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Boris Kampmann, ein untersetzter, kräftiger Mann, mähte den Rasen. Gloria Sandrini stand am Fenster und sah ihm zu. Soeben entleerte er den Grasfangkorb in einen großen Autoanhänger.

Gisela, seine Frau, klapperte in der Küche mit dem Geschirr. Sie war eine hervorragende Köchin, auf die Gloria nur höchst ungern verzichtete, wenn sie im Ausland drehte. Die Kampmanns arbeiteten schon lange für Gloria, und die Schauspielerin war mit beiden sehr zufrieden.

Soeben lüftete Kampmann seine Mütze. Kurzgeschorenes, brandrotes Haar kam zum Vorschein. Der Gärtner fuhr sich mit der Hand über den Kopf und setzte die Mütze wieder auf. Schön war Boris Kampmann nicht, aber eine Seele von Mensch, zuverlässig und loyal.

Er mähte weiter, und Gloria Sandrini verließ das Fenster, als in der Bibliothek das Telefon läutete. Die Schauspielerin meldete sich ernst, doch im nächsten Moment hellten sich ihre Züge auf. „Walhalla!“

Kein Mensch sagte Walhalla zu ihm. Nur sie. Weil er Dr. Walter Haller hieß, und weil es ihr einmal in einer Weinlaune in den Sinn gekommen war, seine beiden Namen zusammenzuziehen, abzukürzen und geringfügig zu verändern. Seither war er Walhalla für sie. Walhalla - der Himmel. O ja, eine Zeitlang war er für sie der Himmel auf Erden gewesen, das große Glück, die totale Erfüllung. Doch es war leider nicht von Dauer gewesen.

„Wie geht es dir?“, fragte der Anrufer.

„Man schlägt sich so durch“, antwortete Gloria Sandrini floskelhaft.

„War ein schlimmer Schock für mich, als ich hörte, dass man dich in deiner Villa überfallen hatte“, sagte Walter Haller.

„Es war auch ein Schock für mich, das erleben zu müssen, aber ich hab’s zum Glück gut überstanden.“

„Du solltest nachts nicht allein in diesem großen Haus sein“, sagte Haller.

„Bin ich nicht mehr. Die Kampmanns wohnen bei mir, bis eine zuverlässige elektronische Alarmanlage installiert ist.“ Gloria lachte leise. „Oder möchtest du hier einziehen?“

„Du weißt, dass das nicht möglich ist.“

„Ja, ich weiß, ich weiß, Herr Minister.“

Sie hatten sich immer verstecken müssen - der Minister und die Schauspielerin. Beide standen im Blickpunkt der Öffentlichkeit und mussten so leben, wie die Leute es von ihnen erwarteten. Es hätte Gloria Sandrini sehr viele Sympathien und Walter Haller sehr viele Wählerstimmen gekostet, wenn ihre Beziehung ans Tageslicht gekommen wäre. Also hatten sie sich in aller Heimlichkeit getroffen, bis zur Unkenntlichkeit maskiert und an den unmöglichsten Orten. Sie hatten sich in schmuddeligen Motels, in Tiefgaragen und in einem aufgelassenen Flugzeughangar geliebt. Die Umgebung war ihnen egal gewesen. Hauptsache, sie hatten zusammen sein können - der gut aussehende, dynamische Minister, den seine Gegner fürchteten und hassten, und die bildschöne, weltberühmte Schauspielerin, die von ihren Fans rasend verehrt und geliebt wurde.

Der gut aussehende, verheiratete Minister Dr. Walter Haller!

„Wie geht es deiner Frau?“, erkundigte sich Gloria Sandrini.

„Müssen wir jetzt über Sylvia reden?“

„Sie gehört zu dir, ist auf allen Empfängen und Großveranstaltungen an deiner Seite.“

„Es geht ihr gut.“

„Das freut mich“, sagte die Schauspielerin.

„Ach, Gloria, du weißt nicht, wie sehr ich dich vermisse.“

„Das tut mir leid, Walhalla.“

„Manchmal würde ich am liebsten alles hinschmeißen und zu dir kommen.“

„Das würden dir deine Frau und deine Parteifreunde sehr übelnehmen“, sagte die Schauspielerin.

„Verdammt“, brauste der Mann kurz auf, „ich hasse es, immer Rücksicht nehmen, immer vernünftig sein zu müssen.“

„Du hast dich dafür entschieden, nun musst du auch dazu stehen“, gab Gloria nüchtern zurück.

Sie hatten sich auf einem Filmfestival in Berlin kennengelernt. Gloria Sandrini war für ihre grandiose schauspielerische Leistung ausgezeichnet worden, und Dr. Haller hatte ihr den Preis überreicht und sie vor laufenden Kameras und unter frenetischem Beifall geküsst.

Auf dem anschließenden Empfang hatten sie sich angeregt über das Filmgeschäft unterhalten, gut gegessen, viel getrunken, übermütig getanzt und heftig geflirtet. Und am darauffolgenden Morgen hatte Gloria sich im Bett des Ministers wiedergefunden ...

Roman Koffer 10 Arztromane zum Jahresende 2021

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