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Wilfried A. Hary: Mahlzeit Die Raumflotte von Axarabor

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Intelligenz ist relativ – vor allem unter Einfluss von Hunger!“

Sool-Elu hatte Hunger. So fürchterlich wie noch niemals in seinem ganzen Leben. Das war kein Wunder. Er hatte vor Beginn der Trockenzeit einfach zu wenig Vorrat angehäuft. Für eine normale Trockenzeit hätte dieser sicherlich trotzdem gereicht, aber diese Trockenzeit jetzt wollte überhaupt nicht mehr enden.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als seine schützende Höhle zu verlassen. Trotz der drei sengenden Sonnen, der unerträglichen Hitze, so unerträglich, dass sogar sein überaus robuster Körper dies nicht mehr lange durchstehen konnte.

Aber immer noch besser als dieser bohrende, quälende Hunger, der seine Sinne trübte und seine Gedanken nur noch um dieses eine Thema drehen ließ:

Essen!

Junges, schmackhaftes Wild, dessen Blut sprudelte wie der Lebensborn, um den Durst des Räubers zu stillen. Zuckendes Fleisch, das er zerfetzte mit seinen stahlharten Krallen, um sich die Fetzen in das hungrige Maul zu stopfen, das gar nicht mehr satt werden wollte.

Sah so der beginnende Wahnsinn aus, vom Hunger ausgelöst?

Wonach es vor allem aussah, das wusste er auch ohne nachzudenken: Er würde sterben müssen, wenn er nicht bald etwas Essbares in die Reißzähne bekam.

Mit stark verengten Augen spähte er über das von Hitze flimmernde Land. Alles erschien trüb und verschwommen, aber daran war nicht das Land schuld, sondern seine Augen, die von den Sonnen total geblendet waren. Jeder Blick schmerzte. Er wäre am liebsten mit geschlossenen Augen weitergelaufen. Aber wie sollte er dabei noch jagdbares Wild finden können?

Falls überhaupt davon etwas zu finden war, denn während der Trockenzeit hatte es noch nie jagdbares Wild gegeben. Denn das brachte sich rechtzeitig in Sicherheit und hielt irgendwo sicher versteckt Dauerschlaf. Wenn sogar die Bäume ihr Blätterkleid abwarfen und all ihre Säfte in die Wurzeln zurückzogen, wenn selbst das anspruchsloseste Gras sich selbst verdorrte, rechtzeitig, ehe die sengende Hitze dies übernahm…

Keuchend ließ er sich auf die vorderen Extremitäten nieder. Jetzt war seine Schnauze dem ausgetrockneten Boden ganz nah. Die Augen wurden nicht mehr so unmittelbar von den Sonnen malträtiert.

Wieso wollte die Trockenheit dieses Mal nicht mehr enden? Sonst waren irgendwann die sintflutartigen Regenfälle gekommen. Unmengen von Wasser hatte sich in allen Senken ausgebreitet, hatte Tümpeln jedweder Größe gebildet, bis hin zum großen See. Die Bäume waren neu ausgeschlagen, das Gras, die Büsche, die Sträucher, alle Pflanzen waren gesprossen. Die Hitze konnte ihnen nichts mehr anhaben. Alles war unter einer Glocke aus Dampf verborgen, was die Sonnen oberhalb ließ, sowieso. Man konnte sich in Schlammlöchern suhlen, überfiel allzu argloses Wild, um sich an seinem Blut und seinem Fleisch zu laben…

Jetzt kratzten seine messerscharfen und stahlharten Krallen vergeblich über den Boden, der aussah wie die Rinde eines knorrigen Baumes. Die Krallen lösten Staub, der vom leichten Wind empor getragen und zerfasert wurde, während er sich wie Nebelstreifen davon bewegte, sich immer dünner verteilte, um letztlich ganz zu verschwinden.

In genau diese Richtung ging Sool-Elu, weil es sowieso völlig egal war, in welche Richtung er sich wandte. Es war überall gleich, und wenn er ehrlich sein wollte, hatte er längst die Orientierung verloren. So würde er niemals wieder zurückfinden in die schützende Höhle. Die ihm allerdings sowieso nichts mehr bot außer dem Schutz vor den Sonnen. Nichts zu fressen, nichts zu trinken. Alles leer.

Dabei war der Durst noch nicht einmal das Schlimmste. Sein Volk konnte viele Wochen ohne Flüssigkeit auskommen. Allein schon die lederartige Haut speicherte ziemlich lang. Aber ohne Nahrungsquelle versiegte die Kraft, wurde das Denken immer schwerer, während der Magen knurrte wie ein hungriger Parasit, der sich dort eingenistet hatte.

Er würde sterben müssen! Damit musste er sich abfinden. Und wieso hatte er dann überhaupt seine Höhle verlassen? Wieso war er nicht einfach dort geblieben, um in vertrauter Umgebung zu sterben? Hier draußen, ungeschützt von den Sonnen, von der unbarmherzigen Hitze heimgesucht, ging alles nur noch schneller.

Nun, er wusste es einfach nicht mehr. Eigentlich hatte er fast alles vergessen, was seine Persönlichkeit ausmachte. Sogar seine Stammesgenossen, die wunderbaren Feiern, die sie in der Regenzeit zelebrierten, wenn sie nicht nur argloses Wild erlegten, sondern auch die Vielzahl von Insekten verschlangen, die mehr oder weniger freiwillig in ihr geöffnetes Maul spazierten, sicherlich genauso vom Hunger getrieben wie jetzt Sool-Elo. Einem Hunger, der blind und taub machte gegenüber sämtlichen Gefahren, und einem dem Tod viel schneller näher brachte als einem vielleicht lieb sein konnte. In der völlig idiotischen Hoffnung auf Rettung. Vielleicht sogar darauf, dass jetzt, genau in diesem Augenblick, der erste Regentropfen einer langen, triumphalen Regenzeit fallen würde?

Da sah er plötzlich eine Bewegung aus den Augenwinkeln.

War das der Wahnsinn kurz vor dem Hungertod?

Nein, eine Gestalt. Wie konnte das sein?

*

Er kniff die Augen stärker zusammen, was nichts nutzte, weil die Blendung einfach zu groß war. Aber wenn ihn nicht alles täuschte… war das ein Weibchen. Vielleicht genauso hungrig wie er? Dann war es eher gefährlich, wenn man sich begegnete. Nur während der Regenzeit war Paarungszeit. Vor allem zu Beginn. Die Zyklen waren so ausgelegt, dass die Brut bis zur nächsten Trockenzeit nicht nur ausgetragen war, sondern selbständig überleben konnte. Mit entsprechendem Vorrat natürlich, den die Brut mit besorgen musste. Das hatte Sool-Elu mehrfach schon zelebriert. Und jede Paarungszeit war die Zeit mit einer anderen Partnerin, weil man die Expartnerin meist gar nicht mehr fand, nachdem sich kurz vor der Trockenzeit das Volk in alle Winde verstreute, jeder für sich allein, um zu überleben.

Und schon wieder erinnerte er sich schmerzlich daran, dass es ihm nicht gelungen war, genügend Vorrat anzusammeln, weil die Population seines Volkes einfach zu hoch geworden war. Viele würden jetzt, wo ausgerechnet eine deutlich längere Trockenzeit als gewohnt herrschte, nicht überleben. Sie würden elend verhungern und dadurch die Population wieder auf ein vernünftiges Maß reduzieren. So war halt die Natur. Sie siebte aus, und diesmal würde er zu denen gehören, die ausgesiebt wurden, ohne Gnade.

Aber was war das? Wieso winkte ihm das Weibchen aufmunternd zu?

Er konnte sie nicht deutlich genug sehen, vor allem nicht, ob er sie vielleicht schon kannte. Sie war viel kleiner als er, also höchstens einhundert achtzig Zentimeter im Vergleich zu ihm, der über zwei Meter maß, wenn er sich ganz aufrichtete. Seine überlangen Arme und Beine konnte er zur Fortbewegung benutzen. Auf allen Vieren kam er zwar nicht weit, aber dafür war er um ein Vielfaches schneller als nur auf zwei Beinen, was besonders beim Jagen von Vorteil war.

Er stieß ein aufforderndes Schnauben aus.

„Worauf wartest du denn noch?“, rief jetzt das Weibchen. „Komm mit, ich habe noch was übrig für dich. Dann kannst du dich endlich wieder satt fressen. Oder stirbst du lieber des Hungers?“

Natürlich nicht!

Er wollte antworten, doch aus seiner Kehle kam kein verständliches Wort, sondern nur ein urweltliches Röhren, das außerdem nur einen Bruchteil so mächtig klang wie zu Zeiten, wenn es ihm richtig gut ging.

Wie bitte? Sie hatte genügend Vorräte, die sie mit ihm teilen wollte? War das wirklich nur Wahnsinn oder wurden die quälenden Gedanken, der unbändige Wunsch nach Linderung des grausamen Hungers, tatsächlich erhört?

Er wollte es nicht glauben, und normalerweise hätte es ihn tatsächlich sehr misstrauisch gemacht, weil ein so großzügiges Angebot nicht wirklich überzeugend erschien. Denn wer hatte es denn tatsächlich geschafft, genügend Vorräte anzusammeln, um nicht nur vor der tödlich verlängerten Trockenzeit gefeit zu sein, sondern auch noch an einen anderen etwas abgeben zu können?

Aber der Hunger, der seine Sinne und seinen Verstand vernebelte, ließ ihn freudig stöhnen und letzte Kräfte sammeln, um schneller zu diesem verlockenden Angebot gelangen zu können.

Sie wartete auf ihn. Aber nur, bis er fünf Schritte von ihr entfernt war. Dann setzte sie sich in Bewegung und lief voraus. Dabei wandte sie sich immer wieder um und sah nach ihm, um sich zu vergewissern, dass er ihr auch tatsächlich folgte.

Jetzt war die Euphorie in ihm dermaßen groß, dass er sich die Lippen leckte und schon den Geschmack von frischem Blut zu schmecken schien.

Obwohl es unmöglich frisches Blut geben konnte, sondern nur vertrocknetes Fleisch, leicht verwest, bevor die Trockenheit gekommen war, und dann ausgedörrt von der Hitze, was den Verwesungsprozess rechtzeitig stoppte. Dieses Trockenfleisch vorsichtig verzehrt, niemals zu viel davon nehmend, damit es auch bis zum Ende reichte, zusammen mit dem gesammelten Wasser… Wie köstlich war das denn?

In seiner Höhle hingegen war alles staubtrocken gewesen die letzte Zeit, und natürlich hatte es nicht mehr den geringsten Krümel an Trockenfleisch gegeben.

„Nicht mehr weit!“, rief sie ihm zu, damit er nicht weiter zurückfiel.

Er bemühte sich ja schon, aber die durch den tödlichen Hunger verursachte Schwäche machte es ihm wirklich schwer, Schritt zu halten. Warum machte sie nicht einfach langsamer?

Und dann blieb sie sogar stehen.

Sool-Elu taumelte auf sie zu. Sie deutete hinter sich. Er erreichte sie, hob erwartungsvoll beide Arme mit Händen, die mit diesen stahlharten, messerscharfen Krallen bestückt waren – und stieß damit glatt durch sie hindurch.

Sie verpuffte wie eine Illusion.

Logisch, weil sie sowieso nur eine Illusion gewesen war, hervorgerufen durch das Wesen, das sie verdeckt hatte.

Sool-Elu war viel zu schwach, um sich rechtzeitig wieder zurückzuziehen. Die Tentakel des Groru-Pom schnellten vor und packten ihn. Sie wickelten ihn im Nu ein wie ein Paket. Er war kaum noch in der Lage, sich zu rühren. Ja, wenn er jetzt noch all seine sonst üblichen Kräfte besessen hätte…

Er sah die Luftwurzeln des Groru-Pom, deren Verlängerungen jene Tentakel bildeten, und erinnerte sich, dass in einem weiten Gebiet sämtliche Groru-Pom über ihr Wurzelwerk miteinander verbunden waren. Ein Netzwerk, das sie ständig untereinander kommunizieren ließ. Aber logischerweise waren die Groru-Pom mindestens genauso hungrig wie Sool-Elu.

Normalerweise gingen sich die Völker betont aus dem Weg. Das war so eine Art Stillhaltepakt. Beide waren Fleischfresser, denn die Groru-Pom konnten nur einen Teil ihrer Nahrung aus dem Boden ziehen. Dort konnten sie fleischliche Nahrung auch in der geeigneten Form bunkern als Vorrat für die Trockenzeit. Dafür benötigten sie keine Höhlen. Ihnen machte die sengende Sonne auch nichts aus, obwohl sie nur eingeschränkt zur Fotosynthese fähig waren.

„Scheiße, was hast du vor?“, schimpfte Sool-Elu und versuchte erneut und genauso vergeblich, sich aus der Verschnürung zu lösen.

„Na, was wohl?“, gab das Groru-Pom zurück. Es hatte keinen Namen. Alle Groru-Pom nannten sich Groru-Pom. Sie standen ja ständig in Verbindung miteinander und fühlten sich eher als Ganzes als der Zusammenschluss einzelner Individuen. Außerdem konnten sie natürlich, ganz im Gegensatz zu Sool-Elu und seinen Leuten, sich niemals von der Stelle bewegen. Sie waren halt doch in erster Linie Pflanzen. Zwar welche, die auf Fleisch angewiesen waren als zusätzliche Nahrungsquelle, aber eben… Pflanzen.

Und sie konnten mit ihren Gedanken sprechen. Sonst hätte Sool-Elu ja nichts verstanden.

„Wir haben eine Abmachung, verdammt!“

„Ich weiß, Sool-Elu.“

„Du kennst meinen Namen?“

„Logisch, ich habe ihn aus deinen Gedanken vernommen, die du nur ungenügend abgeschirmt hast, wohl aus Schwäche wegen des bohrenden Hungers?“

„Du kannst mich jetzt nicht einfach verschlingen. Das wird schlimme Folgen haben. Es zerstört den dauerhaften Frieden zwischen unseren Völkern.“

„Nicht, wenn von dir sowieso nichts mehr übrig bleibt. Woher soll man jemals erfahren, dass du mir mit deinem Fleisch das Leben gerettet hast?“

„Ich will nicht!“, brüllte er, so laut er noch konnte.

„Dann denke doch mal logisch, mein Guter: Du musst sowieso sterben, weil es nichts zu Fressen gibt für dich. Genauso wie ich. Diesmal ist die Trockenzeit verflucht lang. Es werden nur wenige überleben, aus beiden Völkern. Du wirst da auf keinen Fall mit dabei sein. Du hast nicht die geringste Chance mehr.“

„Dann fresse ich umgekehrt halt dich. Na, wie würde dir das denn gefallen?“

„Sool-Elu“, sagten die Gedanken des Groru-Pom tadelnd, „als wüsstest du nicht selber, dass dir das nicht bekommen würde. Ich bin zu sehr eine Pflanze – und du bist halt das krasse Gegenteil eines Vegetariers, nicht wahr? Aber du bestehst aus Fleisch und Blut, und das wiederum kommt dann mir zugute. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich einer der wenigen sein werde, die diesmal die Trockenzeit auf jeden Fall überleben werden. Ich bin dir dafür sehr zu Dank verpflichtet – und ich bedanke mich auch in aller Form dafür, jetzt schon, solange du von diesem Dank noch was hast.“

Es war kaum geeignet dazu, Sool-Elu etwa zu beruhigen.

Und schon öffnete sich das mannshohe Groru-Pom zu einer maulähnlichen Blüte, immer weiter, bis die Blüte einen Schlund ausbildete, der groß genug war, um Sool-Elu aufzunehmen.

Er schielte in den Schlund hinein. Bei den grellen Sonnen war es nicht schwer, bis zum Grund sehen zu können. Aber nein, das war kein Grund, sondern das war Verdauungsflüssigkeit, nicht ganz ausreichend, um ihn völlig aufzulösen, aber zumindest soweit, dass dieses verfluchte Groru-Pom da vor ihm genügend Kräfte sammeln konnte, um neue Verdauungsflüssigkeit zu bilden, was seinen Körper dann endgültig auflösen würde.

Etwas, wovon er dann sowieso nichts mehr mitbekommen würde.

Er zappelte in dem unwiderstehlichen Griff der Tentakeln, doch es nutzte ihm nichts. Er wurde bereits unaufhaltsam auf den geöffneten Kelch zugeschoben. Wenn er es recht bedachte, würde er mit den Füßen voraus hinein rutschen.

„Nein, nicht doch!“, flehte er. „Nicht mit den Füßen zuerst. Du musst mich drehen, also mit dem Kopf zuerst. Dann bin ich schneller tot. Willst du denn, dass ich grässlich leide, wenn ich am lebendigen Leib aufgelöst werde?“

„Tut mir leid, das habe ich gar nicht bedacht. Ich bin auch nicht mehr ganz so bei der Sache, musst du wissen. Dieser grausame Hunger… Ich wäre auch nie und nimmer auf die Idee gekommen, mich ausgerechnet an einem von deiner Sorte zu vergreifen. Da komme ich mir ja vor wie ein Kannibale, aber bevor ich sterben muss…“

„Ist ja schon gut. Was sollen diese ständigen Rechtfertigungen? Wenn du mich wenigstens vorher töten würdest, bevor du mich verspeist.“

„Dazu fehlt mir leider die Kraft. Du bist ziemlich robust, Sool-Elu, weißt du das nicht selber? Aber gut, ich versuche, dich mit dem Kopf zuerst zu verschlingen. Das zumindest bin ich dir tatsächlich schuldig, wie ich meine.“

„Und fang jetzt nicht wieder an, dich bei mir für mein Fleisch und mein Blut zu bedanken!“

„Nicht? Aber es ist doch richtig: Du rettest mir mein Leben, wo du doch sowieso sterben musst – vor Hunger. Ich nehme es nur ein wenig vorweg, und dadurch hat dein Tod auch noch einen höheren Sinn.“

„Nein!“, schrie Sool-Elu trotzdem wieder. „Ich will aber nicht! Halte ein!“

Doch das Groru-Pom ließ sich nicht beirren. Sein Hunger war größer als jegliches Mitleid jemals hätte sein können.

Doch plötzlich hielt es inne…

*

Die Scout4711 hatte die Daten erfasst und verarbeitet. Der Planet, den sie aus dem Orbit gescannt hatten, um neuen Lebensraum für neue Siedler aus dem Sternenreich von Axarabor zu finden, erschien doch tatsächlich geeignet.

Die Zwillinge Soul und Poul Durmark hatten vorher gewettet. Souls Meinung war eindeutig gewesen:

„Völlig unmöglich, dass auf dieser Welt Leben entstanden ist, denn die Bedingungen sind dermaßen höllisch… Immerhin ist das ein Drei-Sonnen-System, wobei die Sonnen einfach viel zu nah beieinander stehen. Die Planeten dieses Dreifachsystems beschreiben dermaßen komplizierte Bahnen, dass es sich nur um tote Welten handeln kann.“

Poul jedoch hatte dagegen gehalten:

„Ich habe irgendwo gelesen, dass es Ausnahmen gibt. Angeblich hat man sogar in einem Vierfachsystem einen bewohnbaren Planeten gefunden. Das heißt, es gab Leben darauf, aber für Menschen war er trotzdem ungeeignet. Dafür waren die Bedingungen nun doch zu höllisch.“

Topp, die Wette galt! Und jetzt waren sie hier, um herauszufinden, wer von beiden recht behielt.

Eindeutig Poul:

„Klasse, es gibt Leben!“

„Aber was für eines!“, schränkte Soul sogleich ein.

„Jetzt fange nicht auch noch an, dich vor deiner Wettschuld zu drücken. Es hieß eindeutig, wer die Wette verliert, schrubbt das ganze Schiff. Allein, ohne die Hilfe der Nanoroboter.“

„Das ist doch bescheuert!“, regte sich Soul auf. „Wieso sollte jemand von Hand sauber machen, wenn es dafür Nanoroboter gibt, die das viel besser können?“

„Ah, nein, so kannst du dich nicht drücken, Bruder. Hättest du gewonnen, würdest du darauf bestehen, dass ich es tu, also bestehe ich jetzt umgekehrt ebenfalls darauf.“

„Aber dort unten gibt es allenfalls primitives Leben, und derzeit ist es darauf so mörderisch heiß, dass ich mich immer noch sehr wundere, dass es überhaupt so etwas wie Leben gibt.“

„Das Leben hat sich halt optimal an die mörderischen Bedingungen angepasst. Vielleicht sogar, indem es entsprechende Intelligenzen hat entstehen lassen, um das Überleben sichern zu helfen? Du weißt ja, Intelligenz entwickelt sich sowieso nur dann, wenn es nötig erscheint.“

„Willst du schon wieder wetten?“

„Nein, Soul!“ Sein Bruder lachte. „Ich meine ja nur.“

„Aber wenn es dort unten intelligentes Leben gibt, wieso können wir nichts davon feststellen? Es gibt noch nicht einmal so etwas wie Gebäude.“

„Vielleicht müssen intelligente Lebewesen nicht zwangsläufig Gebäude bauen? Vielleicht haben sie ganz andere Möglichkeiten entwickelt, um auf Grund ihrer Intelligenz zu überleben?“

„In Ordnung, dann werden wir landen. Obwohl dort unten diese Hitze herrscht. Und dabei dürfen wir unsere Sonnenbrillen nicht vergessen. Schutzkleidung brauchen wir nicht, weil wir ja nicht lange draußen bleiben.“

„Falls wir überhaupt aussteigen werden. Erst einmal fliegen wir näher an die Oberfläche heran.“

Das taten sie. Dabei stellten sie fest, dass es mehrere ziemlich große Gebiete gab mit äußerst skurrilen Pflanzen, die speziell dort eindeutig dominierten. Sie standen jeweils bis zu dreihundert Meter im Abstand voneinander, waren durchschnittlich etwa menschengroß und schienen so etwas wie verkrüppelte Bäume zu sein.

Überhaupt gab es überall den Nachweis von Pflanzen, allerdings schützten diese sich vor der Hitze, indem sie sämtliche Säfte in das Wurzelwerk zurückgezogen hatten und an der Oberfläche so trocken wurden, dass sie wie aus Stein wirkten.

Die Zwillinge fanden durch ihre Messungen sogar heraus, dass sie nur schwer brennbar waren. Ansonsten wäre wohl alles während dieser höllischen Trockenzeit abgefackelt. Andererseits schien der Planet in einer anderen Position zum Dreiergestirn grundlegend anders auszusehen. Sie konnten ungefähr ausrechnen, wie die weitere Bahn verlaufen würde, aber es musste ja allein deshalb schon so sein, weil es sonst längst überhaupt kein Leben mehr auf dieser Welt gegeben hätte. Und das Ende dieser offensichtlich mörderischen Trockenzeit war wohl bald erreicht.

„Sollen wir in der Nähe von einer solchen Anordnung bizarrer Bäume landen?“, fragte Poul seinen Bruder. Dieser nickte nur.

Das Raumschiff Scout4711 senkte sich langsam nieder.

*

„Was ist los?“, erkundigte sich Sool-Elu. „Hast du es dir doch noch anders überlegt?“

„Pst!“, machte das Groru-Pom nur, was Sool-Elu irritiert verstummen ließ.

Und dann hörte er es selbst: Ein seltsames Sirren und Schwirren in der Luft, wie von Millionen Insekten, die ausschwärmten.

Futter!, geiferte er innerlich.

Seine trüben Augen suchten – und fanden trotz der blendenden Helligkeit: Nein, keine Insekten, sondern ein größeres Ding, das so glänzte wie die Oberfläche eines Wassers. Aber wie, bei den Göttern der Regenzeit, konnte so etwas durch die Luft fliegen und ein solches Sirren und Schwirren verursachen?

Baff erstaunt sah Sool-Elu zu, wie sich das unheimliche Ding immer tiefer senkte und schließlich höchstens zwanzig Meter von ihm entfernt landete.

„Das gibt es doch gar nicht!“, murmelte er.

„Pst!“, ermahnte ihn Groru-Pom erneut.

Diesmal ließ sich Sool-Elu jedoch davon nicht beeindrucken.

„Was ist nun? Willst du mich wieder los lassen oder was?“

„Erst mal sehen, ob das Ding essbar ist“, lehnte das Groru-Pom ab.

„Essbar? Im Ernst?“

Sool-Elu sah hinüber und konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen. Aber da tat sich plötzlich eine Öffnung auf an dem Ding und spuckte zwei Gestalten aus, ungefähr so groß wie das Groru-Pom, bevor es sich zum alles verschlingenden Kelch öffnete.

„Was ist das denn? Da bewegt sich ja was. Als wäre das so eine Art fliegende Höhle oder wie?“

Das Groru-Pom antwortete nicht, doch er bemerkte, dass es zitterte. Vor Anstrengung? Was strengte das Groru-Pom denn so an? Projizierte es gar wieder ein Trugbild, wie immer, wenn es ein Opfer anlocken wollte?

Offensichtlich wusste das Groru-Pom bedeutend mehr über die Neuankömmlinge als Sool-Elu, weil es anscheinend deren Gedanken belauschte. Das ärgerte Sool-Elu maßlos, aber dann fiel ihm ein, dass er dadurch vielleicht mit dem Leben noch einmal davon kommen konnte. Immerhin waren das zwei Happen, die für eine kleine Weile reichen würden, bis endlich diese verfluchte Trockenzeit vorüber war.

*

„Mich laust der Affe!“, entfuhr es Soul während der Landung.

„Wie bitte?“, wunderte sich sein Bruder Poul.

Soul deutete nur stumm auf den Hauptschirm, und deshalb sah Poul es erst jetzt: Da stand doch tatsächlich ein nacktes Mädchen. Eine Eingeborene, wie es schien. Ja, völlig unbekleidet, und jetzt winkte es ihnen anmutig zu.

„Da laust er mich gleich mit!“, bekannte Poul, und jetzt hatte er endgültig nichts mehr dagegen, einfach mal auszusteigen. Aber wieso hatten sie keinerlei Zivilisation feststellen können? Nun, wenn so eine Eingeborene nicht einmal Kleidung kannte, wieso sollte es dann sogar Gebäude geben?

Er lächelte versonnen und freute sich schon unbändig auf die Begegnung. Er leckte sich sogar kurz über die Lippen, und seinem Bruder an seiner Seite erging es nicht viel anders.

Sobald es ging, öffneten sie das Außenschott und liefen hinaus.

Das Mädchen stand immer noch da. Es war wunderschön und winkte ihnen zu, doch näher zu treten.

Sie hatten wirklich nichts dagegen. Überhaupt nichts.

*

Die Tentakel lockerten ihren Griff.

„Jetzt musst du mir helfen, Sool-Elu“, sagten die Gedanken des Groru-Pom. „Das schaffe ich nicht allein. Ich bin auch schon zu sehr vom Hunger geschwächt. Nimm du den einen Happen und ich schnappe mir den anderen. Dann hat jeder was davon. Ich denke, wir werden davon nicht nur endlich wieder einigermaßen satt, sondern können uns noch einen Rest aufheben für später.“

Sool-Elu sah, dass hinter den beiden höchst willkommenen Mahlzeiten die Öffnung sich wieder schloss. Es gab keine Möglichkeit mehr, in diese fliegende Höhle wieder zurückzukehren, zumal wohl nur diese beiden, die ausgestiegen waren, wissen konnten, wie man eine solche Öffnung entstehen ließ. Andererseits hatte Sool-Elu sowieso nicht das Geringste Interesse an einer fliegenden Höhle. Er hatte ja schon eine eigene und war damit voll und ganz zufrieden. Was er brauchte, war ja keine neue Höhle, sondern endlich was zwischen den Reißzähnen.

Die Tentakel lösten sich von ihm, und er konnte endlich wieder frei durchatmen.

Die beiden ahnungslosen Trottel kamen näher.

„Irgendwie tun sie mir jetzt doch leid!“, bekannte das Groru-Pom telepathisch. „Das sind keine Jagdtiere, musst du wissen. Das sind denkende Wesen, so wie wir.“

„Immerhin warst du drauf und dran gewesen, mich zu verschlingen!“, warf ihm Sool-Elu vor, ebenfalls nur mit den Gedanken, damit die beiden das nicht mitbekamen.

„Was ja jetzt als erledigt betrachtet werden kann!“, trumpfte das Groru-Pom auf. „Ich hoffe doch, du bist deswegen nicht nachtragend?“

„Nein, nein, bin ich nicht. Oder was glaubst du, wieso ich dich jetzt unterstützen will?“

„Um satt zu werden?“

„Das natürlich auch. Aber ich will es mir natürlich mit keinem Groru-Pom verscherzen.“

„Ich mir auch nicht mit deinesgleichen, Sool-Elu, das kannst du mir glauben.“

Sool-Elu hatte keine Ahnung, mit welchem Trugbild das Groru-Pom die beiden herbei lockte. Sie kamen immerhin voller Vorfreude, wie es schien.

Dabei hatten nur zwei Grund zur Vorfreude: Sool-Elu und das Groru-Pom. Und so kam es auch, wie es kommen musste: Sool-Elu riss dem einen einfach den Kopf ab und trank sich erst einmal an dessen Blut satt, während das Groru-Pom den anderen mit seinen Tentakeln schnappte und zur Kelchöffnung zog.

„Kannst du bitte den Kerl töten? Ich will ihn nicht unnötig quälen.“

„Weil er dir leid tut?“

„Dir etwa nicht?“

„Irgendwie schon, aber ihr Tod ist ja nicht sinnlos, nicht wahr? Immerhin machen sie uns beide satt. Und es ist doch mehr als nett von ihnen, dafür extra hierher geflogen zu kommen.“

„Da hast du wohl recht!“, pflichtete das Groru-Pom ihm bei.

Sool-Elu riss auch dem zweiten den Kopf ab und warf ihn in die Verdauungsbrühe, die in der Tiefe der Kelchöffnung schimmerte.

Das Groru-Pom bemühte sich, dass nur ja kein Blutstropfen danebenging, während Sool-Elu sein Festmahl fortsetzte. Er hatte einerseits ein ziemlich schlechtes Gewissen, weil es gegen jeden Kodex verstieß, intelligentes Leben zu verspeisen, aber andererseits fühlte er sich so zufrieden wie schon lange nicht mehr. Nicht nur, weil es einfach hervorragend schmeckte.

Aber sagte man nicht: Der Hunger macht alles schmackhaft? So oder zumindest so ähnlich…

ENDE?

Aliens in der Sternensee: Alfred Bekker präsentiert 17 Science Fiction Abenteuer

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