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1.11Das frühe Christentum
ОглавлениеDie bei Paulus sowie in den Evangelien angelegten judenfeindlichen Attacken wurden von den Kirchenvätern nicht nur aufgegriffen, sondern weiter verschärft. Als älteste antijüdische Apologie gilt die vom Kirchenvater Justinus (100 n. Chr.–165 n. Chr.) verfasste und in Gestalt eines platonischen Dialogs gehaltene Schrift Dialog mit dem Juden Tryphon. Justinus gilt als der erste Autor, welcher die Juden ausdrücklich als »Feinde Christi« sowie als »Gegner der Christen« bezeichnete. Die Juden hätten ihren Anspruch das Volk Israel zu sein verwirkt, das »wahre Israel« repräsentiere nunmehr ausschließlich die Christenheit. Die Schrift des christlichen Kirchenlehrers und Philosophen belegt, dass der Topos vom Gottesmord von Beginn an konstitutiv wie prägend für die christliche Judenfeindschaft war. Die Juden seien diejenigen, welche Jesus gekreuzigt hätten, seinen Namen lästerten und ihre Freveltaten nicht bereuten, so der zentrale Vorwurf der Schrift. Die Juden seien ferner unbußfertig, streitsüchtig, gehässig, hartherzig und ein seelenkrankes, sündiges Volk, das sich durch Verblendung und Anmaßung auszeichne. Mit dem Apostel Paulus übereinstimmend schreibt Justinus, dass die Beschneidung allein für die Juden eine Pflicht gewesen sei, für Christen hingegen als entbehrlich gelten könne.
Im 2. Jh. n. Chr. entwickelten sich die „Streitschriften gegen die Juden“ zu einer literarischen Gattung. Erhalten geblieben ist auch das Werk des frühchristlichen Schriftstellers Tertullian (150–220 n. Chr.) mit dem Titel Adversus Iudaeus, das dieser um 200 n. Chr. verfasste. Tertullian griff die Gedanken des Apostels Paulus betreffs der jüdischen Gesetze auf und differenzierte zwischen ewigem und zeitlichem Gesetz. Während die ewigen Gesetze bereits im Paradies gegolten hätten, sei die Beschneidung mit der Errichtung des „Neuen Bundes“ überflüssig geworden. Im Unterschied zum Judentum sei die Beschneidung im Christentum keine fleischliche mehr, sondern eine »geistige Veredlung der Menschheit«. Die Propheten Noah und Abraham seien auch ohne Beschneidung »Gerechte« gewesen. Das zeitliche Gesetz, dem sich die Juden noch immer unterwürfen, sei durch Jesus Christus als Erlöser überholt. Sabbat-, Beschneidungs- wie Opferregeln seien obsolet, die Zeit der von Gott abgefallenen Juden sei abgelaufen, was ihre Vertreibung durch die Römer belege. Die Gegenüberstellung von „ewig“ und „zeitlich“, „alt“ und „neu“ stellt einen kompromisslosen Bruch mit dem Judentum dar sowie eine radikale Enteignung der genuinen jüdischen Identität. Die hebräische Bibel mutiert bei Tertullian zum „Alten Testament“ des Christentums, das als „Neuer Bund“ zugleich seinen Anspruch auf Propheten wie Noah und Abraham postuliert, während das Judentum als Anachronismus zeitlich befristeter Mosaischer Gesetze präsentiert wird.
Mit der Etablierung des Christentums zur römischen Staatsreligion verschärften sich die antijüdischen Töne weiter und gehörten zum Standardrepertoire christlicher Kirchenväter. Athanasius von Alexandria (295–373 n. Chr.) erweiterte den Topos des Christusmordes, insofern diejenigen, die Christus schmähten, auch gegen Gottvater kämpften. Die »Leugnung Christi« stelle eine Form von Gottlosigkeit der Juden dar. Für Athanasius waren die Juden die »schlimmsten Kirchenschänder« gleich hinter den die Trinitätslehre ablehnenden Arianern. Der Erzbischof von Caesarea, Basilius der Große (330–379 n. Chr.), bezeichnete die Juden als »Fürsten Sodoms«, deren Hände durch die Ermordung des Gottmenschen befleckt seien. Ihre Schuld sei untilgbar und werde auf die kommenden Generationen vererbt. Das Judentum sei ein Feind des Christentums, ihre Synagogen seien »Orte der Verlassenheit«. In den Schriften von Johannes Chrysostomos (349/344–407 n. Chr.) finden sich noch aggressivere Passagen, welche für das vierte Jahrhundert indes als durchaus typisch gelten können. So heißt es bspw.:
»Weil ihr Christus getötet habt, weil ihr gegen den Herrn die Hand erhoben habt, weil ihr sein kostbares Blut vergossen habt, deshalb gibt es für euch keine Besserung mehr, keine Verzeihung und auch keine Entschuldigung. Denn damals ging der Angriff auf Knechte, auf Mose, Jesaja und Jeremia. Wenn auch damals gottlos gehandelt wurde, so war das, was verübt wurde, noch kein todeswürdiges. Nun aber habt ihr alle alten Untaten in den Schatten gestellt durch die Raserei gegen Christus. Deshalb werdet ihr auch jetzt mehr gestraft. Denn, wenn dies nicht die Ursache eurer gegenwärtigen Ehrlosigkeit ist, weshalb hat euch Gott damals ertragen, als ihr Kindesmord begangen habt, wohingegen er sich jetzt, da ihr nichts derartiges verübt, von euch abwendet? Also ist klar, dass ihr mit dem Mord an Christus ein viel schlimmeres und größeres Verbrechen begangen habt als Kindesmord und jegliche Gesetzesübertretung.« (www.amertin.de/aufsatz/1988/eccehomo2.htm)
Das Motiv des Kindesmords bei Chrysostomos, welches sich auf die Exodus-Erzählung bezieht, stellt bereits ein Vorläuferstereotyp der Ritualmordlegende dar. Die Relevanz der Schriften von Chrysostomos ergibt sich aus dem vergleichsweise hohen Grad ihrer Verbreitung wie Rezeption.
Für den Kirchenvater Sophronius Eusebius Hieronymus (347–420 n. Chr.) haben sich die Juden als Gottesmörder versündigt und müssen dafür in der ganzen Welt umherirren. Die Synagoge ist für den spätantiken Kirchenlehrer ein »Ort des Satans«. Nicht nur Judas, sondern die Juden insgesamt seien Verräter, Feinde und Verfolger der Christen. Die Bedeutung von Hieronymus im Kontext der Judenfeindschaft folgt aus dem Sachverhalt, dass er den Kirchenvater Augustinus von Hippo (354–430 n. Chr.) stark beeinflusste. An der Schnittstelle von Antike und Mittelalter stehend bilanzierte Augustinus die frühchristliche Judenfeindschaft in scharfen Worten und legte so das antijüdische Fundament der mittelalterlich-christlichen Kirche. Neben dem bekannten Stereotyp des Gottesmords ist die negative Charakterisierung der Juden auffallend. Juden seien krank, bösartig, grausam, gefährlich, schmutzig, feindselig und wild. Die Juden waren für Augustinus nicht nur ein verbrecherisches Volk sowie die Feinde der Christen, sondern zugleich deren Sklaven. Als Strafe für ihre Sünde, so Augustinus, sollten die Juden den Fürsten als tributpflichtige Sklaven dienen und hätten von Ämtern und Herrschaft ausgeschlossen zu sein und im Elend zu leben.
Die antijüdische Praxis bestand im Kontext des Frühchristentums nicht nur aus den literarischen Schriften der Kirchenlehrer, sondern ebenso aus zahllosen Erlassen der frühen christlichen Synoden. Bereits die Synode von Elvira (zwischen 295–314 n. Chr.) verbot die Eheschließung von Christen und Juden und untersagte die Speisegemeinschaft mit Juden. Die synodalen Beschlüsse zielten auf die alltägliche Trennung zwischen Juden und Christen wie auf die umfassende Verdrängung des Judentums aus der Öffentlichkeit.