Читать книгу Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4 - Александр Дюма - Страница 24
Drittes bis sechstes Bändchen
XXIV
Düsterer Horizont
ОглавлениеDie Königin täuschte sich. Charny ging nicht zur Gräfin.
Er begab sich aus die königliche Post, um Postpferde an seinen Wagen spannen zu lassen.
Nur, während man anspannte, trat er beim Postmeister ein, verlangte Feder, Tinte und Papier und schrieb einen Brief an die Gräfin, welchen er dem Bedienten, der seine Pferde zurückführte, zu ihr zu tragen befahl.
Halb aus einem an der Ecke des Kamins im Salon stehenden Canapé liegend, war die Gräfin, die ein Guécidon vor sich hatte, beschäftigt, diesen Brief zu lesen, als Weber nach dem Privilegium der Leute, welche im Auftrage des Königs oder der Königin kamen, ohne vorhergehende Meldung bei ihr eingeführt wurde.
»Herr Weber,« sagte die Kammerfrau, die Thüre öffnend.
Die Gräfin faltete rasch den Brief zusammen, den sie in ihrer Hand hielt, und drückte ihn an ihre Brust, als ob der Kammerdiener der Königin gekommen wäre, um ihn ihr zu nehmen.
Weber entledigte sich seines Auftrages deutsch. Es war immer ein großes Vergnügen für den wackern Mann, die Sprache seiner Heimath zu sprechen, und man weiß, daß Andrée, die das Deutsche in ihrer Jugend gelernt hatte, durch den vertrauten Umgang, in dem sie zehn Jahre mit der Königin gelebt, so weit gekommen war, daß sie das Deutsche wie ihre Muttersprache sprach.
Eine der Ursachen, welche Weber den Abgang von Andrée und ihre Trennung von der Königin hatten besonders bedauern lassen, war diese Gelegenheit, seine Sprache zu sprechen, die der würdige Deutsche hierdurch verlor, gewesen.
Er drang auch sehr lebhaft darauf, – ohne Zweifel in der Hoffnung, aus der Zusammenkunst werde eine Annäherung hervorgehen, – daß unter keinem Vorwande Andrée bei dem Rendezvous, das man ihr gab, fehle, und wiederholte mehrere Male, es sei von der Königin eine Zusammenkunst, die sie mit dem Doctor Gilbert haben sollte, abbestellt worden, damit sie Herrin ihres Abends sei.
Andrée antwortete einfach, sie werde den Befehlen Ihrer Majestät Folge leisten.
Als Weber abgegangen war, blieb Andrée einen Moment unbeweglich und mit geschlossenen Augen, wie eine Person, welche aus ihrem Geiste jeden dem, welcher sie beschäftigt, fremden Gedanken verjagen will, und erst, nachdem es ihr gelungen, wohl in sich selbst zurückzukehren, nahm sie ihren Brief wieder und fuhr fort, denselben zu lesen.
Als sie den Brief gelesen hatte, küßte sie ihn zärtlich und verbarg ihn an ihrem Herzen.
Dann sprach sie mit einem Lächeln voll Traurigkeit:
»Gott beschirme Dich, theure Seele meines Lebens. Ich weiß nicht, wo Du bist, aber Gott weiß es, und meine Gebete wissen, wo Gott ist!«
Hiernach, obgleich es ihr unmöglich war, zu errathen, aus welcher Ursache die Königin nach ihr verlangte, erwartete sie ohne Ungeduld, wie ohne Furcht den Augenblick, sich in die Tuilerien zu begeben.
Nicht dasselbe war bei der Königin der Fall. Gewisser Maßen eine Gefangene im Schlosse, schweifte sie, um ihre Ungeduld abzunützen, vom Pavillon der Flora zum Pavillon Marsan hin und her.
Monsieur half ihr eine Stunde hinbringen. Monsieur war in’s Schloß gekommen, um zu erfahren, wie Favras vom König ausgenommen worden.
Die Königin, welche die Ursache der Reise von Charny nicht kannte und sich diesen Weg der Rettung bewahren wollte, ließ sich für den König viel tiefer ein, als er sich selbst eingelassen hatte, und sagte Monsieur, er möge nur fortfahren, und im gegebenen Augenblick nehme sie Alles auf sich.
Monsieur seinerseits war heiter und voll Vertrauen. Das Anlehen, welches er mit dem genuesischen Banquier, den wir einen Augenblick in seinem Landhause Bellevue gesehen, negocirte, war gelungen, und am Abend vorher hatte ihm Favras die zwei Millionen überbracht, von denen Monsieur Favras nicht hatte bewegen können, mehr anzunehmen, als hundert Louis d’or, die er durchaus brauchte, um die Ergebenheit von zwei Burschen anzufeuchten, auf welche Favras, wie er ihm geschworen, zählen konnte, und die ihn bei der königlichen Entführung unterstützen sollten.
Favras hat Monsieur über diese zwei Menschen näher unterrichten wollen; doch immer vorsichtig, hatte es Monsieur nicht nur ausgeschlagen, sie zu sehen, sondern auch, ihre Namen kennen zu lernen.
Monsieur wurde dafür angesehen, als wüßte er nichts von dem, was um ihn her vorging. Monsieur gab Favras Geld, weil Favras einst bei seiner Person angestellt gewesen war; aber Monsieur wußte nicht und wollte nicht wissen, was Favras mit diesem Gelde machte.
Uebrigens, wie wir schon gesagt haben, im Falle der Abreise des Königs blieb Monsieur. Monsieur hatte den Anschein, als wäre er dem Komplotte ganz fremd. Monsieur schrie, daß ihn seine Familie verlassen; und da Monsieur das Mittel gefunden hatte, sich sehr populär zu machen, so würde äußerst wahrscheinlich, – das Königthum war noch bei den meisten Franzosen eingewurzelt, – so würde äußerst wahrscheinlich, wie Ludwig XVI. zu Charny gesagt hatte, Monsieur zum Regenten ernannt.
Scheiterte die Entführung, so wußte Monsieur von Nichts, oder Monsieur folgte vielmehr mit den fünfzehn bis achtzehnmal hunderttausend Franken baarem Geld, die ihm blieben, nach Turin dem Grafen d’Artois und den Herren Prinzen von Condé.
Als Monsieur weggegangen war, verbrauchte die Königin eine andere Stunde bei Frau von Lamballe. Bis zum Tod ergeben, – man hat es bei Gelegenheit gesehen, – war indessen die arme Prinzessin immer nur der Nothbehelf von Marie Antoinette gewesen, welche sie nach und nach verlassen hatte, um ihre unbeständige Gunst auf Andrée und auf die Damen Polignac zu übertragen. Doch die Königin kannte sie; sie brauchte nur einen Schritt ihrer wahren Freundin entgegen zu machen, und diese machte den übrigen Weg mit offenen Armen und offenem Herzen.
In den Tuilerien und seit der Rückkehr von Versailles bewohnte die Prinzessin von Lamballe den Pavillon de Flore, wo sie den wahren Salon von Marie Antoinette hielt, wie es Frau von Polignac in Trianon that. So oft die Königin einen großen Schmerz oder eine große Unruhe hatte, ging sie zu Frau von Lamballe, – ein Beweis, daß sie sich hier geliebt fühlte. Dann ohne daß sie etwas zu sagen nöthig hatte, ohne nur die sanfte junge Frau zur Vertrauten ihres Schmerzes oder ihrer Unruhe zu machen, legte sie ihren Kopf aus diese lebendige Statue der Freundschaft, und die Thränen, welche den Augen der Königin entströmen, vermischten sich bald mit denen, welche aus den Augen der Prinzessin floßen.
O arme Märtyrin! wer wird es wagen, in der Dunkelheit der Alcoven zu suchen, ob die Quelle dieser Freundschaft rein oder verbrecherisch war, wenn die unerbittliche, erschreckliche Geschichte, mit den Füßen in Deinem Blute, ihm sagen wird, um welchen Preis Du sie bezahlt hast?
Dann nahm das Mittagsmahl eine weitere Stunde hin. Man speiste in Familie mit Madame Elisabeth, Frau von Lamballe und den Kindern.
Beim Mahle waren die zwei erhabenen Tischgenossen sehr in sich gekehrt. Jedes von ihnen hatte ein Geheimniß vor dem Andern:
Die Königin die Sache Favras;
Der König die Sache Bouillé.
Ganz das Gegentheil vom König, der sein Heil lieber Allem, selbst der Revolution zu verdanken haben wollte, als dem Auslande, zog die Königin das Ausland Allem vor.
Uebrigens muß man sagen, das, was wir Franzosen das Ausland nennen, war für die Königin die Familie. Wie hätte sie dieses Volk, das ihre Soldaten tödtete, diese Weiber, die sie in den Höfen von Versailles beschimpft hatten, diese Männer, welche sie in ihren Gemächern ermorden wollten, diese Menge, die sie die Oesterreicherin nannte, in die Wagschale legen können mit den Königen, von denen sie Hilfe forderte, mit Joseph II., ihrem Bruder, mit Ferdinand I., ihrem Schwager, mit Karl IV., ihrem Geschwisterkinde durch den König, mit dem er näher verwandt war, als selbst der König mit den Orleans und den Condé.
Die Königin sah also in dieser Flucht, die sie vorbereitete, das Verbrechen nicht, dessen sie seitdem bezichtigt wurde; sie sah im Gegentheil darin das einzige Mittel, die königliche Würde zu behaupten, und in der Rückkehr mit bewaffneter Hand, auf welche sie hoffte, die einzige Sühnung von der Höhe der Beleidigungen, die ihr widerfahren waren.
Wir haben das Herz des Königs entblößt gezeigt. Er mißtraute den Königen und den Prinzen. Er gehörte entfernt nicht der Königin an, wie Viele geglaubt haben, obgleich er Deutscher durch seine Mutter war; doch die Deutschen betrachten die Oesterreicher nicht als Deutsche.
Nein, der König gehörte den Priestern,
Er bestätigte alle Decrete gegen die Könige, gegen die Prinzen, gegen die Emigranten. Er setzte sein Veto auf das Decret gegen die Priester.
Für die Priester wagte er den 20. Juni, unterstützte er den 10. August, erduldete er den 21. Januar.
Der Papst, der keinen Heiligen aus ihm machen konnte, machte auch einen Märtyrer aus ihm.
Gegen ihre Gewohnheit blieb die Königin an diesem Tage wenig bei ihren Kindern. Sie fühlte wohl, daß sie, da ihr Herz nicht ganz dem König gehörte, zu dieser Stunde nicht das Recht aus Liebkosungen der Kinder hatte. Das Herz der Frau, dieses geheimnißvolle Eingeweide, das die Leidenschaft ausbrütet und die Reue auskriechen macht, kennt allein diese seltsamen Widersprüche.
Die Königin zog sich frühzeitig in ihre Wohnung zurück und schloß sich ein. Sie sagte, sie habe zu schreiben, und stellte Weber als Wache vor ihre Thüre.
Der König bemerkte übrigens wenig von diesem Rückzug, denn er war in seinem Geiste mit den allerdings geringeren, aber doch ernsten Ereignissen beschäftigt, von denen er, durch den Polizeilieutenant so eben in Kenntniß gesetzt, Paris bedroht wußte.
Diese Ereignisse bezeichnen wir hier mit zwei Worten.
Die Nationalversammlung hatte sich, wie wir gesehen, als vom König unzertrennlich erklärt, und sobald der König sich in Paris befand, war sie ihm dahin nachgefolgt.
Bis der für sie bestimmte Saal der Manage zu ihrer Aufnahme bereit war, hatte sie zum Orte ihrer Sitzungen den Saal des erzbischöflichen Palastes gewählt.
Hier hatte sie durch ein Decret den Titel König von Frankreich und Navarra in den König der Franzosen verwandelt.
Sie hatte die königlichen Formeln: »Nach unserem vollen Wissen und unserer Machtvollkommenheit . . .« geächtet, und an ihre Stelle die: »Ludwig durch die Gnade Gottes und das constitutionelle Staatsgesetz« decretirt.
Was bewies, daß die Nationalversammlung, wie alle parlamentarische Versammlungen, deren Tochter oder deren Ahn sie ist, sich oft mit nichtswürdigen Dingen beschäftigte, während sie sich mit sehr ernsten Dingen hätte beschäftigen sollen.
Sie hätte sich zum Beispiel mit der Nahrung von Paris, das buchstäblich Hungers starb, beschäftigen sollen.
Die Rückkehr von Versailles und die Uebersiedelung des Bäckers, der Bäckerin und des Bäckerjungen in die Tuilerien, hatten nicht die erwartete Wirkung hervorgebracht.
Es fehlte fortwährend an Mehl und Brod.
Alle Tage gab es Zusammenschaarungen vor der Thüre der Bäcker, und diese Zusammenschaarungen verursachten große Unordnungen. Wie aber denselben steuern?
Das Versammlungsrecht war geheiligt durch die Erklärung der Menschenrechte.
Doch die Nationalversammlung wußte nichts von Allem dem. Ihre Mitglieder waren nicht genöthigt, vor den Thüren der Bäcker Queue zu machen, und bekam zufällig eines von ihren Mitgliedern während der Sitzung Hunger, so war es sicher, in einer Entfernung von hundert Schritten frische kleine Brode zu finden bei einem Bäcker Namens François, der in der Rue du Marché-Palu, Bezirk von Notre-Dame, wohnte und, da er sechs bis acht Mal im Tage backte, immer eine Reserve für die Herren von der Nationalversammlung hatte.
Der Polizeilieutenant war also beschäftigt. Ludwig XVI. seine Befürchtungen in Betreff dieser Unordnungen mitzutheilen, welche sich an einem schönen Morgen in einen Aufstand verwandeln konnten, als Weber die Thüre des kleinen Cabinets der Königin öffnete und mit halber Stimme meldete:
»Die Frau Gräfin von Charny.«