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1tes bis 3tes Bändchen
Sechsten Kapitel
Die beiden Joyeuse

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Die Herren von Joyeuse hatten sich, wie wir gesehen, während dieser ganzen Scene durch die Hintergebäude des Stadthauses entfernt; sie ließen bei den Equipagen des Königs ihre Lackeien, welche mit ihren Pferden auf sie warteten, und gingen neben einander durch die Straßen dieses volkreichen Quartiers, welche an diesem Tage ganz verlassen waren, so sehr zog das Schauspiel auf der Grève die Bevölkerung an sich.

Sobald sie außen waren, wanderten sie Arm in Arm fort, aber ohne mit einander zu reden.

Kurz zuvor noch so freudig, war Henri ernst, in Gedanken versunken, beinahe düster.

Anne schien unruhig und gleichsam über das Stillschweigen seines Bruders verlegen.

Er war es auch, der zuerst dieses Stillschweigen brach.

»Nun, Henri,« fragte er, »wohin führst Du mich.

»Ich führe Dich nicht, ich gehe Dir voran, mein Bruder,« erwiederte Henri, als ob er plötzlich erwachte.

»Wünschest Du irgend wohin zu gehen, mein Bruder?«

»Und Du?«

Henri lächelte traurig.

»Oh! Ich,« sagte er, »mir ist es gleichviel, wohin ich gehe.«

»Du gehst doch diesen Abend irgendwohin,« entgegnete Anne, »denn jeden Abend gehst Du zu derselben Stunde aus, um erst ziemlich spät in den Nacht nach Hause zu kommen, und zuweilen kommst Du gar nicht nach Hause.«

»Willst Du mich ausfragen, mein Bruder?« sagte Henri mit einer reizenden Weichheit, gemischt mit einer gewissen Ehrfurcht vor seinem älteren Bruder.

»Ich Dich ausfragen? Gott behüte mich! Die Geheimnisse gehören denjenigen, welche sie bewahren.«

»Wenn Du es wünschest, habe ich keine Geheimnisse für Dich. Du weißt es wohl.«

»Du wirst keine Geheimnisse für mich haben, Henri?«

»Nie, mein Bruder; bist Du nicht zugleich mein Herr und mein Freund?«

»Verdammt! ich dachte, Du kümmerst Dich nicht um mich, der ich nur ein armer Laie bin; ich dachte, Du hättest unseren weisen Bruder, diesen Pfeiler der Gottesgelehrtheit, diese Leuchte der Religion, diesen gelehrten Architekten der Gewissensfälle des Hofes, der eines Tages Cardinal sein wird, ich dachte, Du vertrautest ihm, und fändest in ihm zugleich Beichte, Absolution und wer weiß… Rath; denn in unserer Familie,« fügte Anne lachend bei, »ist man zu Allem gut, Du weißt es, davon zeugt unser vielgeliebter Vater.«

Henri du Bouchage ergriff die Hand seines Bruders und drückte sie liebevoll.

»Du bist für mich mehr als Gewissensrath, mehr als Beichtiger, mehr als Vater, mein lieber Anne,« sagte er, »ich wiederhole, Du bist mein Freund.«

»So sprich, mein Freund, warum habe ich Dich, der Du so heiter warst, allmälig traurig werden sehen, und warum gehst Du, statt bei Tage auszugehen, jetzt nur noch bei Nacht aus?«

»Mein Bruder, ich bin nicht traurig,« erwiederte Henri lächelnd.

»Was bist Du denn?«

»Ich bin verliebt.«

»Gut, und dieses Versunkensein?«

»Kommt davon her, daß ich unablässig an meine Liebe denke.«

»Und Du seufzest, während Du mir das sagst?«

»Ja.«

»Du seufzest, Du, Henri, Graf du Bouchage, Du, der Bruder von Joyeuse, Du, den die schlimmen Zungen den dritten König von Frankreich nennen? Du weißt, Herr von Guise ist der zweite, wenn nicht gar der erste! Du, der Du reich, der Du schön bist, der Du Pair von Frankreich sein wirst, wie ich, und Herzog, wie ich, bei der ersten Gelegenheit, die ich finde, Du bist verliebt, nachdenkend und seufzest; Du, der Du: Hilariter3 zum Wahlspruch hast.«

»Mein lieber Anne, alle diese Gaben der Vergangenheit oder alle diese Verheißungen der Zukunft haben nicht für mich in der Reihe der Dinge gezählt, welche mein Glück machen sollten. Ich besitze keinen Ehrgeiz.«

»Das heißt, Du besitzest keinen mehr.«

»Oder ich strebe wenigstens nicht nach den Dingen, von denen Du sprichst.«

»In diesem Augenblick vielleicht; doch später wirst Du darauf zurückkommen.«

»Nie, mein Bruder, ich wünsche nichts, ich will nichts.«

»Und Du hast Unrecht, mein Bruder. Wenn man den Namen Joyeuse, einen der schönsten Namen Frankreichs, führt, wenn man einen Bruder hat, der der Günstling des Königs ist, so wünscht man Alles, so will man Alles, … und hat man Alles.«

Henri schüttelte schwermüthig sein blondes Haupt.

»Sprich, da wir nun allein und von aller Welt entfernt sind,« sagte Anne. »Der Teufel soll mich holen, wir sind über das Wasser gekommen, und befinden uns auf dem Pont de la Tournelle, ohne daß wir es bemerkt haben… Ich glaube nicht, daß in dieser Einöde, bei diesem scharfem kalten Nordost, in der Nähe dieses grünen Wassers irgend Jemand uns behorchen wird… Hast Du mir etwas Ernstes zu sagen, Henri?«

»Nichts, nichts, wenn nicht, daß ich verliebt bin, und das weißt Du schon, mein Bruder, da ich es Dir soeben gestanden habe.«

»Aber den Teufel! das ist nichts Ernstes,« erwiederte Anne, mit dem Fuße stampfend. »Beim Papst, ich bin auch verliebt!«

»Nicht wie ich, mein Bruder.«

»Ich denke auch zuweilen an meine Geliebte.«

»Ja, aber nicht immer.«

»Ich habe auch Widerwärtigkeiten, Kummer sogar.«

»Ja, Du hast aber auch Freuden, denn man liebt Dich.«

»Oh! ich stoße auch auf große Hindernisse; man verlangt von mir großes Geheimhalten.«

»Man verlangt? Du hast gesagte man verlangt, mein Bruder. Wenn Deine Geliebte verlangt, so gehört sie Dir.«

»Allerdings gehört sie mir… nämlich mir und Herrn von Mayenne; denn ein Vertrauter ist des andern werth, Henri, ich habe gerade die Geliebte von diesem Unzüchter von Mayenne, ein in mich vernarrtes Mädchen, das Mayenne auf der Stelle verlassen würde, wenn es nicht befürchtete, es könnte von ihm umgebracht werden. Du weißt, es ist seine Gewohnheit, die Frauen umzubringen. Dann hasse ich diese Guisen, und es belustigt mich auf Kosten von einem derselben zu belustigen. Nun wohl! ich sage es Dir, ich wiederhole es, ich habe zuweilen Widerwärtigkeiten, Zänkereien; doch ich werde deshalb nicht düster wie ein Karthäuser; ich mache keine trübe Augen. Ich fahre fort zu lachen, wenn nicht immer, doch wenigstens von Zeit zu Zeit. Nun, so sprich, wen liebst Du, Henri? Deine Geliebte ist doch wenigstens schön.«

»Ach! mein Bruder, es ist nicht meine Geliebte.«

»Ist sie schön?«

»Zu schön.«

»Ihr Name?«

»Ich Weiß ihn nicht.«

»Gehe doch!«

»Bei meinem Ehrenwort.«

»Mein Freund, ich fange an zu glauben, daß die Sache noch gefährlicher ist, als ich dachte… Das ist, beim Papst! keine Traurigkeit, sondern Tollheit!«

»Sie hat nur ein einziges Mal mit mir, oder vielmehr nur ein einziges Mal in meiner Gegenwart gesprochen, und seit dieser Zeit habe ich nicht einmal mehr den Ton ihrer Stimme gehört.«

»Und Du hast Dich nicht erkundigt?«

»Bei wem?«

»Wie! bei wem? bei den Nachbarn.«

»Sie bewohnt ein Haus für sich allein und Niemand kennt sie.«

»Das ist wohl ein Schatten?«

»Es ist eine Frau, groß und schön wie eine Nymphe, ernst und erhaben wie der Engel Gabriel.«

»Wie hast Du sie kennen lernen? wo hast Du sie getroffen?«

»Eines Tages verfolgte ich ein Mädchen, bei der Sackgasse der Gypecienne, ich trat in einen kleinen Garten, der an die Kirche stößt, dort ist eine Bank unter Bäumen. Bist Du je in diesen Garten gekommen, mein Bruder?«

»Nie! gleichviel, fahre fort, es ist dort eine Bank unter Bäumen… hernach?«

»Der Schatten fing an dichter zu werden, ich verlor das Mädchen aus dem Gesicht, und während ich es suchte, gelangte ich zu der Bank.«

»Immerzu, ich höre.«

»Ich erblickte im Halbdunkel ein Frauenkleid und streckte die Hände aus.

»Verzeiht, mein Herr,« sagte plötzlich die Stimme eines Mannes, den ich nicht bemerkt hatte, »»verzeiht.««

»Und die Hand dieses Mannes schob mich sachte, aber mit Festigkeit zurück.«

»Er wagte es, Dich zu berühren, Joyeuse?«

»Höre, dieser Mann hatte das Gesicht in einer Art von Kutte verborgen, ich hielt ihn für einen Mönch, dann machte er Eindruck auf mich durch den liebevollen und höflichen Ton seiner Warnung, denn während er zu mir sprach, bezeichnete er mit dem Finger auf zehn Schritte die Frau, deren weiße Kleidung mich nach dieser Seite gezogen hatte… Sie kniete vor der steinernen Bank, als ob es ein Altar wäre.

»Ich blieb stehen, mein Bruder, dieses Abenteuer begegnete mir am Anfang des September; die Luft war lau; die Rosen und die Veilchen, welche die Gläubigen auf den Gräbern des Geheges pflanzen, sandten mir ihre zarten Wohlgerüche zu; der Mond zerriß eine weißliche Wolke hinter dem Glockenthurme der Kirche und die Fenster fingen an, sich an ihrem First zu versilbern, während sie sich unten von dem Wiederscheine der angezündeten Kerzen vergoldeten. Mein Freund, war es die Majestät des Ortes, war es die persönliche Würde, diese knieende Frau glänzte für mich in der Finsterniß, wie eine Bildsäule von Marmor und als ob sie wirklich von Marmor gewesen wäre. Sie flößte mir eine gewisse Ehrfurcht ein, die mir kalt im Herzen machte.

»Ich schaute sie gierig an.

»Sie beugte sich auf die Bank, umfaßte sie mit ihren Armen, druckte ihre Lippen darauf, und bald sah ich ihre Schultern unter der Gewalt ihrer Seufzer und ihres Schluchzens wogen; nie hast Du solche Ausbrüche gehört, mein Bruder; nie hat ein scharfes Eisen so schmerzlich ein Herz zerrissen.

»Während sie weinte, küßte sie den Stein mit einer Trunkenheit, die mich von Sinnen brachte; ihre Thränen rührten mich, ihre Küsse machten mich verrückt.«

»Beim Papst! sie war verrückt,« sagte Joyeuse, »küßt man einen Stein so? schluchzt man so um nichts?«

»Oh! es war ein großer Schmerz, der sie schluchzen machte, oh! es war eine tiefe Liebe, der sie diesen Stein zu küssen bewog; aber wen liebte sie? wen beweinte sie? Für wen betete sie? Ich weiß es nicht.«

»Doch dieser Mann, hast Du ihn nicht befragt?«

»Gewiß.«

»Und was hat er geantwortet?«

»Sie habe ihren Gatten verloren.«

»Beweint man auf diese Art einen Gatten? Das ist bei Gott! eine schöne Antwort; und Du hast Dich damit begnügt?«

»Ich mußte wohl, da er mir keine andere geben wollte.«

»Aber dieser Mann selbst, wer ist er?«

»Eine Art von Diener, der bei ihr wohnt.«

»Sein Name?«

»Er weigerte sich, ihn mir zu sagen.«

»Jung? Alt?«

»Er mag acht und zwanzig bis dreißig Jahre alt sein.«

»Und was geschah hernach?… Sie hat wohl nicht die ganze Nacht fort geweint und gebetet?«

»Nein. Als sie zu weinen aufgehört, nämlich als sie ihre Thränen erschöpft und ihre Lippen auf dem Stein abgenutzt hatte, stand sie auf, mein Bruder; es lag in dieser Frau eine so geheimnißvolle Traurigkeit, daß ich, statt auf sie zuzugehen, wie ich es bei jeder andern Frau gethan hätte, zurückwich; sie schritt sodann auf mich, oder vielmehr auf die Stelle zu, wo ich stand, denn sie sah mich nicht einmal; da traf ein Mondstrahl ihr Antlitz und dieses erschien mir erleuchtet, schimmernd: sie hatte ihren düsteren Ernst wieder angenommen: kein Zusammenziehen des Gesichts, kein Beben, keine Thränen mehr, nur noch noch die feuchte Furche, die sie gezogen. Ihre Augen allein glänzten noch. Ihr Mund öffnete sich sanft, um das Leben einzuathmen, das einen Augenblick sie zu verlassen bereit zu sein geschienen hatte; sie machte ein paar Schritte mit einer gewissen weichen Mattigkeit und denjenigen ähnlich, welche im Traume wandeln; der Mann lief auf sie zu und führte sie; denn sie schien vergessen zu haben, daß sie auf der Erde ging. Oh! mein Bruder, welch eine Schönheit, welche übermenschliche Macht! Ich habe nie etwas gesehen, was ihr aus Erden gliche, und nur zuweilen in meinen Träumen, wenn sich der Himmel öffnete, waren dieser Wirklichkeit ähnliche Visionen herabgestiegen.«

»Hernach, hernach?« fragte Anne, der unwillkührlich, ein Interesse an dieser Erzählung nahm, über die er Anfangs zu spotten beabsichtigt hatte.

»Oh! nun bin ich bald zu Ende, mein Bruder; ihr Diener sagte ein paar Worte leise zu ihr, und sie ließ ihren Schleier nieder; ohne Zweifel sagte er ihr, ich wäre da: aber sie schaute nicht einmal auf meine Seite, sie senkte nur ihren Schleier, und ich sah sie nicht mehr; es kam mir vor, als hätte sich der Himmel verdüstert und als wäre es kein lebendiges Geschöpf mehr, sondern ein diesen Gräbern entstiegener Schatten, der durch das hohe Gras schweigend vor mir hinschlupfte.

»Sie verließ das Gehege: ich folgte ihr.

»Von Zeit zu Zeit wandte sich der Mann um und er konnte mich sehen, denn ganz verwirrt und betäubt, wie ich war, verbarg ich mich nicht; was willst Du? ich hatte noch die alten gemeinen Gewohnheiten im Kopfe, den alten rohen Sauerteig im Herzen.«

»Was willst Du damit sagen, Henri?« fragte Anne. »Ich verstehe Dich nicht.«

Der junge Mann antwortete lächelnd:

»Ich will damit sagen, daß meine Jugend geräuschvoll war, daß ich oft zu lieben glaubte, und daß alle Frauen für mich bis zu jenem Augenblick Frauen waren, denen ich meine Liebe anbieten konnte.«

»Oh! Oh! was ist das?« rief Joyeuse, der, unwillkührlich etwas beunruhigt durch das Geständniß seines Bruders, seine Heiterkeit wieder zu erlangen suchte. »Nimm Dich in Acht, Henri, Du schweifst aus, es ist also keine Frau von Fleisch und Knochen?«

»Mein Bruder,« sagte der junge Mann, die Hand von Joyeuse mit einem fieberhaften Drucke umschließend, »mein Bruder,« sprach er so leise, daß sein Hauch kaum an das Ohr des Aelteren gelangte, »so wahr mich Gott hört, ich weiß nicht, ob es ein Geschöpf dieser Welt ist.«

»Beim Papst!« erwiederte Anne, »Du würdest mir Angst machen, wenn ein Joyeuse je Angst haben könnte.«

Dann fügte er bei, indem er seine Heiterkeit wieder zu gewinnen suchte.

»Doch immerhin ist es gewiß, daß sie geht, daß sie weint, und daß sie Küsse gibt; Du hast es mir selbst gesagt, und dies ist, wie mir scheint, ein sehr gutes Vorzeichen, mein theurer Freund; aber das ist nicht Alles; sprich, hernach, hernach?«

»Hernach kommt nur noch wenig: ich folgte ihr also, sie suchte sich mir nicht einmal zu entziehen, den Weg zu verändern, einen falschen Weg einzuschlagen; sie schien nicht einmal hieran zu denken.«

»Nun! wo wohnte sie?«

»Ein der Gegend der Bastille, in der Rue de Lesdiguières; vor ihrer Thüre wandte sich ihr Begleiter um und sah mich.«

»Du machtest ihm sodann ein Zeichen, um ihm zu verstehen zu geben, daß Du mit ihm zu sprechen wünschest.«

»Ich wagte es nicht; was ich Dir da sage, ist lächerlich, aber der Diener imponirte mir beinahe eben so sehr als die Gebieterin.«

»Gleichviel, Du tratst in das Haus?«

»Nein, mein Bruder.«

»In der That, Henri, ich habe große Lust, zu leugnen, daß Du ein Joyeuse bist; doch Du gingst wenigstens am andern Tag wieder dahin?«

»Ja, aber vergebens, vergebens nach der Gypecienne, vergebens in die Rue de Lesdiguières.«

»Sie war verschwunden.«

»Wie ein Schatten, der entflohen.«

»Du hast Dich jedoch erkundigt?«

»Die Straße hat wenig Bewohner, keiner konnte mich befriedigen; ich lauerte auf den Diener, um ihn zu befragen, er erschien nicht wieder; doch ein Licht, das ich am Abend durch die Jalousien glänzen sah, tröstete mich, indem es mir andeutete, sie wäre immer noch da. Ich wandte hundert Mittel an, um in das Haus zu dringen: Briefe, Boten, Blumen, Geschenke, Alles scheiterte. Eines Abends verschwand das Licht ebenfalls und erschien nicht wieder; ohne Zweifel meiner Verfolgungen müde, hatte die Dame die Rue des Lesdiguières verlassen; Niemand kannte ihre neue Wohnung.«

»Du hast sie jedoch wiedergefunden, die schöne Spröde?«

»Der Zufall gestattete es: ich bin ungerecht, mein Bruder, es ist die Vorsehung, welche nicht will, daß man das Leben hinschleppe. Höre, es ist in der That seltsam! Ich ging vor vierzehn Tagen um Mitternacht durch die Rue de Bussy… Du weißt, mein Bruder, daß die Feuerverordnungen sehr streng vollzogen werden; nun wohl! ich sah nicht nur Feuer an den Scheiben eines Hauses, sondern einen wahren Brand, der im zweiten Stocke ausbrach.

»Ich klopfte kräftig an die Thüre, ein Mann erschien am Fenster.

»»Es brennt bei Euch!«« rief ich.

»»Stille, habt Mitleid,«« erwiederte er, »»stille, ich bin eben beschäftigt, zu löschen.««

»»Soll ich die Wache rufen?««

»»Nein, nein, um des Himmels willen, ruft Niemand.««

»»Aber wenn man Euch helfen kann?««

»»Wollt Ihr? so kommt und Ihr leistet mir einen Dienst, für den ich Euch mein ganzes Leben dankbar sein werde.««

»»Und wie soll ich kommen?««

»»Hier ist der Schlüssel zur Thüre.««

»Und er warf mir aus dem Fenster einen Schlüssel zu.

»Ich stieg rasch die Treppe hinauf und trat in das Zimmer, das der Schauplatz des Brandes war.

»Der Boden brannte; ich befand mich in dem Laboratorium eines Chemikers; als er irgend einen Versuch machte, hatte sich eine entzündbare Flüssigkeit auf der Erde ausgebreitet, wodurch der Brand entstanden war.

»Bei meinem Eintritt war er schon Meister des Feuers, so daß ich mir ihn anschauen konnte.

»Es war ein Mann von acht und zwanzig bis dreißig Jahren, wenigstens schien er mir dieses Alter zu haben; eine furchtbare Narbe durchfurchte die Hälfte der Wange, eine andere den Schädel; sein buschiger Bart verbarg den Rest des Gesichtes.

»»Ich danke Euch, mein Herr, aber Ihr seht. Alles ist vorbei; seid Ihr ein so artiger Mann, als sich aus Eurem Aussehen schließen läßt, so habt die Güte, Euch zu entfernen, denn meine Gebieterin kann jeden Augenblick eintreten, und sie dürfte ärgerlich werden, wenn sie zu dieser Stunde einen Fremden bei mir oder vielmehr bei sich sehen würde.

»Der Ton dieser Stimme lähmte, erschreckt mich. Ich öffnete den Mund, um ihm zuzurufen: »»Ihr seid der Mann der Gypecienne, der Mann der Rue de Lesdiguières, der Mann von der unbekannten Dame,«« denn Du erinnerst Dich, mein Bruder, daß er mit einer Kutte bedeckt war, daß ich sein Gesicht nicht gesehen, daß ich nur seine Stimme gehört hatte. Ich war im Begriff, ihm dies zu sagen, ihn zu befragen; als sich plötzlich eine Thüre öffnete und eine Frau eintrat.

»»Was gibt es denn, Remy?«« fragte sie, indem sie majestätisch auf der Thürschwelle stehen blieb, »»und warum dieser Lärmen?««

»Oh! mein Bruder, sie war es, noch schöner im sterbenden Feuer des Brandes, als sie mir in den Strahlen des Mondes geschienen hatte; sie war es, die Frau, deren beständiges Andenken mir das Herz zernagt.

»Bei dem Schrei, den ich ausstieß, schaute mich der Diener ebenfalls aufmerksamer an.

»»Ich danke, Herr, ich danke,«« sagte er noch einmal, »»Ihr seht, das Feuer ist gelöscht, Geht, ich bitte Euch, geht.««

»»Mein Freund,«« erwiederte ich, »»Ihr verabschiedet mich sehr hart.«

»»Madame,«« sagte der Diener, »»er ist es.««

»»Wer?«« fragte sie.

»»Der junge Cavalier, den wir im Garten der Gypecienne trafen, und der uns nach der Rue de Lesdiguières folgte.««

»Sie heftete nun ihren Blick auf mich, und aus diesem Blick konnte ich schließen, daß sie mich zum ersten Male sah.

»»Mein Herr,«« sprach sie, »»habt die Güte, entfernt Euch.««

»Ich zögerte, ich wollte sprechen, bitten; aber die Worte fehlten meinen Lippen; ich blieb unbeweglich und stumm und schaute sie nur an.

»»Nehmt Euch in Acht, mein Herr,«« sagte der Diener mehr traurig als streng, »»nehmt Euch in Acht, Ihr würdet Madame zwingen, zum zweiten Male zu fliehen.««

»»Oh! Gott verhüte es,«« erwiederte ich, mich verbeugend, »»aber Madame, ich beleidige Euch doch nicht.«««

»Sie antwortete mir nicht. So unempfindlich, so stumm, so eisig, als ob sie mich nicht gehört hätte, wandte sie sich um, und ich sah sie allmälig im Schatten verschwinden und die Stufen einer Treppe hinabgehen, auf der ihr Tritt nicht mehr scholl, als wenn es der eines Gespenstes gewesen wäre.«

»Und das ist Alles?« fragte Joyeuse.

»Das ist Alles. Der Diener geleitete mich zur Thüre zurück und sprach:

»»Mein Herr, vergeßt im Namen Jesu und der Jungfrau Maria, ich flehe Euch an, vergeßt!««

»Ich entfloh betrübt, verwirrt, albern, preßte meinen Kopf zwischen meinen beiden Händen und fragte mich, ob ich nicht ein Narr würde.

»Seitdem gehe ich jeden Abend in diese Straße, und deshalb wandten sich meine Schritte, als wir das Stadthaus verließen, ganz natürlich nach dieser Seite; jeden Tag, sagte ich, gehe ich in diese Straße, ich verberge mich an der Ecke eines Hauses dem ihrigen gegenüber, unter einem Balcon, dessen Schatten mich gänzlich umhüllt; einmal unter zehnmal sehe ich Licht in dem Zimmer, das sie bewohnt; dort ist mein Leben, dort ist mein Glück!«

»Welch ein Glück!« rief Joyeuse.

»Ach! ich verliere es, wenn ich ein anderes zu erlangen wünsche.«

»Aber wenn Du Dich mit dieser Resignation zu Grunde richtest?«

»Mein Bruder,« sprach Henri mit einem traurigen Lächeln, »was willst Du? ich fühle mich so glücklich.«

»Das ist unmöglich.«

»Das Glück ist immer beziehungsweise; ich weiß, daß sie dort ist, daß sie dort lebt, daß sie dort athmet; ich sehe sie durch die Mauer, oder es kommt mir vielmehr vor, als erblickte ich sie; wenn sie dieses Haus verließe, wenn ich abermals vierzehn Tage zubrächte, wie die, welche ich zubrachte, als ich sie verloren hatte, so würde ich ein Narr, mein Bruder, oder ich ginge in ein Kloster, um Mönch zu werden.«

»Nein, bei Gott! es ist schon genug mit einem Narren und einem Mönch in der Familie; bleiben wir hierbei, mein theurer Freund.«

»Keine Bemerkungen, Anne, keinen Spott; die Bemerkungen wären unnütz, der Spott würde nichts bewirken.«

»Wer spricht von Bemerkungen und Spott?«

»Schon gut. Doch…«

»Laß mich Dir nur Eines sagen.«

»Was?«

»Du hast Dich benommen wie ein Freischüler.«

»Ich habe weder Combinationen, noch Berechnungen gemacht, ich habe mich nicht benommen, ich habe mich einer Sache hingegeben, welche stärker war als ich. Wenn ein Strom uns fortreißt, ist es besser, ihm zu folgen, als dagegen zu kämpfen.«

»Und wenn er zu einem Abgrund führt?«

»So muß man versinken, mein Bruder.«

»Das ist Deine Ansicht?«

»Ja.«

»Es ist nicht die meinige, und an Deiner Stelle…«

»Was hättest Du gethan, Anne?«

»Gewiß genug um ihren Namen, ihr Alter zu erfahren, an Deiner Stelle…«

»Anne, Anne, Du kennst sie nicht.«

»Nein, aber ich kenne Dich. Wie, Henri, Du hattest fünfzig tausend Thaler, die ich Dir von den hundertausend gegeben, welche mir der König an seinem Namenstage zum Geschenk machte.«

»Sie sind noch in meiner Kasse, Anne, nicht einer fehlt.«

»Gottes Tod! desto schlimmer. Lägen sie nicht mehr in Deiner Kasse, so wäre die Frau in Deinem Alkoven.«

»Oh! mein Bruder.«

»Es gibt kein oh! mein Bruder, ein gewöhnlicher Diener verkauft sich für zehn Thaler, ein guter für hundert, ein vortrefflicher für tausend, ein wunderbarer für drei tausend. Nehmen wir nun einen Phönix von einem Diener an, träumen wir von einem Gott der Treue, und mit zwanzig tausend Thalern gehört er beim Papst! Dir… es blieben Dir somit hundert und dreißig tausend Livres um den durch den Phönix der Diener ausgelieferten Phönix der Frauen zu bezahlen. Henri mein Freund, Du bist einfältig.«

»Anne,« erwiederte Henri seufzend, »es gibt Leute, die sich nicht verkaufen; es gibt Herzen, die ein König sogar zu bestechen nicht reich genug ist.«

Joyeuse besänftigte sich.

»Nun wohl! ich pflichte dem bei,« sagte er, »aber es finden sich keine, die sich nicht ergeben.«

»Das mag sein.«

»Nun was hast Du gethan, daß sich das Herz dieser schönen Unempfindlichen sich Dir ergebe?«

»Ich lebe der Ueberzeugung, Anne, daß ich Alles gethan habe, was ich thun konnte.«

»Graf du Bouchage, Ihr seid ein Narr. Ihr seht eine traurige, verschlossene, weinende Frau, und Ihr macht Euch trauriger, verschlossener, seufzender, das heißt schwerfälliger, als sie selbst ist. In der That, Ihr sprecht auf eine sehr gewöhnliche Manier von der Liebe und Ihr seid alltäglicher als ein Viertelsmeister. Sie ist allein, leistet ihr Gesellschaft; sie ist traurig, seid heiter; sie beklagt, tröstet sie und ersetzt.«

»Unmöglich, mein Bruder!«

»Hast Du es versucht?«

»Warum dies?«

»Bei Gott! und wäre es nur, um es zu versuchen. Du bist verliebt, sagst Du?«

»Ich kenne keine Worte, um meine Liebe auszudrücken.«

»Wohl in vierzehn Tagen sollst Du Deine Geliebte haben.«

»Mein Bruder.«

»So wahr ich Joyeuse heiße. Ich denke, Du bist nicht hoffnungslos?«

»Nein, denn ich habe nie gehofft.«

»Um welche Stunde siehst Du sie?«

»Um welche Stunde?«

»Allerdings.«

»Ich habe Dir gesagt, daß ich sie nicht sehe, mein Bruder.«

»Nie?«

»Nie.«

»Nicht einmal an ihrem Fenster.«

»Nicht einmal ihren Schatten, sage ich Dir.«

»Das muß endigen. Sprich, hat sie einen Liebhaber?«

»Mit Ausnahme des Remy, von dem ich Dir gesprochen, habe ich nie einen Mann in ihr Haus eintreten sehen.«

»Wie ist das Haus beschaffen?«

»Zwei Stockwerke, kleine Thüre über einer Stufe, Terrasse oberhalb des zweiten Fensters.«

»Kann man nicht über diese Terrasse hineinkommen?«

»Sie ist von den anderen Häusern abgesondert.«

»Und was ist gegenüber?«

»Ein anderes, beinahe ähnliches Haus, obgleich etwas höher, wie mir scheint.«

»Von wem wird dieses Haus bewohnt?«

»Von einem Bürger.«

»Von böser oder guter Laune?«

»Von guter, denn ich höre ihn zuweilen ganz allein lachen.«

»Kaufe ihm sein Haus ab.«

»Wer sagt Dir, daß es verkäuflich ist?«

»Biete ihm das Doppelte von seinem Werthe.«

»Und wenn mich die Dame dort sieht?«

»Nun!«

»So wird sie abermals verschwinden, während ich, meine Gegenwart verbergend, sie früher oder später wiederzusehen hoffe.«

»Du wirst sie diesen Abend sehen.«

»Ich?«

»Stelle Dich um acht Uhr unter ihren Balkon.«

»Ich werde dort sein, wie ich es alle Tage bin, aber ohne mehr Hoffnung, als an den anderen Tagen.«

»Doch sage mir die Adresse ganz genau.«

»Zwischen der Porte Bussy und dem Hotel Saint-Denis, beinahe an der Ecke der Rue des Augustins, zwanzig Schritte von einem großen Gasthof mit dem Schilde: Zum Schwerte des kühnen Ritters

»Sehr gut, um acht Uhr diesen Abend.«

»Aber was willst Du machen??«

»Du wirst es sehen, Du wirst es hören. Mittlerweile kehre nach Hause zurück, lege Deine schönsten Kleider an, nimm Deine reichsten Juwelen, gieße auf Deine Haare Deine feinsten Essenzen: diesen Abend kommst Du in die Festung.«

»Gott höre Dich, mein Bruder.«

»Henri, wenn Gott taub ist, so ist es der Teufel nicht… Ich verlasse Dich, meine Geliebte erwartet mich, nein, ich will sagen, die Geliebte von Herrn von Mayenne… Beim Papst! diese ist kein Zieraffe.«

»Mein Bruder.«

»Verzeih, schöner Liebesritter; ich mache keine Vergleichung zwischen den zwei Damen; sei hiervon überzeugt, obschon ich nach dem, was Du mir sagst, die meinige mehr liebe, – oder vielmehr die unsrige… Doch sie erwartet mich und ich will sie nicht warten lassen. Gott befohlen, Henri, diesen Abend.«

»Diesen Abend, Anne.«

Die zwei Brüder drückten sich die Hand und trennten sich.

Nach zweihundert Schritten hob der Eine den Klopfer eines schönen beim Parvis Notre-Dame liegenden gothischen Hauses muthig auf und ließ ihn geräuschvoll wieder fallen.

Der Andere vertiefte sich schweigsam in einer von den krummen Straße, welche nach dem Palaste ausmünden.

3

Hilariter, joyeusement, freudig.

Die Fünf und Vierzig

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