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1tes bis 3tes Bändchen
Neunten Kapitel
Herr von Loignac
ОглавлениеHinter Herrn von Loignac trat Militor, wie gemahlen durch seinen Sturz und purpurroth vor Zorn, ein.
»Ich grüße Euch, meine Herren,« sagte Loignac, »mir scheint, es geht etwas stürmisch zu. Ah! Ah! Meister Militor hat wieder den Zänker gemacht und darunter muß seine Nase leiden.«
»Man wird mir meine Schläge bezahlen,« brummte Militor Carmainges die Faust weisend.
»Tragt auf, Meister Fournichon,« rief Loignac, »und Jeder sei, wenn es möglich ist, freundlich gegen seinen Nachbar. Von diesem Augenblick an sollt Ihr Euch lieben wie Brüder.«
»Hm!« machte Sainte-Maline.
»Die Nächstenliebe ist selten,« sagte Chalabre, während er über seinem eisengrauen Wamms seine Serviette so ausbreitete, daß ihm kein Unfall begegnen konnte, wie groß auch der Ueberfluß an Brühen sein mochte.
»Und sich so von Nahem lieben ist schwierig,« fügte Ernauton bei, »allerdings sind wir nicht auf lange Zeit beisammen.«
»Seht,« rief Pincorney, der die Spöttereien von Biran noch auf dem Herzen hatte, »man verhöhnt mich, weil mir mein Hut abhanden gekommen ist, und man sagt nichts über Herrn von Montcrabeau, der mit einem Panzer aus der Zeit von Kaiser Pertinax, von dem er aller Wahrscheinlichkeit nach abstammt, zu Mittag speisen will… Das ist Defensive.«
Montcrabeau erhob sich gereizt und sprach mit einer Falsettstimme:
»Meine Herren, ich nehme ihn ab, dies zur Kunde für diejenigen, welche mich lieber mit Angriffswaffen als mit Vertheidigungswaffen sehen.«
Und er band majestätisch seinen Panzer los und befahl seinem Lackeien, einem Graukopf von fünfzig Jahren, zu ihm zu kommen.
»Friede! Friede!« rief Herr von Loignac, »setzen wir uns zu Tische.«
»Befreiet mich von diesem Panzer, ich bitte Euch,« sagte Pertinax zu seinem Lackeien.
Der Graukopf nahm ihn aus seinen Händen und fragte leiser:
»Und ich, werde ich nicht auch zu Mittag essen? Laß mir doch etwas geben, Pertinax, ich sterbe vor Hunger.«
Diese Aufforderung, so seltsam vertraulich sie auch sein mochte, erregte durchaus nicht das Erstaunen desjenigen, an welchen sie gerichtet war.
»Ich werde thun, was mir möglich ist.« antwortete er, »doch zu größerer Sicherheit seht Euch selbst danach um.«
»Hm!« machte der Lackei mit verdrießlichem Tone, »das ist durchaus nicht beruhigend.«
»Habt Ihr denn gar nichts mehr?« fragte Pertinax.
»Wir haben unsern letzten Thaler in Sens verzehrt.«
»Nun, so sucht irgend Etwas zu Geld zu machen.«
Kaum hatte er dies gesprochen, als man aus der Straße und dann aus dir Schwelle des Wirthshauses rufen hörte:
»Alteisenhändler! wer verkauft Eisen?«
Bei diesem Rufe lief Madame Fournichon nach der Thüre, während Fournichon majestätisch die ersten Platten auftrug.
Nach dem Empfang, der ihm zu Theil wurde, war die Küche von Fournichon ausgezeichnet.
Fournichon, der nicht alle Complimente, die man ihm machte, einernten konnte, wollte seine Frau zur Theilnahme zulassen.
Er suchte sie mit den Augen, aber vergebens; sie war verschwunden.
Er rief ihr.
»Was macht sie denn?« fragte er einen Küchenjungen, als er sah, daß sie nicht kam.
»Ah! Meister, einen Goldhandel,« antwortete dieser.
»Sie verkauft all Euer altes Eisen gegen neues Geld.«
»Ich hoffe, daß von meinem Kriegspanzer und meiner Sturmhaube nicht die Rede ist!« rief Fournichon nach der Thüre stürzend.
»Nein, nein,« sagte Loignac, »das Kaufen von Waffen ist durch eine Verordnung des Königs verboten.«
»Gleichviel,« erwiederte Fournichon forteilend.
Madame Fournichon kehrte triumphirend zurück.
»Nun, was habt Ihr?« fragte sie, ihren erschrockenen Mann anschauend.
»Man sagt mir, Ihr verkaufet meine Waffen.«
»Hernach?«
»Ich will nicht, daß man sie verkauft.«
»Bah! da wir Frieden haben, sind zwei neue Casserolen mehr werth, als ein alter Panzer.«
»Es muß ein armseliger Handel sein, der Handel mit altem Eisen, seit dem Edict des Königs, von dem Herr von Loignac so eben sprach,« sagte Chalabre.
»Im Gegentheil, mein Herr,« erwiederte Dame Fournichon, »seid langer Zeit führte mich derselbe Händler mit seinen Anerbietungen in Versuchung. Heute konnte ich nicht widerstehen, und ich ergriff die Gelegenheit, die sich mir bot. Zehn Thaler, mein Herr, sind zehn Thaler, und ein alter Panzer bleibt ein alter Panzer.«
»Wie! zehn Thaler!« rief Chalabre, »Teufel! so viel?«
Und er wurde nachdenkend.
»Zehn Thaler,« wiederholte Pertinax indem er einen beredeten Blick auf seinen Lackei warf, »hört Ihr Herr Samuel?«
Aber Samuel war schon nicht mehr da.
»Ah! mir scheint, dieser Händler setzt sich der Gefahr aus, gehenkt zu werden,« sagte Herr von Loignac.
»Oh! es ist ein braver Mann, sehr freundlich und sehr fügsam,« versetzte Madame Fournichon.
»Aber was macht er mit all dem alten Eisen?«
»Er verkauft es wieder nach dem Gewicht.«
»Nach dem Gewicht,« entgegnete Loignac, »und Ihr sagt, er habe Euch zehn Thaler gegeben, wofür?«
»Für einen alten Panzer und für eine alte Sturmhaube.«
»Angenommen, sie haben zusammen zwanzig Pfund gewogen, so ist das ein halber Thaler für das Pfund. Parfandious! wie einer von meinen Bekannten sagt, darunter steckt ein Geheimniß.«
»Oh! daß ich diesen braven Handelsmann in meinem Schlosse hätte,« sagte Chalabre, dessen Augen sich entzündeten, »ich würde dreißig Centner Armschienen, Beinschienen und Panzer an ihn verkaufen.«
»Wie! Ihr würdet die Rüstungen Eurer Ahnen verkaufen?« sagte Sainte-Maline mit spöttischem Tone.
»Ah! mein Herr, Ihr hättet Unrecht,« rief Eustache von Miradoux, »das sind heilige Reliquien.«
»Bah!« versetzte Chalabre, »zu dieser Stunde sind meine Ahnen selbst Reliquien und bedürfen nur noch der Messen.«
Man erhitzte sich immer mehr bei dem Mittagessen durch den Burgunderwein, dessen Verbrauch die Gewürze von Fournichon beschleunigten.
Die Stimmen steigerten sich, die Teller klangen, die Gehirne füllten sich mit Dünsten, durch welche jeder Gascogner Alles rosenfarbig sah, … mit Ausnahme von Militor, der an seinen Sturz dachte, und von Carmainges, der an seinen Pagen dachte.
»Das sind viele lustige Leute,« sagte Loignac seinem Nachbar, der gerade Ernauton war, »und sie wissen nicht warum.«
»Ich weiß es auch nicht,« erwiederte Carmainges, »allerdings mache ich meines Theils eine Ausnahme, denn ich bin nicht im Mindesten freudig gestimmt.«
»Ihr habt Eurerseits Unrecht,« sprach Loignac, »denn Ihr seid einer von denjenigen, für welche Paris eine Goldmine, ein Ehrenparadies, eine Welt der Glückseligkeit ist.«
Ernauton schüttelte den Kopf.
»Nun, was sagt Ihr?«
»Spottet meiner nicht, Herr von Loignac,« sprach Ernauton, »Ihr, der Ihr alle Fäden in der Hand zu haben scheint, welche die Mehrzahl von uns in Bewegung setzen, habt wenigstens die Gnade, den Vicomte Ernauton von Carmainges nicht wie einen hölzernen Komödianten zu behandeln.«
»Ich werde Euch noch ganz andere Gnaden erweisen, Herr Vicomte,« erwiederte Loignac sich höflich verbeugend, »ich habe Euch mit dem ersten Blick unter Allen unterschieden, Euch, dessen Auge sanft und stolz, und jenen andern jungen Mann dort, dessen Auge verdrießlich und düster ist.«
»Ihr nennt ihn?«
»Herrn von Sainte-Maline.«
»Und was ist die Ursache dieser Unterscheidung, wenn Ihr meine Frage nicht für eine zu große Neugierde von meiner Seite anseht?«
»Weil ich Euch kenne.«
»Mich,« sagte Ernauton erstaunt, »mich kennt Ihr?«
»Euch und ihn, … ihn und alle diejenigen, welche hier sind.«
»Das ist seltsam.«
»Ja; aber es ist nothwendig.«
»Warum ist es nothwendig?«
»Weil ein Anführer seine Soldaten kennen muß.«
»Und alle diese Leute?«
»Werden morgen meine Soldaten sein.«
»Aber ich glaubte, Herr von Épernon…«
»St! sprecht diesen Namen hier nicht aus oder sprecht vielmehr gar keinen Namen aus; öffnet die Ohren und, schließt den Mund, und da ich Euch jegliche Gnade verhießen habe, so nehmt vorläufig diesen Rath auf Abschlag.«
»Ich danke, mein Herr.« sagte Ernauton.
Loignac wischte sich den Schnurrbart ab, stand auf und sprach:
»Meine Herren, der Zufall führt hier fünf und vierzig Landsleute zusammen, leeren wir ein Glas von diesem spanischen Wein auf die Wohlfahrt aller Anwesenden.«
Dieser Vorschlag wurde mit wüthendem Beifall aufgenommen.
»Sie sind meistens trunken,« sagte Loignac zu Ernauton, »es wäre ein guter Augenblick, Jeden seine Geschichte erzählen zu lassen, aber es fehlt uns an Zeit.«
Dann rief er die Stimme erhebend:
»Holla, Meister Fournichon, laßt alle Frauen, Kinder und Lackeien weggehen.«
Lardille erhob sich fluchend; sie hatte ihren Nachtisch noch nicht völlig verzehrt.
Militor rührte sich nicht.
»Hat man mich dort nicht gehört?« sprach Loignac mit einem Blicke, der keine Widerrede duldete…«
»Vorwärts, in die Küche, Herr Militor…«
Nach einem Augenblick waren nur noch die fünf und vierzig Gäste und Herr von Loignac im Saal.
»Meine Herren.« sagte der letztere, »Jeder von Euch weiß oder vermuthet wenigstens, wer ihn hat nach Paris kommen lassen… Gut, ruft nicht seinen Namen aus… Ihr wißt, das genügt…Ihr wißt auch, daß Ihr gekommen seid, um ihm zu gehorchen.«
Ein Gemurmel der Beistimmung erhob sich aus allen Theilen des Saales; nur, da Jeder einzig und allein das wußte, was ihn betraf, und nicht wußte, daß sein Nachbar durch dieselbe Macht wie er bewogen, gekommen war, schauten sich Alle erstaunt an.
»Es ist gut,« sprach Loignac, »Ihr werdet Euch später anschauen, meine Herren. Seid unbesorgt, Ihr habt Zeit, Bekanntschaft zu machen. Ihr seid also gekommen, um diesem Mann zu gehorchen: erkennt Ihr das an?«
»Ja,« riefen die Fünf und Vierzig, »wir erkennen, es an.«
»Nun wohl! um anzufangen,« fuhr, Loignac fort, »Ihr werdet Euch geräuschlos aus diesem Gasthofe wegbegeben, um die Wohnung zu beziehen, die man Euch angewiesen hat.«
»Allen?« fragte Sainte-Maline.
»Allen.«
»Wir sind Alle berufen, wir sind hier Alle gleich,« sagte Perducas, dessen Beine so unsicher waren, daß er um seinen Schwerpunkt zu behaupten, einen Arm um den Hals von Chalabre schlingen mußte.
»Nehmt Euch doch in Acht,« sprach dieser, »Ihr zerknittert mir mein Wamms.«
»Ja, Alle gleich vor dem Willen des Gebieters,« rief Loignac.
»Oh! Oh! mein Herr.« entgegnete Carmainges erröthend, »verzeiht, man sagte mir nicht, daß sich Herr von Épernon meinen Gebieter nenne.«
»Wartet doch.«
»So hatte ich die Sache nicht verstanden.«
»Aber wartet doch, verdammter Kopf.«
Es herrschte beider Mehrzahl ein neugieriges Schweigen und bei einigen Anderen ein ungeduldiges Schweigen.
»Ich habe Euch noch nicht gesagt, wer Euer Gebieter sein würde, meine Herren…«
»Ja,« versetzte Sainte-Maline, »aber Ihr sagtet, daß wir einen haben würden.«
»Die ganze Welt hat einen Gebieter,« rief Loignac, »aber wenn Euer Wesen zu stolz ist, um da stehen zu bleiben, wo Ihr gesagt habt, so sucht höher; ich verbiete es Euch nicht nur nicht, sondern ich bevollmächtige Euch dazu.«
»Der König,« murmelte Carmainges.
»Stille,« sprach Herr von Loignac, »Ihr seid hierher gekommen, um zu gehorchen, gehorcht also; mittlerweile ist hier ein Brief, den Ihr mit lauter Stimme zu lesen mir das Vergnügen machen werdet, Herr Ernauton.«
»Befehl an Herrn von Loignac zum Cammando, die fünf und vierzig Edelleute, die ich mit Bewilligung Seiner Majestät nach Paris berufen habe, zu übernehmen.
Rogaret de la Valette Herzog von
Épernon.«
Trunken oder wieder besänftigt, verbeugten sich Alle; es gab nur Ungleichheiten im Equilibre, als man sich wieder erheben mußte.
»Ihr habt mich also verstanden,« sagte Herr von Loignac. »Auf der Stelle müßt Ihr mir folgen, Eure Equipagen und Eure Leute bleiben hier bei Meister Fournichon, der für sie sorgen wird, und wo ich sie später holen lasse; jetzt aber sputet Euch, die Boote warten.«
»Die Boote?« wiederholten alle Gascogner, »wir werden uns also einschiffen?«
»Allerdings werdet Ihr Euch einschiffen,« erwiederte Loignac. Muß man nicht über das Wasser, um nach dem Louvre zu gehen?«
»In den Louvre, in den Louvre,« murmelten freudig die Gascogner, »Cap de Bious! wir gehen in den Louvre.«
Loignac erhob sich von der Tafel, ließ die Fünf und Vierzig an sich vorübergehen, zählte sie wie Schafe, und führte sie durch die Straßen bis zur Tour de Nesle.
Hier fanden sich drei große Barken, von denen jede fünfzehn Passagiere an Bord nahm, und sogleich entfernten sie sich vom Ufer.
»Was Teufels werden wir im Louvre machen?« fragten sich die Unerschrockensten, welche, durch die Kälte des Wassers vom Rausche befreit, der Mehrzahl nach sehr schlecht gekleidet waren.
»Wenn ich nur wenigstens meinen Panzer hätte,« murmelte Pertinax von Montcrabeau.