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Ben Härtling war von Kopf bis Fuß schmutzig. Ein entfernter Verwandter hatte zu Oskar Dubies gesagt: „Bist du noch scharf auf meine alte Harley Davidson?“

„Na klar“, hatte Oskar geantwortet.

„Du kannst sie haben.“

„Wirklich?“ Oskar wäre vor Freude beinahe übergeschnappt.

„Ja, ich schenk’ sie dir - aber das Museumsstück fährt schon seit ein paar Jahren nicht mehr.“

„Das macht nichts“, hatte Oskar begeistert erwidert. „Ich werd’ so lange daran herumbasteln, bis sie wieder läuft.“

„Na schön, dann gehört sie jetzt dir. Aber nur, wenn du sie sofort mitnimmst. Ich brauche Platz in meiner Garage, habe mir eine funkelnagelneue Yamaha zugelegt.“

Stolz hatte der entfernte Verwandte seine chromblitzende Neuerwerbung vorgeführt. Sie hatte Oskar zwar gefallen, aber sein Traummotorrad konnte die Yamaha niemals werden, denn das war die Harley. Immer schon gewesen. Er hatte die schwere Maschine durch halb München geschoben. Der Schweiß war ihm in Bächen übers Gesicht geronnen, aber für dieses technische Prachtstück wäre ihm kein Opfer zu groß gewesen. Tagelang hatte er von überall her Ersatzteile zusammengetragen, und Ben Härtling hatte ihm geholfen, sie einzubauen.

Auch heute war der Arztsohn wieder gekommen, um dem Schulfreund mit Rat und Tat beizustehen und das alte Motorrad in Schuss zu bringen. Engagiert und ehrgeizig waren sie ans Werk gegangen und jeder Rückschlag war für sie Ansporn gewesen, sich noch mehr in ihre Arbeit zu verbeißen.

„Irgendwann“, sagte Oskar, der genauso dreckig war wie sein Freund, „irgendwann wird das Ding laufen, Ben.“ Sie befanden sich im Hinterhof des Hauses, in dem Oskar wohnte.

„Muss es wohl“, grinste Ben Härtling mit schwarzen Schmierstrichen im Gesicht.

Oskar lachte. „Wir lassen ihm einfach keine andere Wahl.“

„Genau.“

„Willst du ein Bier?“, fragte Oskar.

„Cola wäre mir lieber.“

Oskar nickte.

„Lässt sich auftreiben.“ Er verschwand kurz im Haus und kam mit zwei Cola-Dosen wieder. Sie tranken, und Oskar betrachtete mit verklärtem Blick sein Motorrad.

„Wenn die Maschine fertig ist, darfst du die erste Ehrenrunde drehen, Ben. Ich finde es toll, dass du dich hier so sehr reinkniest.“

„Es fasziniert mich genau wie dich, dieser betagten Maschine zu neuem Leben zu verhelfen.“

„Das ist ein richtiger Schöpfungsakt, was?“, sagte Oskar begeistert. „Wenn er abgeschlossen ist, werde ich der glücklichste Mensch von der Welt sein, denn dann werde ich einen glänzenden, funkelnden und strahlenden Oldtimer besitzen, der sogar fährt.“

„In der Schule wird man dich beneiden. Jedes Mädchen wird mal hinter dir auf dem Soziussitz Platz nehmen wollen.“

Oskar hob grinsend die Hände.

„Bedaure, der ist für Biggi Grenkowitz reserviert.“

„Sie ist wirklich nett.“

„Ich liebe sie wahnsinnig“, gestand Oskar und lächelte versonnen. „Mehr als die Harley?“

„Man kann die beiden nicht miteinander vergleichen.“

Ben lächelte.

„War auch nur ein Scherz.“

Oskar leerte seine Cola-Dose, stellte sie auf den Boden und rieb sich die Hände.

„Ich freue mich schon riesig auf die erste große Ausfahrt mit Biggi.“

„Und sie?“

„Sie kann es auch kaum noch erwarten“, sagte Oskar. „Sie hat sich bereits einen Sturzhelm gekauft. Und eine Lederkluft. Das Beste vom Besten.“

„Das scheint ihr neuester Tick zu sein“, bemerkte Ben. „Nur nichts Billiges kaufen. Schnäppchenjäger lacht sie aus. Man könnte meinen, sie würde in Geld schwimmen.“

Oskar Dubies zog die Augenbrauen zusammen.

„Sie gibt ihr Geld ein bisschen zu leicht aus. Ich habe ihr schon mehrmals gesagt, dass mir das nicht gefällt, aber sie lässt sich nur sehr schwer bremsen. Und fortwährend schenkt sie mir irgendetwas. Lauter teure Sachen.“

„Geht sie zu einem Milliardär babysitten?“, fragte Ben Härtling. „Oder hat sie irgendeinen anderen einträglichen Job?“

„Ich weiß von keinem.“

„Woher kommt dann das Geld, das sie ausgibt?“, wollte Ben wissen.

„Sie sagt, ihr Vater hat ein paar Gehaltsstufen übersprungen.“

Ben sah Oskar überrascht an.

„Sagt sie das?“

Oskar wurde unsicher.

„Hast du etwas anderes gehört?“ Ben schwieg. „Ben, du bist mein Freund“, sagte Oskar Dubies eindringlich. „Wenn du etwas weißt, musst du es mir sagen.“

„Hast du’s nicht gelesen?“, fragte Ben Härtling.

„Was gelesen?“

„Die Firma, in der Biggis Vater gearbeitet hat, hat dichtgemacht.“

Oskar Dubies riss verblüfft die Augen auf.

„Dann ... dann ist er arbeitslos?“

„Soviel mit bekannt ist, hat er noch keinen neuen Job gefunden.“

Oskar Dubies schüttelte verständnislos den Kopf.

„Warum belügt Biggi mich?“

„Vielleicht schämt sie sich, einen Vater zu haben, der ohne Job dasteht.“

„Aber das ist doch ... Blödsinn ist das. Sie braucht sich deswegen doch nicht zu schämen, und schon gar nicht vor mir.“ Besorgnis erschien plötzlich in Oskars Augen. „Mein Gott, Ben“, stieß er heiser hervor, „wenn sie das Geld nicht von ihrem Vater hat, woher hat sie’s dann?“

Roman Koffer 10 Arztromane zum Jahresende 2021

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