Читать книгу Das Giganten Krimi Paket September 2021: Krimi Paket 13 Romane - A. F. Morland - Страница 70
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ОглавлениеSaul Melloway legte den Telefonhörer auf die Schreibtischplatte.
„Wo steckt Susan?“, brüllte er in den Nebenraum. „Die Baubehörde ist an der Strippe. Susan hatte dort einen Termin vereinbart.“
„Genau dort wollte sie hin! Gleich nach der Mittagspause!“, scholl es aus dem Redaktionszimmer zurück.
Melloway blickte auf seine Armbanduhr. Es war halb drei. Susan Morales hatte den vereinbarten Termin bei der Behörde um eine halbe Stunde überzogen. Etwas, was sie sonst nie tat.
Melloway nahm den Hörer ans Ohr. „Tut mir leid“, brummte er, „Miss Morales hat keine Nachricht hinterlassen, dass sie verhindert ist. Streichen Sie bitte den Termin. Wir rufen Sie wieder an.“
Er legte auf.
Sekundenlang trommelte er mit den Fingern auf der Schreibtischplatte. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet. Dann sprang Melloway ruckartig auf und eilte in den Nebenraum.
Simon Ferrer hatte sich in seine Dunkelkammer zurückgezogen. Chuck Hendricks und Earl Sanders saßen an ihren Schreibtischen. Sie sahen von ihrer Arbeit auf und musterten ihren Chef, der nervös von einem Bein auf das andere trat. Mit fahrigen Bewegungen trat Melloway ans Fenster, als könne er dort etwas entdecken.
„Was ist los?“, fragte Hendricks verwundert. „Es ist doch schließlich kein Beinbruch, wenn man mal ’nen Termin verpasst. Oder?“
Melloway wirbelte herum. „Du hast gut reden!“, knurrte er. „Vielleicht überlegst du mal. Dann würdest du dir vielleicht sagen, dass es nicht nur um den Termin geht. Am allerwenigsten sogar.“
„Unsinn“, mischte sich Sanders ein, „schließlich hatte Susan ihren Bewacher mit. Glaubst du vielleicht, dass ihr etwas passiert sein könnte? No, unter diesen Umständen garantiert nicht.“
„Unter diesen Umständen!“, äffte ihn Melloway nach. „Gerade wegen der Umstände müssen wir mit allem rechnen. Mir scheint, ihr habt schon vergessen, dass gestern euer Kollege Barney unter den gleichen Umständen ins Gras beißen musste!“
„Du siehst viel zu schwarz, Saul“, versuchte Hendricks seinen Chef zu beruhigen. „Mehr als Polizeischutz können wir schließlich nicht verlangen. Und die Gangster werden sich hüten, uns auf den Pelz zu rücken, solange wir mit einer kleinen Privatarmee ausgestattet sind. No, Saul.“ Hendricks deutete mit dem Daumen hinüber zum Konferenzraum. „Frag doch die Beamten! Sie werden dir haargenau sagen können, dass Susan nach menschlichem Ermessen einfach nichts passieren konnte.“
„Nach menschlichem Ermessen “, seufzte Melloway, „wenn du so willst, ist alles möglich, mein lieber Chuck.“ Das Gespräch wurde plötzlich unterbrochen. Melloways Empfangsgirl schob sich durch die Tür und hielt dem Chef ein Kuvert hin.
„Dieser Brief wurde eben abgegeben, Sir.“
Melloway grapschte nach dem Umschlag und nickte geistesabwesend. Dann stutzte er. „Moment mal, Miss Gordon! Da ist weder eine Adresse noch ein Absender drauf. Wer hat den Brief bei Ihnen abgeliefert? Und was hat derjenige gesagt?“
„Es tut mir leid, Sir.“ Das Girl senkte den Kopf. „Er sagte ausdrücklich, dass dieser Brief für Mr. Melloway bestimmt und sehr wichtig sei. Es war ein Negerjunge. Einer von den Boys, die für ein paar Cents Botengänge erledigen, wissen Sie.“
„Schon gut, Miss Gordon.“ Melloway winkte ab. „Sie können ja nichts dafür.“
Das Girl verschwand wieder auf seinen Platz im Vorzimmer.
Saul Melloway drehte nachdenklich den Umschlag in seinen Fingern.
„Nun mach schon auf!“, drängte Chuck Hendricks, der von seinem Schreibtischstuhl aufgesprungen war. Auch Sanders kam näher.
Melloway machte einen völlig verwirrten Eindruck. Wie aus einer plötzlichen Eingebung heraus riss er das Kuvert auf. Darin befand sich eine weiße Briefkarte. Sie enthielt nur wenige Worte.
„Rufen Sie 873673 an. Um 15 Uhr.“
Mehr nicht. Die Buchstaben und Zahlen waren in der üblichen Masche aus Zeitungen ausgeschnitten und aufgeklebt worden.
Saul Melloways Unterkiefer klappte herunter. Er brachte kein Wort hervor. Hendricks und Sanders erging es nicht viel anders.
Zwei Sekunden später überschlugen sich die Ereignisse.
Die Tür zum Redaktionsraum flog plötzlich auf. Lieutenant Harry Rollins und zwei Kollegen stürmten mit steinernen Mienen herein.
Melloway und seine beiden Mitarbeiter vergaßen den Brief, den sie eben auf mysteriöse Weise erhalten hatten.
„Wo stecken unsere Beamten?“, wandte sich Rollins ohne Begrüßung an den Redaktionschef.
Stumm deutete Melloway auf die Tür zum Konferenzraum. Rollins nickte nur. Dann hastete er mit seinen Männern zu der Tür hin.
„Um Himmels willen!“, rief Melloway hinterher. „Was ist denn passiert?“
Rollins hatte es nicht mehr gehört. Hinter ihm und den beiden anderen fiel die Tür krachend ins Schloss. Dann wurden im Konferenzraum einige Worte gewechselt. Im nächsten Moment war es totenstill.
Melloway, Hendricks und Sanders sahen sich verständnislos an.
Plötzlich wurde die Tür wieder aufgezogen. Lieutenant Rollins trat in den Redaktionsraum. Zwei Schritte vor Melloway blieb er stehen. Sekundenlang sah er den Chef der Illustrierten stumm an.
„Unser Kollege John Quincy wurde ermordet“, sagte der Lieutenant leise. Seine Worte tropften wie flüssiges Blei in den Raum. „Und von Susan Morales fehlt jede Spur.“
Saul Melloway und seine Mitarbeiter waren völlig fassungslos. Keiner von ihnen brachte ein Wort hervor. Verständnislos starrten sie den Lieutenant an.
Dann stöhnte Melloway auf. Er entsann sich der Karte, die er immer noch in der Hand hielt. Stumm hob er sie hoch, dass Rollins die aufgeklebte Mitteilung lesen konnte.
Reflexartig warf der Lieutenant einen raschen Blick auf seine Armbanduhr. „Noch zehn Minuten“, stellte er fest. „Sie werden anrufen, Melloway.“
„Muss das sein?“ Der Redaktionschef hatte plötzlich alle Selbstsicherheit verloren.
„Es muss sein. Sie haben keine andere Wahl.“ Rollins’ Stimme klang eisig. „Nach dem Mord an Barney Goldberg ist einer unserer Beamten hinterrücks erschossen worden. Sie können sich vielleicht vorstellen, was das bedeutet.“
„Wie ist es passiert, Inspector?“, fragte Chuck Hendricks mit belegter Stimme.
Aus der Tür des Konferenzraumes sahen die Beamten der City Police stumm herüber. Einer von ihnen war aus ihrer Mitte gerissen worden. In diesem Moment gab es für sie nichts mehr zu sagen. Jeder von ihnen war entschlossen, zu handeln.
„In der Hochgarage, wo Miss Morales ihren Wagen abgestellt hatte. Die Gangster müssen ihr und Quincy aufgelauert haben. Sie haben ihn von hinten erschossen. Eine Kugel in den Rücken. Dagegen ist jeder machtlos.“
„Wann ist das gewesen?“, wollte Earl Sanders wissen.
„Wir haben den genauen Zeitpunkt noch nicht feststellen können. Quincys Leiche wurde kurz nach ein Uhr von einem anderen Autofahrer, der in seinen Wagen steigen wollte, entdeckt.“
„Was?“, stieß Melloway hervor. „Susan und der Beamte haben doch schon um zwölf Uhr die Redaktion verlassen!“
Rollins nickte nur. „Wenn sie auf direktem Weg zu der Garage gegangen sind, bedeutet das möglicherweise, dass Quincys Leiche erst fast eine Stunde nach seinem Tod gefunden wurde. Aber die genaue Uhrzeit wird uns wenig weiterhelfen. Viel wichtiger ist es im Moment, dass wir eine Spur von Miss Morales finden.“
„Verdammte Gleichgültigkeit“, knurrte Melloway, „da liegt ein Toter stundenlang in einer Garage, in der laufend Hochbetrieb herrscht, und kein Mensch kümmert sich darum.“
„Sie sollten sich nicht über andere aufregen, Mr. Melloway“, mahnte ihn Rollins kühl. „Ich habe heute Vormittag erfahren, dass Sie nicht bereit sind, Mr. Cantrell und uns die Manuskripte für Ihre Reportage zur Verfügung zu stellen. Diese Gleichgültigkeit ist fast noch schlimmer. Hätten Sie sich nicht so bockbeinig angestellt, wären der Mord und die Entführung von Miss Morales unter Umständen gar nicht passiert.“
„Entführung?“, echote Melloway ungläubig.
„Was denn sonst!“ Lieutenant Rollins musste sich beherrschen, um Melloway gegenüber nicht einen härteren Tonfall anzuschlagen.
Chuck Hendricks war wortlos an seinen Schreibtisch gegangen. Mit einem dicken roten Schnellhefter kam er zurück. Er gab Rollins die Akte.
„Die Manuskripte, Sir. Ich überlasse Sie Ihnen. Sie können damit machen, was Sie wollen. Die Verantwortung trage ich.“
Der Lieutenant nickte. Er streifte Hendricks mit einem dankbaren Blick.
Saul Melloway ballte die Fäuste. Sein Gesicht lief rot an. Er sah aus, als wolle er sich jeden Moment auf Hendricks stürzen. Doch dann sackte er in sich zusammen wie ein aufgeschlitzter Mehlsack. Müde ließ er die Arme sinken. Mit hängenden Schultern machte er kehrt und marschierte zurück in sein Büro.
„Ich werde das Telefongespräch erledigen“, murmelte er im Weggehen.
Rollins lief hinter ihm her. „Sie gestatten, dass ich mithöre“, erklärte er. „Und außerdem: Gehen Sie nicht auf die Forderung der Gangster ein. Fordern Sie eine Bedenkzeit! Haben Sie verstanden?“
„Natürlich. Ich tue, was Sie sagen. Aber noch wissen wir ja nicht, wer sich unter der Nummer meldet.“
„Das kann ich Ihnen jetzt schon sagen.“ Zum ersten Mal war in den Mundwinkeln des Lieutenants der Anflug eines Lächelns zu sehen. Nur sekundenlang. Er blickte erneut auf seine Armbanduhr. „Rufen Sie an“, sagte er, „es ist zwei Minuten vor drei. Bis Sie gewählt haben, ist es drei.“
Melloway nickte mechanisch. Er legte den Zettel mit den aufgeklebten Buchstaben und Ziffern vor sich auf die Schreibtischplatte. Dann schaltete er den Tischlautsprecher ein und nahm den Hörer ab.
„Moment!“, rief Chuck Hendricks plötzlich. Im nächsten Augenblick war er im Nebenraum verschwunden, um gleich darauf mit dem Tonbandgerät zurückzukommen. „Teufel, das hätten wir beinahe vergessen“, murmelte er und schaltete das Gerät mit hastigen Bewegungen ein.
Saul Melloway nahm den Hörer ans Ohr und begann die Nummer herunterzukurbeln. Aus dem Tischlautsprecher erklang ein trockenes Rauschen. Mehrmals knackte es, dann ertönte das Rufzeichen. Einmal, zweimal …
Am anderen Ende wurde abgenommen. „Melloway?“, ertönte unvermittelt eine schnarrende Stimme.
„Am Apparat“, krächzte der Redaktionschef zurück. Er räusperte sich. „Mit wem spreche ich? Was wollen Sie von mir?“
„Stellen Sie nicht so dämliche Fragen, Melloway. Darauf kriegen Sie doch keine Antwort. Um zur Sache zu kommen: Vielleicht ist es Ihnen schon aufgegangen, dass Ihre süße kleine Reporterin verschwunden ist. Falls es Sie interessiert, die Kleine ist in Sicherheit. Ihr wird nichts passieren, solange Sie …“
„Verdammt noch mal!“, brüllte Melloway plötzlich „Was Sie da gemacht haben, ist Kidnapping, Mann! Darauf steht in Illinois immer noch der Elektrische Stuhl!“
„Na und? Zum Stuhl gehört immer erst einer, der sich draufsetzt. No, Melloway, mit solchen dämlichen Drohungen können Sie uns nicht kommen. Sie haben’s nicht mit dummen Jungen zu tun, die noch an den Weihnachtsmann glauben.“
„Geben Sie Susan heraus!“, schrie Melloway mit sich überschlagender Stimme. Rollins versuchte, ihn mit Handbewegungen zu beruhigen, doch es half nichts. Melloway hatte seine Umwelt vergessen.
„Diesen Wunsch können wir Ihnen erfüllen“, höhnte der andere. „Wir haben nur eine einzige Bedingung. Stoppen Sie die weiteren Veröffentlichungen ihrer Reportagen-Serie. Das ist alles.“
Ein tiefes Stöhnen entrang sich Melloways Brust. „So schnell kann ich das nicht entscheiden“, ächzte er, „geben Sie mir Bedenkzeit. Bitte! Vierundzwanzig Stunden.“
„Oho!“ Die Stimme des Anrufers klang hohl. Lieutenant Rollins sah seine Vermutung bestätigt, dass der Gangster aus einer Telefonzelle sprach. „Gleich vierundzwanzig Stunden! Scheint mir ’n bisschen happig, Melloway.“ Es gab eine kurze Pause. Der andere schien nachzudenken. „Okay – meinetwegen. Vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. Ich werde Sie morgen um die gleiche Uhrzeit anrufen. Denken Sie daran, dass Sie dann in Ihrem Büro sein müssen!“
Es knackte in der Leitung. Der Gangster hatte aufgelegt. Melloway kam zu keiner Antwort mehr. Im Zeitlupentempo ließ er den Hörer in die Gabel sinken. Das Rauschen des Tischlautsprechers verklang. Chuck Hendricks schaltete das Tonbandgerät aus.
Saul Melloway sah den Lieutenant an. „Ich werde die vierundzwanzig Stunden einhalten“, sagte er leise, „aber ich brauche nicht mehr nachzudenken. Wenn die Frist abgelaufen ist, werde ich den Gangstern sagen, dass ich ihre Forderungen erfülle. Egal, ob die Polizei bis dahin zu einem Ergebnis gekommen ist oder nicht.“
Rollins verzichtete auf eine Antwort.