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Dritter Theil
Zweites Capitel.
Die beiden Verwundeten

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Luisa begriff nicht den Auftritt, der so eben stattgefunden. Sie errieth blos, daß sie einer Person das Leben gerettet, welche Cirillo theuer war – dies war Alles.

Als sie den guten Doctor unter der Last der Gemüthsbewegung, die er erfahren, erbleichen sah, goß sie ihm ein Glas frisches Wasser ein und reichte es ihm.

Er trank es halb aus.

»Und nun,« sagte Cirillo, indem er sich rasch erhob, »nun lassen Sie uns keine Minute versäumen. Wo ist er?«

»Dort,« sagte Luisa, indem sie nach dem Ende des Corridors zeigte.

Cirillo machte eine Bewegung in der angedeuteten Richtung. Luisa hielt ihn zurück.

»Aber –« sagte sie zögernd.

»Nun, aber?« wiederholte Cirillo.

»Hören Sie mich und ganz besonders entschuldigen Sie mich, mein Freund,« sagte sie zu ihm mit ihrer liebkosenden Stimme und indem sie ihre beiden Hände auf seine Schultern legte.

»Ich höre, sagte Cirillo lächelnd. »Er liegt doch nicht etwa in den letzten Zügen?«

»Nein, Gott sei Dank. Er befindet sich sogar, glaube ich, so gut, als ein Mensch in seiner Lage sich befinden kann, wenigstens war dies der Fall, als ich ihn vor zwei Stunden verließ. Dies ist es, was Sie erfahren mußten, ehe Sie ihn sehen. Ich wagte nicht, Sie rufen zu lassen, weil Sie der Freund meines Gatten sind und weil ich instinctartig fühlte, daß mein Gatte von all diesem nichts erfahren dürfe. Ich wollte keinem Arzte, dessen ich nicht sicher wäre, ein wichtiges Geheimniß anvertrauen, denn es liegt hier ein wichtiges Geheimniß zu Grunde, nicht wahr, mein Freund?«

»Ja, ein furchtbares Geheimniß, Luisa.«

»Ein königliches Geheimniß, nicht wahr?«, hob diese wieder an.

»Ruhig! Wer hat Ihnen dies gesagt?«

»Der Name eines der Mörder selbst.«

»Sie erkannten diesen?«

»Michele, mein Milchbruder, erkannte Pasquale de Simone. Aber lassen Sie mich ausreden. Ich wollte Ihnen also sagen, daß ich nicht wagte, Sie rufen zu lassen, und da ich auch keinen andern Arzt holen lassen wollte, als Sie, so bat ich eine zufällig anwesende Person, dem Verwundeten die erste Pflege zu widmen.«

»Gehört diese Person dem Fache der Heilkunde an?« fragte Cirillo.

»Nein, aber sie behauptet im Besitze von Geheimmitteln zu sein.«

»Also irgend ein Charlatan.«

»Nein; aber entschuldigen Sie mich, lieber Doctor; ich bin so unruhig, daß mein armer Kopf sich verwirrt. Mein Milchbruder Michele, der, welchen man Michele den Narren nennt, Sie kennen ihn wohl?«

»Ja, und beiläufig gesagt, fordere ich Sie sogar auf, ihm nicht zu trauen. Er ist ein engagierter Royalist, in dessen Gegenwart ich nicht hier vorbeikommen möchte, wenn mein Haar à la Titus gestutzt wäre und ich Pantalons anstatt kurzer Beinkleider trüge. Er spricht von weiter nichts, als daß die Jacobiner gehängt und verbrannt werden müßten.«

»Ja, aber er ist nicht fähig, ein Geheimniß zu verrathen, bei welchem ich in irgend einem Grade betheiligt wäre.«

»Das ist wohl möglich. Unsere Leute aus dem Volke sind ein Gemisch von Gutem und Bösem, nur behauptet bei der Mehrzahl von ihnen das Böse die Oberhand. Was wollten Sie mir also von Ihrem Milchbruder Michele erzählen?«

»Unter dem Vorwande, mir wahrsagen zu lassen – ich schwöre Ihnen, mein Freund, daß diese Idee von ihm, aber nicht von mir ausging – hatte er mir eine albanesische Zigeunerin zugeführt. Sie hatte mir allerhand thörichte Dinge prophezeit und war mit Einem Worte noch da, als ich jenen unglücklichen jungen Mann bei mir aufnahm. Sie ist es, die mit Hilfe der Kräuter, deren Heilkraft sie zu kennen vorgibt, das Blut gestillt und den ersten Verband angelegt hat.«

»Hm!« sagte Cirillo in unruhigem Tone.

»Was meinen Sie?«

»Sie hatte doch keinen Grund zu Feindseligkeiten gegen den Verwundeten, nicht wahr nicht?«

»Nein; sie kennt ihn nicht, und schien im Gegentheile an seiner Lage großes Interesse zu nehmen.«

»Dann fürchten Sie also nicht, daß sie, um einen Zweck der Rache zu erreichen, vielleicht giftige Kräuter in Anwendung gebracht habe?«

»Mein Gott!« rief Luisa erbleichend, was sagen Sie! Doch nein, es ist unmöglich. Der Verwundete schien, abgesehen von großer Schwäche, sogleich Linderung zu fühlen, als der Verband angelegt war.«

»Diese Frauen, sagte Cirillo, wie mit sich selbst sprechend, »besitzen zuweilen in der That ganz vortreffliche Geheimnisse. Im Mittelalter, ehe die Wissenschaft mit Avicenna aus Persien und mit Averrhoé aus Spanien zu uns kam, waren sie die Vertrauten der Natur, und wenn die heutige Medicin weniger stolz wäre, so würde sie gestehen, daß sie ihnen einige ihrer besten Entdeckungen verdankt. Nur, meine theuere Luisa,« fuhr er fort, indem er sich wieder zu der Gattin des Chevalier wendete, »nur sind diese Geschöpfe sehr wild und eifersüchtig, und es würde dem Kranken Gefahr bringen, wenn die Wahrsagerin erführe, daß außer ihr noch ein anderer Arzt ihm seine Sorgfalt widmet. Suchen Sie daher sie zu entfernen, damit ich den Verwundeten allein sehen kann.«

»Daran hatte ich auch schon gedacht, mein Freund, und ich wollte Sie eben davon in Kenntniß setzen,« sagte Luisa. »Jetzt, wo Sie Alles wissen und wo Sie sogar meinen Befürchtungen entgegengekommen sind, bitte ich Sie, mich zu begleiten. Sie werden in ein Nebenzimmer treten, ich werde Nanno unter irgend einem Vorwand entfernen und dann, o bester Doctor, sagte Luisa, indem sie die Hände faltete, wie sie vor Gott gethan haben würde, »dann werden Sie ihn retten, nicht wahr?«

»Die Natur rettet, nicht wir, mein Kind, antwortete Cirillo; »wir unterstützen die Natur blos, das ist Alles, und ich hoffe, daß sie auch bereits für unsern lieben Verwundeten Alles gethan haben wird, was sie thun kann. Doch verlieren wir keine Zeit. In dergleichen Fällen hängt die Heilung in hohem Grade von der Schnelligkeit der Hilfeleistung ab. Wenn man sich auch auf die Natur verlassen muß, so darf man doch auch nicht verlangen, daß sie Alles thue.«

»Nun, dann kommen Sie,« sagte Luisa.

Sie ging voran und der Doctor folgte ihr.

Man durchschritt die lange Reihe von Gemächern, welche zu dem Hause San Felice gehörten, dann öffnete man die Verbindungsthür, welche in das benachbarte Haus führte.

»Ah,« sagte Cirillo, als er diese Combination des Zufalls bemerkte, welche bei diesem Ereigniß so gut zu Statten gekommen war, »das ist ganz vortrefflich. Ich verstehe, ich verstehe. Er ist nicht bei Ihnen, sondern bei der Herzogin Fusco. Es gibt eine Vorsehung, mein Kind.«

Und mit einem Blick gen Himmel dankte Cirillo jener Vorsehung, an welche die Aerzte im Allgemeinen sonst so wenig zu glauben pflegen.

»Dann muß er also versteckt gehalten werden, nicht wahr?« fragte Luisa.

Cirillo verstand, was Luisa sagen wollte.

»Ja, vor Jedermann ohne alle Ausnahme, verstehen Sie wohl? Würde eine Anwesenheit in diesem Hause, obschon es nicht das Ihrige ist, bekannt, so würde zunächst Ihr Gemahl auf grausame Weise compromittiert werden.«

»Dann,« rief Luisa freudig, »hatte ich mich also doch nicht geirrt und ich habe wohl daran gethan, mein Geheimniß für mich zu behalten, nicht wahr?«

»Ja, Sie haben wohl daran gethan, und ich will nur noch ein Wort hinzufügen, um Ihnen jedes Bedenken zu benehmen. Würde dieser junge Mann erkannt und festgenommen, so wäre nicht blos sein Leben in Gefahr, sondern auch das Ihrige, das Ihres Gemahls, das meinige und das noch vieler anderer Leute, welche mehr werth sind, als ich.«

»O, Niemand besitzt größeren Werth als Sie, mein Freund, und Niemand weiß das besser als ich. Doch wir sind nun an der Thür, lieber Doctor. Wollen Sie einstweilen hier bleiben und mich zuerst eintreten lassen?«

»Thun Sie es,« sagte Cirillo, indem er auf die Seite trat.

Luisa legte die Hand auf das Schloß und ließ die Thür sich ohne das mindeste Knarren in ihren Angeln drehen.

Ohne Zweifel waren alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, damit die Thür sich so ohne Geräusch öffne.

Zum großen Erstaunen Luisa's fand sie den Verwundeten allein mit Nina, welche einen kleinen Schwamm in der Hand haltend ihm denselben auf die Brust hielt und mittelt eines sanften Druckes den Saft der von der Wahrsagerin gepflückten Kräuter darauf träufeln ließ.

»Wo ist Nanno? Wo ist Michele?« sagte Luisa.

»Nanno ist fort,« sagte Nina; »sie sagte, es ginge nun Alles gut und sie habe für den Augenblick hier nichts weiter zu thun, während sie anderwärts sehr viel zu thun habe.«

»Und Michele?«

»Michele sagte, in Folge der Ereignisse der vorigen Nacht würde es wahrscheinlich auf dem Altmarkt Lärm geben und da er einer der Anführer seines Quartiers ist, so meinte er, wenn es Lärm gäbe, so wolle er auch mit dabei sein.«

»Dann bist Du also allein? »Ganz allein.«

»Kommen Sie herein, kommen Sie herein, Doctor,« sagte Luisa, »das Feld ist frei.«

Der Doctor trat ein.

Der Kranke lag auf einem Bett, dessen Kopfende dicht an der Wand stand. Seine Brust war vollkommen entblößt, bis auf eine Leinwandbinde, welche kreuzweise um die Schultern herumgezogen, den Verband auf der Wunde festhielt. Diese Stelle der Wunde war es, auf welche Nina, indem sie sanft mit dem Schwamm darüber hinwegfuhr, den Saft der Kräuter träufelte.

Salvato lag unbeweglich da, und hielt die Augen in dem Moment, wo Luisa die Thür öffnete, geschlossen. Sofort öffneten sie sich auch und sein Gesicht gewann einen Ausdruck von Freude, welche beinahe den des Leidens verschwinden ließ.

Durch die Signora aufgefordert einzutreten, erschien Cirillo seinerseits.

Der Verwundete betrachtete ihn anfangs mit Unruhe. Wer war dieser Mann? Wahrscheinlich ein Vater, vielleicht ein Gatte.

Plötzlich aber erkannte er ihn, machte eine Bewegung, wie um sich zu erheben, murmelte den Namen Cirillo und reichte ihm die Hand.

Dann sank er, erschöpft durch die kurze Anstrengung, die er gemacht, auf den Pfühl zurück.

Cirillo legte den Finger an den Mund und gab ihm dadurch zu verstehen, daß er weder sprechen noch sich bewegen solle.

Er näherte sich dem Verwundeten, löste die Binde, welche die Brust umschlossen hielt, besichtigte aufmerksam die Ueberreste der von Michele gestampften Kräuter, kostete die daraus gepreßte Flüssigkeit und lächelte, als er die dreifach zusammenziehende Combination der Feldraute, des Wegerich und des Wermuth erkannte.

»Das ist gut, sagte er zu Luisa, auf welcher wiederum der Blick und das Lächeln des Kranken haftete. »Sie können mit diesen Mitteln fortfahren. Ich hätte vielleicht nicht dieselben, ganz gewiß aber keine bessern verordnet.«

Dann wendete er sich wieder zu dem Verwundeten und untersuchte ihn mit der größten Aufmerksamkeit.

In Folge der Einwirkung der zusammenziehenden Kräuter, welche den Verband bildeten, und des Saftes derselben, womit die Wunde fortwährend benetzt worden, hatten die Lefzen der Wunde sich schon bedeutend genähert. Sie waren rosenfarben, sahen sehr gut aus und es war durchaus nicht wahrscheinlich, daß ein innerer Bluterguß erfolgt war. Hatte auch der Anfang eines solchen stattgefunden, so war er doch sicherlich durch das unterbrochen worden, was die Chirurgen den »Klumpen« (geronnenes Blut) nennen, ein bewundernswürdiges Werk der Natur, welche für die von ihr geschaffenen Wesen mit einer Intelligenz kämpft, die von der Wissenschaft niemals erreicht werden wird.

Der Puls war schwach, aber gut.

Es blieb nun noch übrig zu wissen, in welchem Zustand die Stimme wäre. Cirillo begann damit, daß er sein Ohr an die Brust des Kranken legte und auf seinen Athenzug horchte. Ohne Zweifel war er damit zufrieden, denn er richtete sich auf und beruhigte durch ein Lächeln Luisa, welche alle seine Bewegungen mit den Augen verfolgte.

»Wie fühlen Sie sich, mein lieber Salvato?« fragte er den Verwundeten.

»Schwach, aber sonst sehr wohl,« antwortete er. »Ich möchte immer so bleiben.«

»Bravo!« rief Cirillo. »Die Stimme ist besser, als ich hoffte. Nanno hat eine herrliche Cur ausgeführt und ich glaube, Sie können, ohne sich allzusehr anzustrengen, einige Fragen beantworten, deren Wichtigkeit. Sie selbst fühlen werden.«

»Ich begreife,« sagte der Kranke.

In der That würde Cirillo in jedem andern Falle das Verhör, welches er mit Salvato anzustellen im Begriff stand, auf den andern Tag verschoben haben, die Situation war aber so ernst, daß er keinen Augenblick zu verlieren hatte, um die Maßregeln zu ergreifen, welche diese Lage nöthig machte.

»Sobald Sie sich ermüdet fühlen, schweigen Sie,« sagte er zu dem Verwundeten, »und wenn die Fragen, die ich an Sie stellen werde, von Luisa beantwortet werden können, so bitte ich diese, Ihnen die Mühe des Selbstantwortens zu ersparen.«

»Sie heißen Luisa?«, sagte Salvato.

»Es war dies auch der Vorname meiner Mutter. Gott hat also für die, welche mir das Leben gegeben, und für sie, die es mir gerettet, nur einen und denselben Namen geschaffen. Ich danke ihm dafür.«

»Mein Freund,« sagte Cirillo, seien Sie mit Ihren Worten nicht so verschwenderisch. Ich mache mir Vorwürfe über jedes Wort, welches ich Sie nöthige auszusprechen. Sprechen Sie daher keines aus, was überflüssig wäre.«

Salvato nickte zum Zeichen des Gehorsams leicht mit dem Kopf.

»Zu welcher Stunde,« fragte Cirillo, halb zu Salvato, halb zu Luisa gewendet, »zu welcher Stunde kam der Verwundete wieder zum Bewußtsein?«

Luisa beeilte sich für Salvato zu antworten:

»Um fünf Uhr Morgens, mein Freund; gerade als der Tag zu grauen begann.«

Der Verwundete lächelte; bei den ersten Strahlen dieser Morgenröthe hatte er Luisa erblickt.

»Was dachten Sie, als Sie sich in diesem Zimmer fanden, und eine unbekannte Person in Ihrer Nähe sahen?«

»Mein erster Gedanke war, ich sei todt, und ein Engel des Herrn sei herniedergestiegen, um mich in den Himmel emporzutragen.«

Luisa machte eine Bewegung, um sich hinter Cirillo zu verstecken, Salvato aber streckte die Hand mit so plötzlicher Bewegung nach ihr aus, daß Cirillo die Gattin des Chevalier festhielt, damit der Verwundete sie sehen könnte.

»Er hat Sie für den Engel des Todes gehalten,« sagte Cirillo zu ihr. »Beweisen Sie ihm, daß er sich geirrt hat und daß Sie im Gegentheile der Engel des Lebens sind.«

Luisa seufzte, legte die Hand aufs Herz, ohne Zweifel, um das Klopfen desselben zu beschwichtigen, und indem sie, ohne Kraft zum Widerstande, dem Zwange nachgab, welchen Cirillo ihr auflegte, näherte sie sich dem Verwundeten.

Die Blicke Beider kreuzten sich, um sich nicht wieder zu trennen.

»Haben Sie eine Vermuthung, wer Ihre Mörder gewesen seien?« fragte Cirillo.

»Ich kenne dieselben,« sagte Luisa rasch, »und ich habe sie Ihnen schon genannt. Es sind Leute, die im Dienste der Königin stehen.«

Der Empfehlung Cirillos, Luisa so oft als möglich für sich antworten zu lassen, folgend, begnügte Salvato sich damit, daß er eine bejahende Geberde machte.

»Und vermuthen Sie auch, in welcher Absicht diese Leute Sie zu ermorden versucht haben?«

»Sie haben es mir selbst gesagt,« antwortete Salvato. »Es geschah, um mir die Papiere abzunehmen, deren Ueberbringer ich war.«

»Wo befanden sich diese Papiere?«

»In der Tasche des Rockes, welchen Nicolino mir geliehen.«

»Und diese Papiere?«

»In dem Augenblicke, wo ich die Besinnung verlor, war es mir, als würden sie mir geraubt.«

»Ermächtigen Sie mich, Ihren Rock zu visitieren?«

Der Verwundete gab durch Kopfnicken eine Zustimmung zu erkennen.

Luisa mischte sich ein.

»Ich will Ihnen den Rock geben, wenn Sie ihn haben wollen, sagte sie, »aber es wird nichts nützen, denn die Taschen sind leer.«

Cirillo schien mit den Augen zu fragen:

»Woher wissen Sie das?«

»Unsere erste Sorge, antwortete Luisa auf diese stumme Frage, »war darauf gerichtet, wo möglich einen Aufschluß ausfindig zu machen, der uns die Identität des Verwundeten feststellen helfen könnte. Hätte er eine Mutter oder eine Schwester in Neapel gehabt, so wäre es meine Pflicht gewesen, dieselbe auf jede Gefahr hin von dem Vorfalle zu unterrichten. Wir fanden aber nichts, nicht wahr, Nina?«

»Nein, wir fanden nichts, Signora.«

»Und was waren es für Papiere, welche sich in diesem Augenblicke in den Händen Ihrer Feinde befinden? Können Sie sich noch darauf besinnen, Salvato?«

»Es war nur ein einziges, der Brief des Generals Championnet, welcher dem Gesandten Frankreichs empfahl, das gute Einvernehmen zwischen den beiden Staaten so lange als möglich zu erhalten, weil er jetzt noch nicht in den Stand gesetzt sei, den Krieg zu beginnen.«

»Sprach er auch von den Patrioten, welche sich mit ihm in Mittheilungen gesetzt haben?«

»Ja, um ihm zu sagen, daß er sie beschwichtigen solle.«

»Hat er auch ihre Namen genannt?«

»Nein.«

»Wissen Sie dies gewiß?«

»Ja, ganz gewiß.«

Erschöpft durch die Anstrengung, welche es ihm kostete, diese rasch auf einander folgenden Fragen zu beantworten, schloß der Verwundete die Augen und ward bleich.

Luisa stieß einen lauten Schrei aus. Sie glaubte, er werde wieder ohnmächtig.

Bei diesem Schrei öffneten Salvatos Augen sich wieder und ein Lächeln – war es das der Dankbarkeit oder der Liebe? – umspielte seine Lippen.

»Es ist nichts, Signora,« sagte er, »es ist nichts.«

»Gleichviel, sagte Cirillo, »jetzt kein Wort weiter. Ich weiß, was ich wissen wollte. Hätte blos mein Leben auf dem Spiele gestanden, so würde ich Ihnen das unbedingteste Schweigen empfohlen haben, aber Sie wissen, daß ich nicht allein bin und Sie verzeihen mir.«

Salvato ergriff die Hand, welche der Doctor ihm bot, und drückte sie mit einer Kraft, welche bewies, daß seine Energie ihn nicht verlassen hatte.

»Und nun,« sagte Cirillo, »schweigen Sie und beruhigen Sie sich. Das Uebel ist weniger groß, als ich fürchtete und als es hätte sein können.«

»Der General aber,« sagte der Verwundete trotz des ihm erheilten Befehls zu schweigen, »der General muß erfahren, woran er sich zu halten hat.«

»Der General,« antwortete Cirillo, »wird, ehe drei Tage vergehen, einen Boten oder eine Botschaft erhalten, die ihn über Ihr Schicksal beruhigen wird. Er soll erfahren, daß Sie gefährlich aber nicht tödlich verwundet sind. Er soll erfahren, daß Sie sich außerhalb des Bereichs der neapolitanischen Polizei befinden, so geschickt diese auch sein mag. Er soll erfahren, daß Sie eine Krankenwärterin haben, welche Sie für einen Engel des Himmels gehalten, ehe Sie wußten, daß es eine einfache barmherzige Schwester war. Er soll endlich erfahren, mein lieber Salvato, daß jeder Verwundete an Ihrer Stelle sein möchte und von seinem Arzt weiter nichts verlangen würde, als daß er ihn nicht zu schnell heilen möge.«

Cirillo erhob sich, ging an einen Tisch, auf welchem Schreibmaterialien lagen, und während er ein Recept schrieb, suchte und fand Salvato die Hand Luisa's, welche diese ihm erröthend überließ.

Als das Recept geschrieben war, übergab Cirillo es der Zofe, welche sich sofort damit entfernte, um es ausführen zu lassen.

Dann rief er Luisa zu sich und sagte ihr so leise, daß der Verwundete es nicht hören konnte:

»Pflegen Sie diesen jungen Mann, wie eine Schwester ihren Bruder, oder vielmehr wie eine Mutter ihr Kind pflegen würde. Niemand, selbst nicht der Chevalier, darf etwas von seiner Anwesenheit hier erfahren. Die Vorsehung hat Ihre weichen, keuschen Hände erkoren, um ihnen das kostbare Leben eines seiner Auserwählten anzuvertrauen. Sie sind der Vorsehung dafür Rechenschaft schuldig.

Luisa ließ seufzend den Kopf sinken.

Ach, diese Ermahnung war überflüssig und die Stimme ihres Herzens empfahl ihr den Verwundeten nicht weniger zärtlich als die Cirillos, wie mächtig diese auch war.

»Uebermorgen komme ich, wenn mich sonst nichts abhält, wieder, fuhr Cirillo fort. »Schicken Sie daher nicht nach mir, denn nach Allem, was diese Nacht geschehen, wird die Polizei mich scharf ins Auge fassen. Es gibt jetzt weiter nichts zu thun, als was schon geschehen ist. Sehen Sie zu, daß der Verwundete keine materielle oder moralische Erschütterung erfahre. Für alle Welt und selbst für den Chevalier sind Sie die Patientin, welcher meine ärztlichen Besuche gelten.«

»Aber,« murmelte Luisa, »wenn mein Gatte dennoch erführe –«

»In diesem Falle nehme ich Alles auf mich,« antwortete Cirillo.

Luisa hob die Augen gen Himmel und athmete freier.

In diesem Augenblick kam Nina mit der verordneten Medicin zurück.

Mit Beihilfe der Zofe legte Cirillo frischgestampfte Kräuter auf die Brust des Verwundeten, befestigte die Binde, empfahl ihm Ruhe und nahm, in Bezug auf sein Leben so ziemlich beruhigt, Abschied von Luisa, indem er ihr nochmals versprach, den zweitnächsten Tag wiederzukommen.

In dem Augenblick, wo Nina hinter ihm die Hausthür verschloß, kam ein Carrozzello den Pausilippo herunter.

Cirillo winkte ihm und stieg hinein.

»Wohin soll ich Sie bringen, Eccellenza?« fragte der Kutscher.

»Nach Portici, mein Freund. Wenn wir in einer Stunde dort sind, so bekommst Du einen Piaster Trinkgeld.«

Und er zeigte ihm den Piaster, aber ohne ihm denselben zu geben.

»Viva San Gennaro!« rief der Kutscher.

Und er peitschte auf sein Pferd, welches im Galopp davonrannte.

Bei dieser Geschwindigkeit hätte Cirillo das Ziel seiner Fahrt in weniger als einer Stunde erreicht, als er aber die neue Straße de la Marina passieren wollte, fand er den Kai von einer ungeheuren Menschenmenge versperrt, welche ihm das augenblickliche Weiterfahren geradezu umöglich machte.

La San Felice

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