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4tes – 7tes Bändchen
Viertes Kapitel
Die zwei Freunde
ОглавлениеDom Modeste verließ die andächtig vorgebeugte Stellung nicht, die er angenommen hatte.
Chicot durchschritt das Zimmer und ging auf ihn zu.
Der Prior war nur so gnädig, den Kopf ein wenig zu senken, um dem Eintretenden anzudeuten, daß er ihn bemerke.
Chicot schien sich nicht einen Augenblick über die Gleichgültigkeit des Priors zu wundern; er schritt immer weiter vor, grüßte, als er eine ehrfurchtsvoll abgemessene Entfernung erreicht hatte, und sprach:
»Guten Morgen, Herr Prior.«
»Ah! Ihr seid hier,« sagte Gorenflot, »Ihr seid wieder auferstanden, wie es scheint?«
»Habt Ihr mich todt geglaubt, Herr Prior?«
»Bei Gott! man sah Euch nicht mehr.«
»Ich hatte Geschäfte.«
»Ah!«
Chicot wußte, daß Gorenflot, wenn er sich nicht durch zwei bis drei Flaschen alten Burgunder erwärmt hatte, wortkarg blieb. Da aber in Betracht der wenig vorgerückten Stunde Gorenflot aller Wahrscheinlichkeit nach nüchtern war, so nahm er einen guten Lehnstuhl und setzte sich schweigsam an die Ecke des Kamins, wobei er seine Füße auf die Feuerböcke ausstreckte und seine Lenden auf die weiche Lehne stützte.
»Werdet Ihr mit mir frühstücken, Herr Briquet?« fragte Dom Modeste.
»Vielleicht, ehrwürdiger Herr Prior.«
»Ihr dürft mir nicht grollen, Herr Briquet, wenn es mir unmöglich würde, Euch jede Zeit zu schenken, die ich Euch gern schenken möchte.«
»Ei! wer des Teufels! fordert Eure Zeit von Euch, Herr Prior? alle Wetter! ich verlangte nicht einmal Frühstück von Euch, Ihr habt es mir angeboten.«
»Sicherlich, Herr Briquet,« versetzte Dom Gorenflot mit einer Unruhe, welche der feste Ton von Chicot rechtfertigte, »ja, allerdings, ich habe es Euch angeboten, doch…«
»Doch Ihr glaubtet ich würde es nicht annehmen?«
»Oh! nein. Ist es meine Gewohnheit, politisch zu sein, sprecht, Herr Briquet?«
»Man nimmt alle Gewohnheiten an, die man annehmen will, wenn man ein Mann von Eurer Erhabenheit ist, ehrwürdiger Herr Prior,« erwiederte Chicot mit jenem Lächeln, das nur ihm gehörte.
Dom Gorenflot schaute Chicot mit den Augen blinzelnd an. Es war ihm unmöglich, zu errathen, ob Chicot spottete oder im Ernste sprach.
Chicot war aufgestanden.
»Warum steht Ihr auf, Herr Briquet?« fragte Gorenflot.
»Weil ich gehe.«
»Und warum geht Ihr, da Ihr sagtet, Ihr würdet mit mir frühstücken?«
»Ich habe nicht gesagt, ich würde mit Euch frühstücken.«
»Verzeiht, ich habe es Euch angeboten.«
»Und ich erwiederte vielleicht; vielleicht bedeutet nicht: ja.«
»Ihr ärgert Euch?«
Chicot lachte.
»Ich mich ärgern,« sagte er, »und worüber sollte ich mich ärgern? darüber, daß Ihr unverschämt, unwissend und grob seid? Oh! lieber Herr Prior, ich kenne Euch zu lange, um mich über solche Unvollkommenheiten zu ärgern.«
Durch diesen naiven Ausfall seines Gastes niedergeschmettert, blieb Gorenflot mit offenem Munde und ausgestreckten Armen.
»Gott befohlen, Herr Prior,« fuhr Chicot fort.
»Oh! geht nicht.«
»Meine Reise läßt sich nicht verzögern.«
»Ihr reist?«
»Ich habe eine Sendung.«
»Von wem?«
»Vom König.«
Gorenflot stürzte von Abgrund zu Abgrund.
»Eine Sendung,« sagte er, »eine Sendung vom König, Ihr habt ihn also wiedergesehen?«
»Gewiß.«
»Und er hat Euch aufgenommen?«
»Mit Begeisterung; er hat Gedächtniß, obschon er ein König ist.«
»Eine Sendung vom König,« murmelte Gorenflot, »und ich unverschämt, unwissend und grob!«
Sein Herz schwoll nach und nach ab, wie ein Ballon, der seinen Wind durch Nabelstiche verliert.
»Gott befohlen,« wiederholte Chicot, Gorenflot erhob sich auf seinem Lehnstuhl und hielt mit seiner breiten Hand den Flüchtigen zurück, der sich, gestehen wir es, leicht Gewalt anthun ließ.
»Sprecht, erklärt Euch,« sagte der Prior.
»Worüber?« fragte Chicot.
»Ueber Eure heutige Empfindlichkeit.«
»Ich bin heute wie immer.«
»Nein.«
»Ein einfacher Spiegel der Leute mit denen ich zusammen bin.«
»Nein.«
»Ihr lacht, ich lache; Ihr schmollt, ich mache ein Grimasse.«
»Nein, nein, nein!«
»Ja, ja, ja.«
»Nun wohl, ich gestehe, ich war anderweitig in Anspruch genommen.«
»Wirklich!«
»Wollt Ihr nicht nachsichtig gegen einen Mann sein, der mit den peinlichsten Arbeiten überladen ist? Mein Gott! habe ich meinen Kopf für mich? Ist diese Priorei nicht wie das Gouvernement einer Provinz? Bedenkt daß ich zwei hundert Menschen befehlige, daß ich zugleich Oekonom, Architekt, Intendant bin, Alles, ohne meine geistlichen Functionen zu rechnen.«
»Oh! das ist in der That zu viel für einen unwürdigen Diener Gottes!«
»Oh! nun spottet er,« sagte Gorenflot, »Herr Briquet, solltet Ihr Eure christliche Liebe und Mildherzigkeit verloren haben?«
»Ich besaß also dergleichen?«
»Ich glaube auch, daß Neid bei Eurer Handlungsweise im Spiele ist; nehmt Euch in Acht, der Neid ist eine Todsünde.«
»Neid bei meiner Handlungsweise! Ich frage Euch, wen sollte ich beneiden?«
»Hm! Ihr sagt Euch: der Prior Dom Modeste Gorenflot, steigt stufenweise empor, er ist auf der aufsteigenden Linie.«
»Während ich auf der absteigenden Linie bin, nicht wahr?« entgegnete Chicot mit spöttischem Tone.
»Daran ist Eure falsche Stellung Schuld, Herr Briquet.«
»Herr Prior, erinnert Ihr Euch des Textes im Evangelium?«
»Welchen Text meint Ihr?«
»Wer sich erhöht, wird erniedrigt werden, wer sich erniedrigt, wird erhöht werden.«
»Puh!« machte Gorenflot.
»Ah! nun setzt er die heiligen Texte in Zweifel, der Ketzer!« rief Chicot die Hände faltend.
»Ketzer,« wiederholte Gorenflot, »die Hugenotten sind Ketzer.
»Schismatiker also.«
»Was wollt Ihr sagen, Herr Briquet? In der That, Ihr verkennt mich.«
»Nichts, wenn nicht, daß ich eine Reise mache und zu Euch gekommen bin, um von Euch Abschied zu nehmen. Lebt also wohl, Seigneur Dom Modeste.«
»Ihr verlaßt mich so?«
»Ganz gewiß, bei Gott!«
»Ihr?«
»Ja, ich.«
»Ein Freund?«
»In der Größe hat man keine Freunde mehr.«
»Ihr, Chicot?«
»Ich bin nicht mehr Chicot, Ihr habt es mir so eben vorgeworfen.«
»Ich, wann dies?«
»Da Ihr von meiner falschen Stellung sprachet.«
»Vorgeworfen! Ah! was für Worte habt Ihr heute!«
Und der Prior neigte seinen dicken Kopf, dessen drei Kinne sich in einem einzigen an seinem Stierhals abplatteten.
Chicot beobachtete ihn aus einem Augenwinkel: er sah den Prior leicht erbleichen.
»Gott befohlen und ohne Groll wegen der Wahrheiten, die ich Euch gesagt habe.«
Und er machte eine Bewegung, um wegzugehen.
»Sagt mir. Alles, was Ihr wollt,« sprach Dom Gorenflot, »doch habt keine solche Blicke mehr für mich.«
»Ah! ah! es ist ein wenig spät.«
»Wie zu spät. Hört doch, man geht nicht so weg, ohne zu essen, was Teufels! das ist nicht gesund, Ihr habt es mir selbst zwanzigmal gesagt. Nun, laßt uns frühstücken.«
Chicot war entschlossen, auf einmal alle seine Vortheile wieder zu gewinnen.
»Meiner Treue nein, man speist zu schlecht hier.«
Gorenflot hatte die anderen Angriffe muthig ertragen; unter diesem erlag er.
»Man speist schlecht bei mir?« stammelte er ganz verwirrt.
»Das ist wenigstens meine Meinung.«
»Habt Ihr Euch über Euer letztes Mittagemahl zu beklagen gehabt?«
»Ich habe noch den herben Geschmack am Gaumen, puh!«
»Ihr macht puh!« rief Gorenflot, die Arme zum Himmel erhebend.
»Ja,« sagte Chicot entschlossen, »ich mache puh!«
»Aber warum? sprecht.«
»Schweinsrippchen waren unwürdig verbrannt.«
»Oh!«
»Die farcirten Ohren krachten nicht unter den Zähnen.«
»Oh!«
»Der Kapaun mit Reis schmeckte nur nach Wasser.«
»Gerechter Himmel!«
»Von der Kraftsuppe war das Fett nicht abgeschöpft.«
»Barmherzigkeit!«
»Man sah auf der Brühe ein Oel, das noch in meinem Magen schwimmt.«
»Chicot, Chicot!« seufzte Gorenflot mit demselben Tone, mit dem der verscheidende Cäsar: Brutus! Brutus! rief.
»Und dann könnt Ihr mir keine Zeit schenken.«
»Ich?«
»Ihr sagtet mir, Ihr hättet zu thun; habt Ihr das gesagt, ja oder nein? Es fehlte nur noch, daß Ihr zum Lügner würdet.«
»Nun! dieses Geschäft läßt sich verschieben. Ich habe nur eine Bittstellerin zu empfangen.«
»So empfangt sie.«
»Nein, nein, Herr Chicot, obgleich sie mir hundert Flaschen sicilianischen Wein geschickt hat.«
»Hundert Flaschen sicilianischen Wein?«
»Ich werde sie nicht empfangen, obschon sie wahrscheinlich eine sehr vornehme Dame ist; ich werde sie nicht empfangen; ich will nur Euch empfangen, theurer Herr Chicot. Sie wollte mein Beichtkind werden, die vornehme Dame, welche die Flaschen sicilianischen Wein in Hunderten schickt. Wenn Ihr es verlangt, verweigere ich ihr meinen geistlichen Rath, ich lasse ihr sagen, sie möge einen andern Beichtvater annehmen.«
»Dies Alles werdet Ihr thun?«
»Um mit Euch zu frühstücken, theurer Herr Chicot, um mein Unrecht gegen Euch wieder gut zu machen.«
»Euer Unrecht rührt von Eurem unbändigen Stolze her.«
»Ich werde mich demüthigen, mein Freund.
»Von Eurer unverschämten Trägheit.«
»Chicot, Chicot, von morgen an kasteie ich mich, indem ich meine Mönche alle Tage Uebungen vornehmen lasse.«
»Eure Mönche Uebungen?« versetzte Chicot, die Augen weit aufreißend, »und was für Uebungen, mit der Gabel?«
»Nein, mit den Waffen.«
»Waffenübungen?«
»Ja, und das Commandiren ist ermüdend.«
»Ihr commandirt bei den Uebungen der Jacobiner?«
»Ich gedenke wenigstens zu commandiren.«
»Von morgen an?«
»Von heute an, wenn Ihr es verlangt.«
»Und wer hat den Gedanken gehabt, Kuttenträger exerciren zu lassen?«
»Ich, wie es scheint.«
»Ihr, unmöglich.«
»Doch, ich habe dem Bruder Borromée Befehl gegeben.«
»Wer ist der Bruder Borromée?«
»Ah! ist wahr, Ihr kennt ihn nicht.«
»Wer ist es?«
»Der Säckelmeister.«
»Warum hast Du einen Säckelmeister, den ich nicht kenne, Einfaltspinsel?«
»Er ist hier seit Eurem letzten Besuche.«
»Und woher hast Du diesen Säckelmeister bekommen?«
»Der Herr Cardinal von Guise hat ihn mir empfohlen.«
»In Person?«
»Durch einen Brief,« mein lieber Herr Chicot durch einen Brief.
»Sollte es das Hühnergeier-Gesicht sein, das ich unten gesehen habe?«
»So ist es.«
»Der Mönch der mich meldete?«
»Ja.«
»Oh! oh!« machte Chicot unwillkührlich, »und welche Eigenschaft hat der vom Herrn Cardinal so warm unterstützte Säckelmeister?«
»Er rechnet wie Phythagoras.«
»Und mit ihm habt Ihr diese Waffenübungen beschlossen?«
»Ja, mein Freund.«
»Nämlich, er hat Euch vorgeschlagen, Eure Mönche zu bewaffnen, nicht wahr?«
»Nein, lieber Herr Chicot, der Gedanke ist von mir, ganz von mir.«
»Und in welcher Absicht?«
»In der Absicht, sie zu bewaffnen.«
»Keinen Stolz, verhärteter Sünder, der Stolz ist eine Todsünde; dieser Gedanke ist nicht Euch gekommen.»
»Mir oder ihm, ich weiß nicht mehr, ob mir oder ihm der Gedanke gekommen ist. Nein, nein, entschieden mir, es scheint sogar, daß ich bei dieser Gelegenheit ein sehr geistreiches und glänzendes lateinisches Wort gesprochen habe.«
Chicot näherte sich dem Prior.
»Ein lateinisches Wort, Ihr, mein lieber Prior?« sagte er, »und Ihr erinnert Euch diesen lateinischen Worts?«
»Militat spiritu…«
»Militat spiritu, militat gladio.«
»So ist es, so ist es!« rief Dom Modeste ganz begeistert.
»Gut, gut,« sprach Chicot, »man kann sich unmöglich freundlicher entschuldigen, als Ihr es thut, Dom Modeste; ich verzeihe Euch.«
»Oh!« machte Gorenflot voll Rührung.
»Ihr seid stets mein Freund, mein wahrer Freund.«
Gorenflot wischte eine Thräne ab.
»Aber wir wollen frühstücken und ich will nachsichtig gegen das Frühstück sein.«
»Hört,« sprach Gorenflot begeistert, »ich werde dem Bruder Küchenmeister sagen, wenn das Essen nicht königlich sei, so lasse ich ihn einstecken.«
»Thut das, Ihr seid der Herr.«
»Und wir wollen einige von den Flaschen des Beichtkindes entpfropfen.«
»Ich werde Euch mit meiner Erleuchtung unterstützen, mein Freund.«
»Erlaubt, daß ich Euch umarme, Chicot.«
»Erstickt mich nicht und laßt uns plaudern.«