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1tes bis 3tes Bändchen
Vierzehntes Kapitel
Der Schatten von Chicot

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Der König täuschte sich, wie wir vorhin sagten, nie über seine Freunde. Er kannte ihre Fehler und ihre guten Eigenschaften. und er las, der König der Erde, eben so scharf in der tiefsten Tiefe ihres Herzens. als es der König des Himmels thun konnte.

Er hatte, sogleich begriffen, worauf Épernon abzielte, doch da er nichts für das, was er geben würde, zu erhalten erwartete, und im Gegentheil fünf und vierzig Trabanten für fünf und sechzig tausend Thaler erhielt, so erschien ihm der Gedanke des Gascogners als ein Fund.

Und dann war es eine Neuigkeit. Ein armer König von Frankreich ist nicht immer üppig mit dieser Waare versehen, welche sogar für seine Unterthanen selten ist. König Heinrich III. besonders, der, wenn er seine Prozessionen gemacht, seine Hunde gekämmt, seine Todtenköpfe aufgereiht, und die von ihm beliebte Anzahl von Seufzern ausgestoßen, nichts mehr zu thun hatte.

Die von Épernon errichtete Leibwache gefiel also dem König, besonders weil man davon sprechen würde, und weil er folglich auf den Gesichtern etwas Anderes lesen könnte, als was er in den zehn Jahren seit seiner Rückkehr aus Polen sah.

Allmälig und je mehr er sich dem Zimmer näherte, wo ihn der Huissier erwartete, den dieser nächtliche und ungewöhnliche Ausgang nicht wenig neugierig machte, entwickelte Heinrich sich selbst die Vortheile der Anstalt der Fünf und Vierzig, und er durchblickte halb, wie alle schwache und geschwächte Geister, die Ideen, welche Épernon in dem Gespräch, das er mit ihm gepflogen, ins Licht gesetzt hatte.

»Diese Leute,« dachte der König, »werden ohne Zweifel brav und sehr ergeben sein. Einige haben einnehmende Gesichter. Andere widerwärtige Physiognomien; es werden, Gott sei Dank! Leute für Jedermanns Geschmack darunter sein… und dann ist es etwas Schönes um ein Gefolge von fünf und vierzig Schwertern, welche stets bereit sind, aus der Scheide zu fahren!«

Dieses letzte Kettenglied seines Gedankens, das sich der Erinnerung an die anderen ihm so ergebenen Schwerter anfügte, deren Verlust er so bitter laut, und noch viel bitterer leise beklagte, brachte Heinrich zu der tiefen Traurigkeit, in welche er so oft verfiel in der Zeit, zu der wir gelangt sind, so daß man hätte sagen können, es wäre sein gewöhnlicher Zustand. Die so harten Zeiten, die so boshaften Menschen, die auf der Stirne der Könige so sehr wankenden Kronen machten es ihm abermals zum ungeheuren Bedürfniß, zu sterben oder sich zu erheitern, um einen Augenblick aus der Krankheit hervorzugehen, welche die Engländer, unsere Meister in der Schwermuth, schon damals mit dem Namen Spleen getauft hatten.

Er suchte mit den Augen Joyeuse, und da er ihn nirgends fand, fragte er nach ihm.«

»Der Herr Herzog ist noch nicht zurückgekehrt,« sagte der Huissier.

»Es ist gut… Ruft meinen Kammerdiener und entfernt Euch.«

»Sire, das Gemach Eurer Majestät ist bereit und Ihre Majestät die Königin hat nach den Befehlen des Königs fragen lassen.«

Heinrich spielte den Tauben.

»Soll man Ihrer Majestät melden, sie möge das Kopfkissen legen?« fragte schüchtern der Huissier.

»Nein, nein,« erwiederte Heinrich. »Ich habe meine Andachten, ich habe meine Arbeiten, und dann bin ich leidend und werde allein schlafen.«

Der Huissier verbeugte sich.

»Hört,« sagte Heinrich ihn zurückrufend, »bringt der Königin diese Confituren aus dem Orient, sie bereiten Schlaf.«

Und er übergab dem Huissier seine Confectbüchse.

Der König trat in sein Gemach, das die Bedienten wirklich zubereitet hatten.

Als Heinrich hier war, warf er einen Blick auf alle die ausgesuchten, umständlichen, kleinlichen Nebendinge und Beigaben jener ausschweifenden Toiletten, die er kurz zuvor noch machte, um der schönste Mann der Christenheit zu sein, da er nicht der größte König derselben sein konnte.

Aber nichts sprach ihm zu Gunsten dieser Zwangsarbeit, in die er sich sonst so muthig fügte. Alles, was er einst vom Weibe in dieser Hermaphroditen-Organisation hatte, war verschwunden. Heinrich war wie jene alten Coquetten, welche ihren Spiegel gegen ein Meßbuch vertauscht haben; er fühlte beinahe einen Abscheu vor den Dingen, die er einst so sehr geliebt.

Parfumirte und gesalbte Handschuhe, Masken von feiner Leinwand mit Teigen überstrichen, chemische Combinationen, um die Haare zu kräuseln, den Bart zu schwärzen, die Ohren roth und die Augen glänzend zu machen, dies Alles vernachläßigte er schon seit längerer Zeit.

»Mein Bett,« sagte er mit einem Seufzer.

Zwei Diener entkleideten ihn, zogen ihm Unterhosen von schöner friesischer Leinwand an, hoben ihn vorsichtig auf und schoben ihn zwischen seine Leinenlaken.

»Der Vorleser Seiner Majestät!« rief eine Stimme.

Denn Heinrich, der Mann der langen und grausamen Schlaflosigkeiten, ließ sich zuweilen durch eine Vorlesung einschläfern, und man bedurfte sogar des Polnischen, um dieses Wunder zu bewirken, während ihm einst, nämlich ursprünglich, das Französische genügte.

»Nein. Niemand,« sagte Heinrich, »keinen Vorleser, oder er mag in seinem Zimmer für mich Gebete lesen; nur Herrn von Joyeuse, wenn er zurückkommt, führt zu mir.«

»Aber, wenn er spät kommt, Sire?«

»Ach! er kommt immer spät nach Hause, doch zu welcher Stunde er auch kommen mag, führt ihn zu mir, hört Ihr?«

Die Diener löschten die Kerzen aus und zündeten beim Feuer eine Lampe mit Essenzen an, welche blasse und bläuliche Flammen gaben… eine Art von phantasmagorischer Unterhaltung, die der König seit der Rückkehr seiner Grabgedanken besonders liebte; dann verließen sie auf den Fußspitzen das schweigsame Gemach.

Brav im Angesicht einer wirklichen Gefahr, hatte Heinrich jede Angst, jede Schwäche der Weiber und der Kinder. Er fürchtete die Erscheinungen, es graute ihm vor Gespenstern, und dennoch hegte er das Gefühl, daß er sich weniger langweile, wenn er Furcht habe. In dieser Hinsicht war er jenem Gefangenen ähnlich, der, überdrüssig der Unthätigkeit einer langen Kerkerhaft, denjenigen, weiche ihm ankündigten, er habe die Folter auszustehen, antwortete:

»Gut, damit werde ich immer einen Augenblick hinbringen.«

Während er indessen den Reflexen seiner Lampe auf der Wand folgte, während er mit dem Blick die dunkelsten Winkel seines Zimmers sondirte, während er das geringste Geräusch aufzufassen suchte, das den geheimnißvollen Eintritt eines Schattens hätte verkündigen können, verschleierten sich die Augen von Heinrich, der durch das Schauspiel am Tage und durch den Verlauf des Abends ermüdet war, und bald entschlummerte er in dieser Stille und Einsamkeit.

Doch die Ruhe von Heinrich dauerte nicht lange: untergraben durch das dumpfe Fieber, das in ihm das Leben im Schlafe, wie im Wachen abnutzte, glaubte er Geräusch in seinem Zimmer zu hören und erwachte.

»Joyeuse, bist Du es?« fragte er.

Niemand antwortete.

Die Flammen der blauen Lampe waren schwächer geworden sie sandten nach dem Plafond von geschnitztem Eichenholz nur noch einen bleichen Kreis, der die goldenen Zierrathen grün färbte.

»Allein, abermals allein,« murmelte der König. »Ah! der Prophet hat Recht: »»Majestät müßte immer seufzen.«« Es wäre besser gewesen wenn er gesagt hätte: Sie seufzt immer.«

Dann nach einer Pause von einem Augenblick sprach er in Form eines Gebets:

»Mein Gott, gib mir die Kraft, stets in meinem Leben allein zu sein, wie ich nach meinem Tode allein sein werde.«

»Ei! ei! allein nach Deinem Tode, das ist nicht sicher,« erwiederte eine scharfe Stimme, welche wie ein metallisches Zusammenstoßen einige Schritte vom Bett klang, »und für was hältst Du die Würmer?«

Erschrocken setzte sich Heinrich auf und befragte ängstlich jedes Geräthe des Zimmers.

»Oh! ich kenne diese Stimme,« murmelte er.

»Das ist ein Glück,« versetzte die Stimme.

Ein kalter Schweiß floß über die Stirne des Königs und er seufzte:

»Man sollte glauben, es wäre die Stimme von Chicot.«

»Du brennst, Heinrich. Du brennst,« antwortete die Stimme.

Nun erblickte Heinrich, der mit einem Bein aus dem Bette fuhr, in einiger Entfernung vom Kamin in demselben Lehnstuhl, den er eine Stunde zuvor Épernon bezeichnet hatte, einen Kopf, auf den das Feuer einen von jenen rothgelben Reflexen warf, welche allein auf den Gründen von Rembrandt eine Person erleuchten, die man beim ersten Anblick zu bemerken Mühe hat.

Dieser Reflex stieg auf den Arm des Lehnstuhles herab, worauf der Arm der Person gestützt war, dann auf ihr knochiges, hervorspringendes Knie, und endlich auf die Fußbiege, weiche einen rechten Winkel mit einem nervigen, magern und übermäßig langen Bein bildete.

»Gott beschütze mich!« rief Heinrich, »es ist der Schatten von Chicot.«

»Ah! mein armer Henriquet,« sagte die Stimme, »Du bist also immer noch so einfältig?«

»Was soll das bedeuten?«

»Die Schatten sprechen nicht, Schwachkopf, denn sie haben keinen Körper und folglich keine Zungen,« erwiederte die im Lehnstuhl sitzende Gestalt.

»Dann bist Du wirklich Chicot?« rief der König trunken vor Freude.

»Ich will in dieser Hinsicht nichts entscheiden: wir werden später sehen, was ich bin, wir werden sehen.«

»Wie, Du bist also nicht todt, mein armer Chicot?«

»Gut nun schreist Du wie ein Adler; doch, im Gegentheil, ich bin todt, hundertmal todt.«

»Chicot, mein einziger Freund!«

»Du hast wenigstens den Vortheil vor mir, daß Du immer dasselbe sagst. Pest! Du hast Dich nicht verändert«

»Aber, Du, Du,« entgegnete der König traurig, »hast Du Dich verändert?«

»Ich hoffe wohl.«

»Chicot, mein Freund,« sagte der König, indem er seine beiden Füße auf den Boden setzte, »sprich, warum hast Du mich verlassen?«

»Weil ich todt bin.«

»Aber Du sagtest so eben, Du wärest es nicht.«

»Und ich wiederhole es.«

»Was soll dieser Widerspruch heißen?«

»Dieser Widerspruch soll heißen, daß ich für die Einen todt und für die Andern lebendig bin.«

»Und was bist Du für mich?«

»Für Dich bin ich todt.«

»Warum für mich todt?«

»Das ist leicht zu begreifen. Höre wohl.«

»Ja.«

»Du bist nicht Herr bei Dir.«

»Wie?«

»Du vermagst nichts für diejenigen, welche Dir dienen.«

»Herr Chicot!«

»Aergere Dich nicht, oder ich ärgere mich.«

»Ja, Du hast Recht,« sprach der König, zitternd vor Angst, der Schatten könnte verschwinden, »sprich, mein Freund, sprich.«

»Nun wohl! ich hatte ein kleines Geschäft mit Herrn von Mayenne abzumachen, erinnerst Du Dich?«

»Vollkommen.«

»Ich mache es ab. Gut! Ich prügle diesen Kapitän ohne Gleichen, sehr gut. Er läßt mich suchen, um mich zu hängen, und Du, auf den ich rechnete, um mich gegen diesen Helden zu vertheidigen, verlässest mich, statt mich zu beschützen; statt ihm den Garaus zu machen, versöhnst Du Dich mit ihm. Was habe ich sodann gethan? ich habe mich für todt erklärt und durch die Vermittelung meines Freundes Gorenflot beerdigt, so daß seit jener Zeit Herr von Mayenne der mich suchte, mich nicht mehr sucht.«

»Du hast einen gräulichen Muth gehabt, Chicot; sprich, wußtest Du nicht, welchen Schmerz mir Dein Tod verursachen würde?«

»Ja, das ist muthig, aber durchaus nicht gräulich. Ich habe nie so ruhig gelebt, als seitdem die ganze Weit überzeugt ist, ich lebe nicht mehr.«

»Chicot, Chicot, mein Freund!« rief der König, »Du erschreckst mich, mein Kopf geräth in Verwirrung.«

»Ah, bah! das bemerkst Du erst heute?«

»Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«

»An etwas mußt Du Dich, bei Gott! doch halten, oder glaubst Du, laß hören?«

»Ich glaube, daß Du gestorben bist und zurückkehrst.«

»Dann lüge ich; Du bist artig.«

»Du verbirgst mir wenigstens einen Theil der Wahrheit; doch sogleich wirst Du mir, wie die Gespenster des Alterthums, furchtbare Dinge sagen.«

»Ah! was das betrifft, ich sage nicht nein. Halte Dich bereit, armer König.«

»Ja, ja,« sprach Heinrich, »gestehe, daß Du ein durch den Herrn auferweckter Schatten bist?«

»Ich werde zugestehen, was Du willst.«

»Wie wärest Du sonst durch diese bewachten Gänge hierher gekommen? Wie würdest Du bei mir in meinem Zimmer sein? Der Erste der Beste findet also jetzt Eintritt in den Louvre! So bewacht man also den König?«

Und ganz sich dem schwindelartigen Schrecken überlassend, der ihn ergriffen hatte, warf sich Heinrich in sein Bett zurück und wollte sich mit seinen Leinenlaken bedecken.

»La! La! La!« sagte Chicot mit einem Tone, der einiges Mitleid und viel Sympathie verbarg, »erhitze Dich nicht, Du brauchst mich nur zu berühren, um Dich zu überzeugen.«

»Du bist also kein Bote der Rache?«

»Alle Wetter! habe ich Hörner wie Satan, oder ein flammendes Schwert wie der Erzengel Michael?«

»Wie bist Du denn hereingekommen?«

»Du kamst auch so eben zurück.«

»Allerdings.«

»Nun, begreifst Du, daß ich immer noch meinen Schlüssel habe, den welchen Du mir gegeben hast, und den ich an meinen Hals hing, um Deine Kammerherrn wüthend zu machen, die nur das Recht hatten, sich ihn Hinten anzuhängen. Mit diesem Schlüssel kommt man herein und ich bin hereingekommen.«

»Durch die geheime Thüre?«

»Ganz gewiß.«

»Doch warum bist Du eher heute nie gestern gekommen?«

»Ah! es ist wahr, das ist die Frage. Nun, Du sollst es erfahren.«

Heinrich streifte seine Leinenlaken zurück und sprach mit demselben Tone der Naivetät, den ein Kind angenommen hättet:

»Chicot, ich bitte Dich, sage mir nichts Unangenehmes, oh! wenn Du wüßtest, welches Vergnügen es mir macht, Deine Stimme zu hören!«

»Ich werde Dir ganz einfach die Wahrheit sagen. Schlimm genug, wenn Dir die Wahrheit unangenehm ist.«

»Nicht wahr, Deine Furcht vor Herrn von Mayenne ist nicht so ernst?«

»Im Gegentheil, sehr ernst. Du verstehst, Herr von Mayenne hat mir fünfzig Stockprügel geben lassen; ich habe mir Genugtuung genommen und ihm hundert der Hiebe mit der Degenscheide aufgemessen; nimm an, daß zwei Hiebe mit der Degenscheide so viel werth sind, als ein Stockprügel, so sind wir quitt. Nimm an, daß ein Schlag mit der Degenscheide so viel werth ist, als ein Stockprügel, dies kann die Ansicht von Herrn von Mayenne sein, so ist er mir noch fünfzig Schläge mit dem Stock oder der Degenscheide schuldig; ich fürchte aber nichts so sehr, als die Schulden dieser Art, und ich wäre auch nicht hierhergekommen, so sehr Du meiner bedürfen möchtest, hätte ich nicht gewußt, daß Herr von Mayenne sich in Soissons befindet.«

»Nun wohl! Chicot, da sich die Sache so verhält, so nehme ich Dich unter meinen Schutz, und ich will…«

»Was willst Du? Nimm Dich in Acht. Henriquet, so oft Du die Worte: »Ich will!,« aussprichst, bist Du bereit, eine Albernheit zu sagen.«

»Ich will, daß Du auferstehst, daß Du an den hellen Tag trittst.«

»Ich sagte es wohl.«

»Ich werde Dich vertheidigen.«

»Gut.«

»Chicot, ich verpfände Dir mein königliches Wort.«

»Basta! ich habe etwas Besseres.«

»Was hast Du?«

»Ich habe mein Loch und bleibe darin.«

»Ich werde es Dir verbieten,« rief energisch der König, indem er sich auf die Stufe seines Bettes stellte.

»Heinrich,« sagte Chicot, »Du wirst den Schnupfen bekommen; ich bitte Dich, lege Dich wieder nieder.«

»Du hast Recht, Du bringst mich aber auch in Verzweiflung,« versetzte der König, während er sich wieder in seine Tücher steckte. »Wie! wenn ich, Heinrich von Valois, König von Frankreich, finde, daß ich genug Schweizer, Schottländer, französische Leibwachen und Edelleute zu meiner Vertheidigung habe, findet sich Herr Chicot nicht zufrieden und in Sicherheit?«

»Höre… Wie hast Du gesagt? Du habest Schweizer?«

»Ja, befehligt von Tocquenot.«

»Gut… Du habest Schottländer?«

»Ja, befehligt von Larchant.«

»Sehr gut… Du habest französische Leibwachen?«

»Befehligt von Crillon.«

»Vortrefflich. Und hernach?«

»Hernach? Ich weiß nicht, ob ich Dir das sagen soll?«

»Sage es nicht. Wer fragt Dich danach?«

»Und hernach, eine Neuigkeit, Chicot.«

»Gut Neuigkeit?«

»Denke Dir fünf und vierzig brave Edelleute…«

»Fünf und vierzig? Wie sagst Du das?«

»Fünf und vierzig Edelleute.«

»Wie hast Du sie gefunden? jedenfalls nicht in Paris.«

»Nein, doch sie sind heute in Paris angekommen.«

»Alle Wetter!« rief Chicot, von einem raschen Gedanken erleuchtet. »Ich kenne sie, Deine Edelleute.«

»Wahrhaftig.«

»Fünf und vierzig, denen nur der Bettelsack fehlte.«

»Ich leugne es nicht.«

»Gesichter, daß man darüber vor Lachen sterben könnte.«

»Chicot es sind herrliche Männer unter ihnen.«

»Gascogner, wie der General-Oberste Deiner Infanterie.«

»Und wie Du, Chicot.«

»Ah! ich, Heinrich, das ist ein großer Unterschied. Ich bin kein Gascogner mehr, seitdem ich die Gascogne verlassen habe.«

»Während sie?«

»Gerade das Gegentheil; sie waren in der Gascogne keine Gascogner, und sind doppelte Gascogner hier.«

»Gleichviel. Ich habe fünf und vierzig furchtbare Schwerter.«

»Befehligt von dem sechs und vierzigsten furchtbaren Schwert, das man Épernon nennt.«

»Ganz richtig.«

»Und von wem?«

»Von Loignac.«

»Puh!«

»Willst Du nicht etwa Loignac herabwürdigen?«

»Ich werde mich wohl hüten, er ist mein Vetter im sieben und zwanzigsten Grad.«

»Ihr seid Alle mit einander verwandt, Ihr Gascogner.»

»Das ist gerade das Gegentheil von Euch Valois, die es nie sind.«

»Wirst Du endlich antworten?«

»Worauf?«

»Auf meine Fünf und Vierzig.«

»Damit gedenkst Du Dich zu beschützen?«

»Ja, bei Gottes Tod! Ja,« rief Heinrich aufgebracht.

Chicot oder sein Schatten, denn wir sind hierüber nicht besser unterrichtet als der König und müssen unsere Leser im Zweifel lassen – Chicot, sagen wir, schlüpfte in seinen Lehnstuhl, wobei er seine Absätze auf die Randleiste desselben Stuhles stützte, so daß seine Kniee die Spitze eines Winkels bildeten, der höher war, als Kopf.

»Nun! sprach er, »ich habe mehr Truppen, als Du.«

»Truppen? Du hast Truppen?«

»Warum, nicht?«

»Und was für Truppen?«

»Du wirst es sehen. Ich habe zuerst die ganze Armee, die sich die Herren von Guise in Lothringen bilden.«

»Bist Du ein Narr?«

»Nein, eine wahre Armee, wenigstens sechs tausend Mann.«

»Doch aus welchem Grunde willst Du, der Du vor Herrn von Mayenne so sehr Angst hast, Dich gerade durch die Soldaten von Herrn von Guise beschützen lassen?«

»Weil ich todt bin.«

»Abermals dieser Scherz.«

»Chicot war es, dem Herr von Mayenne grollte. Ich habe also diesen Tod benützt, um meinen Körper, meinen Namen und meine gesellschaftliche Stellung zu verändern.«

»Du bist also nicht mehr Chicot?«

»Nein.«

»Wer bist Du denn?«

»Ich bin Robert Briquet, ehemaliger Handelsmann und Liguist.«

»Du, Liguist, Chicot?«

»Und ein wüthender! Folge hiervon ist, daß ich, wenn ich nicht zu nahe von Herrn von Mayenne gesehen werde, zu meiner, Briquet‘s eines Mitgliedes der heiligen Union, persönlichen Vertheidigung zuerst die Armee der Lothringer habe, sechs tausend Mann. Behalte wohl die Zahlen.«

»Gut.«

»Sodann hundert tausend Mann Pariser.«

»Vortreffliche Soldaten!«

»Vortrefflich genug, um Dir sehr lästig zu werden, mein Fürst. Also hundert tausend und sechs tausend macht hundert und sechs tausend. Sodann das Parlament, der Papst, die Spanier, den Herrn Cardinal von Bourbon, die Flamänder, Heinrich von Navarra, den Herzog von Anjou.«

»Fängst Du an, die Liste zu erschöpfen?« rief Heinrich ungeduldig.

»Stille doch, es bleiben mir noch drei Sorten von Leuten.«

»Sprich.«

»Die Dir sehr abhold sind.«

»Sprich.«

»Die Katholiken zuerst.«

»Ah! ja, weil ich die Hugenotten nur zu drei Vierteln ausgerottet habe.«

»Sodann die Hugenotten, weil Du sie zu drei Vierteln ausgerottet hast.«

»Ja – und die dritten?«

»Was sagst Du zu den Politikern, Heinrich?«

»Ah! ja, diejenigen, welche weder von mir, noch von meinem Bruder, noch von Herrn von Guise etwas wissen wollen.«

»Wohl aber von Deinem Schwager von Navarra.«

»Ja, wenn er abschwört.«

»Eine schöne Geschichte! nicht wahr, und wie ihn das in Verlegenheit bringt?«

»Ah! doch die Leute, von denen Du mir da sprichst…«

»Nun?«

»Das ist ganz Frankreich.«

»Richtig. Das sind die Truppen von mir, dem Liguisten. Vorwärts, addire und vergleiche.«

»Wir scherzen, nicht wahr, Chicot?« sagte Heinrich, der einen gewissen Schauer durch seine Adern laufen fühlte.

»Es ist die Stunde zum Scherzen, da Du allein gegen die ganze Welt bist, mein armer Henriquet.«

Heinrich nahm eine würdevolle, ganz königliche Miene an und sprach:

»Allein bin ich, allein befehle ich aber auch… Du zeigst mir eine Armee, sehr gut… Zeige mir nun einen Anführer. Oh! Du wirst mir Herrn von Guise bezeichnen… Siehst Du nicht, daß ich ihn in Nancy halte?…Herrn von Mayenne… Du gestehst selbst, daß er in Soissons ist… Den Herzog von Anjou?… Du weißt, daß er sich in Brüssel befindet… Den König von Navarra… Er ist in Pau… während ich, ich allein bin, es ist wahr, aber ich bin frei zu Hause und sehe den Feind kommen, wie mitten auf einer Ebene der Jäger sein Wild, Hasen oder Hühner, aus den umliegenden Wäldern hervorkommen sieht.«

Chicot kratzte sich an der Nase. Der König hielt ihn für besiegt.

»Was hast Du hierauf zu antworten?« fragte Heinrich.

»Daß Du immer beredt bist, Heinrich; es bleibt Dir Deine Zunge; das ist in der That mehr als ich glaubte, und ich mache Dir mein aufrichtiges Compliment. Doch ich werde nur Eines in Deiner Rede angreifen.«

»Was?«

»Oh! mein Gott, nichts, beinahe nichts, eine rhetorische Figur, ich werde Deine Vergleichung angreifen.«

»Worin?«

»Dann, daß Du behauptest, Du seist der Jäger, der das Wild auf dem Anstande erwarte, während ich im Gegentheil sage, Du seist das Wild, das der Jäger bis in seinem Lager umstellt.«

»Chicot!«

»Sprich, Mann im Hinterhalt, wen hast Du kommen sehen.«

»Niemand, bei Gott!«

»Und es ist dennoch Jemand gekommen!«

»Einer von denjenigen, welche ich Dir angeführt habe.«

»Nicht gerade, aber so ungefähr.«

»Und wer ist gekommen?«

»Eine Frau.«

»Meine Schwester Margot?«

»Nein, die Herzogin von Montpensier.«

»Sie! in Paris!«

»Ei! mein Gott, ja.«

»Nun! und wenn dies wäre, seit wann habe ich Angst vor den Weibern?«

»Das ist wahr, man muß nur vor den Männern Angst haben. Warte ein wenig. Sie kommt als Vorläufer; sie kommt, um die Ankunft ihres Bruders zu verkündigen.«

»Ist Ankunft von Herrn von Guise?«

»Ja.«

»Und Du glaubst, das bringe mich in Verlegenheit.?«

»Oh! Dich bringt nichts in Verlegenheit.«

»Gib mir Tinte und Papier.«

»Wozu? um den Befehl an Herrn von Guise, in Nancy zu bleiben, zu unterzeichnen?«

»Ganz richtig. Der Gedanke ist gut, da er Dir zu gleicher Zeit mit mir gekommen ist.«

»Im Gegentheil, abscheulich.«

»Warum?«

»Sobald er diesen Befehl erhalten hat, wird er errathen, daß seine Gegenwart in Paris dringend ist, und herbeieilen.«

Der König fühlte, wie ihm der Zorn in den Kopf stieg. Er schaute Chicot von der Seite an und sprach:

»Wenn Ihr nur zurückgekehrt seid, um mir solche Mittheilungen zu machen, so hättet Ihr bleiben können, wo Ihr waret.«

»Was willst Du, Heinrich? die Gespenster sind keine Schmeichler.«

»Du gestehst also, daß Du ein Gespenst bist?«

»Ich habe es nie geleugnet.«

»Chicot!«

»Aergere Dich nicht, denn vom Kurzsichtigen, der Du bist, würdest Du ein Blinder werden. Sprich, hast Du mir nicht gesagt, Du hieltest Deinen Bruder in Flandern?«

»Ja, gewiß, und ich behaupte, das ist eine gute Politik.«

»Höre nun, und ärgern wir uns nicht. In welcher Absicht denkst Du, daß Herr von Guise in Nancy bleibe?«

»Um dort eine Armee zu organisiren.«

»Gut! Ruhe… Wozu bestimmt er diese Armee?«

»Ah! Chicot, Ihr ermüdet mich mit allen diesen Fragen.«

»Werde müde, werde müde, Heinrich, Du wirst nachher besser ruhen, das verspreche ich Dir. Wir sagten also, er bestimme diese Armee?«

»Zu Bekämpfung der Hugenotten im Norden.«

»Oder vielmehr, um Deinem Bruder entgegenzutreten, der sich Herzog von Brabant nennen läßt, der sich einen kleinen Thron in Flandern zu bauen trachtet, und der Dich beständig um Unterstützung bittet, um zu diesem Ziele zu gelangen.«

»Eine Unterstützung, die ich ihm stets verspreche und nie schicken werde, wohl verstanden!«

»Zur großen Freude des Herrn Herzogs von Guise. Nun wohl, Heinrich, einen Rath.«

»Welchen?«

»Wenn Du Dich einmal stellen würdest, als wolltest Du ihm die versprochenen Hilfstruppen schicken, wenn Du diese Truppen gegen Brüssel vorrücken ließest, und würden sie auch nur halbwegs gehen?«

»Ah! Ja, ich verstehe,« rief Heinrich, »Herr von Guise würde sich nicht von der Gränze rühren.«

»Und das Versprechen, das Frau von Montpensier uns Liguisten gegeben hat, daß Herr von Guise vor acht Tagen in Paris sein werde…«

»Dieses Versprechen würde ins Wasser fallen.«

»Das hast Du gesagt, mein Meister,« erwiederte Chicot, der es sich ganz bequem machte. »Sprich, was denkst Du von meinem Rath?«

»Ich halte ihn für gut… doch…«

»Was noch?«

»Während diese beiden Herren dort einer durch den andern beschäftigt wären…«

»Ah! ja, der Süden, nicht wahr? Du hast Recht, Heinrich, vom Süden kommen die Stürme.«

»Würde sich während dieser Zeit nicht meine dritte Geißel in Bewegung setzen? Du weißt, was der Bearner macht.«

»Der Teufel soll mich holen, nein.«

»Er macht Ansprüche.«

»Worauf?«

»Auf die Städte, welche die Mitgift seiner Frau bilden.«

»Seht Ihr den Unverschämten, dem die Ehre, mit dem Hause Frankreich verwandt zu sein, nicht genügt, und der sich auf das, was ihm gehört, Ansprüche zu machen erlaubt!«

»Cahors zum Beispiel, als ob es gute Politik wäre, eine solche Stadt seinem Feinde zu überlassen.«

»Nein, in der That, das wäre nicht die Sache eines guten Politikers, aber zum Beispiel die eines redlichen Mannes.«

»Herr Chicot!«

»Nehmen wir an, ich habe nichts gesagt; Du weißt, daß ich mich nicht in Deine Familienangelegenheiten mische.«

»Doch das beunruhigt mich nicht; ich habe meinen Gedanken.«

»Gut.«

»Kommen wir also auf das Dringendere zurück.«

»Auf Flandern.«

»Ich werde Einen nach Flandern zu meinem Bruder schicken; aber wen schicke ich, mein Gott! wem kann ich eine so wichtige Sendung anvertrauen?«

»Verdammt…«

»Ah! ich bedenke.«

»Ich auch…«

»Gehe Du dahin, Cicot!«

»Ich soll nach Flandern gehen?«

»Warum nicht?«

»Ein Todter nach Flandern gehen! Stille doch!«

»Da Du nicht mehr Chicot, sondern Robert Briquet bist…«

»Gut, ein Bürger, ein Liguist, ein Freund von Herrn von Guise soll die Funktionen eines Botschafters beim Herrn Herzog von Anjou versehen.«

»Du weigerst Dich?«

»Bei Gott!«

»Du bist ungehorsam gegen mich?«

»Ich Dir ungehorsam? Bin ich Dir Gehorsam schuldig?«

»Du bist mir keinen Gehorsam schuldig, Unglücklicher?»

»Hast Du mir je etwas gegeben, was mich Dir verbindet? Das Wenige, was ich besitze, ist mir durch Erbschaft zugefallen. Ich bin bettelarm und dunkeln Standes. Mache mich zum Herzog und Pair, erhebe mein Landgut la Chicoterie zum Marquisat. Dotire mich mit fünfmal hundert tausend Thalern, dann wollen wir von der Botschafterei sprechen.«

Heinrich wollte antworten und einen von den guten Gründen finden, wie sie die Könige immer finden, wenn man ihnen solche Vorwürfe macht, als man den schweren sammtenen Thürvorhang rauschen hörte.

»Der Herr Herzog von Joyeuse,« sagte die Stimme des Huissier.

»Ei, alle Wetter! hier hast Du, was Du brauchst. Ich fordere Dich auf, mir einen Botschafter zu finden, der Dich besser vertreten würde, als Messire Anne.«

»In der That,« murmelte Heinrich, »dieser verteufelte Mensch ist offenbar ein besserer Ratgeber, als es je einer meiner Minister war!«

»Ah! Du gibst es also zu?»sagte Chicot.

Und er vertiefte sich in seinen Stuhl und nahm die Form einer Kugel an, so daß der geschickteste Seemann des Königreichs, gewohnt, dem kleinsten Punkt über den Linien des Horizonts zu unterscheiden, keinen Vorsprung über den Sculpturen des Lehnstuhls, in dem er sich begraben, hätte entdecken können.

Herr von Joyeuse mochte immerhin Großadmiral von Frankreich sein, er sah nicht mehr als ein Anderer.

Der König stieß einen Freudenschrei aus, als er seinen jungen Günstling erblickte, und drückte ihm die Hand.

»Setze Dich, Joyeuse, mein Kind,« sagte er zu ihm. »Mein Gott, wie spät kommst Du!«

»Sire,« erwiederte Joyeuse, »Eure Majestät ist sehr gnädig, daß sie es bemerkt.«

Und der Herzog näherte sich der Estrade des Bettes und setzte sich auf die mit Lilien besäten Kissen, welche zu diesem Behufe zerstreut auf den Stufen der Estrade umherlagen.

Die Fünf und Vierzig

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