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1.8Der judenfeindliche Diskurs des vorchristl. Roms

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Im Kontext des Widerstands der Juden gegen die römische Besatzungsmacht entwickelte sich eine ausgeprägte Judenfeindschaft. Die feindliche Aversion gegen die Juden besaß im Kontext der Kriegssituation einen zielgerichteten Charakter und ging qualitativ deutlich über die übliche und weitverbreitete Verachtung Roms gegenüber den „Barbaren“ hinaus, was die Schriften des römischen Senators und Historikers Publius Cornelius Tacitus (55/58–120 n. Chr.) verdeutlichen. In seinem Geschichtswerk, den Historien, findet sich ein Kapitel zum jüdischen Krieg sowie eine Darstellung des antiken Judentums („Judenexkurs“) mit zahlreichen antijüdischen Stereotypen, die von nun an das Fremdbild prägten. Auf eklektische Weise bündelte Tacitus diverse Narrative, die bereits der judenfeindliche Diskurs des Hellenismus hervorgebracht hatte. Den Grund seiner antijüdischen Ausfälle offenbart Tacitus, wenn er von der römischen Verbitterung darüber spricht, »dass die Juden als einzige sich nicht gefügt« hätten. Der Hintergrund der judenfeindlichen Ausfälle wird im fünften Buch der Historien beschrieben. Tacitus schildert hier die militärischen Vorbereitungen der Römer zur Eroberung Jerusalems. Als Tacitus den „Judenexkurs“ verfasste, befand sich Jerusalem folglich noch nicht in der Hand der Römer, die Erstürmung durch den römischen Kaiser Titus (39–81 n. Chr.) im Jahr 70 n. Chr. stand noch bevor. Als Tacitus den Text schrieb, stellten die Juden noch einen ernstzunehmenden Gegner dar, zumal sich die Kämpfe bereits über einen längeren Zeitraum hinweg erstreckten. Der hist. Kontext offenbart die Funktion des römischen Antisemitismus in dieser Zeit, insofern Tacitus’ Judenfeindschaft der Tatsache geschuldet war, dass der „jüdische Krieg“ nennenswerte Kapazitäten Roms band, sich als äußerst kostenintensiv erwies und einen Prestigeverlust der Großmacht bewirkte, die befürchtete, die „Nichtfügung“ der Juden könne im Imperium Romanum Schule machen. Der Antisemitismus zielte auf die Diffamierung des militärischen Gegners, den es aufgrund seiner „Verschiedenartigkeit“ vor allen anderen Völkern der Lächerlichkeit preiszugeben galt, wodurch mögliche Solidaritätsbekundungen mit den Aufständischen in Palästina unterbunden werden sollten.

Vom Exodus der Juden weiß Tacitus in seinen Historien zu berichten, dass in Ägypten eine Seuche ausgebrochen sei und der ägyptische König die göttliche Anweisung erhalten habe, die Juden als Heilmittel in andere Länder abzuschieben, da sie den Göttern verhasst seien. Tacitus übernahm somit die hellenistische Variante des „Anti-Exodus“, die zu seiner Zeit in Rom kursierte. Bzgl. der jüdischen Riten verbreitete Tacitus die Ansicht, diese seien nicht nur den Römern, sondern allen Sterblichen entgegengesetzt.

»Moses aber führte neue Riten ein, die denen der übrigen Sterblichen entgegengesetzt sind, um auch in Zukunft das Volk fest im Griff zu haben. Dort ist alles unheilig, was bei uns heilig ist, andererseits ist bei ihnen erlaubt, was bei uns ein Frevel ist. Dem Bild des Tieres, das sie vor dem Verdursten bewahrt und ihnen geholfen hatte, den richtigen Weg zu finden, ließen sie im Innersten des Heiligtums göttliche Verehrung zukommen.« (Tacitus: Historien 5,4)

Der Jude wird auf diese Weise bei Tacitus nicht nur zu einem Antipoden des Römers, sondern gar zum Gegner der Menschheit konstruiert. Die Riten der Juden charakterisierte der römische Historiograph insgesamt als »unheilvoll«, »schrecklich« und »verderbt«. Am verwerflichsten wie abscheulichsten hielt Tacitus die Beschneidung, die er sowohl als Abgrenzungs- wie als Konversionsritus interpretierte. In der antiken Literatur erstreckte sich die Resonanz auf die Zirkumzision von Bespöttelung über Hohn bis hin zur offenen feindlichen Aversion. Die feindselige Haltung gegenüber der Beschneidung war mit der Sexualisierung des Juden verkoppelt, die von der Vorstellung, der Beschnittene könne es einer Frau „nicht richtig besorgen“ bis hin zum Bild des lüsternen, überpotenten, allseits bereiten Juden reichte. Die Konstruktion der sexuellen Potenz des Juden verfolgte den Zweck, ihn aus der zivilisierten Welt auszuschließen, ihn den „Barbaren“ zuzurechnen. Die Unterdrückung der Juden gibt Tacitus als eine gerechtfertigte, moralische Notwendigkeit aus, insofern die Hebräer aufgrund ihrer fehlenden Triebunterdrückung den Tieren vergleichbar seien. Die untrennbare Verbindung zwischen sexueller Impotenz bzw. Potenz und Beschneidung diente bereits in der Antike dem Schüren der Kastrations- wie der Konkurrenzangst.

In der spätrömischen Biografie-Sammlung Historia Augusta wird die Beschneidung im Kontext des Verbots durch den römischen Kaiser Hadrian als »mutilare genitalia« bezeichnet. Der Verfasser führte damit ein bis heute gängiges antisemitisches Stereotyp ein, die polemische Falschbezeichnung der Zirkumzision als »Verstümmelung«, als »Kastration«. Die Zirkumzisions-Aversion war nicht nur mit der Variante der Sexualisierung verbunden, sondern ebenso mit der Physiognomisierung bzw. Ästhetisierung, insofern der unbeschnittene Penis als Ideal des „römischen Körpers“ galt. Im Kontext der Beschneidung wurde dem Juden so ein „anderer, abweichender Körper“ bescheinigt, der nicht mit dem gängigen römischen Schönheitsideal kompatibel sei. Der beschnittene jüdische Mann mutierte auf diese Weise zur hässlichen Person. Die Hässlichkeit bezog sich dabei nicht nur auf den Penis, sondern auf den Körper in Gänze, dessen Gestalt bzw. Aussehen die Zirkumzision determiniert habe. Der beschnittene, unästhetische Penis zog gewissermaßen den „Judenbuckel“ und die sog. „Judennase“ nach sich.

Tacitus konnotierte die Juden ebenfalls mit der Gier nach Macht und Geld, wofür ihm die Tempelsteuer als Beleg diente. Das Groteske des Vorwurfs wird daran sichtbar, dass Tacitus ein Vertreter des Imperium Romanum war, das zu diesem Zeitpunkt bereits den ganzen Mittelmeerraum unterworfen hatte und seine imperialen Machtansprüche in Gestalt der Provinz Britannia bis nach England ausdehnte. Die von Tacitus verwandten antijüdischen Pejorativa wurden seitdem immer wieder aufgegriffen, wobei sich die vermeintliche Misanthropie, der Menschenhass der Juden, einer besonderen Beliebtheit erfreute. Im „Judenexkurs“ nimmt die diffamierende Anklage, die Juden hassten die gesamte Menschheit, einen zentralen Stellenwert ein: »Weil sie in Treue fest zueinander stehen, üben sie bei sich selbst Mitleid, aber feindseligen Hass gegenüber allen anderen.«

Ein weiteres gängiges hellenistisches Stereotyp aufgreifend notierte Tacitus, dass der Sabbat ein Ausdruck der Faulheit der Juden sei, da es sich in Wahrheit bei ihnen um »Nichtstuer« handele. Eine relevante Rolle spielte im judenfeindlichen Diskurs des vorchristlichen Roms ebenso der Vorwurf der Blasphemie. Bei Tacitus erscheinen die Juden als wahre Gotteslästerer, insofern der röm. Historiograph ihre Riten nicht im Kontext der jüdischen Religion erklärt, sondern als Affront gegen andere Religionen interpretiert. So würden die Juden den Widder schlachten, um dem Gott Amun, dem Fruchtbarkeitsgott der altägyptischen Religion, »Schmach anzutun«. Der Stier wiederum werde geopfert, weil die Ägypter Apis verehrten. Nicht die Judenfeindlichkeit ist für Tacitus die Ursache der Konstruktion bzw. der Wahrnehmung der „Andersartigkeit“ der Juden, vielmehr dient die jüdische Lebensweise als kausale Erklärung für Spannungen, Feindlichkeit und Vertreibung. Nicht zuletzt die Behauptung, die Juden trügen die Schuld am Antisemitismus selbst, machte den „Judenexkurs“ des Tacitus in der Folgezeit so populär. Antisemitismus existiert laut Tacitus, weil die Juden die »schlechtesten Elemente« der Menschheit darstellen.

Tacitus war indes keineswegs der einzige judenfeindliche Literat des vorchristlichen Roms. Die Liste umfasst vielmehr nahezu das gesamte „Who’s Who“ der antiken römischen Literatur wie Historiographie. Neben Tacitus waren es vor allem Cicero, Seneca, Quintilian, Juvenal und Martialis, die den Judenhass verbreiteten und sich wie Tacitus hellenistischer Pejorativa bedienten. Viele der von ihnen verwendeten Narrative gelangten in den antijüdischen Diskurs des frühen Christentums. Höchst auffallend ist der Parallelismus der politischen Konstellationen. Galt der Antisemitismus der hellenisierten Oberschicht der Diffamierung Judäas im Kontext des jüdischen Abfalls vom Seleukidenreich, war es im Römischen Imperium der jüdische Versuch der Etablierung eines eigenen Nationalstaates, d. h. die Loslösung von Rom, die den antijüdischen Hass generierte.

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