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Dritter Theil
Zehntes Capitel.
Loque und Chiffe
ОглавлениеMan begreift, daß trotz Pezza's Drohungen Peppino deswegen nicht weniger auf seinen Heiratsprojekten mit Francesca beharrte.
Niemand hatte gehört, was Michele ihm leise zugeflüstert, hätte er aber der Hand Francesca’s, von welcher man wußte, daß Michele Pezza sie liebte, entsagt, so hätte alle Welt es errathen.
Die Hochzeit sollte zwischen der Ernte und der Weinlese stattfinden und der Vorfall, welchen wir soeben erzählt, hatte sich gegen das Ende des Monats Mai ereignet.
Juni, Juli und August vergingen, ohne daß die von Pezza seinem Rival zu erkennen gegebenen tragischen Absichten durch irgend etwas bestätigt worden wären.
Am 7. September, welcher ein Sonntag war, verkündete der Pfarrer, daß am nächstfolgenden 23. September die Vermälung Francesca’s mit Peppino stattfinden würde.
Die beiden Verlobten waren in der Messe und Pezza saß nur wenige Schritte von ihnen.
Peppino sah Pezza in dem Augenblicke an wo der Priester diese Neuigkeit verkündete, auf welche Pezza nicht mehr zu achten schien, als ob er sie gar nicht gehört hätte.
Beim Heraustreten aus der Kirche aber näherte Pezza sich Peppino und sagte zu ihm so leise, daß Niemand anders es hören konnte:
»Es ist gut. Du hast also noch achtzehn Tage zu leben.«
Peppino fuhr dermaßen zusammen, daß Francesca, die er am Arme führte, sich erschrocken umsah.
Sie erblickte Michele Pezza, der sie grüßte und sich entfernte.
Seitdem Pezza in seinem Zweikampf mit Peppino diesem zwei Messerstiche beigebracht, fuhr Pezza fort Francesca zu grüßen, diese aber dankte ihm nicht mehr.
Am nächsten Sonntage ward das Aufgebot, welches wie man weiß, dreimal erfolgt, von dem Priester wiederholt.
An derselben Stelle wie am vorigen Sonntage, näherte Michele Pezza sich Peppino und sagte in demselben drohenden und doch ruhigen Tone:
»Du hast noch zehn Tage zu leben.«
Am dritten Sonntage erfolgte dasselbe Aufgebot und dieselbe Drohung, nur gewährte, da mittlerweile acht Tage verflossen waren, Pezza seinem Nebenbuhler nur noch zwei Tage Frist.
Der so gefürchtete und gleichzeitig so herbeigesehnte 23. September kam.
Es war ein Mittwoch. Nach einer stürmischen Nacht war der Tag, wie wir schon in einem unserer früheren Capitel gesagt, prachtvoll angebrochen und da die Trauung um elf Uhr Morgens stattfinden sollte, so hatten sich die Gäste, Freunde von Don Antonio, Freunde und Freundinnen von Peppino und Francesca, in dem Hause der Braut eingefunden, wo die Hochzeit stattfinden sollte, deren Wirth und erster Gast seinen Laden geschlossen hatte, um die Mahlzeit auf der Terrasse und das Fest im Hofe und im Garten stattfinden zu lassen.
Diese Terrasse, dieser Hof und dieser Garten halte, heiter von der Sonne beschienen und hier und da in Schatten gehüllt, von freudigen Ausrufungen wieder.
Wir haben die Scene zu malen gesucht, indem wir zeigten, wie die älteren Leute auf der Terrasse saßen und tranken, wie die jüngeren Leute beim Klange der Schellentrommeln und der Guitarre tanzten, wie von den Musikanten der eine saß und die beiden andern auf den Stufen der Terrasse standen, während dies Alles von dem unbeweglichen und unheimlichen Zuschauer beherrscht ward, welcher, sich auf den Ellbogen stützend, auf der Scheidemauer lag, und Hühner, Drosseln, Amseln und Sperlinge lustig die Weinranken plünderten, welche sich in der Einhegung, die sich unter dem Namen eines Gartens vom Kopfe bis zum Fuße des Berges erstreckt, von Pappel zu Pappel schlängelten.
Und nun, nachdem wir den Vorhang der Vergangenheit aufgezogen, begreifen unsere Leser, warum Don Antonio, Francesca und besonders Peppino von Zeit zu Zeit mit unruhigem Blick den jungen Mann betrachten, den sie nicht das Recht haben, von seinem Platze hinwegzutreiben und für dessen sanftes Temperament, ohne sich jedoch vollständig beruhigen zu können, Gevatter Giansimone bürgt, welcher seit dem denkwürdigen Tage, wo er versucht hat, sich von ihm zu trennen, nur Ursache gehabt, ihn zu loben, weil er niemals wieder etwas davon gesagt, daß Michele sein Haus verlassen solle.
Gerade in dem Augenblick, wo eine der munterten Tarantellen beendet war, schlug es halb zwölf.
Kaum war der letzte Glockenschlag verhallt, als ein Getöse, welches Don Antonio wohl kannte, sich hören ließ. Es war das Schellengeläute von Postpferden, das dumpfe schwere Rollen eines Wagens und das Geschrei zweier Postillone, welche Don Antonio mit einer Baßstimme riefen, die einem Gran Cartello vom Theater San Carlo Ehre gemacht haben würde.
Bei diesem dreifachen Geräusch begriffen der würdige Stellmachermeister und die ganze ehrenwerthe Gesellschaft, daß die Straße von Castellone nach Itri ihrer Gewohnheit gemäß wieder einmal ihre Streiche gemacht und daß Arbeit für ihn kam, welche er zuweilen mit dem Wundarzt des Ortes theilte, denn die Wagen brachen in den meisten Fällen ihre Räder oder Achsen, und die Reisenden ihre Arme oder Beine mit einem und demselben Schlage.
Zum Glück aber hatte der Reisende, welcher jetzt kam, und für welchen man Don Antonios Beistand in Anspruch nahm, nichts gebrochen, sondern verlangte den Stellmacher blos für seinen Wagen, ohne den Wundarzt für sich selbst zu bedürfen.
Dies ward übrigens zur Gewißheit als auf die Worte der Postillone: »Kommt schnell, Don Antonio, der Reisende hat sehr eilig!« Don Antonio geantwortet hatte: »Um so schlimmer für ihn, wenn er eilig hat, denn heute wird nicht gearbeitet, und man gleich darauf am äußersten Ende der in den Hof führenden Allee den Reisenden in eigener Person erscheinen sah und sagen hörte:
»Und warum, Bürger Antonio, wenn ich fragen darf, wird heute nicht gearbeitet?«
Der würdige Stellmacher stand ärgerlich wegen des Augenblicks, wo man ihn verlangte, daß er arbeite, und noch ärgerlicher wegen dieses Bürgertitels, dessen Gebrauch anstatt seines Adelstitels ihm verletzend erschien, im Begriff, wie dieses eine adelige Gewohnheit war, durch eine tüchtige Grobheit zu antworten, als er, die Augen auf den Reisenden werfend, erkannte, daß dieser eine viel zu vornehme Person war, als daß er derselben nach seiner gewöhnlichen, kurz angebundenen Weise hätte begegnen können.
In der That war der Reisende, welcher Don Antonio mitten in seinem Familienfest überraschte, Niemand anders als der französische Gesandte, der gegen Mitternacht von Neapel abgereist war, und da er den Postillonen, um das Königreich beider Sicilien so schnell als möglich im Rücken zu haben, nicht erlauben wollte, den Abhang von Castellone herab langsamer zu fahren, beim Passiren eines der zahlreichen Bäche, welche die Heerstraßen durchschneiden und sich in einen kleinen namenlosen Fluß ergießen, eines der Hinterräder seines Wagens zerbrochen hatte.
Dieser Unfall hatte ihn, so viel ihm auch daran lag, die römische Grenze so schnell als möglich zu erreichen, genöthigt, die letzte Viertelstunde zu Fuße zurückzulegen, und dies gab der Ruhe, womit er gefragt hatte: »Und warum, wenn ich fragen darf, Bürger Antonio, arbeitet man heute nicht?« ein neues Verdienst.
»Entschuldigen Sie, mein General, « antwortete dem Reisenden einen Schritt entgegengehend Don Antonio, der den Bürger Garat wegen seines kriegerischen Costüms für einen Militär hielt und glaubte, daß ein Militär, um mit vierspänniger Extrapost zu fahren, wenigstens General sein müsse, »ich wußte nicht, daß ich die Ehre hätte, mit einer hohen Person zu sprechen, wie Sie, Excellenz, zu sein scheinen, denn dann hätte ich nicht geantwortet: Man arbeitet heute nicht, sondern: Man arbeitet erst in einer Stunde!«
»Und warum kann man nicht sogleich arbeiten?«, fragte der Reisende im gewinnendsten Tone, welcher verrieth, daß, wenn es sich blos um ein Geldopfer handle, er bereit sei, es zu bringen.
»Weil eben die Glocke schlägt, Excellenz, und weil, selbst wenn es gälte, den Wagen Seiner Majestät des Königs Ferdinand, den Gott uns erhalten möge, zu reparieren, ich doch den Herrn Pfarrer nicht warten lassen würde.«
»In der That,« sagte der Reisende, indem er sich umschaute, »ich glaube, ich bin in eine Hochzeit hineingerathen.«
»Sehr richtig, Excellenz.«
»Und,« fragte der Reisende in wohlwollendem Tone, »dieses schöne Mädchen, welches sich vermält?«
»Ist meine Tochter.«
»Ich wünsche Euch Glück dazu. Um ihrer schönen Augen willen werde ich warten.«
»Wenn Sie, Excellenz, uns die Ehre erzeigen wollen, uns in die Kirche zu begleiten, so wird Ihnen dies vielleicht ein wenig die Zeit des Wartens verkürzen. Der Herr Pfarrer wird eine sehr schöne Rede halten.«
»Ich danke, mein Freund; ich will lieber hier bleiben.«
»Nun gut, so bleiben Sie. Bei unserer Rückkehr trinken Sie dann vielleicht ein Glas Wein mit uns auf die Gesundheit der Braut. Es wird ihr dies Glück bringen und wir werden dann nur um so besser arbeiten.«
»Die Sache ist abgemacht, mein wackerer Freund. Und wie lange wird eure Ceremonie dauern?«
»Drei Viertelstunden, höchstens eine Stunde. Vorwärts denn, Kinder, in die Kirche!«
Jeder beeilte sich, den von Don Antonio, der sich für diesen Tag zum Ceremonienmeister gemacht, erheilten Befehl auszuführen, ausgenommen Peppino, welcher zurückblieb und bald sich mit Michele Pezza allein sah.
»Höre, Pezza,« sagte er, indem er, mit offener Hand und lächelndem Munde, obschon dieses Lächeln vielleicht ein wenig erkünstelt war, auf ihn zuging, »heute gilt es, unsern alten Groll zu vergessen und einen aufrichtigen Frieden zu schließen.«
»Du irrst Dich, Peppino,« entgegnete Pezza. »Es gilt vielmehr, daß Du Dich bereit macht, vor Gott zu erscheinen, das ist Alles.«
Dann richtete er sich auf der Mauer empor und sagte in feierlichem Tone:
»Francesca’s Bräutigam, Du hast noch eine Stunde zu leben!«
Nachdem er dies gesagt, sprang er in Giansimone's Garten hinab und verschwand hinter der Mauer.
Peppino schaute sich um und als er sah, daß er allein war, machte er das Zeichen des Kreuzes und sagte:
»Allmächtiger, in deine Hände befehle ich meinen Geist!«
Dann eilte er seiner Braut und seinem Schwiegervater nach, die sich schon auf dem Wege zur Kirche befanden.
»Wie bleich Du bist!« sagte Francesca zu ihm.
»Mögest Du,« antwortete er, »in einer Stunde nicht noch bleicher sein, als ich jetzt bin.«
Der Gesandte, dem während der Stunde, wo er warten mußte, keine Zerstreuung weiter übrig blieb, als die Bewohner von Itri ihrem Vergnügen oder ihren Geschäften nachgehen zu sehen, folgte mit den Augen dem Brautzuge, bis er ihn an der Ecke der Straße, welche nach der Kirche führte, verschwinden sah.
Als er seinen Blick mit der Zerstreutheit eines Menschen, welcher wartet und den dieses Warten langweilt, nach der entgegengesetzten Seite richtete, glaubte er zu seinem großen Erstaunen am äußersten Ende der Straße von Fondi, das heißt in der Richtung von Rom nach Neapel, französische Uniformen zu gewahren.
Diese Uniformen wurden von einem Brigadier und vier Dragonern getragen, welche einen Reisewagen eskortierten, dessen Gang, obschon es ein Postwagen war, sich nicht nach dem der Pferde, die ihn zogen, richtete, sondern nach dem der Pferde, die ihn eskortierten.
Übrigens sollte die Neugier des Bürgers Garat sehr bald befriedigt werden; der Wagen und seine Escorte kamen auf ihn zu und konnten sich seiner nähern Besichtigung nicht entziehen, mochte nun der Wagen sich begnügen an der Post die Pferde zu wechseln, oder mochten die Reisenden welche er enthielt, in dem Gasthaus einkehren, denn die Post war das erste Haus zu einer Rechten und das Gasthaus stand ihm gegenüber.
Er brauchte aber nicht einmal dieses Anhalten abzuwarten. Als der Brigadier ihn erblickte und die Uniform eines hohen Beamten der Republik erkannte, setzte er sein Pferd in Galopp, sprengte dem Wagen um hundert oder hundertundfünfzig Schritte voran und machte vor dem Gesandten Halt, indem er die Hand an seinen Helm legte und wartete, befragt zu werden.
»Mein Freund,« sagte der Gesandte mit seiner gewöhnlichen Leutseligkeit, »ich bin der Bürger Garat, Gesandter der Republik am Hofe von Neapel, und dies gibt mir das Recht Euch zu fragen, wer die Personen sind, die sich in diesem von Euch eskortierten Reisewagen befinden.«
»Zwei alte Ci-devant-Damen in ziemlich schlechtem Zustand, Bürger Gesandter,« antwortete der Brigadier »und ein Ci-devant, der, wenn er mit Ihnen spricht, sie Prinzessinen nennt.«
»Kennt Ihr die Namen dieser Damen?«
»Die eine heißt Madame Victoire und die andere Adelaide.«
»Ah! ah!« sagte der Gesandte.
»Ja,« fuhr der Brigadier fort, »wie es scheint, waren die Tanten des Tyrannen, welchen man guillotiniert hat. Im Augenblick der Revolution sind sie nach Oesterreich geflohen, von Wien sind sie nach Rom gegangen und in Rom ist es ihnen, als die Republik auch hierhergekommen, Angst geworden, als ob die Republik gegen solche alte Nachthauben Krieg führte! Sie wären daher aus Rom gern eben so entflohen, wie sie aus Paris und Wien entflohen sind, wie ich aber gehört, gab es noch eine dritte Schwester, die älteste, eine ganz gebrechliche alte Dame, welche man Madame Sophie nannte. Diese ist krank geworden und die andern haben sie nicht verlassen wollen, was übrigens ganz hübsch von diesen war. Endlich haben sie den General Berthier um Erlaubniß zum Aufenthalt gebeten – ich langweile Sie aber wohl durch mein Geschwätz, Bürger und Gesandter, nicht wahr?«
»Nein, durchaus nicht, mein wackerer Freund. Im Gegentheil, was Ihr mir da erzählt, interessiert mich in hohem Grade.«
»Nun dann sind Sie nicht schwer zu befriedigen, Bürger Gesandter. Ich wollte also sagen, eine Woche nach Ankunft des Generals Championnet, welcher mich alle zwei Tage hinschickte, um mich nach dem Befinden der Kranken zu erkundigen, wünschten die beiden andern Schwestern, nachdem die kranke gestorben und begraben war, Rom zu verlassen und sich nach Neapel zu begeben, wo sie, wie ich höre, Verwandte haben, die sich in guten Verhältnissen befinden. Dabei aber fürchteten sie unterwegs als verdächtig angehalten zu werden und der General Championnet sagte zu mir: »Brigadier Martin, Du bist ein Mann von Erziehung, Du weißt mit den Frauen zu sprechen. Nimm vier Mann und begleite diese beiden alten Creaturen, welche im Grunde genommen doch Töchter Frankreichs sind, bis über die Grenze. Also, Brigadier Martin, alle mögliche Rücksicht, verstehst Du? Sprich mit ihnen nur in der dritten Person und mit dem Helm in der Hand wie mit Vorgesetzten!« »Aber, Bürger General,« antwortete ich, »wenn nur ihrer zwei sind, wie kann ich dann mit ihnen in der dritten Person sprechen?« Der General lachte über die Albernheit, die ihm entschlüpft war, und sagte: »Brigadier Martin, Du bist noch klüger, als ich glaubte. Es sind drei Personen, mein Freund, nur ist die dritte ein Mann, nämlich der Ehrencavalier der beiden Frauen; man nennt ihn den Graf von Chatillon!« – »Bürger General,« antwortete ich ihm, »ich glaubte, es gäbe keine Grafen mehr.« – »In Frankreich,« entgegnete er, »gibt es allerdings keine mehr, im Ausland aber und besonders in Italien treiben sich hier und da immer noch einige herum.« – »Und, mein General, ich diesen Chatillon Graf oder Bürger nennen?« – »Nenne ihn wie Du willst; ich glaube aber Du wirst ihm sowohl als den Personen, die er begleitet, mehr Vergnügen machen, wenn Du ihn Herr Graf, als wenn Du ihn Bürger – nennst, und da weiter nichts darauf ankommt und Niemanden dadurch ein Unrecht zugefügt wird, so kannst immerhin ganz laut: Herr Graf sagen.« – Und so habe ich es auf dem ganzen Wege gemacht. Es schien dies an wirklich den armen alten Damen zu gefallen und sie sagten: »Das ist ein wohlerzogener junger Mann, mein lieber Graf. Wie heißt Du, mein Freund?« Ich hatte Lust, ihn zu antworten, daß ich auf alle Fälle besser erzogen wäre als sie, da ich ihren Grafen nicht duzte, während sie dies doch mit mir thaten; ich begnügte mich indessen zu entgegnen: »Es ist schon gut, es ist schon gut, ich heiße Martin. Auch haben sie sich während des ganzen Weges, wenn irgend etwas wollten, allemal an mich gewendet und mich einmal über das andere lieber Martin genannt. Sie begreifen aber wohl, Bürger Gesandter, daß dies weiter nichts auf sich haben kann, denn die jüngste der beiden Damen zählt neunundsechzig Jahre.«
»Und bis wie weit hat der General Championnet Euch befohlen, sie zu geleiten?«
»Bis über die Grenze und selbst noch weiter, wenn sie es wünschten.«
»Dann, Bürger Brigadier, habt Ihr eurer Instruction genügt, denn Ihr habt die Grenze passiert und seid hier schon zwei Poststationen über dieselbe hinaus. Uebrigens würde es auch vielleicht mit Gefahr verknüpft sein, noch weiter zu gehen.«
»Für mich oder für die alten Damen?«
»Für Euch.«
»O, wenn es weiter nichts ist, Bürger Gesandter, so so hat dies weiter nichts zu sagen, wissen Sie. Der Brigadier Martin kennt die Gefahr und ist mehr als einmal ihr Bettgenosse gewesen.«
»Hier wäre aber die Gefahr zwecklos und könnte ernste Folgen haben. Ihr werdet daher euren beiden Prinzessinnen mittheilen, daß euer Dienst bei ihnen beendet ist.«
»Aber dann werden sie ein schönes Geschrei erheben, das sage ich Ihnen im Voraus, Bürger Gesandter. Mein Gott, was soll aus den armen Mädchen werden, wenn sie ihren Martin nicht mehr haben? Sehen Sie, sie haben schon bemerkt, daß ich nicht mehr in ihrer Nähe bin, und suchen mich mit ängstlichen Blicken.«
In der That hatte während dieser Unterredung oder während dieser Erzählung – denn die wenigen Worte, welche der Bürger Garat gesprochen, waren in dem Vortrage des Brigadier Martin nur als Fragezeichen zu betrachten – der Wagen der alten Prinzessinnen vor dem Gasthause del Riposo d'Orazio Halt gemacht, und als sie ihren Beschützer in einer eifrigen Conversation mit einer Person sahen, die das Costüm der hohen republikanischen Beamten trug, fürchteten sie, daß irgend ein Complott gegen ihre Sicherheit gesponnen oder Gegenbefehl in Bezug auf ihre Reise ertheilt werde.
Deshalb riefen sie nach dem Commandanten ihrer Escorte in einem Tone und mit einer Miene, welche der Eigenliebe des Brigadier Martin in hohem Grade schmeichelhaft sein mußte.
Auf einen Wink des Bürgers Garat und während dieser, um sich eine peinliche Unterredung zu ersparen, in die Allee des Stellmachers zurückkehrte und auf der jetzt leeren Terrasse Platz nahm, ritt Martin an den Schlag des Wagens und setzte, die Hand am Helme, wie Championnet ihn instruiert, die königlichen Reisenden von der so eben von einem Vorgesetzten ihm erheilten Ordre, nach Rom zurückzukehren, in Kenntniß.
Wie der Brigadier Martin sehr richtig vorausgesehen, versetzte diese Mittheilung die alten Damen in große Unruhe. Sie beriethen sich zuerst mit einander selbst, dann mit ihrem Chrencavalier, und das Resultat dieser doppelten Berathung war, daß Graf Chatillon sich bei dem Unbekannten in der blauen Uniform und mit dem dreifarbigen Federbusch nach den Gründen erkundigen sollte, welche den Brigadier Martin und seine vier Mann abhalten könnten, noch weiter mitzugehen.
Der Graf von Chatillon stieg aus dem Wagen, folgte dem Wege, den er den republikanischen Beamten hatte einschlagen sehen, und fand, als er am andern Ende der Allee anlangte, ihn auf Don Antonios Terrasse sitzend und mit den Augen mechanisch und vielleicht, ohne ihn zu sehen, einem jungen Mann folgend, welcher in dem Augenblick, wo der Graf eingetreten war, von der Scheidemauer in den Garten des Stellmachers herübersprang und mit einer Flinte auf der Schulter diesen Garten nach seiner ganzen Länge durchschritt.
Es war dies in diesem Lande der Unabhängigkeit, wo Jeder bewaffnet einhergeht und wo die Einhegungen nur den Zweck zu haben scheinen, der Behendigkeit der Passanten zur Uebung zu dienen, etwas so Einfaches, daß der Gesandte dieser Thatsache nur mittelmäßige Aufmerksamkeit zu widmen schien – eine Aufmerksamkeit, von welcher er überdies durch das Erscheinen des Grafen von Chatillon sofort wieder abgelenkt ward.
Der Graf kam auf ihn zu.
Der Bürger Garat erhob sich.
Garat, der Sohn eines Arztes in Ustaritz, hatte eine ausgezeichnete Erziehung genossen und war vielseitig gebildet. Er hatte im vertrauten Umgange mit den Philosophen und Encyclopädisten gelebt und durch seine verschiedenen Lobreden auf Suger, auf Herrn von Montausier und Fontenelle akademische Preise erworben.
Er war ein Mann vom Welt, vor allen Dingen eleganter Sprecher und bediente sich des jakobinischen Wörterbuches nur bei gewissen Gelegenheiten und wenn er nicht anders konnte.
Als er den Grafen von Chatillon auf sich zukommen sah, erhob er sich und ging ihm die Hälfte des Weges entgegen.
Die beiden Herren begrüßten einander mit einer Courtoisie, welche weit mehr nach Ludwig dem Fünfzehnten all nach dem Directorium schmeckte.
»Soll ich mein Herr oder Bürger sagen?«, fragte der Graf von Chatillon lächelnd.
»Sagen Sie, wie Sie wollen, Herr Graf. Es wird mir stets eine Ehre sein, die Fragen zu beantworten, welch Sie wahrscheinlich von Seiten der königlichen Hoheiten an mich richten werden.«
»Das laß ich mir gefallen!« sagte der Graf. »Ich schätze mich glücklich, mitten in diesen barbarischen Gegenden einen civilisierten Menschen zu treffen. Ich komme also im Namen Ihrer königlichen Hoheiten, da Sie mir erlauben, den Töchtern Ludwigs des Fünfzehnten diesen Titel zu bewahren, um Sie zu fragen, nicht als ob ich Sie zur Rede stellen wollte, sondern um eine für die Gemüthsruhe der Prinzessinnen wesentliche Auskunft zu erlangen, worin der Wille oder das Hinderniß besteht, welches nicht erlaubt, daß die Prinzessinnen die Escorte, welche der General Championnet so freundlich gewesen ist, ihnen zu geben, bis nach Neapel behalten?«
Garat lächelte.
»Ich begreife recht wohl den Unterschied, der zwischen dem Worte Hinderniß und dem Wort Wille besteht, Herr Graf, und ich werde Ihnen beweisen, daß das Hinderniß vorhanden und daß, wenn gleichzeitig ein Wille sich kundgibt, derselbe ein mehr wohl- als übelwollender ist.«
»Nun, so beginnen Sie zunächst mit dem Hinderniß,« jagte der Graf, sich verneigend.
»Das Hinderniß ist folgendes, Herr Graf. Seit gestern Mitternacht ist zwischen dem Königreich beider Sicilien und der französischen Republik der Krieg erklärt. Die Folge hiervon ist, daß eine aus fünf Feinden bestehende Escorte, wie Sie selbst begreifen werden, für die königlichen Hoheiten mehr eine Gefahr als ein Schutz wäre. Was den Willen betrifft, welcher der meinige ist und den Sie nun ganz natürlich aus dem Hinderniß sich ergeben sehen, so ist er darauf gerichtet, die erlauchten Reisenden nicht Beleidigungen und ihre Escorte nicht der Gefahr, ermordet zu werden, auszusetzen. Habe ich die kategorische Frage auch kategorisch beantwortet, Herr Graf?«
»So kategorisch, mein Herr, daß ich mich freuen würde, wenn Sie sich dazu verstehen wollten, den königlichen Hoheiten zu wiederholen, was Sie mir so eben die Ehre erzeigt haben zu sagen.«
»Mit großem Vergnügen würde ich dies thun, Herr Graf; eine zarte Rücksicht aber, welche Sie, wie ich überzeugt bin, wenn sie Ihnen bekannt wäre, respectiren würden, beraubt mich zu meinem großen Bedauern der Ehre, den Prinzessinnen meine Huldigungen darbringen zu können.«
»Haben Sie irgend einen Grund, diese Rücksicht geheim zu halten?«
»Nein, durchaus nicht. Ich fürchte einfach blos, daß meine Gegenwart den Prinzessinnen unangenehm sei.«
»Unmöglich!« »Ich weiß, mit wem ich die Ehre habe zu sprechen, mein Herr. Sie sind der Graf von Chatillon, Ehrencavalier Ihrer königlichen Hoheiten, und dies ist mein Vortheil, den ich vor Ihnen voraus habe, denn Sie wissen nicht wer ich bin.«
»Sie sind – dies steht außer allem Zweifel – ein Mann von Welt und von vollkommener Courtoisie.«
»Und eben deshalb, mein Herr, wurde ich von dem Convent zu der verhängnißvollen Ehre ausersehen, dem König Ludwig dem Sechzehnten ein Todesurtheil zu verlesen.«
Der Graf von Chatillon prallte einen Schritt zurück, als ob er sich plötzlich einer Schlange gegenüber sähe.
»Dann sind Sie ja das Conventmitglied Garat!« rief er.
»Sehr richtig, Herr Graf. Sie sehen, wenn mein Name auf Sie, der Sie, so viel ich weiß, kein Verwandter des Königs Ludwigs des Sechzehnten sind, diese Wirkung äußert, welche Wirkung er erst auf diese armen Prinzessinnen äußern würde, welche seine Tanten waren. Allerdings,« setzte der Gesandte mit seinem feinen Lächeln hinzu, »waren sie ihrem Neffen, so lange er lebte, nicht sonderlich gewogen, heute aber weiß ich, daß sie ihn anbeten. Der Tod ist wie die Nacht. Er bringt guten Rath.«
Der Graf von Chatillon verneigte sich und ging, um den Prinzessinnen Victoire und Adelaide das Resultat der Conversation, die er soeben gehabt, mitzutheilen.