Читать книгу Roman Koffer 10 Arztromane zum Jahresende 2021 - A. F. Morland - Страница 23
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ОглавлениеDana Härtling kümmerte sich etwas mehr als bisher um Biggi Grenkowitz. Sie redeten über alles Mögliche, hatten manchmal die gleichen Ansichten und manchmal völlig konträre, was zu endlos langen Grundsatzdiskussionen führte, in deren Verlauf sie sich gegenseitig - fast immer vergeblich - von ihrer Meinung zu überzeugen versuchten.
Sie trafen sich auch nach der Schule, und Dana sprach mit Biggi vorläufig über alles, nur nicht über Geld. Wenn sie irgendwo was trinken gingen (bei Biggi musste es immer etwas Alkoholisches sein), bezahlte immer Biggi, das ließ sie sich nicht nehmen. Dana war zwar niemals schlecht gekleidet, aber mit Biggis Designerklamotten konnte sie natürlich nicht konkurrieren. Wollte sie auch gar nicht.
Beim Stichwort Harley seufzte Biggi Grenkowitz.
„Oskar und dein Bruder basteln schon eine Ewigkeit daran herum. Immer heißt es: Morgen läuft sie! Morgen läuft sie! Und dann tut sich wieder nichts. Da muss noch ein Teil ausgebaut und erneuert werden.“
„Irgendwann werden sie so viel ausgetauscht haben, dass die Maschine einfach laufen muss, weil nichts Altes mehr an ihr ist“, meinte Dana.
„Ich hab’ daheim seit Wochen einen tollen Sturzhelm und eine schicke, teure Lederkluft liegen. Die würde ich gern mal anziehen.“
Teuer. Das schien seit geraumer Zeit Biggis Lieblingswort zu sein. War die Zeit reif? Sollte Dana einen Vorstoß in die geplante Richtung wagen?
„Wieso macht es dir so großen Spass, teure Sachen zu kaufen?“, fragte Dana so beiläufig wie möglich.
Biggi Grenkowitz zuckte mit den Schultern.
„Das Besondere kriegst du nicht billig.“
„Und warum muss es immer das Beste für dich sein?“
„Warum soll ich mich mit etwas nicht so Gutem begnügen, wenn ich mir was Besseres leisten kann?“, gab Biggi, die bereits vier Cola mit Schuss getrunken hatte, zurück. Der Whisky ließ ihre blauen Augen glänzen und löste ihre Zunge. Dana hatte den richtigen Zeitpunkt für dieses Gespräch gewählt. Wenn sie es richtig anstellte, würde sie von Biggi heute erfahren, wo sich ihre Geldquelle befand. „Früher habe ich Jeans um zwanzig Mark getragen, heute ziehe ich welche um fünfhundert Mark an“, erzählte Biggi. „Die passen nicht nur besser, sie halten auch viel länger. Die Hosen unterscheiden sich nämlich nicht nur im Preis, sondern auch in der Qualität, ist doch klar. Und so ist das bei allen Waren.“
„Es gibt auch sehr gut tragbare Jeans, die nicht so extrem teuer sind“, entgegnete Dana Härtling.
„Wenn ich in ein Geschäft gehe, lasse ich mir nur noch das Allerbeste zeigen. Billig kaufen oder gar verzichten musste ich lange genug. Die Zeiten sind zum Glück vorbei.“
„Und - wieso sind sie vorbei?“, fragte Dana ganz, ganz vorsichtig.
Doch Biggi Grenkowitz ging nicht darauf ein.
„Ich habe zu Oskar gesagt, er soll die Harley in eine Werkstatt stellen. Ich übernehme die Kosten der Reparatur“, erklärte sie. „Er wollte nicht. Wir könnten das Motorrad schon längst benutzen, wenn Oskar auf mich gehört hätte. Nichts gegen Oskars und Bens technisches Wissen und ihr handwerkliches Können, aber bei so einer abgewrackten Maschine lässt man doch besser Fachleute ran und doktert nicht selber herum.“
„Sie tun es nicht nur, um Geld zu sparen. Es macht ihnen auch Spass, das alte Baby zu neuem Leben zu erwecken.“
Biggi orderte noch einen Drink.
Liebe Güte, die verträgt was, dachte Dana. Aber sie war davon nicht beeindruckt. Es hatte ihr noch nie imponiert, wenn jemand viel getrunken hatte. Sie machte sich eher Sorgen um Biggi Grenkowitz. Die war noch zu jung für so viel Alkohol.
„Mein Vater hat nie besonders viel verdient“, begann Biggi plötzlich murmelnd, und Dana spitzte die Ohren. „Und jetzt ... jetzt ist er überhaupt arbeitslos.“ Biggi bekam ihren fünften Drink und nahm einen großen Schluck, bevor sie fortfuhr: „Seine Firma existiert nicht mehr. Zwanzig Jahre hat er da gearbeitet. Und plötzlich ... Peng. Aus. Schlechtes Management. Pech gehabt! Man ist machtlos gegen diese Idioten, ist ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie spekulieren sich in den Bankrott und reißen skrupellos Hunderte Familien ins Elend.“
„Dein Vater wird bestimmt einen anderen Job finden.“
„Das hoffe ich, denn seit er ohne Beschäftigung ist, ist er oft sehr unleidlich“, sagte Biggi.
„Er kommt sich wahrscheinlich minderwertig und unnütz vor.“
„Und er hat zu viel Zeit, seiner Familie auf die Nerven zu gehen.“
„Was sagt er zu deinen teuren Klamotten?“, erkundigte sich Dana Härtling.
„Nichts.“
„Will er nicht wissen, woher du das Geld dafür hast?“, fragte Dana.
„Er hat mal gefragt.“
„Und was hast du geantwortet?“
„Dass alles aus’m Secondhand-Laden ist“, sagte Biggi Grenkowitz.
„Und das hat er geschluckt?“
„Er hat anderes zu tun, als sich über so etwas den Kopf zu zerbrechen. Tag für Tag durchforstet er stundenlang die Stellenangebote in den Zeitungen, ringelt knallrot ein, was für ihn in Frage kommt, ruft an, geht sich vorstellen, kommt mit langem Gesicht nach Hause. Wieder nichts. Mutter ist damit beschäftigt, ihn zu trösten, und ich mache inzwischen, was ich will.“
„Was du willst?“
Biggi Grenkowitz lächelte geheimnisvoll.
„Wenn es dir gutgehen soll, brauchst du Geld, um dir die Annehmlichkeiten des Lebens leisten zu können.“
„Und woher nimmt man dieses Geld?“, fragte Dana, aufgeregt, weil sie der Wahrheit schon so nahe war.
„Man muss es sich verdienen.“
„Womit?“
„Oh, da gibt es viele Möglichkeiten“, antwortete Biggi Grenkowitz ausweichend. „Vor allem dann, wenn du jung und hübsch bist und ein bisschen was im Köpfchen hast.“ Sie musterte die Freundin. „Du würdest dich auch dafür eignen.“
„Wofür?“
Biggi trank ihr mit Whisky „aufgewertetes“ Coke.
„Ich habe gesagt, ich tu’ dir mal einen Gefallen. Ich könnte dir zu einem einträglichen Job verhelfen. Bist du interessiert?“
„Was für ein Job wäre das?“, erkundigte sich Dana. „Was hätte ich zu tun?“
„Nicht viel. Du brauchst eigentlich nur gut auszusehen, und das tust du. Wenn du dich ein wenig zurechtmachst, bist du sogar noch hübscher als ich.“
„Okay“, sagte Dana, nun schon sehr ungeduldig, „ich bin also zurechtgemacht - für welche Tätigkeit?“
„Für eine Tätigkeit, die dir bestimmt nicht schwerfällt. Das wäre leicht verdientes Geld für dich.“
„Würdest du endlich ...“
Biggi beugte sich vor und sah Dana fest in die Augen.
„Kein Wort zu Oskar, ja?“
Dana hob die rechte Hand wie zum Schwur.
„Kein Wort zu Oskar.“
„Hast du schon mal von Begleitdiensten gehört?“, fragte Biggi Grenkowitz.
Jetzt hatte sie die Katze endlich aus dem Sack gelassen.
Danas Augen weiteten sich.
„Arbeitest du etwa als Escort-Girl?“
Biggi nickte.
„Drei- bis viermal in der Woche. Ich treffe mich mit Geschäftsleuten, Künstlern, Politikern, die nach München kommen und nicht allein sein wollen. Sie gehen mit mir essen, tanzen, ins Theater, ins Konzert oder in die Oper. Ich unterhalte mich mit ihnen, bin freundlich, nett, kokett, lächle viel, gebe ihnen das Gefühl, die Größten zu sein, himmle sie an, finde alles toll, was sie sagen - und kriege dafür Geld.“
„Aha.“
„Das könntest du auch“, behauptete Biggi.
„Meinst du?“
„Das bringst du mit links.“ Biggi schien wirklich davon überzeugt zu sein. „Du bist, wie ich schon sagte, hübsch, hast eine tolle Figur, bist weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen, bist somit also, wenn du mich fragst, das ideale Escort-Mädchen.“
„Muss man mit diesen einsamen Herren ... auch ins Bett gehen?“
„In dem Vertrag, den du von der Agentur bekommst, wird dir das ausdrücklich untersagt.“
„Und werden die Kunden niemals zudringlich?“, wollte Dana wissen.
Biggi Grenkowitz hob die Schultern.
„Vielleicht raubt dir der eine oder andere mal ein Küsschen, aber ich denke, damit kann man leben.“
„Wie sehen diese Männer aus, mit denen du ...“
„Sehr elegant, sehr gepflegt.“
„Und wie alt sind sie?“, fragte Dana Härtling weiter.
„Das ist ganz verschieden. Gestern war ich mit einem Börsenmakler aus Frankfurt aus, der war noch keine Dreißig und sah aus wie der junge Gregory Peck.“
„Und - und der wollte nichts von dir?“, wollte Dana mit belegter Stimme wissen.
Der viele Whisky ließ Biggi kichern.
„Er wollte schon etwas von mir.“
Dana schluckte aufgeregt.
„Hat er’s bekommen?“
Biggi Grenkowitz nickte schmunzelnd.
„Biggi!“, stieß Dana bestürzt hervor. „Du ... du hast doch gesagt, im Agenturvertrag steht ...“
„Die Agentur sichert sich damit ab“, erklärte Biggi Grenkowitz. „Was die Escort-Girls privat tun, geht keinen was an. Da kannst du auch völlig frei entscheiden. Wenn du keine Lust hast, oder wenn dir ein Kunde nicht besonders sympathisch ist, dann passiert nichts. Niemand kann dich dazu zwingen.“
„Aber ... aber ... aber wie kannst du das mit deinem ... deinem ... deinem Gewissen vereinbaren?“, fragte Dana Härtling völlig fassungslos. „Ich meine, du gehst seit einem Jahr mit Oskar Dubies ...“
„Das mit Oskar läuft auf einer völlig anderen Schiene. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Das eine ist Liebe, das andere ist Geschäft. Der Escort-Dienst wird zwar nicht schlecht bezahlt, aber das große Geld verdienst du erst hinterher. Wenn einem Kunden eine Nacht mit mir fünftausend Mark wert ist, einmal waren es sogar schon zehntausend - soll ich da nein sagen? Das kann ich nicht. Da werfe ich meine moralischen Bedenken über Bord, tu’, was man von mir verlangt, und verdiene mir damit einen Haufen Geld.“
„Biggi, es ist nicht recht, was du tust.“
Biggi Grenkowitz lächelte unbekümmert.
„Niemand sieht den Scheinen an, woher sie kommen. Ich kann mir damit die schicksten Sachen kaufen.“
„Aber Oskar ...“
Biggi zeigte mit dem Finger auf Dana.
„Du hast mir versprochen, ihm nichts zu erzählen.“
„Das werde ich nicht“, erwiderte diese. „Aber er kann es trotzdem erfahren.“
„Wie denn? Ich habe bisher noch mit niemandem darüber gesprochen.“
„Ein dummer Zufall kann es ans Tageslicht bringen, dass du dieses Doppelleben führst.“
Biggi schürzte die Unterlippe und schüttelte den Kopf.
„Das halte ich für unwahrscheinlich.“
„Oskar weiß, dass dein Vater arbeitslos ist.“
„Dann muss ich mir eine andere Geschichte ausdenken“, sagte Biggi.
„Wie kannst du Oskar lieben und mit diesen fremden Männern schlafen?“ Dana konnte das einfach nicht begreifen.
„Ich kriege das ganz gut auf die Reihe.“
„Das ist Prostitution, Biggi“, murmelte Dana Härtling erschüttert.
Biggi Grenkowitz winkte gleichgültig ab.
„Ach, komm, es prostituieren sich doch so gut wie alle Menschen auf irgendeine Weise. Das ist nun mal so auf der Welt. So ist das Leben.“