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2.1Die christlich-feudale Ständegesellschaft

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Die Position der Juden in der frühmittelalterlichen Gesellschaft resultierte aus der vom Kirchenlehrer Augustinus (354–430 n. Chr.) entwickelten „Judentheologie“. Die Existenzberechtigung der Juden sowie die Anerkennung des Judentums als zugelassener Religion folgte aus der Sichtweise, dass deren Anwesenheit erforderlich sei, um die Christusprophezeiungen des Alten Testaments zu beglaubigen. Bei Augustinus stellen die Juden »unfreiwillige Zeugen« von der Wahrhaftigkeit der christlichen Botschaft dar. Die Existenz der Juden galt es zu bewahren, da erst das apokalyptische Gericht darüber zu entscheiden habe, was mit ihnen geschehen solle. Diese Sichtweise ging mit der Vorstellung einher, ein Großteil der Juden werde sich in der Endzeit zu Christus bekennen, während der andere Teil sich mit dem Antichristen verbünden und gegen die Christenheit kämpfen werde, die in den Schlachten der Apokalypse obsiegt. Die Aufgabe der mit Blindheit geschlagenen Juden bestehe im Diesseits darin, den Christen zu Diensten zu sein, ihnen die heiligen Bücher zu tragen, deren Botschaft sie sträflich missachteten. Die „christliche Toleranz“ gründete so aus dem Zusammenspiel von Dienstbarkeit, Zeugenschaft zugunsten der Kirche sowie der funktionalen Rolle der Juden im chiliastischen Endzeit-Szenario. Insofern Gott die Juden für ihre Bekehrung am Jüngsten Tag vorgesehen habe, sei es folglich eine Sünde sie zu töten. Die Duldung der Juden war gekoppelt an die christliche Heilsgeschichte bzw. an die göttliche Vorherbestimmung. Die dergestalt lediglich tolerierten Juden verfügten als religiöse Minderheit über gewisse Sonderrechte seitens der politischen wie der religiösen Obrigkeit.

Die strukturellen Elemente des Antisemitismus waren im Status der Juden als sozialer wie religiöser Randgruppe angelegt, die im Spannungsverhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Obrigkeit lebte und deren Position von der Stärke der politischen Zentralgewalt abhängig war, die sie ihrerseits jederzeit ausweisen konnte, wenn dies aus pekuniären Interessen dem Herrscher für opportun erschien. Die germanischen Nachfolgestaaten, die sich auf dem Boden des ehemaligen Römischen Reiches bildeten, duldeten die Juden auf Basis des weiterhin gültigen Codex Theodosianus. Unter Papst Gregor I. (540–604 n. Chr.) avancierte die augustinische „Judentheologie“ zur offiziellen Position der Kirche. Zwar betrachtete der Papst die Judenmission als eines seiner Hauptanliegen, die Ausübung der jüdischen Religion blieb jedoch nicht nur geschützt, auch Zwangstaufen sowie die Enteignung von Synagogen wurden verboten. Im Unterschied zur Gehässigkeit der Adversus-Judaeus Texte propagierte Gregor I. das bei Augustinus angelegte Konzept der Endzeiterwartung. Für Gregor I. resultierte die Behandlung der Juden aus dem Sachverhalt, dass Gott sie bereits durch die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und durch ihre Zerstreuung bestraft habe.

Im karolingischen Frankenreich war die Situation der Juden vergleichsweise erträglich, was aus dem Interesse der Herrscher an rascher Expansion sowie an einem funktionierenden Fernhandel resultierte. Jüdische Händler verfügten über das Orient- sowie Osteuropa-Monopol und sollten helfen, Luxusartikel zu beschaffen. Unter den Karolingern wurden ihnen vielfältige Privilegien gewährt, zumal ihre Aktivitäten angesichts der noch relativ schwach entwickelten Städte maßgeblich zum wirtschaftlichen Wachstum beitrugen. Die karolingischen Herrscher des Frankenreichs untersagten die Taufe heidnischer Sklaven der Juden, um auf diese Weise jüdischen Großgrundbesitz als relevanten Wirtschaftsfaktor zu schützen. Der Sachverhalt, dass es diesbezüglich zu Protesten der Kirche kam, verdeutlicht die strukturelle Problematik jüdischer Existenz, die aus ihrer juristisch kodifizierten Minderheitenrolle sowohl im staatlichen Recht wie im Kirchenrecht resultierte. Auch unter den Ottonen und Saliern, welche die karolingischen Privilegien durch die Gewährung des Schutzes von Leib und Leben sowie die weitgehende Gleichheit vor Gericht erweiterten, blieb die Handelstätigkeit der Juden von herausragender Bedeutung.

Erst die Kreuzzüge stellten eine qualitative, nachhaltige Zäsur der Lage der Juden dar. Die „militärischen Wallfahrten“ bedeuteten nicht zuletzt einen tiefen gruppenpsychologischen Einschnitt, insofern die Erfahrung unmittelbarer exzessiver Gewalt tiefe Spuren hinterließ, und der kriegerische Konflikt einen ökonomischen, sozialen, politischen und kirchenrechtlichen Wandel einleitete, der sich negativ auf die Juden auswirkte. Sozioökonomisch nicht zu unterschätzen ist der Tatbestand, dass bedingt durch die Kreuzzüge die Rolle der Juden im Fernhandel im Schwinden war. Christliche Kräfte eroberten sich auf militärischem Weg neue Routen, sodass sich die wirtschaftlichen Parameter zuungunsten der Juden verschoben. Mit den Kreuzzügen sowie der Vertreibung der Juden aus Spanien brach die Zeit christlicher Handelshäuser sowie christlicher Kaufleute an, die nunmehr den Levante-Handel dominierten. Für die Lage der Juden relevant war ebenso der Sachverhalt, dass im Umfeld mystischer Bewegungen, der kriegerischen Mobilisierung der Volksmassen sowie der Existenz von Bettelorden sich das Christentum tiefgreifend wandelte, wofür nicht zuletzt das Schweigen des Papstes Urban I. angesichts der exzessiven antijüdischen Gewaltwelle im Kontext der Kreuzzüge symptomatisch war. Die Sichtweise der augustinischen Judentheologie wurde durch ein Papsttum relativiert, das sich auf Kosten der Juden mit den unteren sozialen Volksschichten verbündete. Bedingt durch die Lehre von der Transsubstantiation entwickelten sich in Gestalt der Ritualmord- sowie der Hostienfrevellegende völlig neue antisemitische Narrative.

Die kirchliche Judenpolitik verschob sich mit den Kreuzzügen von einer in Gestalt der Judenmission sowie des Ideologems vom endzeitlichen Übertritt der Juden doppelt strukturierten Assimilation zu einer Segregation, welche auf die systematische Separierung zwischen Juden und Christen hinauslief. Die deutliche Verschiebung in der Gewichtung verdeutlichen die Beschlüsse der Laterankonzile. Im Jahr 1179 verbot das dritte Laterankonzil die Beschäftigung von christlichen Dienern in jüdischen Haushalten. Deutlich eingeschränkt wurde die den Juden unter den Karolingern zugesicherte weitgehende Chancengleichheit vor Gericht, insofern nunmehr christliche Zeugen in Prozessen gegen Juden hinzuzuziehen waren. Bereits zuvor verbot das Konzil unter Papst Alexander II. (1010–1073) den Juden die Enterbung jüdischer Konvertiten. Im Jahr 1215 verabschiedete das 4. Laterankonzil unter Papst Innozenz III. (1160/1161–1216) weitere Segregationsmaßnahmen. Juden mussten sich fortan in ihrer Kleidung von Christen unterscheiden und durften sich zu Ostern nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen. Die Übertragung von Ämtern an Juden wurde unter Androhung der Exkommunikation verboten, die Rückkehr von freiwillig Getauften zum Judentum wurde unterbunden. Zwar besaß der päpstliche Schutz der Juden vor Zwangstaufe, Beraubung, Verletzung oder Tötung, das Verbot jüdische Friedhöfe zu schänden oder jüdische Rituale zu stören weiterhin Gültigkeit („Sicut-Judaeis-Bullen“), jedoch wurde bereits unter Papst Innozenz III. die Garantie in gravierender Weise durch einen Schlusssatz abgeschwächt, insofern dieser den Geltungsbereich auf Juden beschränkte, die den christlichen Glauben nicht untergrüben. Zwar wurden die Beschlüsse der Laterankonzile keineswegs unverzüglich umgesetzt, doch kirchliche Autoritäten drängten stets aufs Neue die politische Obrigkeit dazu, Juden aus Amtsstellungen zu entfernen, gegen Proselytenmacherei vorzugehen und die Beschäftigung christlicher Dienstleute zu unterbinden. Sukzessive wurde die von kirchlicher Seite betriebene Segregationspolitik verschärft sowie die Autorität staatlicher Regulierung des Verhältnisses zwischen Juden und Christen untergraben.

Die Kreuzzüge bildeten auch insofern einen qualitativen Einschnitt, als es dem Papsttum gelang, seine Macht auf Kosten der geschwächten politischen Zentralgewalt zu stärken. Die Zentralgewalt reagierte mit dem im Landfrieden von 1179 festgelegten Prinzip der „Kammerknechtschaft“, das alle Juden des Reichs als zur Kammer zugehörige Knechte deklarierte. Die Kammerknechtschaft bestätigte einerseits jüdische Privilegien, andererseits postulierten die Herrscher mit ihrer Einführung zugleich die Verfügungsgewalt über jüdisches Vermögen wie Nachlässe und schränkten die freie Mobilität der Juden ein, die in der Karolingerzeit unhinterfragt gegolten hatte. Mit der abschließenden Etablierung der christlichen Zünfte im 13. Jh. sowie dem parallel laufenden Verdrängungsprozess der Juden aus dem Fernhandel mussten sich diese nun weitgehend auf Kreditvergabe, Pfandleihe sowie den ländlichen Warenhandel beschränken, was mit einer weiteren sozialen Verschlechterung ihrer Lage einherging.

Nach den Kreuzzügen bildeten im Mittelalter die Zeit des „Schwarzen Todes“ sowie die damit einhergehende Pogromwelle den zweiten großen Einschnitt. Als die Pestwellen abebbten durften sich Juden zwar wieder in den Städten niederlassen, doch da nunmehr auch die Bankgeschäfte weitgehend in christlichen Händen lagen, wurden sie für längere Zeit mit Ausnahme weniger städtischer Gemeinden in Kleinstädte oder in dörfliche Bereiche („Landjudentum“) abgedrängt.

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