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Dritter Theil
Achtes Capitel.
Ein Gemälde von Leopold Robert

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Wir lassen Hector Caraffa die Fußsteige des Gebirges verfolgen und schlagen, in der Hoffnung vor ihm anzulangen, mit Erlaubniß unserer Leser die Heerstraße von Neapel nach Rom ein, dieselbe, welche der französische Gesandte Dominique Joseph Garat eingeschlagen.

Ohne uns in dem Feldlager zu Sessa, wo die Truppen des Königs Ferdinand manöverieren, oder bei dem Thurm von Castellone in Gaëta, welcher fälschlich das Grabmal Ciceros genannt wird, ohne uns auch nur bei dem Wagen unseres Gesandten aufzuhalten, welcher, von vier raschen Pferden gezogen, den Abhang von Castellone hinabrollt, überholen wir ihn und versetzen uns sofort nach Itri, wo Horaz auf seiner Reise nach Brindisi an der Küste Capitos gespeist und bei Murena geschlafen hat:

»Murena praebente domum, Capitone culinana.«

Heutzutage, das heißt zu der Zeit, wo wir unsere Leser hierher führen, ist die kleine Stadt Itri nicht mehr die Urbs Mamurrarum. Sie zählt unter ihren viertausendfünfhundert Einwohnern nicht mehr Männer, welche die Berühmtheit des großen römischen Rechtsgelehrten oder des Schwagers Mäcenas erreicht hätten.

Uebrigens haben wir hier weder eine Mahlzeit, noch ein Nachtlager zu beanspruchen. Es gilt einfach einig Aufenthalt von einigen Stunden bei dem Stellmachermeister des Ortes, wo unser Gesandter in Folge des schlecht Weges, welchen er fahren muß, sich sehr bald ebenfalls er finden wird.

Das Haus des Don Antonio della Rota – die Namen führt er sowohl wegen seiner adeligen Atammut welche, wie er behauptet, bis auf die Spanier zurückreicht als auch wegen der Geschicklichkeit, womit er die widerspästigste Ulme oder Esche die Form eines Rades annehmen läßt – steht in einer Weise, welche der Intelligenz des Besitzers zur Ehre gereicht, kaum zwei Schritte von dem Posthause und dem Gasthause del Riposo d'orazio gegenüber, welches, wie sein Name lehrt, angeblich auf demselben Platze steht, auf welchem früher das Haus des Murena gestanden. Don Antonio della Rota hatte klüglich berechnet, daß, wenn er seinen Wohnsitz in der Nähe der Post, wo die Reisenden frischen Vorspann nehmen mußten, oder dem Gasthaus gegenüber aufschlüge, wo sie, durch classische Erinnerungen angelockt, ihre Erfrischungen einnehmen, keiner der Wagen, welche auf diesen berüchtigten Wegen, wo Ferdinand selbst sich erinnerte, zweimal umgeworfen worden sein, Beschädigungen erlitten, seiner Jurisdiction entgehen könne.

Und in der That, Don Antonio machte trotz der Tätigkeit der königlichen Straßeninspektoren glänzende Geschäfte. Unsere Leser werden sich daher nicht wundern, wenn sie beim Eintritte in das Haus zum Zeichen der hier herrschenden frohen Stimmung das Dröhnen und Klirren der nationalen Schellentrommel sich mit den Tönen der spanischen Guitarre mischen hören.

Uebrigens hatte außer der gewöhnlichen Heiterkeit, welche jeder Gewerbsmann bei dem wachsenden Gedeihen seines Geschäftes zu zeigen pflegt, Don Antonio an diesem Tage einen ganz besonderen Anlaß zur Freude.

Er vermälte nämlich seine Tochter Francesca mit seinem ersten Gehilfen Peppino, welchem er, wenn er sich einmal von den Geschäften zurückzöge, sein Etablissement zu überlassen gedachte.

Wir durchschreiten den dunklen Gang, welcher das Haus von einer Façade zur andern durchschneidet, und werfen einen Blick auf den Hof und auf den Garten.

Dieser Blick zeigt uns, daß die officielle Façade, das heißt, die der Straße zugekehrte, ebenso verlassen, öde und schweigsam ist, als die entgegengesetzte heiter, belebt und glänzend.

Der Theil von Don Antonios Besizthum, in welches wir eindringen, besteht aus einer Terrasse mit Geländer, welche mittelst einer Treppe von sechs Stufen in einen Hof hinabführt, dessen Boden aus einer Art Thonerde besteht und zur Zeit der Ernte als Tenne zum Dreschen diente.

Dieser Hof und diese Terrasse bilden eine einzige ungeheure Laube, denn sie sind mit Weinreben bedeckt, welche, von den nahestehenden Bäumen ausgehend, bis an das Haus reichen, an welchem sie weiterklettern, die weißgetünchte Fagade bedecken, und durch ihre grünen, bei jedem Luftzuge sich bewegenden Blätter die allzu grelle Farbe der Wand mildern, die in Folge dieser freundlichen Mitwirkung der Natur bewundernswürdig mit den rothen Ziegeln des Daches harmoniert, welche sich scharf gegen den dunklen Azur des Himmels abheben.

Ueber Alles gießt die Sonne die warme Färbung eines der ersten Herbstmorgen und marmoriert, die Zwischenräume des noch so dichten Laubwerkes durchdringend, die Steinplatten der Terrasse und den festgeschlagenen Boden des Hofes mit Goldblättchen.

Weiterhin erstreckt sich der Garten, das heißt, eine Anpflanzung von unregelmäßig stehenden Pappeln, welche miteinander durch lange Weinrebengewinde verbunden sind, an welchen sich Trauben schaukeln, welche dem gelobten Lande zur Ehre gereichen würden.

Diese dunkelpurpurnen Trauben sind so zahlreich, daß jeder Vorübergehende das Recht zu haben glaubt, so viele davon abzuschneiden, als erforderlich sind, um seine Naschlust zu befriedigen, oder einen Durst zu löschen, während die Sperlinge, Drosseln und Amseln ihrerseits die einzelnen Beeren ebenso von den Trauben ablösen, wie die Vorübergehenden die Trauben von dem Stocke.

Einige Hühner, welche unter der Aufsicht eines ernsten und beinahe unbeweglichen Hahns hier und da in der Anpflanzung umherlaufen, nehmen auch ihren Antheil an der Beute, sei es, indem sie die herabfallenden Beeren aufpicken, sei es, daß sie bis auf die tiefer hängenden Trauben hinaufspringen, an welchen sie zuweilen mit dem Schnabel hängen bleiben, so gefräßig hacken sie in dieselben hinein.

Was schadet aber diese Welt von Dieben, Räubern und Schmarotzern dieser üppigen Natur? Es bleibt ja immer noch genug übrig, um eine Weinlese zu machen, welche für die Bedürfnisse des folgenden Jahres ausreicht. Die Vorsehung ist ganz speziell für die unthätigen Seelen und sorglosen Gemüther erfunden.

Jenseits des Gartens beginnen die ersten Terrassen jener apenninischen Gebirge, welche in der Vorzeit jene rauhen famnitischen Hirten, welche die Legionen des Posthumus unter dem Joche hindurchgehen ließen und jene unbesiegbaren Marser schirmten, welche die Römer anzugreifen zögerten und zweitausend Jahre lang zu ihren Bundesgenossen zu machen suchten.

Hierher flüchtet sich und hier behauptet sich bei jeder politischen Bewegung, welche die Ebene oder die Thäler erschüttert, die wilde und feindselige Unabhängigkeit der Briganten.

Und nun, nachdem wir den Vorhang des Theaters aufgezogen, wollen wir die Personen auftreten lassen.

Dieselben theilen sich in drei Gruppen.

Die Männer, welche sich verständig nennen, nicht weil sie wirklich Verstand besäßen, sondern weil die Jugend sie verlassen hat, bilden auf der Terrasse, um einen Tisch herum sitzend, der mit langhalsigen und Stroh geflochtenen Flaschen bedeckt ist, die erste Gruppe, bei welcher Meister Antonio della Rota den Vorsitz führt.

Die jungen Männer und die jungen Mädchen, welche unter den Vortritte Peppinos und Francescas, das heißt der Verlobten, welche sich vermählen wollen, die Tarantella oder vielmehr Tarantellen tanzen, bilden die zweite Gruppe.

Die dritte endlich besteht aus den drei Musikanten des Orchesters. Einer dieser Musikanten kratzt die Guitarre, die beiden andern schlagen die Schellentrommel.

Der Guitarrenspieler sitzt auf der letzten Stufe der Treppe, welche die Terrasse mit dem Hofe verbindet; die beiden Andern sind neben ihm stehen geblieben, um die Freiheit ihrer Bewegungen zu bewahren und in gewissen Augenblicken ihre Trommeln mit dem Ellbogen, dem Kopf und dem Knie zu schlagen.

Der einzige Zuschauer dieser drei Gruppen ist ein junger Mann von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, der auf einer halb verfallenen Mauer sitzt oder vielmehr lehnt welche halb zu dem Hause Don Antonios, halb zu dem Hause des Sattlers Giansimone, seines Gevatters und Nachbars, gehört, so daß man nicht recht sagen kann, ob dieser junge Mann sich jetzt bei dem Sattler oder bei dem Stellmacher befindet.

Dieser Zuschauer, so unbeweglich er sich auch verhält und so gleichgültig er auch zu sein scheint, ist ohne Zweifel ein Gegenstand der Unruhe für Antonio, für Francesca und für Peppino, denn von Zeit zu Zeit richten sich ihre Blicke auf ihn mit einem Ausdrucke, welcher verräth, daß ihnen die Abwesenheit dieses unangenehmen Nachbars lieber wäre, als seine Gegenwart.

Da die andern Personen, welche wir soeben dem Augenscheine unserer Leser vorgeführt, in unserem Drama nur Statisten oder doch beinahe dergleichen sind, und da dieser junge Mann allein eine Rolle von einiger Bedeutung darin spielen wird, so werden wir uns vorzugsweise mit ihm beschäftigen.

Er ist, wie wir schon bemerkt haben, ein Jüngling von zwanzig- bis zweiundzwanzig Jahren. Sein Haar ist blond, beinahe roth; er hat große blaue Augen, in welchen sich eine bemerkenswerthe Intelligenz, zu gewissen Augenblicken aber auch eine unerhörte Wildheit spiegelt. Seine Gesichtsfarbe, welche in seiner Jugend nicht den Einwirkungen der Luft ausgesetzt gewesen ist, läßt einige Sommersprossen durchschimmern, seine Nase ist gerade, seine Lippen sind schmal und lassen, wenn sie sich öffnen, zwei Reihen kleiner Zähne sehen, welche weiß und scharf sind wie die eines Schakals.

Sein erst im Entstehen begriffener Bart ist von röthlichgelber Farbe und, um das Porträt dieses seltsamen jungen Mannes, der halb wie ein Landmann, halb wie ein Stadtbewohner aussieht, zu vollenden, bemerken wir, daß in seinem Gange, in seinen Kleidern und sogar in dem neben ihm liegenden breitkrämpigen Hute sich etwas kundgibt, was den ehemaligen Seminaristen verräth.

Er ist der jüngste von drei Brüdern, Namens Pezza. Da er von schwächerem Körperbau ist als seine beiden ältesten Brüder, welche Ackerknechte sind, so haben seine Eltern ihn anfangs wirklich für die Kirche bestimmt, denn der große Ehrgeiz eines Landmannes der Abruzzen, der Basilicata oder Calabriens ist, ein Kind zu haben, welches dem geistlichen Stande angehört.

Demzufolge hat sein Vater ihn auf die Schule in Itri gebracht und, nachdem er lesen und schreiben gelernt, bei dem Pfarrer der Kirche zum heiligen Erlöser den Posten eines Sacristans für ihn erlangt.

Alles ging mit ihm gut bis zu seinem fünfzehnten Jahre. Die Salbung, womit der Knabe ministrirte, die fromme Miene, womit er bei den Processionen das Weihrauchfaß schwenkte, die Demuth, womit er das Glöckchen läutete, wenn einem Sterbenden das Viaticum gebracht ward, hatten ihm die Sympathie aller frommen Seelen erworben, die, der Zukunft vorgreifend, ihm voraus den Titel Fra Michele gaben, auf welchen er sich seinerseits gewöhnt hatte zu antworten.

Der Uebergang von der Kindheit zur Mannbarkeit brachte aber wahrscheinlich in dem jungen Chierico11 eine physische Veränderung hervor, welche auch sehr bald auf die moralischen Eigenschaften einwirkte.

Man sah ihn sich den Vergnügungen nähern, von welchen er sich bis jetzt fern gehalten; ohne daß er sich unter die Tänzer mischte, sah man ihn doch mit neidischem Auge die betrachten, welche eine schöne Tänzerin hatten.

Des Abends begegnete man ihm unter den Pappeln mit einer Flinte in der Hand, womit er die Amseln und Drosseln verfolgte; des Nachts hörte man die Töne einer ungeübten Guitarre in seinem Zimmer.

Sich auf das Beispiel des Königs David stützend welcher vor der Bundeslade tanzte, machte er eines Sonntags auf nicht allzu ungeschickte Weise sein Debüt in der Tarantella, schwankte noch ein Jahr zwischen dem frommen Wunsche seiner Eltern und einem weltlichen Drange, bis er endlich in derselben Stunde, wo er sein achtzehntes Jahr erreichte, erklärte, daß er, nachdem er seine Geschmacksrichtungen und Neigungen gewissenhaft geprüft, der Kirche unbedingt entsage, und seinen Platz in der Gesellschaft und seinen Antheil an den Werken des Satans beanspruche.

Es war dies gerade das Gegentheil von dem, was die Neubekehrten thun, welche die Welt abschwören und dem Satan und seinen Werken entsagen.

In Folge dieser Ideen verlangte Fra Michele bei Meister Giansimone als Sattlerlehrling einzutreten, indem er behauptete, sein wahrer Beruf dränge ihn unwiderstehlich zur Verfertigung von Maulthiersätteln und Pferdekummeten.

Es war dies ein schwerer Schlag für die Familie Pezza, welche ihrer theuersten Hoffnung, eines ihrer Mitglieder als Pfarrer oder wenigstens als Kapuziner- oder Carmelitermönch zu sehen, verlustig ging.

Fra Michele gab aber seinen Wunsch mit solcher Entschiedenheit kund, daß man in Alles willigen mußte, was er verlangte.

Was Giansimone betraf, in dessen Haus der zeitherige Sacristan seinen Wohnsitz zu nehmen wünschte, so lag in diesem Wunsche nichts Schmeichelhaftes für seine Eigenliebe.

Fra Michele war nicht ganz der fromme Aspirant des Himmels, welchen sein Name bezeichnete, aber er war auch nicht gerade ein böser Jüngling. Nur bei zwei oder drei Gelegenheiten, wo das Unrecht obendrein nicht auf seiner Seite war, hatte er die Zähne gezeigt und die Fäuste geballt. Eines Tages, wo sein Gegner ein Messer aus dem Gürtel gezogen, hatte Fra Michele, den er wahrscheinlich mit leichter Mühe zu überwinden gedacht, das seinige ebenfalls zur Hand genommen und mit einer solchen Geschicklichkeit geführt, daß niemals wieder Jemand ihm dasselbe Spiel vorgeschlagen hatte.

Ueberdies hatte er kurz darauf heimlich, wie er Alles that, ganz für sich allein tanzen gelernt, war, wie man versicherte, obschon Niemand einen Beweis dafür anführen konnte, einer der besten Schützen der Stadt, und spielte, obschon er, so viel man wußte, keinen Lehrer gehabt, die Guitarre so schön, daß, wenn er diesem Studium bei offenem Fenster oblag, die jungen Mädchen, dafern sie nur ein wenig musikalisches Gehör besaßen, mit Vergnügen unter seinem Fenster stehen blieben.

Unter allen jungen Mädchen von Itri aber hatte nur eine einzige das Vorrecht, die Blicke des jungen Chierico zu fesseln, aber gerade diese schien allein unter allen ihren Genossinnen für Fra Micheles Guitarre unempfindlich zu sein.

Diese Unempfindliche war Francesca, die Tochter des Stellmachers Don Antonio.

Wir, die wir in unserer Eigenschaft als Geschichtschreiber und Romandichter von Michele Pezza eine Menge Dinge wissen, welche einen Zeitgenossen selbst unbekannt sind, zögern nicht zu sagen, daß das, was unseren Helden hauptsächlich bestimmt hatte, das Sattlerhandwerk zu seinem Beruf und Giansimone zu seinem Lehrmeister zu wählen, die Nachbarschaft des Hauses desselben mit dem Antonios und ganz besonders jene halb verfallene Scheidemauer war, welche für einen so flinken, gewandten jungen Burschen wie Fra Michele aus den beiden Gärten so ziemlich eine einzige Einhegung machte, und mit derselben Gewißheit behaupten wir, daß, wenn Meister Giansimone Schneider oder Schlosser gewesen wäre, dafern er nur ein Gewerbe in derselben Localität betrieben, Fra Michele sich eben so berufen gefühlt haben würde, die Nadel oder die Feile zu führen, als er sich jetzt berufen fühlte, Packsättel zu stopfen und Kummete zusammen zu nähen.

Der Erste, welchem das von uns so eben ausgeplauderte Geheimniß klar ward, war Don Antonio. Die Hartnäckigkeit, mit welcher der angehende Sattler, sobald er mit seiner Arbeit fertig war, an dem Fenster stand, welches auf die Terrasse, den Hof und den Garten des Stellmachers ging, schien diesem ein Umstand zu sein, welcher seine ganze Aufmerksamkeit verdiente. Er untersuchte die Richtung der Blicke seines Nachbars. Diese in Francesca’s Abwesenheit unbestimmten und ausdruckslosen Blicke wurden von dem Augenblicke an, wo sie die Bühne betrat, so aufmerksam und beredt, daß die Francesca schon seit langer Zeit keinen Zweifel mehr über das Gefühl, welches sie eingeflößt, gelassen und bald auch ihrem Vater keinen mehr ließen.

Ungefähr sechs Monate waren vergangen, seitdem Fra Michele bei Giansimone in die Lehre getreten, als Don Antonio diese Entdeckung machte.

In Bezug auf seine Tochter beunruhigte diese Entdeckung ihn weiter nicht, denn er hatte sie deswegen befragt und sie hatte erklärt, sie habe gegen Pezza durchaus nicht zu erinnern, ihre Liebe aber gehöre Peppino.

Da diese Liebe ganz den Absichten entsprach, die Don Antonio mit seiner Tochter hatte, so erklärte er sich vollkommen damit einverstanden. Nichtsdestoweniger aber glaubte er, Francescas Gleichgültigkeit sei kein genug am sicherer Schutz gegen die Unternehmungen dieses jungen Chierico.

Er beschloß daher, die Entfernung desselben herbeizuführen.

Es erschien ihm dies sehr leicht ausführbar.

Stellmacher und Sattler sind Handwerker, die einander oft in die Hände arbeiten. Uebrigens waren Dom Antonio und Giansimone nicht blos Nachbarn, sondern auch Gevattern, was besonders im südlichen Italien ein großes Freundschaftsband ist.

Don Antonio suchte daher Giansimone auf, setzte ihm die Lage auseinander und forderte ihn auf, ihm einen nicht wohl zu verweigernden Beweis von Freundschaft zu geben, und Fra Michele fortzujagen.

Giansimone fand das Verlangen des Vaters seiner Pathe vollkommen gerecht und versprach es bei der ersten Gelegenheit zur Unzufriedenheit, die ein Lehrling ihm geben würde, zu befriedigen.

Fra Michele schien aber wie Socrates einen vertrauten Genius zu haben, der ihm gute Rathschläge gab.

Von diesem Augenblicke an ward nämlich Michele, der bis jetzt blos ein guter Lehrling gewesen, ein ganz ausgezeichneter Lehrling. Vergebens suchte Giansimone ihm einen Vorwurf zu machen. An seinem Fleiße gab es nichts auszusetzen. Er war seinem Meister täglich acht Stunden Arbeit schuldig, aber er gab ihm oft acht und eine halbe, zuweilen auch neun.

Gegen die Arbeit, die er lieferte, ließ sich ebenfalls nichts erinnern. Er machte jeden Tag solche Fortschritte in seinem Handwerke, daß Giansimone höchstens insofern dadurch Ursache zur Unzufriedenheit erhielt, als die Kunden die von dem Lehrling gefertigten Arbeiten denen von dem Meister selbst gefertigten vorzuziehen begannen.

Auch die Aufführung des Lehrlings war tadellos. Sobald er mit seiner Arbeit fertig war, ging er in seine Kammer hinauf, kam erst zum Abendessen wieder herunter, und ging, nachdem dieses vorbei war, wieder hinauf, um oben zu bleiben bis zum andern Morgen.

Giansimone dachte daher schon daran, das Guitarrenspiel seines Lehrlings zum Vorwande zu nehmen und ihm zu erklären, daß die Töne dieses Instrumentes nachtheilig auf sein, des Meisters, Nervensystem einwirkten.

Der junge Mann hörte aber von selbst auf, sich auf seinem Instrumente zu üben, sobald er bemerkte, daß gerade die Person, um derentwillen er spielte, ihm nicht zuhörte.

Alle acht Tage beschwerte Don Antonio sich bei seinem Gevatter, daß er seinen Lehrling noch nicht fortgejagt, und auf jede dieser Klagen antwortete Giansimone, daß es in der nächstfolgenden Woche geschehen solle.

Die nächstfolgende Woche verging aber und der Sonntag fand Fra Michele wieder an seinem Fenster und jeden Sonntag aufmerksamer ausschauend, als es am vorhergegangenen der Fall gewesen.

Endlich entschloß Giansimone, von Don Antonio aufs Aeußerte getrieben, sich eines schönen Morgens, seinem Lehrling anzudeuten, daß sie sich trennen müßten und zwar so bald als möglich.

Fra Michele ließ sich diese Andeutung zweimal wiederholen, dann heftete er ein klares, entschlossenes Auge auf das trübe und unsichere seines Lehrherrn und fragte:

»Und warum müssen wir uns trennen?«

»Nicht übel!« entgegnete der Sattler, indem er eine würdevolle Haltung anzunehmen suchte; »Du stellst mich zur Rede? Der Lehrling fragt den Meister aus!«

»Dazu habe ich das Recht,« entgegnete Fra Michele ruhig.

»Das Recht! das Recht!« wiederholte der Sattler erstaunt.

»Ohne Zweifel. Wir haben ja einen Contract miteinander gemacht.«

»Wir haben keinen Contract gemacht, unterbrach Giansimone, »ich habe nichts unterschrieben.«

»Aber deswegen haben wir doch einen Contract miteinander gemacht. Um einen Contract zu machen, bedarf es nicht des Papiers, der Tinte und der Feder; unter ehrlichen Leuten genügt das Wort.«

»Unter ehrlichen Leuten! unter ehrlichen Leuten!« murmelte der Sattler.

»Nun, seid Ihr nicht ein ehrlicher Mann?« fragte Fra Michele in kaltem Tone.

»Ja wohl, das versteht sich,« antwortete Giamsimone.

»Nun gut denn, wenn wir ehrliche Leute sind, so sage ich nochmals, daß ein Contract zwischen uns besteht, ein Contract, welcher sagt, daß ich Euch als Lehrling dienen soll, daß Ihr eurerseits mich euer Handwerk zu lehren habt und daß Euch, dafern ich Euch nicht Grund zur Unzufriedenheit gebe, nicht das Recht zusteht, mich fortzuschicken.«

»Ja, wenn Du mir nun aber Ursachen zur Unzufriedenheit gibt, wie dann?«

»Habe ich Euch deren gegeben?«

»Du gibst mir deren jeden Augenblick.«

»Worin bestehen dieselben denn?«

»Worin sie bestehen? Worin sie bestehen?«

»Ich will sie Euch suchen helfen, wenn deren wirklich vorhanden sind. Bin ich faul?«

»Nein, das kann ich nicht sagen.«

»Bin ich unruhig oder zänkisch?«

»Nein.«

»Bin ich ein Säufer?«

»Ach nein, Du trinkst ja blos Wasser.«

»Bin ich ein Schwelger?«

»Ach, das fehlte noch, Unglücklicher!«

»Nun gut, da ich weder ein Schwelger, noch ein Säufer, noch ein Zänker, noch ein Faulenzer bin, welchen Grund zur Unzufriedenheit kann ich Euch sonst geben?«

»Unsere Gemüthsarten passen nicht zusammen.«

»Unsere Gemüthsarten passen nicht zusammen? Es ist jetzt das erste Mal, daß wir nicht einerlei Meinung sind. Uebrigens nennt mir die Fehler, die mein Charakter hat, und ich werde mich bemühen, dieselben abzulegen.«

»Du willst doch nicht etwa behaupten, daß Du nicht starrköpfig seiest?«

»Wohl weil ich nicht von Euch fort will?«

»Du gesteht also, daß Du nicht von mir fort willst?«

»Allerdings will ich nicht fort.«

»Wenn ich Dich nun aber fortjage?«

»Wenn Ihr mich fortjagt, so ist das freilich etwas Anderes.«

»Dann wirst Du also gehen?«

»Ja, aber da Ihr dann an mir eine Ungerechtigkeit begingt, die ich nicht verdient hätte, da Ihr dann mir eine Beleidigung zufügtet, die ich Euch nicht verzeihen würde –«

»Nun?« fragte Giansimone.

»Nun,« sagte der junge Mann, ohne seine Stimme auch nur um einen Ton zu erheben, obschon er Giansimone fester und unverwandter anblickte als je, »so wahr ich Michele Pezza heiße, so wahr würde ich Euch dann umbringen.«

»Ja, er würde es thun!« rief der Sattler, indem er einen Schritt zurückprallte.

»Nicht wahr, Ihr seid davon überzeugt?« antwortete Fra Michele.

»Ja wohl.«

»Nun, lieber Meister, da Ihr so glücklich seid, einen Lehrling gefunden zu haben, der kein Schwelger, kein Säufer, kein Faulenzer und kein Zänker ist, der Euch respectirt und Euch von ganzem Herzen zugethan ist, so ist es jedenfalls besser, wenn Ihr freiwillig zu Don Antonio sagt, daß Ihr ein zu ehrlicher Mann seid, um einen armen Jungen, den Ihr nur loben könnt, fortzujagen. Sind wir darin mit einander einverstanden?«

»Meiner Treu, ja,« sagte Giansimone; »es scheint mir dies in der That selbst das Richtigste zu sein.«

»Und auch das Klügste,« setzte der junge Mann mit einem leichten Anflug von Ironie hinzu. »Also nicht wahr, wir sind mit einander einverstanden?«

»Ich habe es Dir ja schon gesagt.«

»Eure Hand?«

»Da hast Du sie.«

Fra Michele drückte seinem Lehrherrn herzlich die Hand und setzte sich, so ruhig als ob nicht das Mindeste vorgefallen wäre, wieder an seine Arbeit.

11

Chierico nennt man im südlichen Italien die Geistlichen niederen Ranges.

La San Felice

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