Читать книгу Die Dame von Monsoreau - Александр Дюма - Страница 16
Erstes bis viertes Bändchen
Sechzehntes Kapitel
Wie der König Heinrich III. reiste und wie viel Zeit er brauchte, um von Paris nach Fontainebleau zu kommen
ОглавлениеAls sich der Tag vier oder fünf Stunden nach den von uns erzählten Ereignissen erhob, sah er bei dem Scheine einer bleichen Sonne, welche kaum die Fransen einer röthlichen Wolke versilberte, den Aufbruch von Heinrich III. nach Fontainebleau, wo erwähnter maßen für den zweiten Tag eine große Jagd beabsichtigt war.
Dieser Aufbruch, der bei einem Andern unbemerkt geblieben wäre, bildete, wie alle Handlungen im Leben dieses seltsamen Fürsten, dessen Regierung wir zu skizzieren unternommen haben, im Gegenteil ein Ereignis durch die geräuschvolle Bewegung, welche dadurch veranlasst wurde.
Auf dem Quai des Louvre erschienen wirklich gegen acht Uhr Morgens, in langen Reihen aus der großen zwischen der Tour du Coin und der Rue de l'Astruce liegenden Pforte hervorkommend, eine Menge von Edelleuten im Dienste, auf guten Pferden reitend und in Pelzmäntel gehüllt, sodann Pagen ohne Zahl, hierauf eine Welt von Lackeien, und endlich eine Compagnie von Schweizern, welche unmittelbar der königlichen Sänfte voranging.
Diese von acht reich gezäumten Maultieren gezogene Sänfte verdient eine besondere Erwähnung.
Es war eine ein langes Viereck bildende Maschine, getragen von vier Rädern, im Innern ganz ausgeschmückt mit Kissen, außen ganz drapirt mit Brocatvorhängen; sie mochte ungefähr fünfzehn Fuß lang und acht Fuß breit sein. An zu schwierigen Stellen oder bei zu steilen Bergen ersetzte man die acht Maultiere durch eine ungeheure Anzahl von Ochsen, deren langsames, aber kräftiges, halsstarriges Wesen die Schnelligkeit allerdings nicht vermehrte, aber wenigstens die Sicherheit verlieh, dass man, wenn nicht eine Stunde, doch mindestens zwei bis drei Stunden später am Ziele ankommen müsse.
Diese Maschine enthielt den König Heinrich und seinen ganzen Hof, mit Ausnahme der Königin Louise von Vaudemont, welche, es ist nicht zu leugnen, abgesehen von den Pilgerfahrten und Prozessionen, so wenig zu dem Hofe ihres Gemahls gehörte, dass es sich nicht der Mühe lohnt, davon zu sprechen.
Lassen wir also die arme Königin bei Seite und sagen wir, woraus der Reisehof des Königs bestand.
Er bestand vor Allem aus König Heinrich III., aus seinem Arzte Marc Miron, aus seinem Kaplan, dessen Name nicht bis auf unsere Zeit aufbewahrt worden ist, aus seinem Narren Chicot, unserem alten Bekannten, aus fünf bis sechs in Gunst stehenden Mignons, welche für den Augenblick Quélus, Schomberg, Épernon, d'O und Maugiron waren, aus einem Paar großer Windhunde, welche mitten durch diese sitzende, liegende, stehende, kniende, anlehnende Welt ihre langen Schlangenköpfe von Minute zu Minute zu einem übermäßigen Gähnen durchstreckten, und einem Körbchen kleiner englische Hunde, das der König bald auf seinem Schoße, bald an einer Kette oder an Bändern an seinem Halse hängend trug.
Von Zeit zu Zeit zog man aus einer zu diesem Behufe angebrachten Nische eine Hündin mit vollen Brüsten, welche diesem ganzen Körbchen mit kleinen Hunden zu trinken gab, das mitleidig und ihre spitzige Schnauze an den Rosenkranz von Totenköpfen haltend, der in der linken Hand des Königs klapperte, die zwei Windhunde betrachteten, welche, sicher der großen Gunst, der sie sich erfreuten, sich nicht einmal die Mühe gaben, eifersüchtig zu werden.
An der Decke der Sänfte schaukelte sich ein Käfig von vergoldetem Kupferdraht, die schönsten Turteltauben der Welt enthaltend, Turteltauben mit einem schneeweißen Gefieder und einem doppelten schwarzen Halsbande.
Kam zufällig eine Frau in die königliche Sänfte, so vermehrte sich die Menagerie um zwei bis drei Affen von der Art der Ouistitis oder der Sapajous, denn der Affe war in diesem Augenblick das Lieblingstier der eleganten Damen am Hofe des letzten Valois.
Eine Liebe Frau von Châtres, von Jean Goujon für den König Heinrich II. aus Marmor ausgehauen, stand im Hintergrunde der Sänfte in einer vergoldeten Nische und senkte auf ihren göttlichen Sohn Blicke herab, welche über das, was sie sahen, ganz erstaunt zu sein schienen.
Alle Pamphlete der Zeit, und es fehlte nicht daran, alle satirische Gedichte jener Epoche, und es wurden solche in großer Anzahl geboren, erwiesen dieser Sänfte die Ehre, sich sehr häufig mit ihr zu beschäftigen, und bezeichneten sie mit dem Namen Arche Noah.
Der König saß im Hintergrunde der Sänfte, gerade unter der Nische Unserer Lieben Frau; zu seinen Füßen flochten Quélus und Maugiron Bänder, was eine von den ernsthaftesten Beschäftigungen der jungen Leute jener Zeit war, von denen es einige durch eine bis dahin unbekannte und seitdem nicht wieder aufgefundene Kombinationskraft dahin gebracht hatten, dass sie zwölfteilige Flechten zu machen wussten; Maugiron vollendete in einer Ecke eine Stickerei mit seinem Wappen mit einer neuen Devise, die er gefunden zu haben glaubte, aber nur wiedergefunden hatte; in der andern Ecke plauderten der Kaplan und der Doktor; d'O und Épernon schauten durch die Öffnungen und gähnten, zu früh aufgeweckt, wie die Windhunde; auf einem von den Schlägen sitzend, die Beine zur Maschine hinaus hängend, um stets je nach seiner Laune zum Aussteigen oder Einsteigen bereit zu sein, saß endlich Chicot, sang Hymnen, deklamierte Pasquille oder machte nach der Wut der Zeit Anagramme, und fand in jedem Namen eines Höflings, mochte er ein französischer oder ein lateinischer sein, für denjenigen, dessen Individualität er verstümmelte, unendlich unangenehme Persönlichkeiten.
Als man auf den Platz des Châtelet kam, stimmte Chicot ein geistliches Lied an.
Der Kaplan, der, wie gesagt, mit Miron plauderte, wandte sich um und faltete die Stirne.
»Chicot, mein Freund,« sprach Seine Majestät, »nimm Dich in Acht, haue meine Mignons, zerlege meine Majestät in Stücke, sage von Gott, was Du willst, Gott ist gut, aber entzweie Dich nicht mit der Kirche.«
»Ich danke für den Rat, mein Sohn,« sagte Chicot, »ich sah nicht unsern würdigen Kaplan, der dort mit dem Doktor über den letzten Todten spricht, den dieser ihm zum Begraben zugeschickt hat, und sich darüber beklagt, dass es der Dritte an einem Tage war, und zwar stets zu den Stunden seiner Mahle, was ihn gewaltig belästigt. Keine Hymnen, Du sprichst goldene Worte; das ist zu, alt. Ich will Dir ein ganz neues Lied singen.«
»Auf welche Melodie?« fragte der König.
»Immer dieselbe,« sagte Chicot, und er fing an aus voller Kehle zu singen:
»Zweimal hundert Milliönchen
Schuldet Catharinens Söhnchen,
»Ich bin mehr schuldig,« sagte Heinrich, »Dein Dichter ist schlecht unterrichtet, Chicot.«
Chicot fuhr fort, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen:
»Zweimal hundert Milliönchen
Schuldet Catharinens Söhnchen,
Die die Mignons nur verschwendet;
Rasch den Witz nun aufgewendet,
Neue Steuern zu erfinden,
Eingeweid heraus zu winden
Aus des armen Volkes Haut,
Das sein Leben muss hinziehen
An den Klauen der Harpyen,
Deren Maul nur frißt, nie kaut.«
»Gut!« rief Quélus, während er an seiner Seide flocht, »Du hast eine schöne Stimme; die zweite Strophe, mein Freund.«
»Höre, Valois,« sagte Chicot, ohne Quélus zu antworten, »verhindere doch Deine Freunde, mich ihren Freund zu nennen; das demütigt mich.«
»Sprich in Versen, Chicot,« erwiderte der König, »Deine Prosa taugt nichts.«
»Gut,« versetzte Chicot und fuhr dann fort:
»Seht, wie üppig Tracht und Worte,
Führte sie ein ehrlich Weib,
Schimpfte man zum Zeitvertreib
Bald gewiss an jedem Orte.
Stach der steifen Krause Falten
Muss sich streng ihr Hals gestalten;
Weizen stärkt nicht mehr genug,
Das Hemd kriegt da und dort 'neu Bug,
Und wird erst zierlich, rein und weiß,
Seitdem man stärkt mit teurem Reiß.«
»Bravo!« sagte der König, »nicht wahr, d'O du hast die Stärke von Reiß erfunden?«
»Nein, Sire,« entgegnete Chicot, »Herr von Saint-Mégrin, der im vorigen Jahr unter den Streichen von Herrn von Mayenne gestorben ist; den Teufel! nehmt dem armen Toten dieses Verdienst nicht, er zählt nur auf diese Stärke und auf das, was er Herrn von Guise getan hat, um auf die Nachwelt überzugehen; würdet Ihr ihm die Stärke nehmen, so müsste er auf halbem Wege stehen bleiben.«
Und ohne auf das Gesicht des Königs Rücksicht zu nehmen, das sich bei dieser Erinnerung sichtbar verdüsterte, fuhr Chicot fort:
»Erlasst mir die dritte Strophe, die sich gar zu ausführlich über den Gummi in ihren Haaren verbreitet, und eben so übergehe ich die vierte wegen ihrer unmoralischen Anspielungen. Doch die fünfte soll Euch nicht vorenthalten werden:
Glaubet, Frankreichs stolze Ahnen,
Die mit ihren Siegerwaffen
Ruhm und Ehre sich geschaffen,
Oft gebeugt des Feindes Fahnen,
Deren Mut sich stets bewähret,
Die man nah und fern geehret,
Glaubet, Freunde, glaubet nicht,
Dass sie die Perrück frisierten,
Mit gestärktem Hemd sich zierten,
Daß geschminkt sie ihr Gesicht.«
»Bravo!« rief Heinrich, »wenn mein Bruder da wäre, müsste er Dir sehr dankbar sein, Chicot.«
»Wen nennst Du Deinen Bruder, mein Sohn? Etwa Joseph Foulon, den Abt von Sainte-Geneviève, bei welchem Du, wie man sagt, Dein Gelübde ablegen willst?«
»Nein,« versetzte Heinrich, der sich allen Scherzen von Chicot hingab. »Ich spreche von meinem Bruder Franz.«
»Ah! Du hast Recht, jener ist nicht Dein Bruder in Gott, sondern im Teufel. Gut! gut! Du sprichst von Franz, Sohn von Frankreich durch die Gnade Gottes, Herzog von Brabant, Luxemburg, Geldern, Alençon, Anjou, Touraine, Berry, Évreux und Château-Tierry, Graf von Flandern, Holland, Seeland, Zutphen, Maine und Perche, von Mantes, Meulan und Beaufort, Markgraf des heiligen römischen Reichs, Herr von Friesland und Mecheln, Verteidiger der belgischen Freiheit, dem die Natur eine Nase gegeben, dem die Pocken zwei Nasen gegeben, und über den ich folgende Strophe gemacht habe:
Meine Herren, staunet nicht,
Wenn Ihr an Franz zwei Nasen seht,
Denn ein doppeltes Gesicht
Stets auch mit zwei Nasen geht.«
Die Mignons brachen in ein Gelächter aus, denn der Herzog von Anjou war ihr persönlicher Feind und das Epigramm gegen den Prinzen ließ sie einen Augenblick das Pasquill vergessen, das Chicot gegen sie gesungen hatte.
Der König, der bis jetzt nur die Spritzer dieses laufenden Feuers erhalten hatte, lachte lauter als alle Andere, schonte Niemand, gab Zucker und Pasteten seinen Hunden, und fiel mit der Zunge über seinen Bruder und über seine Freunde her.
Plötzlich rief Chicot:
»Oh! das ist nicht politisch, Heinrich, das ist vermessen und unklug.«
»Was denn?« versetzte der König.
»Nein, so wahr ich Chicot heiße, Du solltest dergleichen Dinge nicht zugestehen … Pfui doch!«
»Was für Dinge?« fragte Heinrich erstaunt.
»Das, was Du alle Tage von Dir selbst sagst, wenn Du Deinen Namen unterzeichnest; ah! Henriquet, ah! mein Sohn.«
»Gebt Acht, Sire,« rief Quélus, der irgend eine Bosheit unter der äußerst gutmütigen Miene von Chicot vermutete.
»Was Teufels willst Du damit sagen, Narr?« fragte der König.
»Wie unterzeichnest Du, lass hören?«
»Bei Gott ich unterzeichne … ich unterzeichne … Henri de Valois.«
»Gut, merkt auf, meine Herren!« sagte Chicot, »lässt sich nicht ein V in diesen dreizehn Buchstaben finden?«
»Allerdings, Valois beginnt mit einem V.«
«Nehmt Eure Schreibtafel, Herr Kaplan, denn Ihr sollt den Namen hören, unter dem Ihr fortan den König einzutragen habt: Henri de Valois ist nur ein Anagramm.«
»Wie so?«
»Ja, nur ein Anagramm, ich will Euch den wahren Namen Seiner gegenwärtig regierenden Majestät nennen. Wir sagen: In Henri de Valois findet sich ein V, setzt ein V auf Eure Schreibtafel.«
«Es ist geschehen,« antwortete Épernon.
»Gibt es nicht auch ein i darin?«
»Gewiß, es ist der letzte Buchstabe des Wortes Henri.«
»Wie groß ist doch die Bosheit der Menschen, dass sie so die Buchstaben trennen, welche gemacht sind, um an einander zu hängen!« sprach Chicot.
»Setzt mir das i neben das V. Gut, ist es geschehen?«
»Ja.«
»Suchen wir nun wohl, ob wir nicht ein I finden werden; es trifft sich, nicht wahr? ein a, ebenfalls; ein zweites i, wir haben es, endlich ein n. Gut. Kannst Du lesen, Nogaret?«
«Ich gestehe es zu meiner Schande,« sprach Épernon.
»Ah! Halunke, glaubst Du zufällig, Du seist von so vornehmem Adel, dass Du unwissend sein müsstest?«
»Bursche!« rief Épernon, sein Blaserohr über Chicot schwingend.
»Schlage, aber buchstabiere.«
Épernon lachte und buchstabierte:
»Vi-lain«
»Gut!« rief Chicot, »Du siehst, Heinrich, wie das beginnt, Dein wahrer Taufname ist bereits wiedergefunden. Ich hoffe, Du wirst mir eine Pension aussetzen, wie sie unser Bruder Karl IX. Herrn Amyot verlieh, wenn ich Deinen Familiennamen wiedergefunden habe.«
»Chicot, Du wirst Prügel bekommen,« rief der König.
»Wo holt man die Stöcke, mit denen man die Edelleute prügelt, mein Sohn, etwa in Polen?« entgegnete Chicot.
»Es scheint mir jedoch,« sagte Quélus, »Herr von Mayenne hat sich bei Dir der Prügel nicht enthalten, als er Dich bei seiner Geliebten fand.«
»Das ist auch eine Rechnung, die wir noch mit einander zu ordnen haben. Seid unbesorgt, Herr Cupido, die Sache ist ihm hier gut geschrieben.«
Chicot legte die Hand an die Stirne, was zum Beweist dient, dass man schon damals den Kopf für den Sitz des Gedächtnisses hielt.
»Höre, Quélus,« sagte Épernon, »Du wirst sehen, dass uns durch Deine Schuld der Familiennamen entgeht.«
»Befürchte dies nicht,« erwiderte Chicot, »ich habe ihn, zu Herrn von Guise würde ich sagen: an den Hörnern; doch zu Dir, Heinrich, begnüge ich mich, zu sagen: an den Ohren.«
»Den Namen! den Namen!« riefen alle junge Leute.
»Wir finden vor Allem in dem, was uns noch übrig bleibt, ein großes H, Nogaret, nimm das H.«
»Épernon gehorchte.«
»Dann ein e, dann ein r, dann in Valois ein o; ferner da Du das Fürwort vom Nennwort durch das trennst, was die Grammatiker die Partikel nennen, so lege ich die Hand auf ein d und ein e, was uns mit dem s, das den Geschlechtsnamen endigt, geben wird: buchstabiere, Épernon, H, e, r, o, d, e, s.«
»Herodes,« sprach Épernon.
»Vilain Herodes,« rief der König.
»Ganz richtig,« sagte Chicot, »und so unterschreibst Du jeden Tag mein Sohn? Oh!«
Und Chicot warf sich mit allen Zeichen eines schamhaften Schreckens zurück.
»Herr Chicot, Ihr überschreitet die Grenzen,« sagte Heinrich.
»Ich! ich sage, was ist, und nichts Anderes: doch so sind die Könige, macht sie auf etwas aufmerksam, und sie ärgern sich.«
»Das ist eine hübsche Genealogie,« sprach Heinrich.
»Leugne sie nicht, mein Sohn; beim Teufel! sie ist höchst erfreulich für einen König, der zwei bis dreimal im Monat der Juden bedarf.«
»Dieser Schuft soll nun einmal nicht das letzte Wort haben,« sagte der König. »Meine Herren, schweigt, dann wird ihm doch wenigstens Niemand etwas erwidern.«
Auf der Stelle trat das tiefste Stillschweigen ein. Und dieses Stillschweigen, das Chicot, äußerst aufmerksam auf den Weg, den man machte, durchaus nicht zu brechen geneigt schien, dauerte bereits einige Minuten, als man plötzlich, jenseits der Place Maubert, beim Eingang der Rue des Royers, Chicot sich aus der Sänfte schwingen und an der Ecke eines Hauses von ziemlich gutem Aussehen, an welchem ein Balkon von geschnitztem Holz auf einem Gesimse von angemalten kleinen Balken vor ragte, niederknien sah.
»Hei Heide,« rief der König, »wenn Du niederknien willst, so Knie wenigstens vor dem Kreuze nieder, das die Mitte der Rue Sainte-Geneviève bildet, und nicht vor diesem Hause; enthält es denn eine Kirche oder einen Ruhealtar?«
Doch Chicot antwortete nicht; er hatte sich auf beide Kniee auf das Pflaster geworfen und sprach ganz laut folgendes Gebet, von dem der König horchend kein Wort verlor:
»Guter Gott! gerechter Gott; hier ist es, ich erkenne es und werde es mein ganzes Leben erkennen, hier ist das Haus, wo Chicot, wenn nicht für Dich, mein Gott, wenigstens für eines Deiner Geschöpfe gelitten hat; Chicot hat Dich nie gebeten, es möge Herrn von Mayenne,6 dem Urheber seines Märtyrertums, oder Meister Nicolas David, dem Werkzeuge seiner Züchtigung Unglück widerfahren. Nein, Herr, Chicot wusste zu warten, denn Chicot ist geduldig, obgleich er es nicht ewig ist, und nun sind es sechs gute Jahre, worunter ein Schaltjahr, dass Chicot die Interessen der kleinen zwischen ihm, Herrn von Mayene und Nicolas David eröffneten Rechnung anhäuft; zu zehn vom Hundert aber, was der gesetzliche Zinsfuß ist, da der König hiernach entlehnt, verdoppeln in sieben Jahren die angehäuften Interessen das Kapital. Mache also, großer Gott! gerechter Gott! dass die Geduld von Chicot noch ein Jahr währt, damit die fünfzig Steigriemenhiebe, welche Chicot in diesem Hause auf die Befehle dieses Mörders von einem Prinzen Lothringen, und von diesem Raufer von einem Advokaten, welche aus dem Leibe von Chicot eine Pinten Blut gezogen haben, sich auf zwei Pinten Blut und hundert Steigriemenhiebe für jeden von ihnen belaufen mögen; so dass Herr von Mayenne, so dick er ist, und Nicolas David, so lang er ist, nicht mehr genug Haut und Blut haben, um Chicot zu bezahlen, und dass sie genötigt sind, einen Bankrott von fünfzehn bis zwanzig Prozent zu machen, indem sie unter dem achtzigsten oder fünf und achtzigsten Ruthenstreiche verscheiden.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes, und des heiligen Geistes, Amen.«
»Amen!« wiederholte der König.
Chicot küsste die Erde und kehrte unter dem höchsten Erstaunen aller Zuschauer, welche nichts von dieser Szene verstanden, wieder an seinen Platz in der Sänfte zurück.
»Ah! Meister Chicot!« sagte der König, dem sein Rang, obgleich seit drei Jahren so vieler Vorrechte beraubt, welche er Andere hatte nehmen lassen, wenigstens das Recht verlieh, zuerst unterrichtet zu sein, »ah! mein lieber Chicot, warum diese lange und sonderbare Litanei, warum alle diese Schläge an die Brust, warum endlich alle diese Mummereien vor einem scheinbar so profanen Hause?«
»Sire,« erwiderte der Narr, »Chicot ist wie der Fuchs. Chicot beriecht und beleckt lange die Steine, wo er sein Blut gelassen, bis er auf diese Steine die Köpfe derjenigen stößt, welche es vergossen haben.«
»Sire!« rief Quélus, »ich wollte wetten, Chicot hat in seinem Gebet, wie Eure Majestät hören konnte, den Namen des Herzogs von Mayenne ausgesprochen; Sire, ich wollte also wetten, dass sich dieses Gebet auf die Bastonnade bezieht, von der wir so eben sprachen.«
»Wettet Seigneur Jacques von Levis, Graf von Quélus,« sagte Chicot, »wettet und Ihr werdet gewinnen.«
»Also hier …« sagte der König.
»Ganz richtig,« versetzte Chicot, »in diesem Hause hatte Chicot eine Geliebte, ein gutes, reizendes Geschöpf, ein Fräulein, meiner Treue! In einer Nacht, als er sie besuchte, ließ ein gewisser eifersüchtiger Prinz das Haus umstellen, Chicot packen und auf eine so grausame Weise prügeln, dass Chicot von diesem Balkon herab auf die Straße sprang. Da es nun ein Wunder ist, dass Chicot sich hierbei nicht tötete, so kniet er, so oft er an diesem Hause vorüber kommt, nieder, betet und dankt in seinem Gebete dem Herrn, dass er ihn einer so schlimmen Lage entrissen hat.«
»Ah! armer Chicot, und Ihr verdammt Ihn, Sire! Es heißt jedoch, wie mir scheint, als guter Christ handeln, wenn man thut, was er thut.«
»Ihr seid also gehörig durchgeprügelt worden, mein armer Chicot?«
»Oh! vortrefflich, doch noch nicht so sehr, als mir lieb gewesen wäre.«
»Wie so?«
»Nein, in der Tat, es wäre mir nicht unangenehm gewesen, wenn ich einen tüchtigen Degenstich bekommen hätte.«
»Für Deine Sünden?«
»Nein, für die von Herrn von Mayenne.«
»Ah! ich begreife; es ist Deine Absicht, Cesar wiederzugeben…«
»Cesar, nein, verwechseln wir das nicht, Sire, Cesar ist der große General, der mutige Krieger, es ist der ältere Bruder, derjenige, welcher König von Frankreich sein will, nein, dieser steht in Rechnung mit Heinrich von Valois; bezahle Deine Schulden, Valois, ich werde die meinigen bezahlen.«
Heinrich hörte es nicht gern, wenn man von seinem Vetter Guise sprach; die Rede von Chicot machte ihn auch sehr ernst, so dass man nach Bicêtre kam, ohne dass das unterbrochene Gespräch wieder seinen Fortgang nahm.
Man hatte drei Stunden gebraucht, um vom Louvre nach Bicêtre zu kommen. Die Optimisten zählten darauf, man würde am Abend des andern Tages Fontainebleau erreichen, während die Pessimisten Wetten anboten, man würde erst am zweiten Tage gegen Mittag dort eintreffen.
Chicot behauptete, man werde gar nie dahin kommen.
Sobald der Zug vor Paris war, schien er sich bequemer zu bewegen; der Morgen war ziemlich freundlich; der Wind blies minder heftig; der Sonne war es endlich gelungen, ihren Wolkenschleier zu durchdringen, und man hätte glauben sollen, man befände sich in einem der schönen Oktobertage, an denen bei dem Geräusch der letzten fallenden Blätter die Spaziergänger ihre Augen mit einem sanften Bedauern in das bläuliche Geheimnis des murmelnden Gehölzes tauchen.
Es war drei Uhr Nachmittags, als man zu den ersten Mauern der Umfriedung von Juvisy gelangte, von wo aus man bereits die über die Orge gebaute Brücke und das große Gasthaus zur Cour de France sah, das dem scharfen Abendwinde den Wohlgeruch seiner Bratspieße und das freudige Geräusch seines Herdes anvertraute.
Die Nase von Chicot fing im Fluge die kulinarischen Ausströmungen auf. Er neigte sich aus der Sänfte hervor und erblickte von ferne vor der Türe des Gasthofes mehrere in ihre Mäntel gehüllte Männer. Mitten unter diesen Männern war eine kurze und dicke Figur, der ein breitkrempiger Hut das Gesicht völlig bedeckte.
Diese Männer gingen rasch hinein, als sie den Zug erscheinen sahen.
Doch der Kurze war nicht so schnell von der Stelle gewichen, dass sein Anblick Chicot nicht aufgefallen wäre. In dem Augenblick, wo dieser kurze, dicke Mann hinein ging, sprang unser Gascogner aus der königlichen Sänfte, verlangte von einem Pagen sein Pferd, das dieser am Zügel führte, und ließ, sich an die Ecke einer Mauer drückend und in den ersten Schatten der Nacht verborgen, den Zug seinen Weg gegen Essonnes fortsetzen, wo der König Nachtlager zu halten gedachte; als sodann die letzten Reiter verschwunden waren, als das entfernte Geräusch der Räder der Sänfte auf dem Straßenpflaster sich im Raume verloren hatte, kam er aus seinem Verstecke hervor, ritt hinter dem Schloss hin und erschien an der Türe des Gasthauses, als ob er von Fontainebleau käme. Sobald Chicot vor dem Fenster war, warf er einen raschen Blick durch die Scheiben und gewahrte zu seinem Vergnügen, dass die Männer, die er bemerkt hatte, sich immer noch hier befanden und unter ihnen der kurze, dicke Mann, dem er die Ehre einer besonderen Aufmerksamkeit zuzugestehen geschienen hatte. Da jedoch Chicot, ohne Zweifel aus Gründen, von dem genannten Manne nicht erkannt zu werden wünschte, so ließ er sich, statt in das Zimmer, wo dieser war, eine Flasche Wein in das Zimmer gegenüber bringen und setzte sich so, dass Niemand die Türe erreichen konnte, ohne gesehen zu werden. Von diesem Zimmer aus konnte der Blick von Chicot, der seinen Platz kluger Weise im Schatten genommen hatte, bis an die Ecke eines ungeheuren Kamins dringen. An dieser Ecke saß auf einem Schemel der kurze, dicke Mann und ließ sich, wahrscheinlich in der Voraussetzung, er hätte keine Nachforschung zu befürchten, von dem Scheine eines Herdes überströmen, dessen Wärme und Helle ein Arm voll Reben verdoppelt hatte.
»Ich habe mich nicht getäuscht,« sagte Chicot, »und als ich mein Gebet an dem Hause der Rue des Noyers verrichtete, war es, als hätte ich die Rückkehr dieses Mannes gerochen. Doch warum so verstohlener Weise in die gute Hauptstadt unseres Freundes Herodes zurückkommen? Warum sich verbergen, wenn er vorüberzieht? Ah! Pilatus! Pilatus! sollte mir zufällig der gute Gott das Jahr, um das ich ihn gebeten habe, nicht bewilligen und mich früher zur Heimbezahlung zwingen, als ich glaubte?«
Bald bemerkte Chicot mit Vergnügen, dass er von dem Orte, wo er saß, nicht nur sehen, sondern auch in Folge von einer jener akustischen Wirkungen, welche zuweilen der Zufall auf eine launenhafte Weise bereitet, hören konnte. Als er diese Wahrnehmung machte, fing er an, mit derselben Aufmerksamkeit zu horchen, mit der er seinen Blick zum Sehen anspannte.
»Meine Herren,« sagte der kurze, dicke Mann zu seinen Gefährten, »ich glaube, es ist Zeit zum Aufbruch. Der letzte Lackei ist längst vorüber, und die Straße ist meiner Ansicht nach zu dieser Stunde sicher.«
»Vollkommen sicher, Monseigneur,« antwortete eine Stimme, welche Chicot beben machte und aus einem Körper kam, dem er, ganz und gar in die Betrachtung der Hauptperson vertieft, bis jetzt keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Der Mensch, dem der Körper gehörte, aus welchem diese Stimme hervorkam, war eben so lang, als derjenige, welchem er den Titel Monseigneur gab, kurz, eben so bleich, als dieser hochrot, eben so untertänig, als er anmaßend war.
»Ah! Meister Nicolas,« sagte Chicot, geräuschlos lachend: »Tu quoque. … es ist gut. Wir müssten viel Unglück haben, sollten wir uns diesmal trennen, ohne ein paar Worte mit einander zu sprechen.«
Chicot leerte hiernach sein Glas und bezahlte den Wirt, damit ihn nichts zurückhielt, sollte er es für geeignet halten, aufzubrechen.
Diese Vorsicht war nicht schlimm, denn die sieben Personen, welche die Aufmerksamkeit von Chicot erregt hatten, bezahlten ebenfalls, oder der kurze dicke Mann bezahlte vielmehr für Alle; Jeder nahm sein Pferd aus den Händen eines Lackeis oder eines Stallknechts und schwang sich in den Sattel. Die kleine Truppe schlug den Weg nach Paris ein und vertiefte sich bald in den ersten Nebel des Abends.
»Gut!« sagte Chicot, »er gehe nach Paris, ich kehre auch dahin zurück.«
Und Chicot stieg ebenfalls zu Pferde und folgte ihnen von ferne, ohne einen Augenblick ihre grauen Mäntel aus dem Gesicht zu verlieren, oder wenn er sie aus Klugheit einen Augenblick aus dem Gesicht verlor, ohne dass er aufhörte, auf die Tritte ihrer Pferde zu horchen. Diese ganze Reitertruppe verließ die Straße in Fromenteau, nahm ihre Richtung querfeldein nach Choisy, zog auf der Brücke von Charenton über die Seine, erreichte Paris durch die Porte Saint-Antoine und verlor sich wie ein Bienenschwarm in dem Hotel Guise, das nur ihre Ankunft zu erwarten schien, um sich hinter Ihr zu schließen.
»Gut,« sagte Chicot, sich an der Ecke der Rue des Quatre-Fils verbergend, »darunter steckt nicht nur Mayenne, sondern auch Guise. Bis jetzt war es nur seltsam, doch es wird interessant werden. Warten wir.«
Chicot wartete in der Tat eine Stunde, trotz des Hungers und der Kälte, welche ihn mit ihren scharfen Zähnen zu packen anfingen. Endlich öffnete sich das Thor; doch statt sieben in ihre Mäntel gehüllter Reiter, waren es sieben in ihre Capucen gehüllte Genovever-Mönche, welche ungeheure Rosenkränze schüttelnd erschienen.
»Oh! welch eine unerwartete Entwicklung!« sagte Chicot. »Ist das Hotel Guise so von dem Geruch der Heiligkeit durchschwängert, dass sich die Schufte, wenn sie nur seine Schwellen berühren, in Lämmer verwandeln? Die Sache wird immer interessanter.«
Chicot folgte den Mönchen, wie er den Reitern gefolgt war, denn er zweifelte nicht, dass die Kutten dieselben Leiber bedeckten, welche die Mäntel bedeckt hatten. Die Mönche gingen auf dem Pont-Notre-Dame über die Seine, zogen durch die Cité, schlugen den Weg über den Petit-Pont und über die Place Maubert ein und stiegen die Rue Sainte-Geneviève hinauf.
»Oho!« sagte Chicot, nachdem er seinen Hut vor dem Hause der Rue des Noyers abgenommen, wo er am Morgen sein Gebet verrichtet hatte. »Kehren wir zufällig nach Fontainebleau zurück? In diesem Falle hätte ich nicht den kürzesten Weg gewählt. Doch nein, ich täusche mich, wir werden nicht so weit gehen.«
Die Mönche blieben wirklich vor der Türe der Sainte-Geneviève Abtei stehen, und traten dann in die Vorhalle, in deren Tiefe man einen andern Mönch von demselben Orden erblickte, der mit der größten Aufmerksamkeit die Hände der Eintretenden zu beschauen bemüht war.
»Oh mein Gott!« dachte Chicot, »es scheint, um in die Abtei eingelassen zu werden, muss man diesen Abend reinliche Hände haben. Es geht offenbar etwas Außerordentliches vor.«
Chicot, der sehr in Verlegenheit war, was er tun sollte, um die Menschen nicht zu verlieren, denen er folgte, schaute nach dieser Betrachtung rings umher und sah zu seinem großen Erstaunen aus allen Straßen, welche gegen die Abtei liefen, Capucen hervorkommen, die einen vereinzelt, die andern zu zwei und zwei, doch insgesamt auf die Abtei zu schreitend.
»Ah!« sagte Chicot, »es wird also diesen Abend Generalkapitel in der Abtei gehalten und alle Genovever Frankreichs sind dazu berufen! Das ist, so wahr ich ein Edelmann bin, das, erste Mal, dass mich die Lust erfasst, einem Kapitel beizuwohnen.«
Die Mönche gingen alle unter die Halle, zeigten ihre Hände oder irgend einen Gegenstand, den sie in ihren Händen hielten, und traten ein. »Ich würde mit ihnen eintreten,« sagte Chicot, »doch hierzu fehlen mir zwei sehr wesentliche Dinge. Einmal das respektable Gewand, das sie umhüllt, insofern ich keinen Laien unter diesen heiligen Männern erblicke, und zweitens die Sache, die sie dem Bruder Pförtner zeigen; denn offenbar zeigen sie etwas. Ah! Bruder Gorenflot, mein würdiger Freund, wenn ich Dich hier bei der Hand hätte.«
Diesen Ausruf entriss Chicot die Erinnerung an einen der ehrwürdigsten Mönche des Ordens der Genovever, einen gewöhnlichen Gast von Chicot, wenn Chicot zufällig nicht im Louvre speiste, eben denselben, mit welchem am Tage der Prozession der Büßer unser Gascogner in der Schenke der Porte Montmartre angehalten, eine Krickente gegessen und gewürzten Wein getrunken hatte.
Und es strömten fortwährend Mönche herbei, so dass es war, als hätte die Hälfte der Bevölkerung von Paris die Kutte genommen, und der Bruder Pförtner prüfte sie insgesamt mit derselben Aufmerksamkeit.
»Sieh da! sieh da!« sagte Chicot zu sich selbst, »es geht offenbar diesen Abend etwas Außerordentliches vor. Wir wollen ganz und gar neugierig sein. Es ist halb acht Uhr und das Almosensammeln vorüber. Ich muss den Bruder Gorenflot im Füllhorn finden, denn zu dieser Stunde pflegt er zu Nacht zu speisen.«
Chicot ließ die Heerschar von Mönchen ihre Evolutionen in der Gegend der Abtei machen und in die Halle eintreten, setzte sein Pferd in Galopp und erreichte die Rue Saint-Jacques, wo, dem Benedictinerkloster gegenüber sich blühend und von Schülern und kampflustigen Mönchen sehr fleißig besucht das Gasthaus zum Füllhorn erhob.
Chicot war in dem Hause bekannt, nicht als ein Stammgast, sondern als einer von jenen heimlichen Gästen, welche von Zeit zu Zeit kamen und einen Goldthaler und ein Teilchen ihrer Vernunft in der Anstalt von Meister Claude Bonhomet ließen. So hieß der Ausspender der Gaben von Ceres und Bacchus, welche beständig aus dem berühmten mythologischen Horne strömten, das dem Hause als Schild diente.
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Karl von Lothringen, Herzog von Mayenne, zweiter Sohn von Franz von Guise.