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Oskar Dubies hätte laut jauchzen mögen. Er war unbeschreiblich glücklich, dass die Harley Davidson endlich lief. Wenn er ehrlich zu sich selbst sein wollte, musste er zugeben, dass er hin und wieder schon sehr daran gezweifelt hatte, dass dieser große Augenblick noch mal kommen würde, und ohne Ben Härtling hätte er bestimmt auf halbem Weg das Handtuch geworfen. Ben aber hatte immer wiedergesagt: „Wir kriegen das schon hin, Oskar. Das gibt es nicht, dass wir das nicht schaffen. Wir sind doch keine Idioten. Und wir sind zu zweit. Was der eine nicht weiß, fällt dem anderen ein.“

Ben hatte recht gehabt, und Oskar war froh, dass der Freund ihn mit immer neuem Schwung und Elan mitgerissen und jedes Mal aufs Neue mit seinem großen Optimismus angesteckt hatte.

Der Einsatz hatte sich gelohnt. Es war ein fantastisches Gefühl, auf der schweren Maschine zu sitzen und durch die Stadt zu fahren. Oskar hatte zum ersten Mal den Eindruck, München gehöre ihm. Er war so beweglich wie nie zuvor.

Die vielen Autos behinderten ihn nicht. Er brauste an ihnen mal links, mal rechts vorbei, wie es sich gerade ergab, und konnte sich sein Tempo so einteilen, dass jede Ampel auf Grün sprang, wenn er auf sie zufuhr.

Er war zu Biggi Grenkowitz unterwegs, wollte seine übergroße Freude mit ihr teilen. Er hätte sie anrufen können, damit sie schon mal in ihre Lederkluft stieg und mit dem Sturzhelm unterm Arm auf ihn wartete, aber lieber war es ihm, sie persönlich zu überraschen.

Oh, sie würde Augen machen, und den Mund würde sie gar nicht mehr zukriegen, wenn sie die Harley erblickte, die wie neu aussah und nur so blitzte und funkelte.

Oskar Dubies bog in die Straße ein, in der das geliebte Mädchen wohnte. Er verdrängte, dass sie ihm nicht die Wahrheit gesagt hatte. Heute wollte er sie nicht fragen, woher das Geld kam, das sie so verschwenderisch ausgab. Heute nicht! Nichts sollte seine Freude trüben.

Aber sie würde ihm schon bald Rede und Antwort stehen müssen, denn die Lüge war ein brüchiges Fundament, das keine Liebe lange tragen konnte.

Ein Taxi hielt vor Biggis Haus und Biggi kam heraus. Aufgedonnert bis zum Gehtnichtmehr. Sie schaute weder nach links noch nach rechts und stieg rasch in den wartenden Wagen, ohne Oskar auf seinem Motorrad zu bemerken. Das Taxi fuhr los. Wo will sie hin?, fragte sich der Achtzehnjährige. So toll angezogen und in voller Kriegsbemalung! Was hat sie vor? Er wollte es wissen, deshalb folgte er dem Taxi.

Ein Nobelhotel war ihr Ziel. Oskar Dubies konnte sich nicht vorstellen, was sie hier zu suchen hatte. Er wollte es sich nicht vorstellen! Doch da waren so gewisse Ahnungen, die ihn schmerzten und quälten. Es gelang ihm immer schlechter, sie zu ignorieren.

Verflucht und zugenäht, was tut Biggi in einem solchen Hotel?, fragte Oskar sich aufs Höchste beunruhigt. Er hatte angehalten und beobachtete, wie seine Freundin die Hotelbar betrat. Da war ein eleganter Mann - grauhaarig und dreimal so alt wie Biggi. Er küsste ihr galant die Hand. Sie wechselten ein paar Worte. Biggi setzte sich an den Tisch des Mannes. Er bestellte einen Drink für sie. Sie plauderten, und Oskar Dubies wäre am liebsten in das Hotel gestürmt, um Biggi eine Szene zu machen, die sich gewaschen hatte. Es wäre sein Recht gewesen, das zu tun. Biggi war seit einem Jahr sein Mädchen. Sie waren seit einem Jahr ein Liebespaar. Er dachte an die vielen schönen Stunden in der Hütte am Baggersee.

O Gott ...

Es begann ihm zu dämmern, wieso sie es sich erlauben konnte, so mit dem Geld um sich zu werfen. Er sah heute, wie sie es sich verdiente ...

Sie traf sich mit fremden Männern, die ihre Großväter hätten sein können, leistete ihnen Gesellschaft, unterhielt sich mit ihnen, trank mit ihnen.

Was stellt sie noch alles mit ihnen an?, fragte sich Oskar verzweifelt. Wie weit geht sie? Dem vielen Geld nach zu urteilen, das ihr zur Verfügung steht, geht sie sehr weit. Zu weit! O Biggi! Biggi! Warum? Warum? Geld ist doch nicht alles im Leben.

Nach drei Drinks verließ Biggi mit dem Grauhaarigen die Bar. Sie aß mit ihm in einem teuren Restaurant zu Abend. Oskar war dem Taxi gefolgt, in das sie gestiegen waren.

Anschließend besuchte Biggi mit dem Mann einen Nachtklub. Oskar sah sie mit dem Kerl Wange an Wange tanzen. Es zerriss ihm fast das Herz.

Sie war nicht sie selbst. Sie spielte eine Rolle, aber das fiel nur jemandem auf, der sie so gut kannte wie Oskar, denn sie spielte ihre Rolle sehr gut. Sie sprühte nur so vor Anmut und guter Laune, lachte, war fröhlich, wurde einfach nicht müde - und sie kippte einen Drink nach dem anderen.

Oskar Dubies erkannte seine Biggi nicht wieder. Es schien sie zweimal zu geben. Einmal war sie das Mädchen, das er so wahnsinnig liebte, und einmal war sie die Femme fatale, die für Geld mit fremden Männern flirtete. Oskar war von dieser Erkenntnis so getroffen, dass er nicht wusste, was er tun, wie er sich verhalten sollte. Der Schock lähmte ihn, degradierte ihn zum ratlosen Zuschauer, der nicht fassen konnte, was sich vor seinen Augen abspielte.

Biggi Grenkowitz und ihr grauhaariger Begleiter kamen sich sehr nahe. So nahe, dass Oskar am liebsten geheult hätte. Sie verließen den Nachtklub irgendwann und fuhren zu dem Nobelhotel zurück, aber dort verabschiedete sich Biggi nicht.

Oskar hätte es sich so sehr gewünscht, doch Biggi machte ihm die Freude nicht. Sie ging mit ins Hotel und blieb, blieb, blieb.

Oskar wartete eine Stunde, eine zweite und eine dritte ... Als Biggi sich endlich wieder zeigte und in ein Taxi stieg, um nach Hause zu fahren, fuhr Oskar voraus. Fünf Minuten später traf das Taxi ein, Biggi stieg aus, der Wagen fuhr weiter, und Oskar trat ihr entgegen. Sein Sturzhelm lag auf dem Sitz der aufgebockten Harley Davidson.

Oskar war blass und zitterte. Sein Herz raste, und er fühlte sich grauenvoll. Biggi blieb stehen und sah ihn verdattert an.

„Oskar, wo kommst du denn her?“

„Und du?“, fragte er heiser zurück. Jedes Wort schmerzte ihn im Hals.

„Ich?“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

„Ich wollte dir die Harley zeigen.“

Das Mädchen schaute auf das Motorrad.

„Sie fährt?“, stieß es aufgeregt hervor - froh, nicht sagen zu müssen, wo es gewesen war.

„Ja.“

„O Oskar, das ist wunderbar!“

Er bleckte die Zähne.

„Jetzt bin ich mobil. Ich kann jederzeit überall hinfahren, kann jederzeit überall auftauchen. Selbst der beste Taxifahrer würde es nicht schaffen, mich abzuhängen. Ich kann ihm überallhin folgen. Zu jedem Nobelhotel. Zu jedem Nachtklub. Und wieder zurück zum Hotel ...“

Biggi sah ihn bestürzt an.

„Du ... du bist mir ...“

„Ich bin dir gefolgt“, nickte er grimmig. „Ich wollte meine riesengroße Freude mit dir teilen, wollte dich zu einer Fahrt auf der Harley abholen, aber du hattest schon etwas Besseres vor.“

„Das war doch nichts Besseres, Oskar.“

Er betrachtete sie angewidert, stellte sich vor, wie sie vor kurzem erst diesem fremden Mann zu Willen gewesen war - und hätte sie am liebsten geschlagen.

„Schämst du dich nicht?“

„Bitte mach mir jetzt keine Szene.“

„Mit diesem alten Knacker!“

„Du ... du verstehst das nicht.“

„Nein, da hast du recht, das verstehe ich wirklich nicht. Es ist ja auch schwer zu begreifen, dass ein Mädchen wie du sich so kaltschnäuzig verkauft. Ist dir Geld tatsächlich so viel wichtiger als Freundschaft, Liebe und Moral?“

„Wenn ich diesen ... diesen Job tue, hat das absolut nichts mit uns zu tun“, behauptete Biggi Grenkowitz, „dann bin ich eine andere, dann bin ich nicht das Mädchen, das dich liebt und das du liebst, Oskar.“

„Was redest du denn da für einen Schwachsinn?“, herrschte Oskar Dubies sie an.

„Ich liebe dich wirklich.“

„Wenn das wahr wäre, würdest du so etwas nicht tun.“

„Ich trenne das eine vom anderen total.“

Oskar schüttelte wild den Kopf.

„Das kann man nicht.“

„Ich kann es.“

„Denkst du, du kannst mich für blöd verkaufen?“, brauste Oskar auf.

Sie bat ihn, mit ihr zum Baggersee zu fahren.

„Um diese Zeit?“ Er starrte sie an, als würde er an ihrem Verstand zweifeln.

„Ist doch egal, wie spät es ist. Fahren wir zu unserer Hütte, Oskar. Bitte! Reden wir! Bitte! Lass uns reden! Lass mich dir beweisen, dass ich dich von ganzem Herzen liebe!“

Er wollte nicht zum Baggersee fahren. Nicht, weil es schon so spät war, sondern weil er mit Biggi nicht allein sein wollte. Da draußen war meilenweit keine Menschenseele- und er hatte so eine entsetzliche Wut auf Biggi!

Sie schaffte es, ihn breitzuschlagen.

Sie hätte es nicht tun sollen ...

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