Читать книгу La San Felice - Александр Дюма - Страница 26

Zweiter Theil
Zehntes Capitel.
Der Cabinetsrath

Оглавление

Außer den Sitzungen, welche bei der Königin in jenem dunklen Zimmer stattfanden, in welches wir unsere Leser eingeführt und die man mit Recht für Inquisitionssitzungen halten konnte, fanden jede Woche im Palast vier regelmäßige Sitzungen des Cabinetsrathes statt, nämlich Montag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag.

Die Personen, welche diesen Cabinetsrath bildeten, waren:

Der König, wenn er durch die Wichtigkeit des zu verhandelnden Gegenstandes dazu genöthigt ward.

Die Königin, wegen deren Recht diesen Sitzungen beizuwohnen wir bereits die erforderliche Erklärung gegeben.

Der Generalcapitän Jean Acton, Vorsitzender des Cabinetsrathes.

Der Fürst von Castel Cicala, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der Marine, des Handels und in seinen Mußestunden Spion, Denunciant und Richter.

Der Brigadier Giovanni Baptista Ariola, Kriegsminister, ein intelligenter und verhältnismäßig rechtschaffener Mann.

Der Marquis Saverio Simonetti, Minister der Justiz und der Begnadigung.

Der Marquis Ferdinand Corradino, Minister des Cultus und der Finanzen, welcher der mittelmäßigte von allen Ministern gewesen wäre, wenn er in dem Cabinetsrath nicht Saverio Simonetti getroffen hätte, der noch mittelmäßiger war als er.

Bei großen Gelegenheiten kamen zu diesen Herren noch der Marquis de la Sambuca, der Fürst Carini, der Herzog von San Nicolo, der Marquis Balthasar Cito, der Marquis del Gallo und die Generale Pignatelli, Colli und Parisi.

Ganz im Gegensatz zu dem König, welcher Ton zehn Cabinetsrathssitzungen höchstens einer beiwohnte, war die Königin im Besuche derselben sehr eifrig.

Allerdings schien sie oft bloße Zuhörerin der Discussion zu sein und saß fern von der Tafel in einem Winkel oder in einer Fensterbrüstung mit ihrer Favoritin Emma Lyonna, welche sie mit in den Sitzungssaal brachte, als gehörte sie mit zu ihr und als hätte dies ebensowenig zu bedeuten, wie wenn der König seinen Lieblingshund mit brachte.

Jedes spielte seine Komödie. Die Minister thaten als ob sie discutirten, Ferdinand that als hörte er aufmerksam zu, Caroline that als wäre sie zerstreut, der König kratzte seinem Hunde den Kopf, die Königin spielte mit Emmas Haar und Favorit und Favoritin lagen der eine zu den Füßen seines Herrn, die andere auf den Knieen ihrer Herrin.

Die Minister machten im Vorübergehen oder in den Zwischenpausen der Discussionen dem Hunde eine Liebkosung und der schönen Emma eine Schmeichelei, und Liebkosung und Compliment wurden durch ein Lächeln des Herrn oder der Herrin belohnt.

Der Generalcapitän Jean Acton, der einzige Pilot, auf welchem die Verantwortlichkeit für dieses Schiff ruhte, welches von dem aus Frankreich wehenden revolutionären Wind hin- und hergetrieben ward und überdies in den Klippen jenes gefährlichen Meeres umhersteuerte, in welchem binnen sechs Jahrhunderten acht verschiedene Dynastien scheiterten, Acton, sagen wir, schien mit gerunzelter Stirn, düsterem Blick und zitternder Hand, als ob er wirklich ein Steuerruder in derselben hielte und allein im Stande wäre, den sei der Situation, das Herannahen der Gefahr zu begreifen.

Auf die englische Flotte sich stützend, der Mitwirkung Nelson's fast sicher und stark besonders in ihrem Haß gegen Frankreich, war die Königin nicht blos entschlossen, der Gefahr Trotz zu bieten, sondern auch ihr entgegenzugehen und sie herauszufordern.

Was Ferdinand betraf, so war bei ihm gerade das Gegentheil der Fall.

Er hatte bis jetzt mit Aufbietung aller Hilfsquellen seiner erheuchelten Biederkeit so laviert, daß er, wenn er auch nicht Frankreich zufriedengestellt, demselben doch wenigstens keinen direkten Anlaß gegeben, sich mit ihm zu überwerfen.

In Folge der von Caroline begangenen Unklugheiten waren aber die Ereignisse rascher vorgeschritten, als der König berechnet hatte, welcher, anstatt ihnen einen beschleunigten Anstoß zu geben, sie lieber mit weiser Langsamkeit sich entrollen lassen wollte.

Deshalb war man, wie wir gesehen, Nelson entgegengefahren.

Deshalb hatte man, trotz der mit Frankreich abgeschlossenen Verträge, die englische Flotte in dem Hafen von Neapel empfangen.

Deshalb hatte man dem Sieger von Abukir ein glänzendes Fest gegeben.

Deshalb hatte der Gesandte der Republik, dieser Hinterlist, dieser Lügen und Beleidigungen überdrüssig, ohne zu berechnen, ob Frankreich seinerseits dazu bereit wäre, im Namen seiner Regierung der Regierung der beiden Sicilien den Krieg erklärt.

Deshalb hatte endlich der König, der schon für Dienstag den 27. September eine große Jagd veranstaltet, zu welcher drei Fanfaren das Signal geben sollten, wie wir bereits gesehen, in Folge eines Briefes von der Königin seine Jagd wieder abbestellt und sich genöthigt gesehen, dieselbe in eine Cabinetrathssitzung zu verwandeln.

Uebrigens waren die Minister und Räthe durch Acton von der wahrscheinlich üblen Laune. Seiner Majestät im voraus unterrichtet und aufgefordert worden, sich in pythagoräisches Schweigen zu hüllen.

Die Königin war zuerst in den Berathungssaal getreten und fand hier außer den Ministern und Räthen den Cardinal Ruffo.

Sie ließ ihn fragen, welchem glücklichen Umstande man das Vergnügen seiner Gegenwart verdanke.

Ruffo antwortete, er sei auf ausdrücklichen Befehl des Königs da.

Die Königin und der Cardinal wechselten hierauf von der einen Seite eine leichte Verneigung des Kopfes, von der andern eine tiefe Verbeugung.

Dann erwartete man schweigend die Ankunft des Königs.

Ein Viertel auf zehn öffneten sich beide Flügelthüren und die Thürsteher meldeten:

»Der König!«

Ferdinand trat mit einer unzufriedenen, mürrischen Miene ein, welche gegen den freudigen, triumphierenden Gesichtsausdruck der Königin gewaltig abstach.

Sein Hund Jupiter, mit welchem wir bereits Bekanntschaft gemacht, folgte ihm mit gesenktem Kopfe und mit herabhängendem Schweife. Obschon die Jagd auf einen andern Tag verschoben worden, so hatte der König doch, wie um gegen die ihm angethane Gewalt zu protestieren, sein Jagdcostüm angelegt.

Es war dies ein Trost, den er sich gewährte, und den nur der zu schätzen wußte, welcher seinen Fanatismus für das Vergnügen kannte, dessen man ihn beraubt.

Bei seinem Eintritte erhoben sich alle Anwesenden, selbst die Königin.

Ferdinand sah sie von der Seite an, schüttelte den Kopf und seufzte wie ein Mensch, der sich dem Stein des Anstoßes aller seiner Vergnügungen gegenüber sieht.

Nachdem er die tiefen Verbeugungen der Minister und Räthe durch einen allgemeinen Gruß rechts und links und durch einen persönlichen und besonderen für den Cardinal Ruffo beantwortet, sagte er in trägem Tone:

»Meine Herren, es thut mir außerordentlich leid, daß ich mich genöthigt gesehen habe, Sie an einem Tage zu bemühen, wo Sie vielleicht, wie ich, anstatt einer Cabinetrathssitzung beizuwohnen, sich mit Ihren Vergnügungen oder andern Angelegenheiten zu beschäftigen gedacht haben. Ich schwöre, daß es nicht meine Schuld ist; wie es aber scheint, haben wir sehr dringende und wichtige Angelegenheiten zu besprechen, welche, wie die Königin behauptet, nur in meiner Gegenwart besprochen werden können. Ihre Majestät wird Ihnen die Sache vortragen und Sie werden dann darüber urtheilen, und mich mit Ihrem guten Rathe unterstützen. Setzen Sie sich, meine Herren.«

Mit diesen Worten nahm er auch selbst ein wenig hinter den Andern und der Königin gegenüber Platz.

»Komm her, mein armer Jupiter,« sagte er dann, indem er sich mit der Hand auf den Schenkel schlug, »wir werden uns schön amüsieren!«

Der Hund kam gähnend herbei, und streckte sich wie eine Sphynx zu seinen Füßen nieder.

»Meine Herren, sagte die Königin mit jener Ungeduld, welche das dem ihrigen so ganz entgegengesetzte Thun und Wesen ihres Gemahls stets in ihr erweckte, »die Sache ist sehr einfach, und wenn der König heute aufgelegt wäre, davon zu sprechen, so würde er sie Ihnen in zwei Worten mittheilen.«

Als sie sah, daß Alle mit der größten Aufmerksamkeit horchten, fuhr sie fort:

»Der französische Gesandte, der Bürger Garat, hat diese Nacht Neapel verlassen, nachdem er uns zuvor den Krieg erklärt.«

»Und,« sagte der König, »es muß hierbei noch bemerkt werden, meine Herren, daß wir diese Kriegserklärung nicht gewollt haben, und daß unsere gute Freundin, die englische Regierung, ihren Zweck erreicht hat. Wir werden nun sehen, wie sie uns unterstützen wird. Dies ist Actons Sache.«

»Und die des tapferen Nelson,« sagte die Königin. »Uebrigens hat er bei Abukir gezeigt, was das Genie im Bunde mit dem Muthe auszurichten vermag.«

»Gleichviel, Madame,« sagte der König. »Ich zögere nicht, Ihnen offen zu sagen, daß der Krieg mit Frankreich eine schlimme Geschichte ist.«

»Aber,« entgegnete die Königin ärgerlich, »Sie werden selbst zugeben, daß die Geschichte weniger schlimm ist, seitdem der Bürger Buonaparte, obschon er sich den Sieger von Dego, von Montenotte, von Arcole und von Mantua nennt, abgeschnitten in Egypten sitzt, wo er bleiben wird, bis Frankreich eine neue Flotte gebaut hat, um ihn zu holen. Er wird dadurch hoffentlich Zeit gewinnen, die Rüben wachsen zu sehen, zu welchen das Directorium ihm den Samen geliefert, damit er die Ufer des Nil damit besäe.«

»Ja,« antwortete der König in nicht weniger ärgerlichem Tone, »in Ermangelung des Bürgers Buonaparte, der übrigens sehr gütig ist, wenn er sich blos den Sieger von Dego, von Montenotte, von Arcole und von Mantua nennt, da er sich mit Recht auch den von Roveredo, von Baffano, von Castiglione und von Millesimo nennen könnte – bleiben Frankreich noch Massena, der Sieger von Rivoli, Bernadotte, der Sieger von Tagliamento, Augereau, der Sieger von Lodi, Jourdan, der Sieger von Fleurus, Brune, der Sieger von Alkmer, Moreau, der Sieger von Rastatt, und dies sind Sieger genug für uns, die wir noch niemals gesiegt, abgesehen von Championnet, dem Sieger der Dünen, den ich vergessen und der, wie ich Ihnen beiläufig bemerklich mache, nur dreißig Meilen, das heißt drei Tagemärsche weit von uns steht.«

Die Königin zuckte die Achseln mit einem verächtlichen Lächeln, welches Championnet galt, dessen augenblickliche Ohnmacht sie erkannte, welches der König aber auf sich bezog.

»Ich kann mich höchstens um zwei bis drei Meilen geirrt haben, Madame,« sagte er. »Seitdem die Franzosen Rom besetzt halten, habe ich oft genug gefragt, wie viel die Entfernung betrage, um es zu wissen.«

»O, ich will Ihnen Ihre geographischen Kenntnisse gar nicht streitig machen, Majestät,« sagte die Königin, indem sie ihre Unterlippe auf das Kien herabhängen ließ.

»Ich verstehe; Sie begnügen sich, mir meine politischen Fähigkeiten streitig zu machen. Obschon aber San Nicandro sein Möglichstes gethan hat, um einen Esel aus mir zu machen und obschon ihm dies nach Ihrer Meinung unglücklicherweise auch sehr wohl gelungen ist, so muß ich doch diesen Herren, welche die Ehre haben, meine Minister zu sein, bemerklich machen, daß die Sache sich verwickelt. Es handelt sich jetzt nicht mehr darum wie im Jahre 1793, drei oder vier Schiffe und fünf- oder sechstausend Mann nach Toulon zu schicken, die übrigens, Schiffe sowohl als Mannschaften, in einem schönen Zustande von Toulon zurückkamen, denn der Bürger Buonaparte hatte, obschon er damals noch Sieger von nichts war, die nicht schlecht zugerichtet. Es handelt sich jetzt nicht mehr darum wie im Jahre 1796, der Coalition vier Regimenter Cavallerie zu liefern, welche allerdings Wunder in Tirol von Tapferkeit verrichteten, was aber nicht verhinderte, daß Cuto gefangengenommen ward und Moliterno das schönste seiner Augen dort ließ. Bemerken Sie wohl, daß wir 1793 sowohl als 1796 noch durch die ganze Breite Oberitaliens gedeckt waren, weil dieses von den Truppen unseres Neffen besetzt war, der, ohne daß ich ihm einen Vorwurf daraus machen will, keine Eile zu haben scheint, einen Feldzug zu beginnen, obschon der Bürger Buonaparte ihm durch den Vertrag von Campo Formio die Krallen verteufelt verschnitten hat. Aber unser Neffe Franz ist ein kluger Mann. Er begnügt sich, um den Feldzug zu eröffnen, nicht mit den sechzigtausend Mann, welche Sie ihm anbieten, sondern er erwartet auch noch die fünfzigtausend, welche der Kaiser von Rußland ihm verspricht. Er kennt die Franzosen, denn er hat schon zu seinem Nachtheil mit ihnen zu thun gehabt.«

Und Ferdinand, welcher seine gute Laune wieder ein wenig zu gewinnen begann, lachte über seine eigenen Bemerkungen, und rechtfertigte dadurch jene so wahre und deshalb so betrübende Maxime Larochefoucauld's, daß in dem Unglücke eines Freundes stets etwas liegt, was uns Vergnügen macht.

»Ich muß,« antwortete Caroline, die sich durch die Heiterkeit, welche der König auf Kosten seines Neffen an den Tag legte, verletzt fühlte, »ich muß dem König bemerklich machen, daß es der neapolitanischen Regierung nicht wie dem Kaiser von Oesterreich freisteht, Zeit und Stunde zu wählen. Nicht wir sind es, die Frankreich den Krieg erklären, sondern Frankreich erklärt ihn uns und hat ihn uns schon erklärt. Wir müssen daher so bald als möglich sehen, welche Mittel uns zur Führung dieses Krieges zur Verfügung stehen.«

»Allerdings müssen wir das sehen, sagte der König. »Beginnen wir mit Dir, Ariola. Man spricht von fünfundsechzigtausend Mann. Wo sind deine fünfundsechzigtausend Mann?«

»Wo sie sind, Sire?«

»Ja, zeige sie mir.«

»Nichts leichter als dies, und der Generalcapitän Acton ist hier und kann Ew. Majestät sagen, ob ich lüge.«

Acton nickte bejahend mit dem Kopf.

Ferdinand sah Acton von der Seite an. Er hatte zuweilen Anwandlungen, nicht von Eifersucht, denn dazu war er zu sehr Philosoph, wohl aber von Neid. Acton gab daher in Gegenwart des Königs nur dann ein Lebenszeichen von sich, wenn Ferdinand selbst das Wort an ihn richtete.

»Der Generalcapitän wird für sich antworten, wenn ich ihm die Ehre erzeige ihn zu befragen,« sagte der König. »Mittlerweile antworte für Dich selbst, Ariola. Wo sind deine fünfundsechzigtausend Mann?«

»Zweiundzwanzigtausend stehen im Lager von San Germano, Sire.«

So wie Ariola die Truppen herrechnete, zählte Ferdinand, mit dem Kopfe nickend, an den Fingern.

»Ferner haben wir sechzehntausend Mann in den Abruzzen,« fuhr Ariola fort, »achttausend in der Ebene von Sessa, sechstausend in den Mauern von Gaëta, zehntausend sowohl in Neapel als an den Küsten, endlich dreitausend in Benevento und Ponto Corvo.«

»Die Rechnung stimmt, sagte der König, als Ariola mit seiner Aufzählung fertig war; »ich habe sonach wirklich eine Armee von fünfundsechzigtausend Mann.«

»Die sämmtlich neu nach österreichischer Manier uniformiert sind.«

»Das heißt wohl weiß?«

»Ja, Sire, anstatt wie früher grün.«

»Ach, mein lieber Ariola,« rief der König mit einem Ausdrucke grotesker Schwermuth, »mögen meine Soldaten nun weiß oder grün uniformiert sein, so laufen sie doch davon.«

»Sie haben eine beklagenswerthe Meinung von Ihren Unterthanen, Majestät,« antwortete die Königin.

»Eine beklagenswerthe Meinung, Madame? Im Gegentheile ich halte meine Unterthanen für sehr klug, ja sogar für zu klug, und eben deshalb zweifle ich, daß sie sich wegen Dingen todtschlagen lassen, die sie nichts angehen. Ariola sagt uns, er habe fünfundsechzigtausend Mann. Unter diesen fünfundsechzigtausend Mann sind allerdings fünfzehntausend Mann alte Soldaten, aber diese alten Soldaten haben noch niemals einen Schuß abgefeuert, noch eine Kugel pfeifen gehört. Diese laufen vielleicht erst bei dem zweiten Schusse davon, das ist wohl möglich. Was aber die fünfzigtausend Anderen betrifft, so datieren dieselben von sechs Wochen oder einem Monat, und wie sind diese fünfzigtausend Mann überdies zusammengebracht worden! Ach, meine Herren, Sie glauben, ich achte auf nichts, weil ich während des größten Theils der Zeit, wo Sie hier discutiren, mit Jupiter plaudere, der ein ungemein kluges Thier ist. Ich überhöre aber von Allem, was Sie sprechen, kein Wort. Ich lasse Sie blos gewähren. Widerspräche ich Ihnen, so wäre ich genöthigt, Ihnen zu beweisen, daß ich mich auf das Regieren besser verstehe als Sie, und dies macht mir nicht Vergnügen genug, daß ich es deshalb auf die Gefahr ankommen ließe, mich mit der Königin zu veruneinigen, welcher das Regieren großes Vergnügen macht. Wohlan, jene fünfzig- tausend Mann sind von Ihnen nicht kraft eines Gesetzes oder unter Anwendung des Losziehens angeworben worden. Sie haben dieselben vielmehr mit Gewalt aus ihren Dörfern entführt und ihren Familien entrissen, ganz nach der Laune Ihrer Intendanten und Unterintendanten. Jede Gemeinde hat Ihnen von je tausend Seelen acht Recruten geliefert, aber soll ich Ihnen sagen, wie man dabei zu Werke gegangen ist? Anfangs hat man die Reichsten aufgeschrieben, diese aber haben sich losgekauft und sind nicht zur Armee abgegangen. Dann hat man die weniger Reichen aufgeschrieben, da aber diese bezahlen konnten, so sind sie eben so wenig zur Armee abgegangen als die ersten. So immer tiefer herabsteigend und nachdem man drei oder vier Contributionen erhoben, wovon man Dir, mein armer Corradino, obschon Du mein Finanzminister bist, wohlweislich nichts gesagt, ist man bis auf die gekommen, die keinen Grano besaßen, um sich loskaufen zu können. Diese mußten denn auch zuletzt wirklich zur Armee abgehen. Jeder dieser Soldaten repräsentiert daher eine lebendige Ungerechtigkeit, eine offenkundige Erpressung. Kein rechtmäßiger Grund knüpft ihn an den Dienst, kein moralisches Band hält ihn unter der Fahne zurück; er wird blos durch die Furcht vor harter Strafe gefesselt. Und Sie wollen, daß diese Leute sich todtschlagen lassen, um ungerechte Minister, habgierige Intendanten, diebische Unterintendanten und überdies einen König zu stützen, welcher der Jagd und dem Fischfang obliegt, der sich Vergnügen macht und sich mit seinen Unterthanen nur insofern beschäftigt, daß er mit seiner Meute ihre Felder überschwemmt und ihre Ernte ruiniert? Da wären sie sehr dumm. Wenn ich Soldat in meinem Dienst wäre, so desertierte ich schon den ersten Tag und würde lieber Straßenräuber, denn die Straßenräuber fechten wenigstens für sich selbst und lassen sich für sich selbst todtschlagen.«

»Ich muß gestehen, daß in dem, was Sie da sagen, Sire, sehr viel Wahres liegt,« antwortete der Kriegsminister.

»Zum Teufel, hob der König wieder an, »ich spreche stets die Wahrheit, wohlverstanden, wenn ich zum Lügen keinen Grund habe. Laß uns mittlerweile die Sache noch näher ins Auge fassen. Ich gebe zu, daß Du deine fünfundsechzigtausend Mann hast. Sie stehen neu uniformiert mit der Muskete auf der Schulter, dem Degen an der Seite und der Patromtasche auf dem Rücken in Schlachtordnung da. Wen willst Du an ihre Spitze stellen, Ariola? Dich vielleicht selbst?«

»Sire,« antwortete Ariola, »ich kann nicht zugleich Kriegsminister und Obergeneral sein.«

»Und Du willst daher lieber Kriegsminister bleiben– das kann ich mir wohl denken.«

»Sire!«

»Ich sage Dir, daß ich mir das recht wohl denken kann.«

»Wie steht's mit Dir, Pignatelli? Hättest Du Lust, den Oberbefehl über Ariolas fünfundsechzigtausend Mann zu übernehmen?«

»Sire,« antwortete der General, welchen der König angeredet, »ich gestehe, daß ich eine solche Verantwortlichkeit nicht auf mich nehmen möchte.«

»Das wären Zwei. Wie steht's mit Dir, Colli?« fuhr der König fort.

»Ich müßte das Amerbieten auch ablehnen, Sire.«

»Und wie wäre es mit Dir, Parisi?«

»Sire, ich bin blos Brigadier.«

»Ja, ja, eine Brigade oder auch allenfalls eine Division wollt Ihr wohl commandieren, aber einen Feldzugsplan entwerfen, strategische Combinationen ersinnen und einen kampfgeübten Feind angreifen und besiegen, dazu will sich keiner von Euch anheischig machen.«

»Ew. Majestät brauchen sich wegen eines Obergenerals kein Kopfzerbrechens zu machen,« sagte die Königin; »dieser Obergeneral ist bereits gefunden.«

»Wie!« rief Ferdinand, »doch hoffentlich nicht in meinem Königreiche?

»Nein, Majestät, seien Sie unbesorgt, antwortete die Königin. »Ich habe meinen Neffen um einen Mann ersucht, dessen militärischer Ruf gleichzeitig dem Feinde imponiert, und den Ansprüchen unserer Freunde genügt.«

»Und wie heißt derselbe?« fragte der König.

»Es ist der Baron Carl Mack. Haben Sie etwas gegen ihn zu erinnern?«

»Weiter nichts, entgegnete der König, »als daß er sich von den Franzosen hat schlagen lassen. Da dies aber allen Generalen des Kaisers, mit Einschluß seines Onkels und Ihres Bruders, des Prinzen Carl, begegnet ist, so ist mir Mack ebenso recht als ein Anderer.«

Die Königin biß sich auf die Lippen bei diesem unerbittlichen Spott des Königs, welcher den Cynismus so weit trieb, daß er in Ermangelung Anderer sich selbst zur Zielscheibe nahm.

Sie erhob sich daher und fragte:

»Sie nehmen also den Baron Carl Mack als Obergeneral Ihrer Armee an?«

»Ja wohl, mit dem größten Vergnügen,« antwortete der König.

»In diesem Falle erlauben Sie –«

Und die Königin näherte sich der Thür.

Der König folgte ihr mit den Augen und konnte nicht errathen, was sie machen wolle, als plötzlich ein Jagdhorn, von zwei mächtigen Lippen und einer gewaltigen Lunge geblasen, in dem Hofe des Palastes, auf welchen die Fenster des Berathungssaales gingen, so laut zu schmettern begann, daß die Fensterscheiben davon erzitterten und die Minister und Räthe, welche nicht wußten, was diese unerwartete Fanfare bedeuten solle, einander mit erstaunten Blicken ansahen.

Dann richteten sich Aller Augen auf den König, wie um von ihm die Erklärung dieser gemeinen Unterbrechung zu verlangen.

Der König schien jedoch ebenso erstaunt zu sein als die Andern und Jupiter ebenso erstaunt als der König.

Ferdinand horchte einen Augenblick, als ob er seinen eigenen Ohren nicht traute, dann sagte er:

»Was fällt denn diesem Wichte ein? Er muß doch wissen, daß die Jagd abbestellt ist; warum gibt er das erste Signal?«

Der Piqueur fuhr fort wüthend in ein Horn zu blasen.

Der König erhob sich in großer Aufregung. Es war augenscheinlich, daß ein heftiger Kampf in ihm stattfand.

Er ging an das Fenster und öffnete es.

»Willst Du wohl schweigen, Dummkopf?« rief er.

Dann schloß er das Fenster ärgerlich wieder und kam dann, immer von Jupiter gefolgt, um wieder seinen Platz in seinem Lehnsessel einzunehmen.

Während der Bewegung aber, die er gemacht, war unter dem Schutze der Königin eine neue Person auf der Bühne erschienen.

Die Königin hatte nämlich, während der König mit seinem Piqueur sprach, die Thür, welche aus dem Berathungszimmer in ihre Gemächer führte, geöffnet und die fragliche Person eingelassen.

Jeder betrachtete mit Ueberraschung und Erstaunen den Unbekannten, und von Seiten des Königs geschah dies mit nicht weniger Ueberraschung als von Seite der Andern.

La San Felice

Подняться наверх