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Nach dem gründlichen Check-up durfte Renate Albrecht nach Hause gehen. Kopien ihrer großartigen Befunde - die jeden anderen in einen berechtigten Freudentaumel versetzt hätten - gingen an ihren Hausarzt.

Sie nahm das ausgezeichnete Untersuchungsergebnis gelassen zur Kenntnis. Man hatte zu früh gesucht. Jetzt war noch nichts zu finden - aber in vier Jahren ...

Kaum war Renate Albrecht daheim, läutete das Telefon. Sie nahm den Hörer ab. „Ja?“

„Du warst in der Seeberg-Klinik?“ Das war Irene Trömer. Ihre Stimme klang vorwurfsvoll - oder gar gekränkt?

„Ja“, antwortete Renate Albrecht und schlüpfte aus den Schuhen.

„Was fehlt dir?“

„Nichts. Absolut nichts.“

„Ich bin Marina begegnet“, erzählte Irene.

„Wann?“

„Vor einer Stunde.“

„Wo?“, wollte Renate wissen.

„In der Goethestraße“, sagte Irene. „Sie war sehr in Eile. Was ist denn los, Renate?“

„Dr. Kayser wollte, dass ich einen medizinischen Check-up machen lasse, und ich habe mich für drei Tage in die Seeberg-Klinik gelegt.“

„Und? Hat man etwas gefunden?“

„Überhaupt nichts.“

„Das ist ja sehr erfreulich“, sagte Irene. „Warum hat mir niemand gesagt, dass du im Krankenhaus bist? Ich hätte dich besucht.“

„Wozu denn der Aufwand?“, gab Renate zurück. „Für nur drei Tage.“

„Sind wir Freundinnen oder nicht?“, fragte Irene leicht eingeschnappt.

„Ich hatte Besuch von Marina und Gabriel. Das reichte mir.“

„Wie du das sagst ...“

„Warum soll ich mich verstellen?“, meinte Renate. „Du weißt, wie ich zu Gabriel Keller stehe. Ich schätze ihn als Mensch, aber ich möchte ihn nicht an der Seite meiner Tochter haben. Wenn er sich für eine andere Frau erwärmen könnte, wäre er mir lieb und wert, aber er hat bedauerlicherweise nur Augen für Marina.“

„Bedauerlicherweise. So ein Quatsch. Du solltest froh sein ...“

„Wieso will mir jeder seine Meinung aufzwingen?“, fiel Renate Albrecht der Freundin ins Wort.

„Weil deine falsch ist“, behauptete Irene Trömer. „Und weil du dasselbe bei Marina versuchst.“ Sie machte eine kurze Pause. Dann fragte sie: „Darf ich dich zum Essen einladen?“

„Wann?“

„Wie wär’s mit heute Mittag?“, erkundigte sich Irene. „Hast du schon etwas vor?“

„Nein.“

„Zwölf Uhr?“, fragte Irene.

„Einverstanden.“

„Ich hole dich ab.“

„Alles klar.“

Die Freundinnen legten gleichzeitig auf. Renate Albrecht zog sich um. Das Telefon läutete wieder, und diesmal war Marina dran. „Bist du gut nach Hause gekommen, Mama?“, erkundigte sie sich.

„Ja, mein Kind“, sagte Renate Albrecht sanft.

„Ich wollte dich abholen ...“

„Du hast gesagt, dass du nicht kommen kannst, weil du so viel zu tun hast.“

„Ich wollte es trotzdem möglich machen und dich überraschen“, sagte Marina, „aber ich hab’s einfach nicht geschafft.“

„Das macht doch nichts, Kleines.“

„Ist alles in Ordnung?“

„Ja, alles in Ordnung“, gab Renate Albrecht zurück. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. Gott, wie sehr sie ihre brave Tochter liebte. „Arbeite nicht zu viel, hörst du?“, sagte sie fürsorglich.

„Ich habe Irene Trömer getroffen.“

„Ich weiß. Sie hat mich vor wenigen Minuten angerufen. Wir werden zusammen zu Mittag essen.“

„Ich wünsche dir guten Hunger“, sagte Marina.

„Danke.“

Nach diesem Anruf nahm Renate Albrecht sich die Post vor, die sie bei ihrem Eintreffen mit ins Haus gebracht hatte. Die meisten Sendungen waren an ihre Tochter adressiert.

Geschäftspost - vom Tapezierer, vom Baumeister, vom Fliesenleger ... Von Leuten, mit denen die Innenarchitektin Marina Albrecht zusammenarbeitete.

Und da war noch eine Sendung von einem Gemüsehändler! Defekt. An der Seite so weit aufgerissen, dass es an ein Wunder grenzte, dass der Inhalt nicht verloren gegangen war.

Der Inhalt war eine Tonbandkassette. Renate Albrecht hielt den Umschlag so, dass die Kassette herausrutschen musste. Ein Zettel klebte daran.

Für meine große Liebe Marina, stand in bunten Zierbuchstaben darauf. Was mochte auf dem Band sein? Was mochte Gabriel Keller aufgenommen haben?

Ein paar Lieblingslieder von Marina? Ein selbst verfasstes und selbst vorgetragenes Liebesgedicht? Renate Albrecht öffnete die Kassette.

„Was ist schon dabei, wenn ich mir das Band anhöre?“, murmelte sie. „Ich habe den Umschlag nicht aufgerissen. Das war die Post. Dadurch fiel die Tonbandkassette heraus. Na ja, und da habe ich eben ... Es ist eine lässliche Sünde.“ Sie schaltete die Stereoanlage ein und ließ das Band laufen. Gabriel Kellers Stimme kam klar und deutlich aus den Lautsprecherboxen.

„Liebe Marina“, sagte er. „Wie du weißt, kann ich ein bisschen Gitarre spielen, und da dachte ich mir kürzlich, es wäre doch romantisch, wenn ich dir ein kleines Ständchen bringen würde. Wenn es dir gefällt, würde mich das freuen. Wenn nicht, kannst du es ja löschen. Ich bitte dich, zu berücksichtigen, dass ich kein Profi bin, okay? Also ... Dann fange ich jetzt mal an ...“

Die Gitarre erklang, und dann hörte Renate Albrecht die alte Drafi-Deutscher-Nummer „Marmor, Stein und Eisen bricht“ mit einem neuen Text. Gabriel sang mit treffsicherer, wohlklingender Stimme: „Hörst du, wie mein Herz heut’ schlägt? - Bumbum. Bumbum. Liebe ist’s, die es bewegt. Bumbum. Bumbum. - Ich bin so verrückt nach dir - hoffe, dass du bleibst bei mir. Wenn die ganze Welt zerbricht, meine Liebe nicht.“

Renate Albrecht hatte genug gehört. Sie beendete Gabriel Kellers Darbietung mit einem blitzschnellen Knopfdruck und nahm die Kassette heraus.

Was mache ich damit?, überlegte sie. Was soll ich damit bloß tun? In den Umschlag zurückschieben? Die Ahnungslose spielen? Das Ständchen des Gemüsehändlers wird Marina gefallen. Es wäre besser, sie würde es nicht hören. Das Tonband könnte auf dem Postweg verloren gegangen sein. Der Umschlag könnte leer angekommen sein. Oder - überhaupt nicht. Ehe sie sich dessen bewusst war, was sie tat, ging sie mit Tonband und aufgerissenem Umschlag aus dem Haus, warf beides in die Mülltonne und schob eine weiße Styroportasse darüber.

Wieder im Haus, meldete sich ihr Gewissen: Das kannst du nicht tun. Dazu hast du kein Recht. Du hast das Briefgeheimnis verletzt. Auf diese Weise verlierst du Marinas Vertrauen!

„Für das Glück ihrer Tochter darf eine Mutter alles, alles tun!“, flüsterte Renate Albrecht trotzig, und dann schlug an diesem Vormittag zum dritten Mal das Telefon an.

Diesmal war Margot am andern Ende der Leitung. „Hallo, Mutti! Wie geht es euch?“, erkundigte sich Renates ältere Tochter.

„Gut. Und wie geht es dir, mein Kind?“

„Mir geht es hervorragend.“

„Das freut mich.“

„Habt ihr meinen Brief bekommen?“, fragte Margot.

„Selbstverständlich. Oh, ich freue mich ja so für dich, Margot. Du musst sehr glücklich sein.“

„Das bin ich.“

„Einer der berühmtesten Filmproduzenten Frankreichs wird mein Schwiegersohn.“ Renate Albrecht verdrehte, verzückt die Augen. „Ich kann es noch gar nicht richtig fassen. So ein Glück. So ein großes, großes Glück. Wann dürfen wir Jean Paul kennenlernen? Wann stellst du ihn Marina und mir vor?“

„Die Dreharbeiten seines neuesten Films haben gerade angefangen, deshalb können wir im Augenblick nicht weg von hier.“

„Ich verstehe.“

„Am Beginn eines Drehs geht zumeist alles schrecklich drunter und drüber“, erklärte Margot. „Wir kommen nach München, sobald die Wogen sich geglättet haben.“

„Ihr seid jederzeit herzlich willkommen“, sagte Renate Albrecht. „Wie ist Jean Paul zu dir? Behandelt er dich gut?“

„Er trägt mich auf Händen und liest mir jeden Wunsch von den Augen ab.“

„O Margot, Margot ... Ich ... ich muss gleich heulen.“

Margot lachte. „Aber warum denn, Mutti?“

„Weil ich mich über dein Glück so wahnsinnig freue.“

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