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1.4Von Alexander d. Gr. zu Antiochos IV.
ОглавлениеDie Perserzeit wurde durch die militärischen Erfolge Alexanders d. Gr. (356–323 v. Chr.) vom Zeitalter des Hellenismus abgelöst, in dem sich der Machteinfluss des makedonischen Herrschers sowie der Kultureinfluss des Griechentums über den gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus erstreckten. Nach der Schlacht bei Issos (333 v. Chr.), der Belagerung und Eroberung von Tyros (332 v. Chr.) sowie der Eroberung von Gaza im selben Jahr wandte sich Alexander d. Gr. im Rahmen seines Feldzugs Ägypten zu, das sich unter persischer Herrschaft befand. Im Jahr 331 v. Chr. gründete der Makedonier an der Mittelmeerküste Alexandria, die heutzutage zweitgrößte Stadt Ägyptens nach Kairo. Im Jahr 331 v. Chr. wurde die persische Armee in der Schlacht von Gaugamela im nördlichen Irak vernichtend geschlagen. Noch im selben Jahr wurde Babylon übergeben; ein Jahr darauf eroberten die makedonischen Truppen die persische Hauptstadt Persepolis. Das auf diese Weise entstehende Großreich Makedonien förderte die Ansiedelung von Juden in den Mittelmeerstädten, die sowohl über Religions- wie Handelsprivilegien verfügten. Die Juden durften ihren religiösen Kult pflegen, die Sabbatruhe einhalten und wurden nicht zu Praxen gezwungen, die mit ihrer Religion inkompatibel waren. Insofern die neuen Herrscher die Juden zur Ansiedelung aufforderten, um dadurch Handel und Wirtschaft zu beleben, wurden sie von der „autochthonen Bevölkerung“ zumeist als Günstlinge der fremden Herrscher betrachtet, wobei vor allem ihre Handelsprivilegien für sozialen Neid wie Konfliktstoff sorgten. Mit der Eroberung Palästinas im Jahr 332 v. Chr. gelangten auch die palästinensischen Juden in den unmittelbaren Einflussbereich des makedonischen Herrschers. Das Interesse am Judentum, über das zuvor wenig fundierte Kenntnisse vorhanden waren, stieg nicht zuletzt aus Herrschaftsbelangen an; ebenso gewann der Hellenismus als geistige Strömung Einfluss auf das Judentum.
Der plötzliche Tod Alexanders d. Gr. im Jahr 323 v. Chr. führte im Kontext der Diadochenkriege zum Zerfall des einstmals so mächtigen Imperiums. Ab dem Jahr 272 v. Chr. konkurrierten drei Nachfolgereiche miteinander, und zwar das Reich der Ptolemäer, die Ägypten beherrschten, das Reich der Seleukiden, zu dem Babylonien, Syrien und Kleinasien gehörten, sowie das Reich der Antigoniden, die Makedonien sowie relevante Teile Griechenlands unter ihrer Gewalt hatten. Palästina unterstand in den Jahren von 301 bis 198 v. Chr. den Ptolemäern, welche die Toleranzpolitik Alexanders d. Gr. fortsetzten. Zwar garantierten die Ptolemäer die volle Religionsfreiheit, doch die hohe Steuerlast führte vor allem bei den sozial schwächer gestellten Schichten zu wachsender Unzufriedenheit. Teile der Bevölkerung versprachen sich von einer Übernahme der Herrschaft durch die Seleukiden eine Verbesserung ihrer sozialen Lage, sodass Palästina zunehmend zum Zankapfel zwischen den Ptolemäern und den Seleukiden wurde. Während Teile der Oberschicht hellenisierten und einer Assimilation durchaus nicht abgeneigt waren, wuchs der Widerstand traditioneller Kräfte, welche die Fremdherrschaft des Landes generell ablehnten. Im Jahr 198 v. Chr. wurde der Machtkampf zwischen den Ptolemäern und Seleukiden um Palästina entschieden als Juda und Jerusalem an den Seleukidenherrscher Antiochos III. (242–187 v. Chr.) fielen, der als Anerkennung für die ihm gewährte Unterstützung seitens der Bevölkerung finanzielle Mittel für den Kultus bewilligte, den Ausbau des Tempelbezirks gestattete sowie Steuererleichterungen gewährte. Gleichwohl wuchsen im Laufe der Zeit vor allem die innerjüdischen Spannungen, die zu einer bürgerkriegsähnlichen Situation führten, als sich die hellenisierenden Kräfte beim König mit einer Umbenennung von Jerusalem in Antiochia durchsetzten. Den entscheidenden Einschnitt im jüdisch-griechischen Verhältnis der damaligen Zeit markierte der Tod des Herrschers Seleukos IV., dem sein Bruder Antiochos IV. Epiphanes (215–164 v. Chr.) folgte, der sich im Jahr 169 und 168 v. Chr. auf einen Feldzug nach Ägypten begab, was Rom auf den Plan rief. Im seleukidisch-römischen Konflikt gab Antiochos IV. schließlich nach und zog sich aus Ägypten zurück.
Der seit Langem schwelende Konflikt zwischen hellenisierenden und traditionellen jüdischen Kräften eskalierte, als der seleukidische Herrscher auf dem Rückweg von Ägypten aufgekommenen Unruhen in Jerusalem Herr zu werden versuchte und bei dieser Gelegenheit in den Tempel einbrach, um sich des Tempelschatzes zwecks Auffüllung leerer Kriegskassen zu bemächtigen. Die dergestalt von ihm provozierte Rebellion unterdrückte Antiochos IV. mit äußerster Gewalt und nahm Rache, indem er den Jerusalemer Tempel in eine Kultstätte des semitischen Gottes Baalshamin verwandelte. Per Dekret verfügte er ein Verbot der Brand- sowie der Speiseopfer im Tempel. Die Beschneidung, die Einhaltung des Sabbats, das Feiern jüdischer Feste sowie der Besitz der Tora wurden bei Todesstrafe verboten. Das Religionsgesetz des Antiochos IV. lief auf den Versuch einer Vernichtung der jüdischen Religion hinaus, auf eine Zwangshellenisierung. Praktizierende Juden sahen sich unter seiner Herrschaft schweren Verfolgungen ausgesetzt. Während unter Alexander d. Gr. Toleranz gegenüber der jüdischen Religion waltete und die Judenfeinde weitgehend defensiv verharrten, ihren Groll indes bereits in literarischen Schriften artikulierten, gewannen sie mit den Maßnahmen des Seleukidenherrschers die Oberhand. Die religiösen Bestimmungen, welche die offene Abkehr vom Judentum erzwingen wollten, führten zum bewaffneten Widerstand, dem Makkabäer-Aufstand. Die Anführer des Aufstands, die den ägyptischen Rückzug registriert hatten, waren sich der Tatsache durchaus bewusst, dass sie gegen das Seleukidenreich langfristig chancenlos waren. Der naheliegende Gedanke war ein Bündnis mit Rom, das im Jahr 161 v. Chr. zwischen Rom und Judäa formell geschlossen wurde. Der politische Abfall Judäas führte bei der hellenistischen Oberschicht zu einem ausgeprägten Antisemitismus, der sich hinsichtlich seiner ideologischen Muster der Narrative bediente, die in Ägypten bereits seit Längerem zirkulierten. Die Funktion der griechischen Propaganda bestand laut Yavetz darin, Zwietracht zwischen Juden und Römern zu stiften, es sollte ein Keil zwischen die beiden Partner getrieben werden, indem man mit allen nur erdenklichen Narrativen den Juden einen schlechten Leumund bescheinigte. Die Römer sollten ihren neuen Verbündeten misstrauisch beäugen, durch das Säen von Zwietracht sollte ihr politisches Bündnis untergraben werden. Die Juden dienten zugleich als Sündenbock für die Verarbeitung der Schmach des missglückten Ägypten-Feldzugs des Seleukiden-Herrschers. Bei der hellenistischen Kampagne handelte es sich gewissermaßen um eine antike Variante der „Dolchstoß-Legende“. Die militärische Niederlage war zustande gekommen, so der Tenor, weil die Juden den Seleukiden in den Rücken gefallen seien und sich insgeheim mit den Römern verbündet hätten. Psychologisch erfüllten die antijüdischen Diffamierungen die Funktion, Wut abzureagieren, ein Ablassventil zu finden für die bittere Erkenntnis des seleukidischen Establishments, dass der Stern ihrer Großmacht am Sinken war und die Zeit Roms anbrach. Den Makkabäern gelang es, mit ihren militärischen Aktivitäten die religiöse Unabhängigkeit wiederherzustellen, sodass im Jahr 164 v. Chr. der Jerusalemer Tempel erneut dem jüdischen Kultus diente. Das „Religionsedikt“ des Seleukidenherrschers, welches einen existentiellen Angriff auf das Judentum darstellte und in der Antike ein einmaliger Vorgang blieb, war damit gescheitert. Im Jahr 140 v. Chr. erreichten die Makkabäer nach der religiösen schließlich auch die politische Unabhängigkeit des Landes.