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2. Nationale Interessen im Kontext der Ratifikationsdebatte

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Wirtschaftlich gesehen bestand Anfang der 1950er Jahre wenig Interesse in Großbritannien an einer Mitgliedschaft in der EGKS, da es der Hauptproduzent von Kohle und Stahl in Europa war.[23] Auch die zögerliche Haltung Großbritanniens bezüglich der Begriffe und Konzepte von Supranationalität und Europäischer Union erklärt sich daraus, dass es sich für Großbritannien um eine Frage von weit reichenden Konsequenzen handelte, die vor der Eingehung von Verpflichtungen wohl überlegt sein musste.[24] Sein Weg von einer Weltmacht mit einer starken verfassungsrechtlichen Tradition im 19. Jahrhundert zu einer (gleichberechtigten) Partnerschaft innerhalb der EU im ausgehenden 20. Jahrhundert verlief naturgemäß nicht ohne Brüche.

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Widerstand kam zudem von dem „Board of Trade“ (früheres Handelsministerium bis 1970, Vorgänger des heutigen Department of Trade and Industry), das der Ansicht war, dass eine Mitgliedschaft in EWG, EAG und EGKS für die britische Industrie schädlich sein würde bzw. dass sie die Wirtschaftsbeziehungen zum Commonwealth gefährden könnte. Die Verbindungen mit dem Commonwealth waren sehr stark; noch 1948 gingen 40% aller Exporte dorthin.[25] Ende der 1950er Jahre hatte sich die Konjunkturlage verschlechtert, und es wurde deutlich, dass dies teilweise mit der Konzentration auf den Handel mit dem Commonwealth und dem Ausschluss von Westeuropa im Zusammenhang stand.[26]

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Als 1960 Diskussionen um die politische Einheit Europas und die Koordinierung von Verteidigungs- und Außenpolitik in den Mittelpunkt rückten, erkannte Großbritannien, dass eine Mitgliedschaft für ein stabiles Westeuropa eine Notwendigkeit wurde.[27] Der erste Beitrittsantrag scheiterte freilich an dem französischen Veto durch Präsident de Gaulle 1963. Dieser argumentierte, „England sei insular, maritim, durch seinen Handel, seine Märkte, seine Versorger an sehr verschiedene, weit entfernte Länder gebunden […]. Wie könne man England, so wie es lebt, wie es produziert und wie es handelt in einen Gemeinsamen Markt integrieren?“[28]. De Gaulle betonte auch die für eine Kooperation innerhalb Europas hinderliche Verbindung Großbritanniens zu den Vereinigten Staaten. Erst als er sein Amt niederlegen musste, wurden im Jahre 1969 wieder Beitrittsverhandlungen aufgenommen und zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Beide Mitgliedschaftsanträge waren jedoch von pragmatischen Erwägungen geprägt, nicht von der Begeisterung für die europäische Idee; das starke britische Identitätsbewusstsein sollte keinesfalls aufgegeben werden.[29]

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Von Anfang seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft an war Großbritannien ein „schwieriger Partner“[30]. Das hat sich bis heute nicht geändert. Obwohl die britische Regierung unter Tony Blair für europäische Fragen offener erscheint als vorangegangene Regierungen, zeigte etwa die Haushaltsdebatte des Jahres 2005, dass sich daran mittelfristig nichts ändern wird. Dieser historisch tief verankerte Befund ist dem Festhalten an der Tradition des Verfassungsrechtlers Albert Venn Dicey zugeschrieben worden, dessen Auffassung von der unteilbaren Souveränität in der britischen verfassungsrechtlichen und politischen Psyche tief verankert sei.[31] Anders als in Deutschland oder Italien war der Begriff der nationalen Souveränität in Großbritannien auch nach dem Zweiten Weltkrieg unangetastet geblieben, so dass die Akzeptanz jeglicher Form von Supranationalität hier besonders schwer fällt.

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