Читать книгу Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane - A. F. Morland - Страница 33

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In Yvonne Wismaths Wohnung überkam Petra Praetorius erst recht das heulende Elend. Kaum zu glauben, aber bisher hatte sie sich doch noch irgendwie zusammengenommen, aber nun konnte sie nicht mehr.

Sie ließ sich vollends gehen, weinte haltlos und schluchzte zwischendurch immer wieder, am Besten wäre es, sie würde sterben. Sie zu trösten war ein Ding der Unmöglichkeit, deshalb ließ Yvonne, die selbst Trost bitter nötig gehabt hätte, sie ihren ganzen Weltschmerz herausweinen.

„Ach, Yvonne, ich bin so schlecht, so schlecht!“, jammerte Petra.

Männer wie Walter Schmidt sind schlecht, dachte Yvonne verbittert. Es gibt nichts Verdorbeneres und Verkommeneres als Kerle seines Schlages.

Petra jammerte weiter: „Mein Vater wird mich verstoßen, mein Mann wird sich von mir scheiden lassen. Ich bin bis an mein Lebensende gebrandmarkt. Nie wieder werde ich diesen grässlichen Makel los. Gib mir was zu trinken. Ich muss noch was trinken. Ich kann mich sonst nicht ertragen. Ich kann dir nicht sagen, wie zuwider ich mir bin. Wenn ich doch nur aus meiner Haut fahren und eine andere werden könnte. Eine, die sich nicht für das, was sie getan hat, in Grund und Boden zu schämen braucht.“

Yvonne machte zwei Drinks. Sie setzte sich zu Petra und trank mit ihr. Sie schaltete ab, hörte kaum noch, was Petra mit weinerlicher Stimme von sich gab. Sie hatte ihre eigenen schwerwiegenden, schmerzvollen Probleme, hatte heute den Mann verloren, den sie so glühend geliebt hatte, mit dem sie ein Leben lang zusammenbleiben wollte.

Walter Schmidt, der Name stand für Lüge und Betrug, für Untreue und Verschlagenheit, für Verkommenheit und Geldgier.

Walter Schmidt, ein Mann, dem nichts zu schmutzig war, der alles machte, wenn der Preis stimmte. Der sogar seine Liebe für Geld verriet, für einhundertfünfzigtausend Mark. Schäbig war dieser Walter Schmidt. Pfui Teufel!

„Ich hab’s nicht gekonnt“, wimmerte Petra in gekrümmter Haltung. Ein kleines Häufchen Elend war sie, das sich mehr und mehr in Tränen auf löste. Was für ein großer, weltumspannender Jammer. „Ich hab’s nicht gekonnt. Ich hab’s nicht getan, aber das zählt nicht, denn ich wollte es tun, und das zählt ... Ich habe in Walters Bett gelegen ... Ich war nackt ... Er war bereit ... Aber ich konnte nicht, konnte nicht, weil ich meinen Mann zu sehr liebe ...“

Das hatte Yvonne Wismath nun wieder mit grausamer Deutlichkeit gehört. Nackt ... In Walters Bett ... Er bereit ... Fürchterliche Dolchstiche waren das – mitten ins Herz. Es tat so weh, so grauenvoll weh. Yvonne wollte nichts mehr hören, doch Petra sprach weiter.

„Seine Hände, seine Lippen, sie waren überall an mir ...“

Mein Gott, wenn sie doch nur schweigen würde!, dachte Yvonne verzweifelt. Mein Walter! Mit Petra! Ich ertrage das nicht! Es schmerzt zu sehr! Es bringt mich um!

Sie sprang auf und holte die Flasche. Die Gläser waren leer. Sie füllte sie wieder. Petra griff sofort danach. Sie ist mir um jene Drinks, die sie in diesem Lokal getrunken hat, voraus, dachte Yvonne. Ich werde sie wohl kaum einholen können, wenn ich immer beide Gläser fülle. Herr im Himmel, was für ein weltbewegendes Problem.

Es schellte an der Tür. Wer mochte das sein? Yvonne erwartete niemanden. Sie trank erst ihr Glas leer, ehe sie das Wohnzimmer verließ.

Sie öffnete die Wohnungstür, und im nächsten Moment wich alles Blut aus ihrem Gesicht. Eine Frechheit, eine impertinente, bodenlose Frechheit war das von Walter Schmidt, sich hierher zu wagen, nach diesem ... diesem Verbrechen, das er an ihrer Liebe begangen hatte.

Einem Mord war das gleichzusetzen, jawohl. Walter Schmidt hatte eine große, eine wunderbare Liebe skrupellos gekillt. Und nun besaß er die Unverfrorenheit, hier aufzutauchen und den Wütenden, den Entrüsteten zu spielen. Dazu gehörte eine riesige Portion moralischer Verworfenheit, und die hatte Walter Schmidt ganz offensichtlich.

Yvonne wollte ihm die Tür vor der Nase zu schlagen, doch er stellte schnell den Fuß dazwischen.

„Fuß.weg, sonst kriegst du einen solchen Tritt vors Schienbein, dass es eingegipst werden muss!“, zischte die Internistin.

Walter Schmidt hatte sie noch nie in einer solchen Verfassung erlebt. In seinen Zorn mengte sich Sorge. „Yvonne, ich verstehe das alles nicht ... Deine plötzliche Wandlung zur Furie ... Du hast mich geohrfeigt ...“

„Leider nur einmal!“, schrie sie „Du hättest Prügel verdient! Prügel!“

„Ich finde, du solltest mir erklären ...“

„Weshalb bist du hier?“, fragte die Ärztin bissig.

„Ich verstehe deine Frage nicht, Yvonne.“

Ihre Augen wurden schmal. „Möchtest du dir die hundertfünfzigtausend Mark verdienen? In meiner Wohnung? Geht deine Impertinenz so weit? Man ist zwar ein schäbiger Ganove, aber man hat dennoch seinen Stolz und seine Ehre, und man möchte sich nichts schenken lassen, nicht wahr?“

„Was soll das, Yvonne? Warum beleidigst du mich? Von welchen hundertfünfzigtausend Mark sprichst du?“

„Wieso weißt du, dass sie bei mir ist?“, fragte die Internistin.

„Wer ist bei dir?“

„Bist du mir nachgefahren?“, zischte Yvonne Wismath.

„Nein. Nachdem ich meinen Schock überwunden hatte, sagte ich zu mir, das müsstest du mir erklären.“ Er drückte die Tür zur Seite und trat ein. Sein Blick fiel auf Petra Praetorius, die zitternd und verheult im Wohnzimmer saß.

„Euch miteinander bekannt zu machen, kann ich mir wohl sparen“, sagte Yvonne voll triefendem Zynismus. „Schließlich habt ihr ja vor wenigen Stunden noch miteinander im Bett gelegen.“

„Wir haben – was?“, fragte Walter Schmidt völlig perplex.

„Jetzt ist es aber genug!“, schrie Yvonne ihn an.

„Wer ist diese Frau?“, fragte Walter.

„Wer ist dieser Mann?“, fragte Petra.

Yvonne sah sie entgeistert an. „Ja, haben dich dein Schmerz, deine Verzweiflung, und dein schlechtes Gewissen so sehr verwirrt, dass du ihn nicht mehr erkennst?“

„Ich kenne diesen Mann nicht, Yvonne.“ Petras Schminke war total aufgeweicht, die Wimperntusche klebte grau um ihre Augen und an den Wangen.

„Herrgott noch mal, das ist Walter Schmidt!“, stieß die Ärztin laut hervor.

„Nein“, kam es dünn über Petras bebende Lippen.

Yvonne wandte sich an Walter. „Sag ihr, dass du Walter Schmidt bist! Na los, sag es ihr!“

Obwohl er nicht wusste, was das alles zu bedeuten hatte, nickte er und sagte: „Ja, ich bin Walter Schmidt.“

„Aber nicht der Walter Schmidt, nicht mein Walter Schmidt“, sagte Petra Praetorius.

„Jetzt hat sie den Verstand verloren“, stöhnte Yvonne. „Oder ich bin übergeschnappt. Walter Schmidt!“, sagte sie eindringlich. „Der Mann, dem du hundertfünfzigtausend Mark gegeben hast, damit er dir ein Kind macht!“

„Das ist er nicht!“, behauptete Petra.

Plötzlich spannte sich Yvonnes Kopfhaut. Großer Gott, sollte sie Walter Unrecht getan haben? „Das ... ist ... er ... nicht?“, stammelte sie.

„Das ist ein anderer.“

Die Wohnung begann sich vor Yvonnes Augen wie ein Kreisel zu drehen, und in ihrem Kopf überschlugen sich wirre Gedanken. „Aber ...“

„Ein anderer Walter Schmidt“, wiederholte Petra Praetorius.

Yvonne begriff nichts, überhaupt nichts mehr. „Aber wieso ein anderer?“

„Der, von dem ich dir erzählt habe, ist kleiner und dünner und – jünger.“

Als Yvonne das hörte, wurde sie zum erster mal im Leben ohnmächtig.

Sie schlug die Augen auf und sah Petra und Walter. Er wusste inzwischen Bescheid. Petra hatte ihn informiert. Er sah Yvonne vorwurfsvoll an, aber in seinen Augenwinkeln hing ein Lächeln.

„Eigentlich müsste ich dir jetzt sehr böse sein“, sagte er dunkel, „weil du mir so etwas Verwerfliches zugetraut hast, aber ich kann es nicht. Ich kann dir nicht böse sein, mein Herz, werde es niemals können, weil ich dich trotz allem wahnsinnig liebe.“

Yvonne legte die Hand auf ihre Augen. „Als Petra deinen Namen nannte, hakte mein Verstand aus.“

„Du konntest nicht wissen, dass ein zweiter Walter Schmidt in München lebt. Petra wusste es auch nicht und ich auch nicht.“

„Aber ich hätte wissen müssen, dass du das, wozu dieser andere Walter Schmidt bereit gewesen wäre, niemals tun würdest. Ich hätte dir vertrauen müssen.“

„Ja, das hättest du müssen“, gab Walter ihr Recht.

Die Ärztin hielt ihre Augen bedeckt. „Oh, ich schäme mich ja so.“

Walter baute eine Brücke der Versöhnung, indem er mit sanfter Stimme sagte: „Ich würde dir vergeben, wenn du mir versprichst, dass so etwas nie wieder vorkommen wird.“

Sie schlang jäh ihre Arme um seinen Nacken, weinte, bedeckte sein Gesicht mit unzähligen Küssen und stammelte vor Freude und Glück: „Ich verspreche es. Ich verspreche es. Ich verspreche es – verspreche, verspreche, verspreche es!“

Und Petra Praetorius sagte leise und traurig: „Ich will nach Hause, will zu meinem Mann. Ich werde ihm alles erzählen, und wenn Gott will, wird er mir verzeihen.“

„Wir bringen dich heim“, sagte Dr. Yvonne Wismath und erhob sich.

Claus Praetorius empfing seine Frau blass und verstört. „Wo bist du gewesen?“

„Später“, sagte sie tonlos. Yvonne hatte ihr geholfen, ihr Gesicht mit mehreren Kleenex-Tüchern zu säubern.

„Ich habe dich gesucht“, bemerkte Claus Praetorius mit belegter Stimme.

„Ich bin wieder da“, flüsterte Petra.

„Wer sind diese Leute?“

Petra sagte es ihm.

„Papa ist ...“, begann Claus Praetorius gepresst.

Petra musterte beunruhigt sein Gesicht. „Was ist Papa? Was ist mit Papa?“

„Er ist tot.“

Petra riss entsetzt die Augen auf. „Tot?“

„Er bekam heute Mittag einen Anruf in seinem Büro. Von Walter Schmidt.“ Claus sah Walter an. „Habe ich Ihren Namen vorhin richtig verstanden?“

Walter nickte. „Ich heiße bedauerlicherweise auch Walter Schmidt.“

Claus wandte sich wieder an seine Frau. „Dieser andere Walter Schmidt sagte zur Sekretärin deines Vaters, es gehe um dich, sonst hätte sie ihn nicht mit ihm verbunden. Was er Papa dann sagte, weiß niemand. Auf jeden Fall muss es ihn sehr aufgeregt haben, und er sollte sich doch nicht aufregen, wegen seines kranken Herzens ...“

„Papa“, hauchte Petra traurig, und wieder rannen Tränen über ihre Wangen. Wie hilfesuchend griff sie nach den Händen ihres Mannes. Es ging fast über ihre Kräfte, zu sagen: „Ich muss mit dir reden, Claus.“

„Wir gehen“, sagte Yvonne.

„Versuchen Sie Ihre Frau zu verstehen, Herr Praetorius“, sagte Walter ernst, „und ... üben Sie Nachsicht.“

Yvonne küsste Petra und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich wünsch’ dir Glück.“

Als sie zu Walters Wagen zurückkehrten, begann Petra mit ihrer Beichte, und ihr Mann hörte ihr mit tiefer Betroffenheit zu. Er machte ihr keine Vorwürfe, sondern suchte die Schuld vor allem bei sich, denn er hatte seine Frau mit seinem – ihm nun unverständlichen – Verhalten zu dieser Verzweiflungstat getrieben.

Mit feuchten Augen nahm der Petra dann in die Arme und bat sie, ihm zu verzeihen. Sie war völlig durcheinander. Sie sollte auf einmal ihm verzeihen ... und nicht umgekehrt.

Ja, ja, das wollte sie. Oh, sie war ja auf einmal wieder so glücklich, und ihre Seligkeit kannte keine Grenzen, als Claus leise sagte: „Wir werden Kinder haben, mein Liebling; so viele du willst.“

Walter Schmidt, der Grafiker, verließ München mit Petras Geld. Sie verlangte es nicht zurück, konnte es verschmerzen. Aber es brachte Schmidt kein Glück. Nur einen Monat später wurde er in Hamburg, in seiner Wohnung an der Außenalster, wegen dieser hundertfünfzigtausend Mark von einem Unbekannten erschlagen.

Yvonne Wismaths Walter Schmidt zeigte noble Größe. Er erwähnte den Ausrutscher seiner Liebsten nie wieder, auch in ihrer Ehe nicht.

Es war vergeben und vergessen.

Und Yvonne dankte es ihm mit grenzenlosem Vertrauen und unendlich viel Liebe.

ENDE

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