Читать книгу Antisemitismus - Achim Bühl - Страница 22
2.2Die Kreuzzüge: Taufe oder Tod
ОглавлениеIm Jahr 1010 zerstörte der schiitische Kalif al-Hakim (985–1021 n. Chr.) die Grabeskirche, was weniger seinem Fanatismus als seinem Geisteszustand geschuldet war. Im Kontext des Ereignisses begegnen wir erstmals einer antisemitischen Verschwörungstheorie in ausgeprägter Form, insofern die frz. Juden bezichtigt wurden, Anstifter und damit die eigentlichen Schuldigen der Zerstörung zu sein. Das Narrativ des politischen Bündnisses von Juden und Muslimen tauchte von da an stets aufs Neue auf und fand vor allem im frz. wie im spanischen Raum weite Verbreitung. Die Bezichtigung der Juden führte zu Judenverfolgungen in Frankreich, die bereits das spätere Muster der Kreuzzüge erkennen lassen. In Ermangelung des eigentlichen Gegners wurden die Juden zu Verbündeten der Sarazenen deklariert, ja sie seien gar schlimmer als die Muslime, insofern sie als die eigentlichen politischen Drahtzieher der Ereignisse zu gelten hätten. Der amtierende Papst Alexander II. schritt begrenzt noch ein, erinnerte an die Prinzipien der augustinischen Judentheologie und stoppte die Ausschreitungen.
Am 27. November 1095 rief Papst Urban II. auf dem Konzil von Clermont-Ferrand zum Kreuzzug auf. Das Datum sollte zu einem schicksalhaften Tag für das Judentum werden. Die Predigt löste in ganz Europa eine Bewegung aus, deren Nährboden in der krisenhaften Situation der Feudalgesellschaft sowie in einer religiösen Stimmung lag, die sich zunehmend dem Mystizismus öffnete. Mit frenetischer Begeisterung malten sich Personen aller sozialen Schichten das Zeichen des Kreuzes auf ihre Kleidung, verkauften ihren Besitz, verließen Frau und Kinder und schlossen sich den sich chaotisch formierenden Zügen an, deren päpstlicher Auftrag in der Befreiung der heiligen Stadt Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen lag. Zeitgenössische Chroniken verdeutlichen, wen die Kreuzfahrer für Ungläubige hielten, an denen sie Rache zu nehmen gedachten, so hieß es bspw.: »Alle jene Wanderer sollen Häretiker, Juden und Sarazenen in der gleichen Weise hassen, da sich ja dieselben alle Feinde Gottes nennen.«
In verschwörungstheoretischer Weise kursierten Gerüchte, die Juden trügen Mitschuld an der Tötung christlicher Jerusalem-Pilger, sie hätten die Sarazenen zu ihren Taten angestachelt und seien in Wahrheit deren Verbündete. In Ermangelung des eigentlichen Gegners vor Ort und insofern die desorganisierten Volksmassen noch Tausende Kilometer vor sich hatten, wurden die Juden zum „Feind im Inneren“ erkoren, denen man bereits habhaft werden könne bevor der „äußere Feind“ zu sichten sei. So hieß es etwa: »Wir gehen hinaus, um die Feinde Gottes zu bekämpfen, und hier in unserer Mitte leben die Erzfeinde und Mörder unseres Erlösers.«