: "Da ist unsere liebe Giselle ja endlich!"

Alexander schaute verblüfft von einem zum anderen.

"Sie ist ja noch raffinierter, als jede Pariserin", murmelte er. "Aber ich habe es ja nicht anders gewollt."

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