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1.7Der Pogrom von Alexandria

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In der Antike war die von Alexander d. Gr. im Jahr 332 v. Chr. gegründete Stadt Alexandria eines der mächtigsten Stadtzentren im Mittelmeerraum. Josephus zufolge war es eine multikulturelle Stadt par excellence. Palästinensische Juden siedelten in Alexandria bereits seit ihrer Entstehungszeit. Die Ptolemäer gewährten den Juden etliche Vergünstigungen, sodass sich die Stadt zu einem Magneten für Juden entwickelte, die in der Diaspora lebten. Das Verhältnis des Judentums zu den ptolemäischen Herrschern scheint weitgehend ungetrübt gewesen zu sein bis auf die Zeit der Thronwirren unter Ptolemäus IX., in der jüdische Opfer zu beklagen waren. Die Nachfolger Alexanders d. Gr. wiesen den Juden ein eigenes größeres Stadtareal in Alexandria zu. Die meisten Juden wohnten an der Meeresküste abseits vom Hafen. Das jüdische Stadtquartier stellte kein Ghetto dar, was der Tatbestand verdeutlicht, dass jüdische Synagogen als auch jüdische Geschäfte sowie Wohnungen im ganzen Stadtgebiet existierten. Die alexandrinischen Juden verfügten nicht über das städtische Bürgerrecht, sie bildeten eine autonome, staatlicherseits anerkannte Gemeinde, die eine eigene Verwaltung besaß, über eine eigene Gerichtsbarkeit verfügte und von einem Ältestenrat geleitet wurde. Die Juden der Stadt besaßen meist griechische Bildung und teilten das hellenistische Gedankengut, sodass die hebräische Bibel („Septuaginta“) in Alexandria ins Griechische übersetzt wurde und Gebete wie Toravorlesungen in griechischer Sprache erfolgten. Spannungen mit anderen religiösen Kulten existierten bereits recht früh, zumal sowohl die Religion des Judentums als auch die jüdische Kolonie über große Ausstrahlung verfügte und Konversionen alltäglich waren. Ebenso scheinen Mischehen alles andere als eine Seltenheit gewesen zu sein.

Zu den religiös motivierten Spannungen, die sich aus der Konkurrenzsituation einer monotheistischen Religion und ihres polytheistischen Umfeldes ergaben, gesellten sich „ethnische Erregtheiten“, die dem Sachverhalt geschuldet waren, dass Teile der Bevölkerung sich als „autochthone Ägypter“ betrachteten und in den meist bereits seit Generationen im Land anwesenden Juden noch immer Fremdlinge sahen, die erst mit den „griechischen Besatzern“ ins Land geströmt seien. Die antijüdische Stimmung besaß somit sowohl religiöse wie nationale Untertöne. Die spannungsgeladene ethnische Dreieckskonstellation zwischen Juden, Griechen und „autochthonen Ägyptern“, die über einen längeren Zeitraum vergleichsweise friedlich miteinander ausgekommen waren, verschärfte sich durch die als harte Unterdrückung wahrgenommene Herrschaft Roms. Die Juden wurden der Komplizenschaft mit den Römern bezichtigt und zogen den Hass der Bevölkerung als Stellvertreter der neuen Herren auf sich. Die Lage spitzte sich unter der Regentschaft Caligulas (12 n. Chr.–41 n Chr.) im Jahr 37 n. Chr. zu. Gegenstand der Auseinandersetzung, welche den heftigen Pogrom des darauf folgenden Jahres auslöste, wurde der Konflikt um die Frage, welche Bevölkerungsgruppen in Alexandria Bürgerrechte besitzen sollten und welche nicht. Die Juden hatten zwar bislang keine Bürgerrechte angestrebt, hofften nunmehr jedoch von Rom eine soziale Gleichstellung zu erhalten, zumal ihr Establishment hellenisierte und integriert war. Die Atmosphäre war durch die kontroverse Bürgerrechts-Debatte hassgetränkt und wurde durch literarische Antisemiten, deren Wortführer Apion und Isidorius waren, weiter angeheizt. Im Sommer 38 n. Chr. stattete Agrippa I. (10 v. Chr.–44 n. Chr.), dessen gutes Verhältnis zum römischen Kaiser Caligula ein offenes Geheimnis war, der Stadt einen Besuch ab und wurde von den Juden Alexandrias, die sich in der Frage der Bürgerrechte seine Unterstützung erhofften, triumphal empfangen. Angeheizt durch intellektuelle Wortführer und gestützt durch den römischen Statthalter Aulus Avillius Flaccus, der seine eigene Position im innerrömischen Machtgerangel stärken wollte, verhöhnte der Pöbel daraufhin Agrippa, legte Brand in einigen Synagogen und entweihte andere durch die Aufstellung von Bildsäulen Caligulas. Da der Kaiser seine göttliche Verehrung von allen zum römischen Imperium gehörenden Völkern gefordert hatte, war es vermutlich Flaccus, der diese Aktion initiierte, um die Gunst des Kaisers zu gewinnen, und der unverzüglich anordnete, die Statuen Caligulas in den Synagogen zu belassen.

Die bürgerrechtliche Gleichstellung der Juden untersagte Flaccus, der im gewalttätig ausgebrochenen Konflikt eine „divide et impera-Strategie“ verfolgte, um sich der griechischen wie ägyptischen Teile der Bevölkerung zu versichern. Als der Statthalter Roms öffentlich verkündete, die Juden seien als „Fremde“ anzusehen, war der mörderische Pöbel nicht mehr zu halten, der alsbald diejenigen Juden, die in der Stadt verstreut wohnten, aus ihren Häusern in Richtung des jüdischen Stadtquartiers trieb. Wohnungen wie Läden der Juden wurden geplündert und in Brand gesetzt. Juden, die anschließend noch in den „nichtjüdischen Stadtvierteln“ angetroffen wurden, ermordete die Menge. Berichtet wird, dass der wütende Mob auch nichtjüdische Ägypter umbrachte, die ihren Nachbarn zu Hilfe geeilt waren und diese in ihren Wohnungen versteckt hielten.

Mittels des Vorwands, das jüdische Stadtviertel nach Waffen zu durchsuchen, gestattete Flaccus seinen Soldaten die Plünderung jüdischen Besitzes, sodass es angetrieben durch räuberische Gier und Hass zu weiteren tödlichen Ausschreitungen kam. Zwar wurde Flaccus bereits im Herbst des Jahres 38 n. Chr. nach Rom abberufen, verfiel wegen früherer Delikte in Ungnade und wurde im kaiserlichen Auftrag getötet, doch die aggressive Judenfeindschaft blieb in Alexandria bestehen. Die Lage für die Juden gestaltete sich weiter als kritisch, zumal der Kaiser darauf bestand, dass die Bildsäulen seiner Person aus den Synagogen nicht entfernt werden dürften. Die eskalierende Situation führte zur Entsendung zweier alexandrinischer Abordnungen nach Rom. Hier eingetroffen obsiegten den Historiographen Philo und Josephus zufolge die von Apion angeführten judenfeindlichen Kräfte. Ihren Sieg konnten diese indes nicht auskosten, da Caligula alsbald eines gewaltsamen Todes starb und Kaiser Claudius (10 v. Chr.–54 n. Chr.) als dessen Nachfolger Rechte wie Sonderprivilegien der alexandrinischen Juden erneuerte. In den folgenden Jahrzehnten kam es in Alexandria jedoch zu zahlreichen weiteren antijüdischen Ausschreitungen, vor allem unter der Herrschaft Neros und Trajans. Wie bereits die Vorgänge in Elephantine zeigten, lässt sich der hist. Ursprung des antiken Antisemitismus in Ägypten verorten, wo es zu pogromartigen Übergriffen kam, unzählige Juden in den Flammen den Tod fanden, Synagogen verbrannten und ebenso ein recht umfassendes wie systematisiertes Set narrativer Rassifizierungstechniken bereitgestellt wurde, welches sowohl in die antisemitischen Diskurse Roms wie die des frühen Christentums einging.

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