Читать книгу La San Felice - Александр Дюма - Страница 25

Zweiter Theil
Neuntes Capitel.
Der Arzt und der Priester

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Kommen wir mit den Ergebnissen dieser so ereignißvollen Nacht zu Ende, damit wir fortan in unserer Erzählung weiter fortfahren können, ohne stehen bleiben oder umkehren zu müssen.

Wenn unsere Leser das letzte Capitel mit Aufmerksamkeit gelesen haben, so werden sie sich erinnern, daß die Verschwörer nach Salvato Palmieris Fortgange sich in zwei Gruppen, jede von drei Personen, geheilt hatten – eine, die den Pausilippo hinaufgegangen war, und eine zweite, welche sich in einem Boote zu Wasser entfernt.

Die Gruppe, welche den Pausilippo hinaufgegangen war, bestand aus Nicolino Caracciolo, Velasco und Schipani.

Die andere, welche sich mit Hilfe eines Bootes entfernt, welches unter dem großen Porticus des Palastes der Königin Johanna, einem Porticus, welchen das Meer bespült und wo sie dem Sturm getrotzt, gelegen hatte, bestand aus Dominico Cirillo, Hector Caraffa und Manthonnet.

Hector Caraffa hielt sich, wie wir bereits erwähnt, in Portici versteckt. Manthonnet wohnte daselbst und hatte, da er ein großer Liebhaber des Fischfangs war, ein eigenes Boot. In diesem Boote begab er sich, von Hector Caraffa unterstützt, von Portici nach dem Palast der Königin Johanna. Beide tüchtige Ruderer, legten sie bei ruhiger Witterung den Weg in zwei Stunden zurück. Wehte ein günstiger Wind, so spannten sie die Segel auf und dann brauchten sie gar nicht zu rudern.

Diese Nacht kehrten sie zurück wie gewöhnlich. Sie mußten rudern, denn der Wind hatte sich gelegt und das Meer war ganz ruhig.

Im Vorüberfahren wollten sie Cirillo in Mergellina absetzen. Cirillo wohnte am äußersten Ende der Chiaja und deshalb waren sie, anstatt direkt auf Portici zuzusteuern, von den Sbirren gesehen worden, während sie das Gestade entlang ruderten.

Dem Landhaus des Königs, welches jetzt dem Fürsten Torlonia gehört, gegenüber angelangt, ließen sie Cirillo aussteigen und wählten dazu eine Stelle, von wo aus man leicht den Weg erreichen konnte, der später eine Straße geworden ist.

Dann waren sie wieder in das Meer hinausgesteuert, um an der Spitze des Castels d'Uovo vorbeizurudern.

Cirillo hatte daher die Straße mit leichter Mühe und ohne bemerkt worden zu sein, erreicht, als er, nachdem er etwa hundert Schritte zurückgelegt, plötzlich eine Gruppe erblickte, die aus etwa zwanzig Mann Soldaten bestand.

Dieselben standen mitten auf der Straße und schienen lebhaft mit einander zu sprechen. Ihre Gewehre glänzten im Scheine der beiden Fackeln.

Bei demselben Scheine, der sich auf ihren Waffen spiegelte, schienen sie zwei Männer zu betrachten, die quer über die Straße hinweglagen.

Cirillo sah nun, daß es eine in Ausübung ihrer Funktion begriffene Patrouille war.

Es war nämlich dieselbe, welche Pasquale de Simone kommen gehört und vor welcher er die Flucht ergriffen, um nicht die Königin zu compromittieren.

Ganz wie der Sbirre vermuthet, hatte die Patrouille, am Platze des Kampfes angelangt, einen Todten und einen Verwundeten auf dem Lastrico liegend gefunden. Die bei- den andern Verwundeten – der, welcher einen Säbelhieb über das Gesicht bekommen, und der andere, dem durch eine Kugel die Schulter zerschmettert worden, waren noch im Stande gewesen, durch die kleine Gasse zu entfliehen, welche an dem nördlichen Theile des Gartens der San Felice hinführte.

Die Patrouille hatte mit leichter Mühe erkannt, daß einer der beiden Männer todt war und daß es durchaus überflüssig war, sich mit diesem zu beschäftigen. Sein Camerad dagegen, obschon er ohnmächtig war, athmete noch und diesen konnte man vielleicht retten.

Man war nur zwanzig Schritte von dem sogenannten Löwenbrunnen entfernt. Einer der Soldaten ging hin, um in seiner Mütze Wasser zu holen. Er schüttete dasselbe dem Verwundeten ins Gesicht und dieser schlug, überrascht durch diese unerwartete Frische, die Augen auf und kam wieder zu sich. Als er sich von Soldaten umringt sah, versuchte er sich zu erheben, aber vergeblich. Er war vollständig gelähmt und konnte nur den Kopf rechts oder links drehen.

»Aber, meine Freunde, sagte er, »wenn mir nichts weiter übrig bleibt, als zu sterben, könnte man mich dann nicht wenigstens auf ein etwas weicheres Bett tragen?«

»Der arme Teufel hat Recht, sagten die Soldaten.

»Mag er sein, wer er wolle, so müssen wir ihm gewähren, was er verlangt.«

Sie versuchten ihn in ihren Armen aufzuheben.

»Ha!« rief der Verwundete; »ich bitte Euch, geht mit mir um, als ob ich von Glas wäre, mannaggia la Madonna!«

Dieser Fluch, einer der größten, den ein Neapolitaner ausstoßen kann, verrieth, daß die Bewegung, welche man mit dem Verwundeten vorgenommen, ihm den empfindlichsten Schmerz verursacht hatte.

Als Cirillo diese Gruppe sah, war sein erster Gedanke, ihr aus dem Wege zu gehen, unmittelbar darauf aber fiel ihm ein, daß diese Patrouille und die Männer, welche sie von dem Pflaster aufhob, mitten auf der Straße sich bei fanden, welche Salvato Palmieri hatte einschlagen müssen, um sich zu dem französischen Gesandten zu begeben, und er kam ganz natürlich auf die Vermuthung, daß dieser Zusammenlauf durch irgend eine Katastrophe herbeigeführt worden sein könne, bei welcher der Abgesandte des Generals Championnet eine Rolle gespielt.

Er näherte sich daher entschlossen in demselben Augenblick, wo der Officier, der die Patrouille commandierte, die Thür eines Hauses einzuschlagen drohte, welches auf der andern Seite des Löwenbrunnens stand und die Ecke der Straße bildete.

Einer der hervorragenden Charakterzüge der Bewohner von Neapel ist nämlich der Widerwille, den sie instinctartig empfinden, ihrem Mitmenschen Beistand zu leisten, wäre er selbst in Todesgefahr.

Auf Befehl des Officiers und besonders in Folge der von den Soldaten gegen die Thür geführten Kolbenschläge öffnete sich endlich dieselbe und Cirillo hörte zwei oder drei Stimmen, welche fragten, wo man einen Wundarzt finden könne. Seine Pflicht und eine Neugier bewogen ihn gleichzeitig sich anzubieten.

»Ich bin Arzt, doch nicht Wundarzt,« sagte er, »aber im Nothfall kann ich auch ein wenig Chirurgie treiben.«

»Ach, Herr Doktor, sagte der Verwundete, welchen man eben getragen brachte und welcher Cirillos Worte gehört, »ich fürchte, daß Sie an mir einen schlechten Kunden finden werden.«

»Nun,« sagte Cirillo, »die Stimme klingt noch nicht schlecht.«

»Ich kann fast, weiter nichts mehr bewegen als die Zunge,« sagte der Verwundete, »und deshalb mache ich davon so viel als möglich Gebrauch.«

Mittlerweile hatte man eine Matratze aus einem Bett gezogen, dieselbe auf einen in der Mitte des Zimmers stehenden Tisch geworfen und legte nun den Verwundeten darauf.

»Einige Kissen unter den Kopf,« sagte Cirillo. »Der Kopf eines Verwundeten muß stets hoch liegen.«

»Ich danke, Herr Doctor, ich danke, sagte der Sbirre. »Ich weiß es Ihnen ebenso Dank, als wenn Ihre Bemühungen etwas nützten.«

»Und wer sagt Euch denn, daß meine Bemühungen nichts nützen werden?«

»Hm! Ich verstehe mich ein wenig auf Wunden, und diese da geht bis auf den Grund.«

Er forderte Cirillo durch eine Geberde auf, sich ihm zu nähern. Cirillo neigte sein Ohr zu dem Munde des Verwundeten.

»Nicht als ob ich an Ihrer Kunst zweifelte,« sagte dieser, »aber Sie würden, glaube ich, wohl thun, wenn Sie nach einem Priester schickten.«

»Entkleidet diesen Mann mit der größten Vorsicht, sagte Cirillo, dann wendete er sich zu dem Besitzer des Hauses, welcher mit seiner Frau und seinen beiden Kindern den Verwundeten neugierig betrachtete. »Schickt einen von euren beiden Knaben nach der Kirche Santa Maria di Porto Salvo und laßt nach Don Michelangelo Ciccone fragen.«

»Ah, den kennen wir! Lauf, Tore, lauf! Du hast gehört, was der Herr Doctor gesagt hat.«

»Ich gehe, sagte der Knabe.

Und er verließ eiligst das Haus.

»Zehn Schritte von hier ist eine Apotheke, rief Cirillo ihm nach; »wecke im Vorübergehen den Apotheker und sage ihm, daß der Doctor Cirillo ihm sogleich ein Recept schicken werde. Er möge immer seine Thür öffnen und warten.«

»Aber zum Teufel, was für ein Interesse haben Sie denn daran, daß ich am Leben bleibe?« fragte der Verwundete den Arzt.

»Ich, mein Freund?– entgegnete Cirillo, »ich habe weiter kein Interesse, als das der Humanität.«

»Was für ein sonderbares Wort,« sagte der Sbirre mit schmerzlich krampfhaftem Lächeln; »es ist das erste Mal, daß ich es höre. Ah, Madonna del Carmine!«

»Was gibt es?« fragte Cirillo.

»Man thut mir wehe beim Herunterziehender Kleider.«

Cirillo nahm sein Besteck aus der Tasche, zog ein Bistouri heraus und trennte die Beinkleider, die Weste und das Hemd des Sbirren so auf, daß seine ganze linke Seite entblößt ward.

»Das laß ich mir gefallen!«, sagte der Verwundete. »Das ist ein Kammerdiener, der sein Geschäft versteht. Wenn Sie eben so gut wieder zusammenzunähen als aufzuschneiden verstehen, so sind Sie ein geschickter Mann, Doctor.«

Dann setzte er auf die zwischen den falschen Rippen gähnende Wunde zeigend hinzu:

»Sehen Sie, hier ist es.«

»Ich sehe es wohl,« sagte der Doctor.

»Eine schlimme Stelle, nicht wahr?«

»Waschen Sie diese Wunde jetzt mit frischem Wasser und so behutsam als möglich, sagte der Arzt zu der Wirthin des Hauses. »Haben Sie recht weiche Tücher?«

»Ich glaube kaum,« sagte die Frau.

»Nun, dann nehmen Sie mein Taschentuch. Mittlerweile wird man zu dem Apotheker gehen und dieses Recept hier machen lassen.«

Er schrieb nun mit seinem Bleistift das Recept zu einem beruhigenden Tranke, der aus Brunnenwasser, essigsaurem Ammoniak und Citronensyrup zusammengesetzt war.

»Aber wer wird das denn bezahlen?« fragte die Frau, indem sie die Wunde mit dem Tuche des Doctors wusch.

»Nu, wer sonst als ich?« entgegnete Cirillo.

Zugleich wickelte er ein Geldstück in das Recept und sagte zu dem zweiten Knaben:

»Lauf schnell! Was Du auf dieses Geldstück herausbekommst, ist dein.«

»Doctor,« sagte der Sbirre, »wenn ich wieder auf komme, so werde ich Mönch und wende mein ganzes Leben dazu an, für Sie zu beten.«

Der Doctor hatte mittlerweile eine silberne Sonde aus seinem Besteck gezogen und näherte sich nun dem Verwundeten.

»Na, lieber Freund, sagte er zu ihm, »jetzt gilt es Mann zu sein.«

»Sie wollen wohl meine Wunde sondieren?«

»Ich muß, damit ich weiß, woran ich mich zu halten habe.«

»Darf ich dabei fluchen?«

»Ja, aber bedenkt wohl, daß man Euch hört und daß man Euch sieht. Wenn Ihr zu laut schreit, so wird man jagen, Ihr seit ein Feigling, und wenn Ihr zu viel flucht, so wird man sagen, Ihr seit ein Lästerer.«

»Sie sprachen von einem niederschlagenden Trank, Doctor. Es wäre mir nicht unlieb, wenn ich vor der Operation einen Löffel davon zu mir nehmen könnte.«

In diesem Augenblick trat der Knabe ganz außer Athem wieder ein und hielt eine kleine Flasche in der Hand.

»Mutter,« sagte er, »es sind sechs Grani für mich geblieben.«

Cirillo nahm ihm die Flasche aus der Hand.

»Einen Löffel, sagte er.

Man gab ihm einen. Er goß so viel als derselbe faßte von dem Trank hinein und reichte ihn dem Verwundeten.

»Ha!« sagte dieser nach einem Augenblick, »das thut mir wohl.«

»Deswegen gebe ich es Euch.«

Dann setzte Cirillo in ernstem Tone hinzu:

»Na, seid Ihr nun bereit?«

»Ja, Doctor,« sagte der Verwundete, »ich werde mich bemühen, Ihnen Ehre zu machen.«

Der Doctor senkte langsam, aber mit fester Hand die Sonde in die Wunde.

So wie das Instrument in derselben verschwand, verzerrte das Gesicht des Patienten sich immer mehr, aber er ließ keinen Klageton hören. Der Schmerz und der Muth waren, so sichtbar, daß in dem Augenblick, wo der Doctor seine Sonde wieder herauszog, die Soldaten, welche diesem unheimlichen und ergreifenden Schauspiel beiwohnten, ein beifälliges Gemurmel hören ließen.

»Nun, war es so recht, Doctor?« fragte der Sbirre, ganz stolz auf sich selbst.

»Es war mehr, als ich von dem Muthe eines Menschen erwartet hätte, mein Freund,« antwortete Cirillo, indem er sich mit dem Aermel seines Rockes den Schweiß von der Stirn trocknete.

»Geben Sie mir noch einmal zu trinken, oder es wird mir übel,« sagte der Verwundete mit erlöschender Stimme.

Cirillo reichte ihm einen zweiten Löffel von dem stärkenden Trank.

Die Wunde war nicht blos schwer, sondern, wie der Verwundete selbst vermuthet, tödtlich. Die Spitze des Säbels war zwischen der Fehlrippe hindurchgedrungen, hatte die Aorta durchschnitten und das Zwerchfell durchstoßen. Alle Hilfe der Kunst mußte sich darauf beschränken, daß sie durch Zusammenschnüren der Wunde den Blutverlust minderte und auf diese Weise das Leben noch um einige Augenblicke verlängerte.

»Gebt mir Leinwand, sagte Cirillo, indem er sich umschaute.

»Leinwand?«, sagte der Wirth des Hauses.

»Wir haben keine.«

Cirillo öffnete einen Schrank, nahm ein Hemd heraus und riß es in kleine Stückchen.

»Was machen Sie denn da?« rief der Hauswirth. »Sie zerreißen mir ja mein Hemd!«

Cirillo nahm zwei Piaster aus der Tasche und gab sie ihm.

»O um diesen Preis,« sagte der Mann, »können Sie alle zerreißen.«

»Aber Doctor,« sagte der Verwundete, »wenn Sie viel solche Patienten haben wie ich, so können Sie unmöglich reich werden.«

Aus einem Theile des Hemdes machte Cirillo ein Bäuschchen, aus dem andern eine Binde.

»Fühlt Ihr Euch jetzt besser?«, fragte er den Verwundeten.

– Dieser schöpfte tief und zögernd Athem.

»Ja,« sagte er dann.

»Nun,« mischte der Officier sich ein, »dann könnt Ihr wohl meine Fragen beantworten?«

»Ihre Fragen, wozu?«

»Ich muß mein Protokoll aufnehmen.«

»Ah,« sagte der Verwundete, »Ihr Protokoll! Dies will ich Ihnen in vier Worten dictiren. Doctor, noch einen Löffel von Ihrem Stoff.

Der Sbirre trank noch einen Löffel von dem schmerzstillenden Tranke und hob dann wieder an:

»Wir lauerten unser sechs einem jungen Manne auf, um ihn zu ermorden. Einen von uns hat er getödtet, drei von uns verwundet und ich bin einer von den drei Verwundeten. Das ist die ganze Geschichte.«

Man kann sich denken, mit welcher Aufmerksamkeit Cirillo die Erklärung des Sterbenden angehört hatte. Sein Argwohn war sonach gegründet. Dieser junge Mann, welchen die Sbirren erwarteten, um ihn zu ermorden, war ohne Zweifel Salvato Palmieri gewesen. Welcher Andere als er hätte übrigens auch von sechs vier Mann kampfunfähig zu machen vermocht?

»Und wie heißen eure Cameraden?« fragte der Officier.

Der Verwundete machte eine Grimasse, welche einem Lächeln glich.

»Sie sind sehr neugierig, lieber Freund,« sagte er. »Wenn Sie diese Namen durch irgend Jemanden erfahren, so wird es doch wenigstens nicht durch mich geschehen. Uebrigens wenn ich sie Ihnen auch sagen wollte, so würde Ihnen dies nicht viel nützen.«

»Nun doch wenigstens so viel, daß ich sie festnehmen lassen kann.«

»Glauben Sie? Nun, dann will ich Ihnen Jemanden nennen, der diese Namen kennt, und es steht Ihnen dann frei, zu ihm zu gehen und ihn darnach zu fragen.«

»Und wer ist dieser Jemand?«

»Pasquale de Simone. Wollen Sie eine Adresse wissen? Er wohnt Basso Porto, an der Ecke der Straße Catalana.«

»Der Sbirre der Königin,« murmelten die Umstehenden leise.

»Ich danke, mein Freund,« sagte der Officier. »Mein Protokoll ist fertig.«

Dann wendete er sich zu seinen Leuten und sagte:

»Auf denn, vorwärts! Wir versäumen hier schon seit einer Stunde die Zeit.«

Und man hörte das Klirren der Waffen und das Geräusch der sich entfernenden Tritte.

Cirillo blieb bei dem Verwundeten stehen.

»Na, haben Sie gesehen, wie diese guten Leutchen sich aus dem Staube machen?«, sagte der Sbirre.

»Ja,« antwortete Cirillo, »und ich begreife recht wohl, daß Ihr nichts habt jagen wollen, was eure Cameraden compromittieren könnte. Werdet Ihr Euch aber auch weigern, mir einige Aufschlüsse zu geben, welche Niemanden compromittiren und nur mich interessieren?«

»O Ihnen, Herr Doctor, will ich gern Alles sagen, was Sie zu wissen wünschen. Sie haben sich sehr freundlich gegen mich gezeigt und Sie würden mich gerettet haben, wenn dies überhaupt hätte geschehen können. Ich muß Sie jedoch bitten, mich schnell zu fragen, denn ich fühle, daß ich immer schwächer werde. Sagen Sie mir daher rasch, was Sie zu wissen wünschen. Die Zunge wird mir schwer. Es ist dies der Anfang des Endes, wie wir es nennen.«

»Ich werde mich kurz fassen. War der junge Mann, welchen Pasquale de Simone erwartete, um ihn umzubringen, nicht ein junger französischer Officier?«

»Allerdings schien er dies zu sein, obschon er das Neapolitanische mit derselben Geläufigkeit sprach wie Sie und ich.«

»Ist er todt?«

»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, wohl aber weiß ich, daß er, wenn nicht todt, doch wenigstens schwer verwundet ist.«

»Saht Ihr ihn fallen?«

»Ja, aber ich lag schon selbst am Boden und beschäftigte mich in diesem Augenblick mehr mit mir selbst als mit ihm.«

»Nun, was saht Ihr überhaupt? Rafft eure ganze Erinnerung zusammen. Es liegt mir sehr viel daran, zu erfahren, was aus diesem jungen Manne geworden ist.«

»Wohlan, ich sah, daß er gegen die Thür des Palmbaumgartens fiel, und dann war es mir, als sähe ich durch eine Wolke hindurch, daß die Thür des Gartens sich öffnete, und eine weißgekleidete Dame den jungen Mann hineinzog. Es ist jedoch sehr leicht möglich, daß dies nur eine Sinnestäuschung und daß das, was ich für eine weißgekleidete Dame angesehen, in Wirklichkeit der Todesengel war, welcher die Seele des Sterbenden in Empfang nahm.«

»Und dann saht Ihr weiter nichts?«

»O doch. Ich sah den Beccajo, welcher davonrannte und sich den Kopf mit beiden Händen hielt. Er war durch das Blut ganz geblendet.«

»Ich danke, mein Freund, ich weiß nun Alles, was ich wissen wollte. Uebrigens ist mir, als hörte ich – Cirillo horchte.«

»Ja, es ist der Priester und sein Glöckchen; ich habe es auch schon gehört. Wenn man der ist, um dessentwillen dieses Glöckchen kommt, so hört man es von Weitem.«

Es trat einen Augenblick Schweigen ein, während dessen das Glöckchen immer näher kam.

»Also,« sagte der Sbirre zu Cirillo, »nicht wahr, es ist nun Alles aus? Es handelt sich nicht mehr darum, an die Dinge dieser Welt zu denken.«

»Ihr habt mir bewiesen, daß Ihr ein Mann seid. Ich werde zu Euch sprechen wie zu einem Manne: Ihr habt eben noch Zeit, Euch mit Gott auszusöhnen.«

»Amen,« sagte der Sbirre. »Und jetzt noch einen Löffel von Ihrem Tranke, damit mir der Muth nicht untreu wird, denn ich fühle mich sehr elend.«

Cirillo that, was der Verwundete verlangte.

»Jetzt drucken Sie mir einmal derb die Hand.«

Cirillo drückte ihm die Hand.

»Noch derber!« sagte der Sbirre, »ich fühle sie ja nicht.«

Cirillo druckte mit aller Kraft die Hand des schon gelähmten Sterbenden.

»Dann machen Sie über mir das Zeichen des Kreuzes. Gott ist mein Zeuge, daß ich es selbst machen möchte, aber ich kann nicht.«

Cirillo machte das Zeichen des Kreuzes, und der Verwundete sprach mit einer Stimme, welche immer schwächer ward, die Worte:

»Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.«

In diesem Augenblicke erschien der Priester an der Thür hinter dem Knaben, welcher ihn geholt. Zu seiner Rechten hatte er das Kreuz, zu seiner Linken das Weihwasser und er selbst trug das heilige Viaticum.

Bei einem Eintritte fielen alle Anwesenden auf die Knie nieder.

»Man hat mich hierher gerufen?« fragte er.

»Ja, mein Vater,« sagte der Sterbende. »Ein armer Sünder steht im Begriffe den Geist aufzugeben, wenn er nämlich einen hat, und bei dieser schweren Aufgabe wünscht er, daß Sie ihn mit Ihrem Gebete unterstützen. Um Ihren Segen wagt er nicht zu bitten, weil er sich desselben unwürdig fühlt.«

»Meines Segens sind alle Menschen theilhaftig, mein Sohn,« antwortete der Priester, »und je größer der Sünder ist, desto mehr bedarf er desselben.«

Mit diesen Worten rückte er sich einen Stuhl an das Kopfende des Bettes, und setzte sich, mit dem Ciborium in den Händen und das Ohr dicht an den Mund des Sterbenden haltend.

Cirillo hatte nun nichts mehr bei diesem Menschen zu thun, dessen letzte Stunde er, so viel in seinen Kräften stand, erleichtert. Der Arzt war mit seiner Aufgabe fertig, und es war nun an dem Priester, die einige zu beginnen.

Er entfernte sich daher, denn er wünschte so schnell als möglich sich auf dem Kampfplatze umzusehen und sich zu überzeugen, daß der Sbirre ihm in Bezug auf Salvato Palmieri die Wahrheit gesagt.

Der Leser kennt die Oertlichkeiten bereits an dem Palmbaume, welcher ein zierliches Haupt über die Orangen- und Citronenbäume hin- und herwiegte.

Der Sbirre hatte den Platz gut bezeichnet. Cirillo ging sofort auf die kleine Gartenthür zu, durch welche der Sbirre den Verwundeten verschwinden zu sehen geglaubt hatte. Er bückte sich, um den unteren Theil der Thür zu besichtigen, und glaubte wirklich Spuren von Blut daran zu erkennen.

Waren diese schwarzen Flecke aber wirklich Blut oder blos Feuchtigkeit? Cirillo hatte sein Taschentuch in den Händen der Frau gelassen, welche die Wunde des Sbirren gewaschen. Er band daher ein Halstuch ab, tauchte einen Zipfel desselben in das Wasser des Löwenbrunnens und rieb dann damit den Theil des Holzes, welcher von dunklerer Färbung zu sein schien als die übrige Thür.

In einer Entfernung von einigen Schritten, in der Richtung des Palastes der Königin Johanna, brannte eine Laterne vor einem Madonnenbild.

Cirillo stieg auf einen Eckstein und hielt das weißbatistene Tuch so nahe als möglich an die Laterne.

Es stand außer allem Zweifel – es war wirklich Blut.

»Salvato Palmieri liegt drinnen, sagte er, indem die Hand nach dem Hause des Chevalier San Felice ausstreckte.

»Es fragt sich nun: ist er todt oder lebt er noch? Dies muß ich heute noch erfahren.«

Er schritt über den Platz und kam wieder an dem Hause vorbei, in welches man den Sbirren getragen Er warf einen Blick hinein.

Der Verwundete war so eben gestorben und Don Michelangelo Ciccone betete an seinem Lager.

In dem Augenblick, wo Dominico Cirillo in seine Wohnung zurückkam, schlug auf der Kirche von Pie di Grotta die dritte Morgenstunde.

La San Felice

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