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1tes bis 3tes Bändchen
Elftes Kapitel
Abermals die Ligue
ОглавлениеIn dem Augenblick, wo Robert Briquet hinter den Andern die Treppe hinaufstieg, wobei er sich eine ziemlich anständige Verschwörermiene gab, bemerkte er, daß Nicolas Poulain, nachdem er mit mehreren seiner geheimnißvollen Gefährten gesprochen hatte, an der Thüre des Gewölbes wartete.
»Das geschieht meinetwegen,« sagte Briquet zu sich selbst.
Der Lieutenant der Prevoté hielt wirklich seinen Freund an, als er eben die furchtbare Schwelle zu überschreiten im Begriff war.
»Ihr werdet es mir nicht verargen,« sprach er zu ihm, »aber die meisten von unseren Freunden kennen Euch nicht, und wünschen Auskunft über Euch zu haben, ehe sie Euch zum Rath zulassen.«
»Das ist nur zu billig,« erwiederte Briquet, »und Ihr wißt, daß meine natürliche Bescheidenheit diese Einwendung schon vorhergesehen hatte!«
»Ich lasse Euch Gerechtigkeit widerfahren, Ihr seid ein ganzer Mann,« sagte Poulain.
»Ich entferne mich also, sehr glücklich, an einem Abend so viele brave Vertheidiger der katholischen Union gesehen zu haben.«
»Soll ich Euch zurückführen?«
»Nein, ich danke, es bedarf dessen nicht.«
»Man könnte Euch Schwierigkeiten machen; doch man erwartet mich anderswo.«
»Habt Ihr nicht ein Losungswort, um hinauszukommen; ich würde Euch nicht daran erkennen, das wäre nicht klug, Meister Nicolas.«
»Doch wohl.«
»Nun, so gebt es mir.«
»Im Ganzen, da Ihr hereingekommen seid…«
»Und da wir Freunde sind…«
»Es sei! Ihr braucht nur Parma und Lothringen zu sagen.«
»Und der Pförtner wird mir öffnen?«
»Auf der Stelle.«
»Sehr gut, ich danke. Geht zu Euren Geschäften, ich kehre zu den meinigen zurück.«
Nicolas Poulain trennte sich von seinem Gefährten und begab sich wieder zu seinen Collegen.
Briquet machte ein paar Schritte, als ob er in den Hof hinabgehen wollte, blieb aber, sobald er die erste Stufe der Treppe erreicht hatte, stehen, um die Oertlichkeit zu erforschen.
Das Resultat seiner Beobachtungen war, daß sich das Gewölbe parallel mit der äußeren Mauer hinzog, die es durch ein großes Wetterdach beschirmte. Offenbar mündete dieses Gewölbe gegen einen unteren Saal, bestimmt für die geheimnißvolle Versammlung, aus, zu der zugelassen zu werden Briquet nicht die Ehre gehabt hatte.
Was ihn in dieser Annahme bestärkte, welche bald zur Gewißheit wurde, war der Umstand, daß er ein Licht an einem vergitterten Fenster erscheinen sah, das in dieser Mauer angebracht und durch eine Art von hölzernen Trichter beschützt war, wie man sie heut zu Tage an den Fenstern der Gefängnisse oder der Klöster anwendet, um die Aussicht abzuschneiden und nur das Einströmen der Luft und den Anblick des Himmels zu gewähren.
Briquet dachte, dieses Fenster wäre das des Versammlungssaales, und wenn man bis zu demselben gelangte könnte, so wäre der Ort günstig zur Beobachtung, und an diesen Beobachtungsposten gestellt, könnte das Auge leicht die übrigen Sinne ersetzen.
Es war nur die Schwierigkeit, an diesen Ort zu gelangen und sich daran festzustellen, ohne gesehen zu werden. Briquet schaute umher.
Es waren im Hofe die Pagen mit ihren Pferden, die Soldaten mit ihren Hellebarden und der Pförtner mit seinen Schlüsseln; im Ganzen lauter rüstige und hellsichtige Leute.
Zum Glück war der Hof sehr groß und die Nacht sehr schwarz.
Die Pagen, welche die Vertrauten unter dem Gewölbe hatten verschwinden sehen, bekümmerten sich überdies um nichts mehr, und der Pförtner, welcher wußte, daß seine Thüren wohl verschlossen waren, und daß man ohne das Losungswort nicht hinauskommen konnte, war nur bemüht, sein Bett für die Nacht zu machen und einen hübschen Flaschenkessel gewürzten Wein zu bereiten, den er am Feuer lau erhielt.
Es finden sich in der Neugierde eben so energische Anstachelungen, als in den Strömungen jeder Leidenschaft. Das Verlangen, zu wissen, ist so groß, daß es mehr als ein Leben eines Neugierigen verzehrt hat.
Briquet war bis jetzt zu gut unterrichtet worden, als daß er nicht eine Vervollständigung dessen, was er erfahren, hätte wünschen sollen. Er warf einen zweiten Blick umher und glaubte, geblendet durch das Licht, das dieses Fenster auf die Gitterstangen zurückfallen ließ, in dem Wiederschein ein Appellzeichen und in den so glänzenden Stangen eine Aufforderung an seine kräftigen Glieder zu erkennen.
Hiernach entschlossen, seinen Trichter zu erreichen, schlüpfte Briquet längs dem Vorsprung hin, welcher von der Freitreppe, die er als Ornament fortzusetzen schien, nach diesem Fenster zulief, und folgte der Mauer, wie es nur eine Katze oder ein Affe hätte thun können, indem er sich mit den Händen und den Füßen an den aus der Mauer selbst ausgehauenen Zierrathen festhielt.
Hätten die Pagen und die Soldaten in der Dunkelheit diese phantastische Silhouette sehen können, wie sie mitten an der Mauer ohne einen scheinbaren Stützpunkt hinglitt, so würden sie sicherlich ein Geschrei über Zauberei erhoben haben, und mehr als einer unter den Bravsten hätte seine Haare sich sträuben gefühlt.
Aber Robert Briquet ließ ihnen nicht Zeit, seine Zauberei zu sehen.
Bald berührte er die Stangen, klammerte sich daran an und kauerte sich zwischen die Stangen und den Trichter, so daß er von außen nicht gesehen werden konnte und von innen durch das Gitter maskirt war.
Briquet hatte sich nicht getäuscht, er wurde reichlich für seine Bemühungen und für seine Kühnheit belohnt, als er diesen Punkt erreicht hatte.
Sein Blick umfaßte wirklich einen großen Saal, der durch eine eiserne Lampe mit vier Schnäbeln beleuchtet und mit Rüstungen aller Art gefüllt war, worunter er, gut suchend, sicherlich seine Armschienen und sein Bruststück hätte entdecken können.
Was an Piken, Stoßdegen, Hellebarden und Musketen, theils aufgehäuft, theils in Bündeln zusammengestellt, vorhanden war, hätte genügt, um vier starke Regimenter zu bewaffnen.
Briquet schenkte indessen weniger Aufmerksamkeit der herrlichen Anordnung dieser Waffen, als der Versammlung, welche beauftragt war, davon Gebrauch zu machen oder sie zu vertheilen. Seine glühenden Augen durchdrangen das dicke und mit einer fetten Lage von Rauch und Staub überzogene Glas, um die Gesichter von Bekannten unter den Visieren oder Capucen zu erkennen.
»Oh! Oh!« sagte er, »das ist Meister Crucé, unser Empörer… Hier sehe ich unsern kleinen Brigard, den Gewürzkrämer an der Ecke der Rue des Lombards; dort steht Meister Leclerc, der sich Bussy nennen läßt, es jedoch sicherlich nicht gewagt hätte, zur Zeit, wo der wahre Bussy noch lebte, eine solche Ruchlosigkeit zu begehen. Ich muß einmal diesen Meister in den Waffen von ehedem fragen, ob er den geheimen Stoß kenne, an dem einer von meinen Bekannten, ein gewisser David, in Lyon, gestorben ist. Pest, das Bürgerthum ist großartig vertreten, aber der Adel… Ah! Herr von Mayneville, Gott verzeihe mir! er drückt Nicolas Poulain die Hand: das ist rührend, man schließt Brüderschaft. Ah! Ah! Herr von Mayneville ist also ein Redner. Er nimmt die erforderliche Stellung, um eine Rede zu halten. Seine Geberde ist angenehm und er verdreht die Augen sehr überzeugend.»
Herr von Mayneville hatte in der That eine Rede begonnen.
Robert Briquet schüttelte den Kopf, während Herr von Mayneville sprach, nicht als hätte er ein Wort von der Rede verstehen können, sondern er legte seine Geberden und die der Versammlung aus.
»Er scheint mir seine Zuhörer nicht ganz zu überzeugen; Crucé schneidet ihm eine Grimasse; Lachapelle-Marteau wendet ihm den Rücken zu und Bussy-Leclerc zuckt die Achseln. Auf, auf, Herr von Mayneville, sprecht, schwitzt, schnauft, seid beredt, alle Teufel… Oh! Das gefällt mir… das Auditorium belebt sich… Oh! Oh, sie nähern sich einander, sie drücken sich die Hand; man wirft die Hüte in die Luft, Teufel!«
Briquet sah, doch er konnte, wie gesagt, nicht hören; aber wir, die wir im Geiste den Verhandlungen der stürmischen Versammlung beiwohnen, wir wollen dem Leser sagen, was vorging.
Zuerst beklagten sich Crucé, Marteau und Bussy bei, Herrn von Mayneville über die Unthätigkeit des Herzogs von Guise.
Marteau nahm in seiner Eigenschaft als Anwalt das Wort.
»Herr von Mayneville,« sagte er, »Ihr kommt im Auftrag des Herrn Herzogs Heinrich von Guise? Wir danken. Und mir empfangen Euch als Botschafter, aber die Gegenwart des Herzogs selbst ist für uns unerläßlich. Nach dem Tode seines glorreichen Vaters hat er, in einem Alter von achtzehn Jahren, alle gute Franzosen dem Plane einer Union beitreten lassen und uns Alle unter diesem Banner eingereiht. Unserem Schwure gemäß haben wir unsere Personen bloßgestellt und unser Vermögen geopfert für den Sieg dieser heiligen Sache. Und nun schreitet er trotz unserer Opfer nicht vorwärts, entscheidet sich nicht. Nehmt Euch in Acht, Herr von Mayneville, die Pariser werden müde werden; ist aber Paris einmal müde, was wird man in Frankreich machen? Herr von Guise sollte dies bedenken.«
Diese Rede erhielt die Beistimmung aller Liguisten, und Nicolas Poulain zeichnete sich besonders durch seinen eifrigen Beifall aus.
Herr von Mayneville antwortete einfach:
»Meine Herren, wenn sich nichts entscheidet, so ist es der Fall, weil nichts reif ist. Ich bitte Euch, prüft die Lage der Dinge: der Herzog und sein Bruder, der Cardinal, sind zur Beobachtung in Nancy. Der Eine bringt ein Heer auf die Beine, bestimmt, die Hugenotten in Flandern im Zaume zu halten, welche der Herr Herzog von Anjou auf uns werfen will, um uns zu beschäftigen; der Andere entsendet Eilboten auf Eilboten an die ganze Christlichkeit Frankreichs und an den Papst, um die Union adoptiren zu lassen. Der Herzog von Guise weiß, was Ihr nicht wißt, meine Herren: daß das alte schlecht gebrochene Bündniß zwischen dem Herzog von Anjou und dem Bearner demnächst wieder geschlossen werden wird. Es handelt sich darum, Spanien auf der Seite von Navarra zu besetzen und es zu verhindern, uns Waffen und Geld zu schicken. Der Herr Herzog von Guise will aber, ehe er irgend Etwas thut und besonders ehe er nach Paris kommt, im Stande sein, die Ketzerei und die Usurpation zu bekämpfen. Doch in Ermangelung von Herrn von Guise haben wir Herrn von Mayenne, der sich vervielfacht als General und als Rath und den ich jeden Moment erwarte.«
»Das heißt,« unterbrach ihn Bussy, und dies war der Augenblick, wo er die Achseln zuckte, »das heißt, Eure Prinzen sind überall, wo wir nicht sind, und nie, wo wir sie nöthig haben. Was macht zum Beispiel Frau von Montpensier?«
»Mein Herr, Frau von Montpensier ist diesen Morgen in Paris eingetroffen.«
»Und Niemand hat sie gesehen?«
»Doch, mein Herr?«
»Wer?«
»Salcède.«
»Oh! Oh!« rief die ganze Versammlung.
»Sie hat sich also unsichtbar gemacht?« sagte Crucé.
»Nicht ganz, aber ich hoffe ungreifbar.«
»Und woher weiß man, daß sie hier ist?« fragte Nicolas Poulain. »Ich denke nicht, daß Salcède es Euch gesagt hat.«
»Ich weiß, daß sie hier ist«« antwortete Mayneville, »weil ich sie bis zur Porte Saint-Antoine begleitet habe.«
»Ich habe sagen hören, die Thore seien geschlossen worden,« unterbrach ihn Marteau, der gierig nach einer Gelegenheit haschte, um wieder eine Rede anzubringen.
»Ja, mein Herr,« erwiederte Mayneville mit seiner ewigen Höflichkeit, aus der ihn kein Angriff herausbringen konnte.
»Wie hat sie sich dann dieselben öffnen lassen?«
»Auf ihre Weise.«
»Ah! sie hat die Macht, sich die Thore von Paris öffnen zu lassen,« sagten die Liguisten, eifersüchtig und argwöhnisch, wie es die Kleinen immer sind, wenn sie sich mit den Großen verbünden.
»Meine Herren»,« sprach Mayneville, »es ging diesen Morgen an dem Thor von Paris etwas vor, was Ihr nicht zu kennen oder wenigstens nur unbestimmt zu wissen scheint. Man hatte Befehl gegeben, nur diejenigen durch die Barriere zu lassen, welche sich durch eine Einlaßkarte ausweisen würden. Von wem mußte diese Karte unterzeichnet sein? Ich weiß es nicht. Vor uns kamen zur Porte Saint-Antoine fünf oder sechs Männer, von denen vier ziemlich schlecht gekleidet waren und aussahen; sie waren mit den nothwendigen Karten versehen und zogen uns vor der Nase vorüber. Einige erschienen mit der unverschämten Aufgeblasenheit von Leuten, die sich in einem eroberten Lande glauben. Wer sind diese Menschen? was für Karten sind das? antwortet uns. Ihr Herren von Paris, Ihr, deren Aufgabe es ist, Alles zu wissen, was die Angelegenheiten Eurer Stadt betrifft.«
So machte sich Mayneville vom Angeklagten zum Ankläger, was die große Kunst des Redners ist.
»Karten… unverschämte Leute… ausnahmsweise Zulassungen bei den Thoren von Paris… oh! Oh! Was soll das bedeuten?« fragte Nicolas Poulain ganz träumerisch.
»Wenn Ihr diese Dinge nicht wißt, Ihr, die Ihr hier lebt, wie sollten wir sie wissen, die in Lothringen leben und unsere ganze Zeit damit hinbringen, Daß wir auf den Straßen umherlaufen, um die zwei Enden des Kreises, den man die Union nennt, zu vereinigen.
»Und wie kamen diese Leute?«
»Die Einen zu Fuß, die Andern zu Pferde, die Einen allein, die Andern mit Lackeien.«
»Sind es Leute des Königs?«
»Drei oder vier sahen aus wie Bettler.«-
»Sind es Kriegsleute?«
»Sie hatten zu sechs nur zwei Degen.«
»Es sind Fremde.«
»Ich halte sie für Gascogner.«
»Oh!« machten einige Stimmen mit dem Ausdruck der Verachtung.«
»Gleichviel,« sprach Bussy, »sie müssen unsere Aufmerksamkeit erregen, und wenn es Türken wären. Man wird sich nach ihnen erkundigen: Herr Poulain, das ist Eure Sache. Doch dies Alles sagt uns nichts über die Angelegenheiten der Ligue.«
»Es ist ein neuer Plan im Werke,« erwiederte Mayneville. »Ihr werdet morgen erfahren, daß Salcède, der uns schon verrathen hatte und uns noch mehr verrathen sollte, nicht nur nicht gesprochen, sondern sogar auf dem Schaffot auf Veranlassung der Herzogin zurückgenommen hat, welche, im Gefolge von einem jener Kartenträger durch das Thor gelangt, den Muth hatte, bis zum Blutgerüste vorzudringen, auf die Gefahr tausendmal erdrückt, und sich dem Verurtheilten zu zeigen, auf die Gefahr, erkannt zu werden. In diesem Augenblick hielt Salcède in seiner Versuchung zu gestehen an; einen Augenblick nachher hemmte ihn unser braver Henker in seiner Reue. Ihr habt also nichts von Seiten unserer Unternehmungen in Flandern zu befürchten. Das furchtbare Geheimniß ist in ein Grab hinabgerollt.«
Diese letzte Phrase näherte die Liguisten Herrn von Mayneville.
Briquet errieth ihre Freude aus ihren Bewegungen.
Diese Freude beunruhigte ungemein den würdigen Bürger, welcher plötzlich einen Entschluß zu fassen schien.
Er ließ sich oben von seinem Trichter auf das Pflaster des Hofes hinabgleiten und wandte sich nach dem Thore wo ihm der Pförtner auf den Ausspruch der zwei Worte Lothringen und Parma, Ausgang gewährte.
Sobald Meister Robert Briquet auf der Straße war, athmete er so geräuschvoll, daß man begriff, er habe seit langer Zeit den Athem zurückgehalten.
Die Berathung dauerte immer noch fort; die Geschichte lehrt uns, was dabei vorging.
Herr von Mayneville brachte von Seiten der Guisen den künftigen Insurgenten von Paris den ganzen Plan des Aufstandes.
Es handelte sich um nichts Geringeres, als alle wichtige Personen, von denen man wußte, daß sie beim König in Gunst standen, zu ermorden, mit dem Ausruf: »Es lebe die Messe! Tod den Politikern!« die Straße zu durchlaufen und so eine neue Bartholomäusnacht mit den Trümmern der alten zu entflammen; nur vermischte man bei dieser die schlimm denkenden Katholiken mit den Hugenotten aller Art.
Indem man so handelte, diente man zwei Göttern: demjenigen, welcher im Himmel herrscht, und dem, welcher in Frankreich herrschen sollte:
Dem Ewigen und Herrn von Guise.