Читать книгу Antisemitismus - Achim Bühl - Страница 19
1.14Zusammenfassung
ОглавлениеIn historischen wie soziologischen Werken zur Judenfeindschaft wird die Bedeutung der Antike für die Entstehung und Genese des Antisemitismus weitgehend unterschätzt, was der Sachverhalt offenbart, dass diese zumeist gänzlich ausgeklammert bleibt oder ihr nur wenige Zeilen gewidmet werden. Deutlich wird dies am verfehlten dichotomen Konstrukt eines „Antijudaismus“ versus eines „Antisemitismus“, insofern diese Dualität verkennt, dass bereits in der Antike ein Ensemble an Wirkungsfaktoren höchst dynamisch ineinandergriff und die Beweggründe der Judenfeinde keineswegs stets religiöser Natur waren. Diesen Sachverhalt verdeutlicht der Pogrom von Alexandria, der bereits „moderne Züge“ vorwegnahm, insofern es primär darum ging, die soziale Gleichstellung der Juden als vollberechtigte alexandrinische Bürger zu verhindern. Die Promotoren des antijüdischen Pogroms von Alexandria erinnern bereits an den Kreis der Gegner der jüdischen Emanzipation in der „Franzosenzeit“, die sich zu Beginn des 19. Jh.s in Preußen in der Deutschen Tischgesellschaft zusammenfanden, insofern es in beiden Fällen darum ging, den Juden ihre staatsbürgerliche Gleichberechtigung streitig zu machen.
In der Antike spielten sowohl religiöse wie kulturelle, soziale und politische Faktoren eine relevante Rolle beim Zustandekommen der Judenfeindschaft. Zu unterscheiden ist zwischen dem vorchristlich-antiken sowie dem christlichen Antisemitismus. Die Relevanz des „heidnischen Antisemitismus“ für die Entstehung christlich-antijüdischer Stereotype wird häufig unterbewertet, zeigt sich indes bereits anhand des Judenexkurses des Historiographen Tacitus, dessen antijüdische Diffamierungen seitens der christlichen Kirchenväter weitgehend übernommen wurden. Der christliche Antisemitismus etablierte sich in dem Maße, wie sich das Christentum nicht mehr als Teil des Judentums verstand, sondern eine eigene sich abgrenzende Identität entwickelte. Dieser Prozess setzte mit Paulus von Tarsus ein, der sich als äußerst erfolgreicher Missionar auf die sog. „Heidenmission“ konzentrierte. Als einer der ersten christlichen Theologen forcierte er die Trennung des Christentums vom Judentum, indem er die jüdischen Speisegesetze sowie die Beschneidung für „Heidenchristen“ als obsolet betrachtete. Paulus von Tarsus verbreitete das kriminalisierende Pejorativum vom Gottesmord in der Variante einer Kollektivschuldaussage, welche „die Juden“ für die Kreuzigung Christi verantwortlich machte. Der Judenhass erhielt so sukzessiven Eingang u. a. in den noch jungen Gemeinden Kleinasiens. Der sich zwischen 70 und 100 n. Chr. verstetigende Prozess der Trennung, der bereits mit deutlichen antijüdischen Ressentiments versehen war, verstärkte sich noch im Kontext der Etablierung des Christentums als Staatsreligion des Römischen Reiches im 4. Jh. Das 4. Jh. n. Chr. stellt einen ersten Höhepunkt des christlichen Antisemitismus dar, was diverse Schriften der Kirchenväter des 4. Jh.s offenbaren wie bspw. Ambrosius von Mailand, Augustinus von Hippo, Eusebius von Cesarea und Johannes Chrysostomos.