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3. Dogmatische Grundlagen der Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU

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Die Doktrin der Parlamentssouveränität besagt, dass kein Parlament ein zukünftiges Parlament binden kann. Die Ratifikation des Beitrittsvertrags veranschaulicht jedoch, warum die Akzeptanz des Gemeinschaftsrechts in Großbritannien nicht zu den Schwierigkeiten geführt hat, die der Conseil d’État oder das deutsche Bundesverfassungsgericht zu bewältigen hatten.

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Die wichtigste Vorschrift ist Abschnitt 2 Abs. 1 des European Communities Act 1972. Dieser lautet: „All such rights, powers, liabilities, obligations and restrictions from time to time created or arising by or under the Treaties, and all such remedies and procedures from time to time provided for by or under the Treaties, as in accordance with the Treaties are without further enactment to be given legal effect […].“

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Gemäß Abschnitt 2 Abs. 2 können zukünftige rechtliche Verpflichtungen durch Regierungsverordnung oder Verordnung umgesetzt werden. Abschnitt 2 Abs. 3 des Gesetzes beinhaltet Begrenzungen. Abschnitt 2 Abs. 4 enthält eine Interpretationsregel, wonach „jedes bestehende oder zukünftige Gesetz […] gemäß den vorangegangenen Vorschriften dieses Abschnittes auszulegen ist“. Weiterhin ist bestimmt, dass nach Abschnitt 2 Abs. 2 erlassene Regelungen Gesetzeskraft haben können. Damit kann die Regierung Gesetze ändern oder aufheben, was ihr eine Befugnis verleiht, die bezeichnenderweise als „Heinrich VIII.“-Kompetenz bekannt geworden ist. Der absolutistische Heinrich VIII. hatte die Kompetenz, königliche Verfügungen mit Gesetzeskraft zu erlassen. In Absatz 3 ist die Präzedenzwirkung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes festgelegt und werden die Gerichte des Vereinigten Königreiches dazu verpflichtet, Institute wie Souveränität und unmittelbare Wirksamkeit im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH auszulegen. Die Gerichte behandeln somit Gemeinschaftsrecht – anders als ausländisches Recht – als Rechts- und nicht als Tatsachenfrage.

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Die Implikationen von Abschnitt 2 Abs. 1 haben es in sich: Grundsätzlich müssen alle unmittelbar wirksamen oder anwendbaren Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auch vor den nationalen Gerichten unmittelbar wirksam oder anwendbar sein, und die Gerichte müssen dies anerkennen. Deshalb könnte man annehmen, dass die Richter im Vereinigten Königreich insoweit der überkommenen britischen Doktrin folgen, wonach die Richter den Anweisungen des Parlaments unterworfen sind.[32] Denn das Parlament hat angeordnet, dass Gemeinschaftsrecht gemäß den Bedingungen zu akzeptieren ist, nach denen es von den Gemeinschaftsorganen gesetzt oder interpretiert wird. Der Hauptbezugspunkt für den britischen Richter ist dabei der European Communities Act 1972 und nicht etwa der Vertrag. Dies ist wichtig, denn es bedeutet, dass der Vorrang des Gemeinschaftsrechts durch ein einfaches Parlamentsgesetz und nicht aufgrund einer verfassungsrechtlichen Bestimmung erreicht wird.

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Da es in Großbritannien keine geschriebene Verfassung gibt, gibt es auch keine ausdrücklichen Schranken für die Akzeptanz und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts. Lord Denning fasste zusammen, dass ein Parlamentsgesetz das Gemeinschaftsrecht zu einem Teil unseres Rechts werden ließ, und obwohl es britisches Recht nicht ersetze, verdränge es jeden Teil, der nicht mit ihm vereinbar sei.[33] Dies geschieht durch ein einfaches und kurzes Parlamentsgesetz, welches die Anhänge des European Communities Act 1972 ergänzt. Wenn möglich, werden EG-Richtlinien durch nationale Verordnungen umgesetzt, was in der Mehrzahl der Fälle geschieht. Manchmal ist allerdings ein Gesetz notwendig, wie im Fall des Data Protection Act 1998. Der European Communities Act 1972 selbst enthält Beschränkungen in Bezug auf die Anwendung von untergesetzlichem Recht. Generell werden wichtige Veränderungen durch Gesetz vorgenommen. Politische Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind eine andere Frage und wurden der Regierung von John Major beinahe zum Verhängnis.[34]

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