Читать книгу Historische Valenz - Albrecht Greule, Peter Wiesinger - Страница 9
1.4 NeuhochdeutschNeuhochdeutsch
ОглавлениеDie Abgrenzung und der Beginn der nhd. Periode der deutschen Sprachgeschichte ist nicht einheitlich. Bisweilen setzt man den Schnitt zwischen Fnhd. und Nhd. auch erst mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) an. Dies bedeutet aber, dass die Zäsur in der Mitte des 17. Jh. nicht nur die Epoche der deutschen Literaturgeschichte (Literatur des Barock), sondern auch wichtige sprachgeschichtliche Entwicklungen, die die Zeit des Barock mitprägen, auseinanderreißen würde.6 Man teilt das Nhd. beginnend mit dem Barock (17. Jh.) in drei Phasen ein:
Das Ältere Nhd.NeuhochdeutschÄlteres 1600 ‒ ca. 1800 (änhd.)
Das Jüngere Nhd.NeuhochdeutschJüngeres ca. 1800‒1950 (jnhd.)
Nhd. Gegenwartssprache seit ca. 1950 (nhd.)
Das Ältere Nhd.NeuhochdeutschÄlteres: Der Dreißigjährige Krieg hinterließ ein verwüstetes Land und brachte dem Deutschen Reich einen politischen und ökonomischen Rückschlag. Am Ende des Krieges hatte sich Frankreich als führende Macht in Europa etabliert. Der französische Hof wurde zum Vorbild der absolutistischen Territorialfürsten, was eine besonders starke Einwirkung auf die deutsche Sprache durch die Übernahme zahlreicher Lehnwörter aus dem Französischen hatte und zu der häufig kritisierten deutsch-französischen „Mischsprache“ (Alamodewesen) führte. Außer der durch die Sprachkritik angeregten Sprachreflexion bekam die deutsche Sprachkultivierung noch vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges einen weiteren Impuls. Infolge der Gründung der ersten der barocken, primär adeligen Sprachgesellschaften im Jahr 1617 durch Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen bildeten sich im 17. Jh. neue Zentren der Sprachreflexion, Sprachkultivierung und literarischen Produktion heraus. Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft war auch Martin Opitz, der mit dem „Buch von der deutschen Poeterey“ (1624) eine Literaturreform herbeiführte und einem der drei bestimmenden Prinzipien der Sprachreflexion, der Sprachschönheit, zur Geltung verhalf. Neben den Prinzipien der Sprachschönheit und Sprachreinheit beschäftigte man sich mit der Sprachrichtigkeit und der Norm einer Leitvarietät des Deutschen. Zwei weiteren Zielen, die Georg Philipp Harsdörffer im Programm der Spracharbeit formulierte, nämlich die Erarbeitung eines Wörterbuchs und einer der Sprachrichtigkeit verpflichteten, normativen Grammatik, kam man näher: Dominant war in dieser Zeit die „Teutsche Sprachkunst“ (1641) von Justus Georg Schottel; aus der theoretischen Diskussion über das Verfassen eines Wörterbuchs ging gegen Ende des Jahrhunderts das normierende Wörterbuch von Kaspar Stieler „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs / oder Teutscher Sprachschatz“ (1691) hervor. Dass die überregionale Verständlichkeit schriftlich verfasster und öffentlicher Texte erreicht war, zeigt die Zeitungssprache. Erstmals 1609 erschienen periodische Wochenzeitungen, ab Mitte des Jahrhunderts auch erste Tageszeitungen.
Den Übergang vom 17. zum 18. Jh., dem Zeitalter der Aufklärung, innerhalb des Älteren Nhd.NeuhochdeutschÄlteres, markiert Johann Christoph Gottsched (1700‒1766), dessen maßgebliche Grammatik „Grundlegung einer deutschen Sprachkunst“ ab 1748 erschien. In seinem „Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“ (Leipzig 1729/1730) begründete Gottsched den Zusammenhang von Vernunft und Sprachgebrauch und setzte Maßstäbe der Sprachnorm, die im Laufe des 18. Jh. sowohl in den katholischen Regionen Süddeutschlands akzeptiert wurde als sich auch im niederdeutschen Norden als Schriftsprache (Meißnisch) ausbreitete. Dass das Hochdeutsche nun im gesamten deutschen Sprachraum Geltung besaß, ist auch den an verschiedenen Orten erscheinenden Zeitungen zu verdanken.
NeuhochdeutschKritik an der von Gottsched mit Absolutheitsanspruch vorgetragenen Sprachreform regte sich auf Seiten der Dichter. Zu nennen sind in diesem Kontext besonders Friedrich Gottlieb Klopstock (1724‒1803), Gotthold Ephraim Lessing (1729‒1781) und Christoph Martin WielandWieland, Christoph Martin (1733‒1813). Zu den Kritikern gehörte auch Johann Christoph Adelung (1732‒1806), der mit dem „Grammatisch-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart“ (1774–1786) nicht mehr Normen setzen, sondern den tatsächlichen Sprachgebrauch (der oberen Stände Obersachsens) beschreiben wollte. Adelungs großes neues deutsches Wörterbuch wurde mit Gewinn von den Klassikern und gebildeten Bürgern benutzt.
Zwischen Älterem und JüngeremNeuhochdeutschJüngeres Nhd.NeuhochdeutschÄlteres: Die politischen und literaturgeschichtlichen Ereignisse zwischen 1789 und 1830/1832 erfordern es, dass die Sprachgeschichtsschreibung eine die deutsche Literatur und Sprache entscheidend prägende Epoche einblendet und die Epochengrenze ca. 1800 gleichsam überspringt. In den Vordergrund treten dabei die literarischen Werke der Weimarer Klassiker und der Romantiker; insbesondere geht es um die Literatursprache GoethesGoethe, Johann Wolfgang von und SchillersSchiller, Friedrich von. Wie die Klassiker verhielten sich auch die Romantiker ablehnend gegenüber der Französischen Revolution von 1789. (Als Dichter des „Sturm und Drang“ werden Goethe und Schiller auch der Periode des Älteren Nhd. zugeordnet.) Seit Beginn des 19. Jh. wird die auf der klassischen Literatursprache beruhende Norm zur Gebrauchsnorm der Schriftsprache überhaupt; eine überregional verständliche Schriftsprache ist vorhanden. Sie war die Sprache der in ganz Europa anerkannten klassischen Literatur und prägte das „bürgerliche Sprachempfinden“7 im gesamten 19. Jh.
Das Jüngere Nhd.NeuhochdeutschJüngeres: Der Tod GoethesGoethe, Johann Wolfgang von im Jahr 1832 markiert das Ende der Zeit, in der die für die deutsche Literatur- und Schriftsprache vorbildlichen Werke geschaffen wurden. Das 19. Jh. ist danach durch die Festigung und Verbreitung der literatursprachlichen Norm, zu deren Durchsetzung besonders in Norddeutschland die Zeitungen einen wichtigen Beitrag leisteten, gekennzeichnet. Der Gebrauch der perfekten Schriftsprache wurde durch das Lesen der richtigen Bücher (z.B. der Ausgabe von Goethes Werken), durch Sprachratgeber, Lehrbücher und Briefsteller garantiert. Von besonderer Bedeutung waren das „Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache“ (1880) von Konrad Duden und die „Deutsche Bühnenaussprache“ (1889) von Theodor Siebs. Nicht den aktuellen Sprachgebrauch beschreiben oder regeln wollten die Brüder Jacob und Wilhelm GrimmGrimm, Jacob und Wilhelm. In der Tradition der Romantik stehend erforschten sie die Geschichte der deutschen Sprache und begründeten durch Werke wie die „Deutsche Grammatik“ (1819‒1837) und das „Deutsche Wörterbuch“ (1. Band 1854, 33. und letzter Band 1971) eine deutsche Nationalphilologie. In den von den Brüdern Grimm verfassten und in mehreren Ausgaben überarbeiteten „Kinder- und Hausmärchen“ (1. Auflage 1812‒1815) ist die dafür als Volkspoesie konzipierte Sprache bis heute verbreitet und bekannt.
NeuhochdeutschNach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 erhielt der gegen französische Einflüsse auf die deutsche Sprache gerichtete Sprachpurismus Auftrieb. Behörden griffen regulierend, z.B. bei Post, Eisenbahn und Militär, in den „Sprachenkampf“ durch Verdeutschungen ein. Nach der Gründung des „Allgemeinen deutschen Sprachvereins“ (1885) wurde die Sprachreinigung fast zu einer populären Bewegung. Noch zuvor war der „Allgemeine Deutsche Arbeiter-Verein“ (1863) entstanden und wurde die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ (1869) gegründet. Damit etablierte sich ein Arbeiterbildungswesen, das die literatursprachliche Norm akzeptierte. Die Teilnahme der Bevölkerung am öffentlichen politischen Leben und die Rolle, die die Sprache in der öffentlichen Auseinandersetzung jetzt spielte, führten im Gefolge des Ersten Weltkriegs zur Politisierung der Sprache. Von den Schrecken des Ersten Weltkriegs sind die expressionistischen Dichtungen (1906‒1923) geprägt, in deren besonderem Sprachstil sich die Krise der bürgerlich-imperialistischen Gesellschaft abzeichnet.
Mit der Herrschaft der Nationalsozialisten (1933‒1945) war der öffentliche Sprachgebrauch vom nationalsozialistischen Sprachstil und von den durch den Rundfunk ins ganze Land verbreiteten Hetz- und Hassreden der Nazigrößen dominiert. Für seine Kritik des nationalsozialistischen Sprachgehabes ist besonders Victor Klemperer, der Autor der „Lingua Tertii Imperii“ (1947), bekannt geworden. Ein herausragendes Zeichen der Auseinandersetzung mit der durch den Nationalsozialismus „vergifteten“ deutschen Sprache nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte die von Dolf Sternberger herausgegebene Sammlung „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ (1957).
NeuhochdeutschGegenwartssprache: Die von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945 befreiten Länder Deutschland und Österreich waren zunächst in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden. Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 war der öffentliche politische Sprachgebrauch vom sogenannten Ost-West-Konflikt in der deutschen Sprache, der sich schon ab 1945 in den Tageszeitungen andeutet, beherrscht. Der Konflikt wurde theoretisch durch die Vier-Varianten-Theorie untermauert, die besagt, dass es gemäß den deutschsprachigen Staaten, Bundesrepublik Deutschland, DDR, Österreich und Schweiz, auch vier offizielle Varianten des Deutschen gibt. Durch die Wiedervereinigung 1989 und die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland existierte auch das „DDR-Deutsch“ außer in Regionalismen nicht weiter.
Als die zentrale außeruniversitäre Einrichtung zur Erforschung und Dokumentation der deutschen Sprache der Gegenwart wurde 1964 das Institut für Deutsche Sprache (IDS), jetzt Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, gegründet. Im Fokus der sprachwissenschaftlichen Forschung der deutschen Sprache der Gegenwart standen und stehen: die Sprache der Werbung (in allen Medien), die Sprache der Jugend und der Jugendkultur, die Sprache der Politiker, die Entwicklung der Dialekte zu Regionalsprachen, neuerdings die Sprachstile der „neuen Medien“, die durch die breite Nutzung der Sozialen Netzwerke (z.B. Facebook) und des Smartphones präsent sind. Als wichtige Institutionen der Sprachkultivierung und Sprachberatung wirken die bereits 1947 gegründete Gesellschaft für deutsche Sprache und die Duden-Redaktion. Sprachwissenschaftlich festgestellt werden Tendenzen, wie die deutsche Gegenwartssprache sich unter dem Einfluss der medialen und gesellschaftlichen Diskurse entwickelt. Dazu gehören z.B. der seit 1945 wachsende Einfluss des amerikanischen Englisch, der Übergang von einer literaturgeprägten Schriftsprache zu sprechsprachlichen Stilen, verbunden mit der Neigung zu kürzeren Sätzen und erweiterten NominalgruppenNominalgruppe, und die Änderung der Satzklammer.8Neuhochdeutsch