Читать книгу Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane - A. F. Morland - Страница 39
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Jochen Keller grinste breit, als sein jüngerer Bruder zur Tür hereinkam. „Na, hat es sich wenigstens gelohnt, dass ich hier für zwei geschuftet habe?“, erkundigte er sich.
„Es hat sich gelohnt - und mehr erfährst du nicht“, gab Gabriel lächelnd zurück.
„Der Kavalier genießt und schweigt, wie?“
„So ist es“, bestätigte Gabriel.
Sie sahen einander sehr ähnlich. Nur bei genauerem Hinsehen fiel einem auf, dass der vier Jahre ältere Jochen etwas reifer aussah.
Gabriel zog seinen taubengrauen Arbeitsmantel an. Die linke Tasche war aufgerissen. Da konnte er nichts hineinstecken. Drei Kugelschreiber hatte er schon verloren, weil er den Riss manchmal vergaß und sich nicht die Zeit nahm, den Schaden mit ein paar Nadelstichen zu reparieren.
Eifrig stürzte er sich in die Arbeit. Er holte eine Küste mit verlockend roten Tomaten aus dem Lager und sortierte unansehnlich gewordene Bio-Äpfel aus. Das Beste ist für unsere Kunden gerade noch gut genug!, lautete die Devise der Keller-Brüder. Und die Menschen honorierten diese Maxime, indem sie den Gemüseladen zu ihrem Stammgeschäft machten.
Gabriel sah seinen Bruder an. „Kennst du das Lied Marmor, Stein und Eisen bricht?“
„Wer kennt das nicht?“
„Ich hab’s umgetextet.“
„Wozu?“, fragte Jochen.
„Um Marina eine Freude zu machen.“ Jochen schmunzelte. „Ach, deshalb klimperst du neuerdings wieder verstärkt auf deiner Gitarre.“
„Ich werde das Lied auf Tonband aufnehmen und Marina schenken.“
„Und wie geht der neue Text?“, fragte Jochen neugierig.
„Du erwartest doch nicht etwa, dass ich jetzt zu singen anfange.“ Jochen lachte. „Genierst du dich etwa vor mir?“
„Es könnte jemand ins Geschäft kommen.“
Jochen zuckte mit den Schultern. „Dann hörst du einfach auf.“
„Na schön.“ Gabriel räusperte sich. „Hör zu.“ Er räusperte sich noch einmal. Dann fing er an zu singen: „Hörst du, wie mein Herz heut’ schlägt? - Bumbum. Bumbum. - Liebe ist’s, die es bewegt. - Bumbum. Bumbum. - Ich bin so verrückt nach dir - hoffe, dass du bleibst bei mir. - Wenn die ganze Welt zerbricht - meine Liebe nicht ...“
Er hätte beinahe die Kundin übersehen, die sich draußen der Ladentür näherte. Als sie die Tür öffnete, verstummte er jäh und warf seinem Bruder einen verlegenen Blick zu.
Jochen bediente die Kundin. Sobald sie gegangen war, wandte er sich an seinen jüngeren Bruder. „Klingt nicht übel, dein Text“, befand er. „Darf ich dich was fragen, Gabriel?“
„Klar.“ Gabriel stellte große, herrlich riechende Ananas neben das Verkaufspult.
„Was für Pläne hast du mit Marina?“, erkundigte sich Jochen.
„Pläne?“
„Ja, was hast du mit ihr vor?“
Gabriel machte eine vage Handbewegung. „Nichts habe ich mit ihr vor.“
„Soll eure Beziehung ewig ein Techtelmechtel bleiben?“, fragte Jochen.
Gabriel musterte das Gesicht des Bruders mit schmalen Augen. „Worauf willst du hinaus?“
„Liebst du Marina?“
Gabriel nickte heftig. „Ich kann nicht sagen, wie sehr.“
„Hast du vor, sie irgendwann mal zu heiraten?“
„Das muss noch warten“, gab Gabriel ernst zurück.
„Warum muss das warten?“, fragte Jochen verständnislos. Er mochte Marina Albrecht sehr, hatte sie in sein Herz geschlossen. Wenn Gabriel nicht sein Bruder gewesen wäre, hätte er nicht gezögert, sich um sie ganz intensiv zu bemühen. Aber so war sie - leider - tabu für ihn.
„Ich möchte Marina etwas bieten, wenn wir verheiratet sind“, sagte Gabriel. „Dazu fehlt mir im Moment aber noch das Geld. Unser Geschäft geht zwar recht gut, aber es wirft noch nicht so viel ab, dass ich eine größere Wohnung kaufen könnte. Oder vielleicht gar ein kleines Häuschen.“
„Hast du keine Angst, dass ein anderer sie dir wegschnappt?“, fragte Jochen. unbedingt ihre Dienste in Anspruch
„Marina liebt mich genauso sehr wie ich sie“, sagte Gabriel felsenfest überzeugt. „Andere Männer interessieren sie nicht.“
„Sie wird sich eines Tages fragen: Warum macht er mir keinen Heiratsantrag? Liebt er mich vielleicht doch nicht genug, um diesen entscheidenden Schritt zu wagen?“
Gabriel schüttelte unwillig den Kopf. „Du redest Unsinn.“
„Bist du sicher?“
”He was hast du vor?“, fragte Gabriel ein wenig ärgerlich. „Willst du mich in eine Ehe drängen, für die ich die erforderlichen Voraussetzungen noch nicht geschaffen habe? Lass den Dingen Zeit zum Reifen, okay? Ich werde Marina zur gegebenen Zeit schon fragen, ob sie meine Frau werden will, und ich bin sicher, dass sie mir keinen Korb geben wird.“
Er drehte sich um und ging ins Lager, und Jochen hörte ihn dort drinnen seinen neuen Text zum alten Drafi-Deutscher-Song singen: „Hörst du, wie Herz heut’ schlägt? - Bumbum. Bumbum. Liebe ist’s, die es bewegt. Bumbum. Bumbum ...“