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So hatte es mit ihnen angefangen. Jetzt hatte Gloria den Minister am Telefon, und er sagte: „Weißt du, wovon ich jeden Tag träume?“

„Wovon?“

„Von einer kleinen, einsamen Südseeinsel“, gestand Walter Haller leise. Draußen knatterte Boris Kampmann mit dem Rasenmäher unermüdlich hin und her. „Rauschendes Meer, wispernde Palmen, weißer Strand, kristallklares Wasser - und wir beide ...“

„Eine Adam- und - Eva-Idylle“, sagte Gloria Sandrini, und sie dachte nicht ernsthaft darüber nach, ob sie diese Rolle mit einem Lendenschurz oder mit einem Feigenblatt spielen sollte.

„Kein Radio, kein Fernsehen, keine Post, kein Telefon, keine Termine, keine Verpflichtungen kein gar nichts.“

„Und wovon leben wir?“, fragte Gloria.

„Von der Liebe natürlich.“

„Die Sache hat leider einen Haken, Walhalla.“

„Welchen?“

Gloria Sandrinis Blick verdunkelte sich.

„Ich liebe dich nicht mehr.“

„Ich liebe dich noch. Mehr als alles andere auf der Welt.“

Die Schauspielerin seufzte tief.

„Nein, Walhalla, das tust du nicht.“

„Doch, Gloria. Ich werde dich immer lieben.“

„Es wäre für uns alle einfacher, du würdest deine Frau lieben“, sagte Gloria.

„Das kann ich nicht. Ich kann Sylvia nicht mehr lieben, und ich kann dich nicht vergessen.“

„Du musst mich vergessen.“ Das klang betont emotionslos.

„Ich möchte dich sehen, Gloria.“

„Warst du schon in meinem neuen Film?“

„Ich möchte dich nicht im Kino, sondern in natura sehen.“ Die Stimme des Ministers bebte. Er war ein mächtiger Mann, hatte mächtige Freunde, konnte viel bewegen in diesem Land. „Ich möchte dich anschauen und anfassen können“, sagte er flehend.

„Das ist vorbei, Walhalla, und du weißt, dass das Rad der Zeit sich nicht zurückdrehen lässt.“ Als sie ihn kennengelernt hatte, hatte er von seiner Frau getrennt gelebt. Das hatte er nicht bloß behauptet, um sie ins Bett zu kriegen, es hatte der Wahrheit entsprochen.

Gloria hatte geglaubt, er würde sich scheiden lassen, und er hatte das auch vorgehabt, aber seiner Partei hatte das nicht in den Kram gepasst. Man hatte befürchtet, wichtige Stimmen zu verlieren, hatte Angst gehabt, Sylvia Haller würde in der Öffentlichkeit eine Menge Schmutzwäsche waschen, obwohl sie es gewesen war, die die Trennung auf Zeit vorgeschlagen hatte.

Aber Trennung ist eine Sache, Scheidung eine andere. Sylvia Haller kam aus einem erzkonservativen, streng katholischen Haus, war praktizierende Katholikin. Eine Scheidung kam aus diesem Grund für sie nicht in Frage, und sie wahrte in der Öffentlichkeit auch stets die Form, war immer an der Seite ihres Mannes, wenn es gesellschaftliche Verpflichtungen zu erfüllen galt.

Solange ihr Mann den Schein wahrte, konnte sie ganz gut ohne ihn leben, aber verlassen - so richtig mit Brief und Siegel verlassen - durfte er sie nicht. Wenn er ihr das angetan hätte, hätte ihre Familie ihn vernichtet. Er war zwar ein mächtiger Mann mit mächtigen Freunden, doch ihre Familie war mächtiger und hatte die mächtigeren Freunde.

„Ich könnte in ein paar Stunden bei dir sein“, sagte der Minister.

„Nein, Walhalla.“

„Wenn du mir ein Stück entgegenfahren würdest, könnten wir ...“

„Nein!“ Es fiel ihr nicht mehr schwer, hart zu bleiben. Sie hatte eine traumhaft schöne Zeit mit ihm verbracht und wollte keine Stunde davon missen, aber das gehörte der Vergangenheit an, war Geschichte.

Trotz vieler raffinierter Tricks und doppelter und dreifacher Vorsichtsmaßnahmen hatte Sylvia Haller von Gloria Sandrini Wind bekommen und die Zeit der Trennung kurzerhand für beendet erklärt. Sie hatte von ihrem Mann verlangt, dass er sich von Gloria zurückzog und zu ihr zurückkehrte. Es hatte daraufhin im Hause Haller einen erbitterten Ehekrieg hinter verschlossenen Türen gegeben, aus dem Sylvia als Siegerin hervorgegangen war. Sylvia Haller hatte ihn mit ihren harten Argumenten, die nicht zu entkräften waren, buchstäblich erschlagen, und hinterher hatte sie ihn wählen lassen zwischen Gloria Sandrini und seinem gesellschaftlichen und politischen Tod.

Also hatte er sich schweren Herzens für seine überraschend kampfstarke Frau entschieden und gehofft, seine Geliebte würde das verstehen.

Gloria Sandrini hatte auch Verständnis für seinen Entschluss gezeigt und einen dicken, unwiderruflichen Schlussstrich unter die Beziehung gesetzt. Was der Minister jedoch noch immer nicht hinnehmen wollte, wie sich nun zeigte.

„Lass uns reden, Gloria“, bedrängte er sie. „Wir treffen uns irgendwo und unterhalten uns wie zwei vernünftige erwachsene Menschen.“

„Vergiss es, Walhalla! Ich fahre nirgendwo mehr verkleidet hin, um mich in aller Heimlichkeit mit dir zu treffen. Ich habe keine Lust mehr, mich zu verstecken.“

„Du spielst mir was vor. Du kannst ebensowenig ohne mich sein wie ich ohne dich.“

„Du irrst dich, Walhalla. Ich komme sehr gut ohne dich zurecht.“ Gloria sagte die Wahrheit. Alles, was sie einst für Walter empfunden hatte, war erloschen. Ihr Herz war deswegen aber nicht erkaltet, denn sie hatte sich während der Dreharbeiten zu ihrem neuen Film für Bernd Hoffmann, ihren attraktiven Partner, verliebt. Aus diesem Grund fiel es ihr auch so leicht, standhaft zu bleiben. Walhalla konnte sagen, was er wollte, es verfing nicht mehr bei ihr.

Roman Koffer 10 Arztromane zum Jahresende 2021

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