Читать книгу Das Riesen Arztroman Paket August 2021: Arztromane Sammelband 8 Romane - A. F. Morland - Страница 8
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ОглавлениеSchwester Annegret sortierte mit der ihr eigenen Gewissenhaftigkeit flink das medizinische Besteck. Es dauerte nur wenige Augenblicke.
Dr. Sören Härtling saß indessen an seinem Schreibtisch, nahm eine Eintragung in die vor ihm liegende Patientenkartei vor und fragte dann: „Wer ist die Nächste, Annchen?“
„Frau Kordes.“
Der Chefarzt hob überrascht die Augenbrauen. „Frau Kordes? Na so was.“ Er nickte der grauhaarigen Arzthelferin zu. „Rufen Sie sie herein.“
Als Andrea Kordes wenig später das Behandlungszimmer betrat, umspielte ein gequältes Lächeln ihre Lippen. „Guten Tag, Herr Doktor.“
;,Frau Kordes.“ Der Leiter der Paracelsus-Klinik gab ihr die Hand. „Lange nicht gesehen.“
„Ja“, nickte Andrea Kordes. Sie war eine attraktive Frau von neunundvierzig Jahren ‒ eine elegante, sehr damenhafte Erscheinung.
„Wo haben Sie gesteckt?“, erkundigte sich Dr. Härtling.
„Ich war drei Jahre in Berlin.“
„Bei Ihrem Sohn?“ Sören Härtling deutete auf den Patientenstuhl.
Frau Kordes setzte sich. „Bei Reinhard, ja.“
„Wie geht es ihm?“
„Sehr gut“, antwortete Andrea Kordes. „Er hat jetzt eine eigene Firma. Vermietet Autos. Hat schon eine stattliche kleine Flotte beisammen.“ Man konnte sehen, dass sie sehr stolz auf ihren Sohn war. „Ich habe den ganzen administrativen Kram für ihn erledigt, damit er sich ausschließlich dem Ausbau des Unternehmens widmen konnte. Und nun ...“ Sie zuckte die Schultern. „Na ja, inzwischen braucht der Junge mich nicht mehr. Ich hätte zwar weiter in seiner Firma bleiben können, aber ich habe mich in Berlin nie richtig wohl gefühlt, habe mich die ganze Zeit nach meinem geliebten München zurückgesehnt und bin sehr froh, dass ich nun wieder daheim bin.“ Sie sah Dr. Härtling an. „Ich habe nichts gegen Berlin und auch nicht gegen die Berliner. Ich habe da ein paar nette Freundschaften geschlossen. Aber ich kann mich dort einfach nicht zu Hause fühlen. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Vielleicht sind meine Wurzeln zu fest mit Münchens Boden verwachsen. Diese Stadt und ich ‒ wir gehören zusammen. Eine längere Trennung bekommt mir nicht.“
„Ich kann Sie sehr gut verstehen“, sagte Dr. Härtling. „Ich fahre mit meiner Familie gern mal für ein paar Wochen weg, aber ständig leben möchte ich woanders nicht.“
„Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.“
„So ist es“, pflichtete Sören Härtling seiner Patientin bei.
Frau Kordes hatte nicht nur einen Sohn in Berlin, sondern auch eine Tochter in München, und diese hatte vor etwas mehr als drei Jahren einen ganz reizenden jungen Mann geheiratet, wie sie erzählte.
„Ralf, mein Schwiegersohn, ist ein wunderbarer Mensch“, schwärmte sie. „Ich könnte mir keinen besseren Mann an Corinnas Seite vorstellen. Er ist einfach der Beste für sie.“
„Scheint so, als hätten Sie ihn ganz fest in Ihr Herz geschlossen“, bemerkte Dr. Härtling lächelnd.
„Ich liebe ihn. Wir kommen wunderbar miteinander aus. Er achtet und schätzt mich und macht es mir leicht, das Klischee der bösen Schwiegermutter ad absurdum zu führen.“
Der Chefarzt wollte wissen, warum Frau Kordes heute zu ihm in die Vormittagssprechstunde gekommen war.
Die Patientin seufzte. „Ich habe angefangen, an Wechseljahresbeschwerden zu leiden, bin an manchen Tagen ziemlich depressiv und antriebslos.“
„Haben Sie deswegen schon in Berlin einen Arzt aufgesucht?“
„Nein.“
„Warum nicht?“, fragte der Chefarzt der Paracelsus-Klinik.
Andrea Kordes runzelte die Stirn und schlug die Augen nieder. „Ich hatte da, ehrlich gesagt, die Nase ein wenig voll von Ärzten.“
„Wieso?“
Die Patientin sah Sören Härtling ernst an und schüttelte langsam den Kopf. „Das ist keine sehr schöne Geschichte, Herr Doktor.“
„Ich würde sie trotzdem gerne hören.“
Andrea Kordes zögerte einen Augenblick, dann begann sie: „Es hatte sich an der großen Zehe meines linken Fußes ein Überbein gebildet. Außerdem war die Zehe infolge einer knöchernen Fehlbildung verkrümmt. Ich suchte aus diesem Grund einen Orthopäden auf, und der riet mir, den Fuß operieren zu lassen. Aus medizinischer Sicht wäre der Eingriff nicht nötig gewesen, es war eher eine kosmetische Korrektur.“ Die Lippen der Frau wurden schmal. „Wenn ich gewusst hätte, mit welchen Risiken eine solche Operation verbunden ist, hätte ich das nicht machen lassen.“
„Hat der Orthopäde Sie denn nicht darüber aufgeklärt?“, fragte Dr. Härtling.
„Leider nein.“
„Und im Krankenhaus?“
„Da hat auch keiner was gesagt“, antwortete Andrea Kordes. „Es kam bloß vor der Operation ein Arzt in mein Zimmer, hielt mir ein Formular hin, drückte mir einen Kugelschreiber in die Hand und zeigte mir die Stelle, an der ich unterschreiben sollte. Ich wollte den vorgedruckten Text lesen, doch der Doktor meinte, das wäre nicht nötig, da stünden viel zu viele Sachen drin, die mir Angst machen würden.“
„Sie haben das Formular also blind unterschrieben“, sagte Sören Härtling.
„Ja, und am darauffolgenden Tag wurde ich operiert. Man trug das Überbein ab, sägte aus der gekrümmten Zehe ein kleines Knochenstück heraus und stabilisierte den Mittelfuß mit Metallstiften.“
„So hätte man es hier auch gemacht“, warf Sören ein.
Andrea Kordes sah auf ihren linken Fuß. „Aus irgendeinem Grund haben die Stifte sich aber verdreht und meinem Fuß eine völlig unnatürliche Haltung gegeben, so dass ich seither nicht mehr richtig gehen kann. Das gesamte Fußgewölbe ist verschoben. Knochen, die früher nebeneinander lagen, liegen nun übereinander. Dadurch hat sich in weiterer Folge die Körperstatik bis hinauf zum Becken verändert. Es ist zur Seite gekippt.“ Es zuckte kurz in ihrem Gesicht. „Pech, diese Operationsfolgen, hat man mir erklärt. Sehr bedauerlich. Aber so etwas komme hin und wieder leider vor. Man schlug mir eine neuerliche Operation vor, aber davon wollte ich natürlich nichts wissen. Nicht in dieser Klinik. Und nicht von diesen Ärzten, zu denen ich jegliches Vertrauen verloren hatte.“
„Hätten Sie zu mir und meinen Kollegen mehr Vertrauen, Frau Kordes?“, erkundigte sich Dr. Härtling. „Wären Sie bereit, sich in der Paracelsus-Klinik untersuchen zu lassen? Vielleicht können wir Ihnen helfen.“ Andrea Kordes dachte kurz nach. Dann sagte sie: „Ich werde es mir überlegen.“
„Lassen Sie die Sache nicht zu lange anstehen“, riet Sören Härtling der Patientin.
„Ich rufe Sie morgen an.“
Dr. Härtling nickte. „In Ordnung.“
Die Patientin kam wieder auf ihre Wechseljahresbeschwerden zu sprechen. „Es sind nicht nur diese depressiven und antriebslosen Phasen, die mir zu schaffen machen, Herr Doktor“, sagte sie. „Da ist auch so eine innere Unruhe. Und an Schlaflosigkeit leide ich auch. Früher habe ich geschlafen wie ein Murmeltier. Heute wälze ich mich stundenlang im Bett herum.“
„Keine Sorge, Frau Kordes, unter den Folgen des eintretenden Hormonmangels in der Postmenopause leiden viele Frauen, aber Sie müssen diese Beschwerden nicht als Schicksal hinnehmen. Das kriegen wir in den Griff.“
„Mit Hormonen?“, fragte die Patientin.
„Mit Hormonen.“
„In Form von Tabletten?“
Der Chefarzt und Gynäkologe nickte. „Im Allgemeinen werden Tabletten verordnet. Es gibt da sehr gute Mittel.“
Die Patientin ließ sich beraten, und Dr. Härtling füllte ein Rezept aus. Tags darauf rief sie den Klinikchef, wie versprochen, an und vereinbarte mit ihm einen Untersuchungstermin in der Orthopädie, wo man nach der Untersuchung einer Revisionsoperation eine Erfolgschance von nahezu hundert Prozent einräumte. Die Entscheidung, sich noch einmal unters Messer zu legen, lag allerdings bei ihr.
„Ich werde es machen lassen“, sagte Andrea Kordes kurz nach der Untersuchung zu Dr. Härtling. „Ich habe Vertrauen zu Ihnen und Ihren Kollegen. Die Paracelsus-Klinik genießt den allerbesten Ruf. Das kommt nicht von ungefähr.“ Sie atmete tief ein. „Früher bin ich liebend gern die Isar entlangspaziert. Das war für mich immer sehr erholsam. Leider bin ich heute nicht mehr dazu in der Lage.“ Sie lächelte schmal. „Ich vermisse diese beschaulichen Wanderungen sehr.“
„Sie werden sie bald wiederaufnehmen können“, versprach der der Chefarzt der Neunundvierzigjährigen.
Dr. Jan Jordan, der im Hintergrund stand, räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen. Der gutaussehende Assistenzarzt brauchte dringend eine Auskunft.
Andrea Kordes deutete mit dem Kopf auf den jungen Mann. „Sie werden gebraucht“, sagte sie zu Sören Härtling. „Ich halte Sie nicht länger auf.“
„Wann sehen wir uns wieder?“ Der Klinikchef gab ihr die Hand und hielt sie fest.
„In zwei Wochen.“
„Belasten Sie Ihren Fuß bis dahin so wenig wie möglich“, sagte Sören Härtling. „Schonen Sie ihn und freuen Sie sich auf die Zeit danach.“ Erließ die Hand der Patientin los.
Andrea Kordes nickte. „Ich werde Ihren Rat beherzigen.“ Sie sah sich um. „Meine Tochter wollte mich abholen, damit ich nicht so viel laufen muss ... Ah, da ist sie. Auf Wiedersehen, Herr Doktor. Bis bald.“ Sie ging ihrer Tochter entgegen.
Der Chefarzt wandte sich an den Assistenten. „Was gibt’s, Herr Kollege?“
Dr. Jordans Blick war auf Corinna Rademann, Andrea Kordes’ schöne Tochter, gerichtet.
„Junger Mann“, sagte Dr. Härtling schmunzelnd, „ich fürchte, ich muss Ihnen eine Illusion rauben. Die hübsche Dame, die Ihnen so gut gefällt, ist leider schon verheiratet.“
Im gleichen Moment fragte Corinna ihre Mutter: „Wer ist der Doktor neben dem Chefarzt?“
„Das ist Dr. Jordan. Aber für den sollte sich eine glücklich verheiratete Frau nicht interessieren.“
„Ich interessiere mich ja gar nicht für ihn“, entgegnete Corinna Rademann, und ihre Wangen überzogen sich mit einer sanften Röte. „Ich wollte lediglich wissen, wie er heißt.“ Andrea Kordes sah ihre Tochter an und lächelte.
Als Mutter und Tochter nicht mehr zu sehen waren, entschuldigte Dr. Jordan sich für seine kurze Unkonzentriertheit und stellte seine Frage.