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1.3Der erste Tatort: Elephantine in Ägypten

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Fährt man als Tourist mit einem Nildampfer, um die klassischen Ziele wie Luxor zu besichtigen, so kommt man vorbei an der Insel Jeb, die wegen ihrer Gestalt auch Elephantine genannt wird und sich in der Nähe von Syene befindet, dem heutigen Assuan, das sich am gegenüberliegenden Ostufer des Nils befindet. In Elephantine existierte in der Antike eine jüdische Militärkolonie, deren Größe auf ca. 1.500 Mann geschätzt wird. Aufgrund umfangreicher Papyrus-Funde in aramäischer Sprache ist das jüdische Leben in Elephantine recht gut dokumentiert. Jüdisches Söldnerwesen existierte wohl schon im 7. Jh. v. Chr., als die ägyptischen Könige Soldaten anwarben, um die Südgrenze Ägyptens gegen das Reich der Nubier zu schützen. Die Entstehungszeit der Militärkolonie von Elephantine lässt sich nur schätzen, sie wurde vermutlich bereits im 6. Jh. v. Chr. gegründet. Nachdem sich Ägypten von der assyrischen Herrschaft befreit hatte und seinerseits Palästina kontrollierte, verstärkten sich die Anwerbungen jüdischer Söldner für die ägyptische Armee. Besonders nach Zerstörung des Ersten Tempels im Jahr 586 v. Chr. handelte es sich um eine größere Anzahl Juden, die den Siedlungsangeboten der ägyptischen Herrscher folgten. Das Privileg zum Bau eines Tempels hatte die jüdische Kolonie von Elephantine bereits nach ihrer Ankunft von den ägyptischen Herrschern erhalten, sodass dieser bereits kurz nach Etablierung der Ansiedlung errichtet wurde. Der Tempel stand im Mittelpunkt des jüdischen Lebens und war dem „Gott Israels“ geweiht. Die Juden der Militärkolonie fühlten sich zugleich eng mit dem Jerusalemer Tempel verbunden und baten bspw. in Briefen um Unterstützung beim Pessachfest. Bedingt durch die umfangreichen Papyrusfunde des Althistorikers und Ägyptologen Eduard Meyer (1855–1930) Anfang des 20. Jh.s lässt sich der Ablauf der Zerstörung des Tempels von Elephantine im Jahr 411 v. Chr. aufschlussreich rekonstruieren.

Zu den Konstellationen, die zum Aufstand von Elephantine führten, gehört der historische Sachverhalt, dass die Selbstständigkeit Ägyptens mit der Eroberung des Landes durch den persischen Herrscher Kambyses endete, der seinerseits durchaus Interesse an den jüdischen Söldnern zeigte, um mit ihrer Hilfe die Ordnung in Oberägypten aufrechtzuerhalten. Bei den Akteuren des antijüdischen Aufstands handelte es sich um ägyptische Priester des benachbarten Tempels des Widdergottes Chnum, deren Motive aus einer religiösen Konkurrenzsituation heraus resultierten sowie aus dem an die elephantinischen Juden gerichteten Vorwurf, diese paktierten als Söldner mit den persischen Herrschern über Ägypten. Das Schüren des Judenhasses stützte sich so auf die klassische Konstellation der Diaspora-Situation, welche durch die militärische Funktionstätigkeit der Juden verstärkt wurde. Während sich die Protagonisten des Konflikts zu „genuinen Einheimischen“ konstruierten, warfen sie den „jüdischen Fremdlingen“ mangelnde Solidarität bzw. fehlende „Vaterlandstreue“ vor. Die Konstruktion der Juden als Fremdlinge erfolgte, obwohl diese seit mehreren Jahrhunderten im Land waren, öffentliche Ämter bekleideten, in vielfältige Weise in das soziale wie wirtschaftliche Leben eingebunden waren und es nicht selten zu „gemischt-ethnischen Ehen“ kam. Die elephantinischen Juden befanden sich so in einer politischen Konstellation aus der sie nur als Verlierer hervorgehen konnten. Mangelnde Treue zu den persischen Oberherren hätte unweigerlich diese auf den Plan gebracht, während umgekehrt ägyptische Priester vor Ort gegen sie patriotisch hetzten. Der Konflikt eskalierte zur offenen Gewalt, als es den ägyptischen Priestern gelang, den persischen Gouverneur zu ihren Gunsten in die Auseinandersetzung einzubinden. Der aufgebrachte Pöbel zerstörte den über 300 Jahre alten Tempel von Grund auf.

Der Pogrom von Elephantine ist ein Beispiel dafür, dass ein relevanter Sachverhalt bezüglich des Antisemitismus bereits seit der Antike in der Diasporasituation der Juden zu finden ist. Dies darf jedoch nicht als kausaler Automatismus verstanden werden, insofern es stets soziale Kräfte und benennbare Personen waren, die Menschen wie die elephantiner Juden, die sich bereits seit Jahrhunderten im Land befanden, zu hasswürdigen Fremden konstruierten. In politischen wie sozioökonomischen Krisenepochen ließ sich der Sachverhalt der Diaspora für die wahren kausalen Motive wie Interessenlagen judenfeindlicher Akteure indes erfolgreich instrumentalisieren. Die Diasporasituation des Judentums stellte in der Antike wie in den nachfolgenden Zeiten einen nutzbringenden Vorwand und nicht den Grund antisemitischer Ressentiments dar. Insbesondere bei politischen Konflikten wurden die Juden wie in Elephantine vor die Wahl gestellt, ihre Option zugunsten der einen oder der anderen Kraft zu treffen. Entschieden sie sich für eine der beiden Seiten, so war ihnen der Hass der jeweils anderen gewiss, deren Angehörige nunmehr gestützt auf ihre „vaterlandsverräterische Wahl“ bereits schwelende sozioökonomische wie religiös-motivierte Konflikte zwecks eigener Vorteilsaneignung entfachten.

Bezüglich des religiösen Konflikts in Elephantine geht der Altertumswissenschaftler Zvi Yavetz davon aus, dass die Juden spätestens nach Zerstörung des Ersten Tempels in Jerusalem im Jahr 586 v. Chr. im elephantinischen Tempel einen Widder opferten, vermutlich sogar bereits seit Errichtung des Tempels. Der Pogrom im Jahr 411 v. Chr. lässt sich folglich nicht monokausal mit der rituellen Schlachtung des Tieres begründen, insofern es in der langen Phase dieser Praxis zuvor nicht zu tätlichen Auseinandersetzungen kam. Zwar hielten die ägyptischen Priester des benachbarten Chnum-Tempels die Schlachtung des Tieres bereits seit Längerem für einen Frevel, bezüglich der religiösen Faktoren darf jedoch nicht übersehen werden, dass in der Antike das Judentum eine erfolgreich missionierende Religion darstellte, sodass verschiedene Faktoren zu einer an Schärfe gewinnenden Konkurrenzsituation beitrugen, in der ein Teil der Priesterschaft des unmittelbar benachbarten Kultes den Pöbel gegen die Juden hetzte. Die Situation der elephantiner Juden verschlechterte sich indes erst, als Ägypten seit dem Jahr 525 v. Chr. zum Perserreich gehörte, sodass die Juden zwangsläufig in die Auseinandersetzung Ägyptens mit den persischen Eroberern gerieten. Die Juden wurden nunmehr als Günstlinge sowie Verbündete der Perser betrachtet, zumal sie diesen die Treue hielten, als es zu zahlreichen Aufständen in Ägypten gegen die persische Herrschaft kam. Religiöse Motive, politische Motive sowie die unmittelbare Konkurrenzsituation zweier benachbarter Kulte mischten sich in Verbindung mit der Diasporasituation zu einem gefährlichen Gemisch, welches Priester des Chnum-Tempels im Kontext der antipersischen Stimmungslage nutzten, um den Pöbel zur Zerstörung des jüdischen Tempels aufzuhetzen. Möglich wurde dies jedoch, so Yavetz, nur durch die korrupten persischen Behörden vor Ort, die den Tempel der Juden als „Blitzableiter“ opferten, um die eigentlich gegen sie gerichtete Situation zu „befrieden“. Im Jahr 411 v. Chr. schrieben die Täter Geschichte, insofern mit der Zerstörung des Tempels in Elephantine der Antisemitismus seinen Anfang nahm.

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