Читать книгу Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4 - Александр Дюма - Страница 36

Siebentes bis zehntes Bündchen
XXXVI
Oedipus und Loth

Оглавление

Es war einige Minuten vor Mitternacht, als ein Mann aus der Rue Royale hervortrat, sodann der Rue Saint-Antoine bis zur Fontaine Sainte-Catherine folgte, einen Augenblick hinter deren Schatten stehen blieb, um sich zu versichern, daß er nicht bespäht werde, dann den Weg durch das Gäßchen einschlug, welches nach dem Hotel Saint-Paul führte, und, hier angelangt, durch die fast völlig finstere und öde Rue du Roi de Sicilie ging; dann aber hemmte er den Schritt immer mehr, je mehr er gegen das Ende der von uns genannten Straße kam; er trat ganz langsam in die Rue de la Croix-Blanche ein und blieb beständig zögernd vor dem Gitter des Saint-Jean-Friedhofes stehen.

Hier und als hätten seine Augen ein Gespenst aus der Erde hervorkommen zu sehen befürchtet, blieb er abermals stehen und wischte sich mit dem Aermel seines Rockes eines Sergenten von den Garden den Schweiß ab, der von seiner Stirne floß.

Und in der Thor, gerade in dem Augenblick, wo es zwölf Uhr zu schlagen anfing, erschien etwas wie ein Schatten und schlüpfte durch die Eibenbäume und die Cypressen. Dieser Schatten näherte sich dem Gitter, und bald konnte man an dem Knirschen eines Schlüssels im Schlösse wahrnehmen, daß das Gespenst nicht nur die Fähigkeit, sein Grab zu verlassen, sondern auch, wenn es einmal sein Grab verlassen hatte, die, aus dem Kirchhofe herauszutreten, besaß.

Bei diesem Knirschen wich der Militär zurück.

,Nun, Herr von Beausire,« sagte die spöttische Stimme von Cagliostro,, erkennen Sie mich nicht mehr oder haben Sie unser Rendez-vous vergessen?«

»Ah! Sie sind es,« versetzte Beausire, athmend wie ein Mensch, dessen Herz um eine große Last erleichtert ist, »gut! gut! Diese verteufelten Straßen sind so finster und öde, daß man nicht weiß, ob es besser ist, hier einer lebenden Seele zu begegnen, oder allein zu gehen.«

»Ah bah!« erwiederte Cagliostro; »Sie fürchten etwas, zu welcher Stunde des Tags oder der Nacht es auch sein mag? Sie werden mir das nicht glauben machen, ein Braver wie Sie, der mit dem Degen an der Flanke umhergeht! Kommen Sie übrigens auf diese Seite des Gitters, mein lieber Herr von Beausire, und Sie können ruhig sein, denn Sie treffen Niemand als mich.«

Beausire entsprach der Einladung, und das Schloß, das geknirscht hatte, um die Thüre vor ihm zu öffnen, knirschte, um die Thüre hinter ihm zu schließen.

»Nun, mein lieber Herr,« sagte Cagliostro, »folgen Sie diesem Fußpfade, und zwanzig Schritte von hier werden wir einen halb zertrümmerten Altar finden, auf dessen Stufen wir trefflich von unsern kleinen Angelegenheiten plaudern können.«

Beausire schickte sich an, Cagliostro zu folgen. Doch nach einem Augenblick des Zögerns sagte er:

»Wo des Teufels sehen Sie denn einen Weg? Ich sehe nichts als Brombeerstauden, deren Dornen mir die Knöchel zerreißen, und Graf, das mir bis an die Kniee reicht.«

»Dieser Friedhof ist allerdings einer von den am schlechtesten unterhaltenen, die ich kenne, doch darüber darf man sich nicht wundern. Sie wissen, daß man hier nur Verurtheilte, welche auf der Grève hingerichtet morden sind, begräbt, und für diese armen Teufel macht man nicht viel Umstände. Wir haben indessen hier wahre Berühmtheiten, mein lieber Herr von Beausire. Wenn es Tag wäre, so würde ich Ihnen den Platz zeigen, wo Bouteville von Montmorency begraben liegt, der enthauptet worden ist, weil er sich geschlagen; der Chevalier von Rohan enthauptet, weil er gegen die Regierung conspirirt hatte; der Graf von Horn gerädert, weil er einen Juden ermordet; Damiens geviertheilt, weil er Ludwig XV. zu ermorden versucht hat? was weiß ich? Oh! Sie haben Unrecht, über diesen Friedhof zu fluchen, Herr von Beausire; er ist zwar schlecht unterhalten, aber gut bewohnt.«

Beausire folgte Cagliostro, wobei er seinen Gang so regelmäßig nach dem des Letzteren richtete, als dies ein Soldat des zweiten Gliedes nach seinem Vordermanne zu thun pflegt.

»Ah!« sagte Cagliostro, welcher plötzlich stehen blieb, so daß Beausire, der auf diesen raschen Halt nicht gefaßt war, ihm mit dem Bauche auf den Rücken stieß, »sehen Sie, hier ist etwas ganz Frisches; es ist das Grab Ihres Standesgenossen Fleur d’Epine, eines der Mörder des Bäckers François, der vor acht Tagen in Folge eines Spruches des Chatelet aufgehängt worden ist. Das muß Sie interessiren, Herr von Beausire; er war wie Sie ein ehemaliger Gefreiter, ein falscher Sergent und ein ächter Werber.«

Die Zähne von Beausire klapperten buchstäblich; es kam ihm vor, als wären diese Brombeerstauden ebenso viele Hände, welche aus der Erde hervorkämen, um ihn krampfhaft an den Beinen zu ziehen und ihm begreiflich zu machen, das Schicksal habe hier den Platz bezeichnet, wo er den ewigen Schlaf schlafen sollte.

»Ah!« sagte Cagliostro, indem er endlich an einer Art von Ruine stehen blieb, »wir sind an Ort und Stelle.«

Und er setzte sich auf eines der Trümmer und bezeichnete mit dem Finger Beausire einen Stein, welcher unmittelbar neben den andern gelegt zu sein schien, um Cäsar die Mühe zu ersparen, seinen Sitz dem von Augustus näher zu rücken.

Es war Zeit; die Beine des ehemaligen Gefreiten baumelten dergestalt, daß er auf die Steine mehr fiel, als sich setzte.

»Sprechen Sie nun, da wir hier ganz nach unserer Bequemlichkeit zum Plaudern sind, lieber Herr von Beausire,« sagte Cagliostro; »was ist heute Abend unter den Arcaden der Place Royal vorgefallen? Die Sitzung mußte interessant sein.«

»Bei meiner Treue!’ erwiederte Beausire, »ich gestehe Ihnen, Herr Graf, mein Kopf ist in diesem Augenblick ein wenig verwirrt, und wahrhaftig, ich glaube, wir würden Beide dabei gewinnen, wenn Sie mich befragten.«

»Wohl, es sey! Ich bin ein guter Fürst, und wenn ich zu dem gelange, was ich wissen will, so ist mir wenig an der Form gelegen. Wie viel waren es unter den Arcaden der Place Royale?«

»Sechs, mich darunter begriffen.«

»Sechs, Sie mitgerechnet, lieber Herr von Beausire. Wir wollen sehen, ob dies wirklich die Männer sind, wie ich denke? Erstens Sie, das unterliegt keinem Zweifel.«

Beausire stieß einen Seufzer aus, welcher bezeichnete, die Möglichkeit eines Zweifels wäre ihm lieber gewesen.

»Sie erweisen mir große Ehre, daß Sie mit mir ansangen, während so hohe Personen neben mir sind,« sprach er.

»Mein Lieber, ich befolge die Lehren des Evangeliums; sagt nicht das Evangelium: »»Die Ersten werden die Letzten seyn?«« Wenn die Ersten die Letzten seyn sollen, so werden die Letzten natürlich die Ersten sein; ich verfahre also, wie ich Ihnen bemerkte, nach dem Evangelium. Erstens waren Sie da, nicht wahr?«

»Ja.«

»Dann Ihr Freund Tourcaty, nicht wahr? ein ehemaliger Werber-Officier, der es übernimmt, die Legion von Brabant auf die Beine zu bringen?«

»Ja,« erwiederte Beausire, »Tourcaty war auch da.«

»Sodann ein guter Royalist Namens Marquié, früher Sergent bei den Gardes Françaises?«

»Ja, Herr Graf, Marquié.«

»Ferner Herr von Favras?«

»Ja, Herr von Favras.«

»Hernach der Verlarvte?«

»Hernach der Verlarvte.«

»Können Sie mir einige Auskunft über diesen Verlarvten geben, Herr von Beausire?«

Beausire schaute Cagliostro so starr an, daß sich seine Augen in der Finsterniß zu entzünden schienen.

»Aber,« sagte er, »ist nicht?  . . .«

Und er hielt inne, als hätte er weiter gehend eine Ruchlosigkeit zu begehen befürchtet.

»Ist nicht was?« fragte Cagliostro.

»Ist nicht?  . . .«

»Ah! mir scheint, Sie haben einen Knoten an der Zunge, mein lieber Herr von Beausire; da müssen Sie sich in Acht nehmen. Die Knoten an der Zunge führen oft die Knoten am Halse herbei, und diese sind ganz besonders gefährlich.«

»Aber,« versetzte Beausire in seiner Verschanzung bedrängt, »ist es nicht Monsieur?«

»Was für ein Monsieur?« fragte Cagliostro.

»Monsieur, der Bruder des Königs.«

»Ah! mein lieber Herr von Beausire, wenn der Marquis von Favras, der ein Interesse hat, glauben zu machen, er berühre die Hand eines Prinzen von Geblüt, sagt, der Verlarvte sei Monsieur, so begreift sich das: wer nicht zu lügen weiß, weiß nicht zu conspiriren; aber daß Sie und Ihr Freund Tourcaty, zwei Werber, welche gewohnt sind, das Maß ihres Nebenmenschen nach Außen, Zollen und Linien zu nehmen, sich aus diese Art täuschen lassen, ist nicht wahrscheinlich.«

»In der That,« versetzte Beausire.

»Monsieur hat 5 Fuß, 3 Zoll, 7 Linien,« sagte Cagliostro, »und der Verlarvte hat beinahe 5 Fuß, 5 Zoll.«

»Das ist wahr,« erwiederte Beausire, »und ich habe schon hieran gedacht; aber wenn es nicht Monsieur ist, wer kann es denn seyn?«

»Ah! bei Gott! ich wäre glücklich und stolz, mein lieber Herr von Beausire, wenn ich Sie über etwas zu belehren hätte, indeß ich etwas von Ihnen zu erfahren glaubte.«

»Also,« sagte der Gefreite, der nach und nach wieder zu seinem natürlichen Zustande zurückkam, »also Sie wissen, wer dieser Mensch ist, Herr Graf?«

»Bei Gott!«

»Wäre es unbescheiden, Sie zu fragen  . . .«

»Wie er heißt?«

Beausire bezeichnete mit dem Kopfe nickend, daß er dies zu wissen wünschte.

»Es ist immer etwas Ernstes, einen Namen zu nennen, Herr von Beausire, und wahrhaftig, es wäre mir lieber, wenn Sie es erriethen  . . .«

»Errathen!  . . .Seit vierzehn Tagen suche ich.«

»Ah! weil Ihnen Niemand hilft.«

»Helfen Sie mir, Herr Graf.«

»Sehr gern  . . .Kennen Sie die Geschichte von Oedipus?«

»Nicht genau, Herr Graf. Ich habe einmal das Stück in der Comödie Française spielen sehen, und gegen das Ende des dritten Aktes hatte ich das Unglück, einzuschlafen.«

»Teufel! ich wünsche Ihnen immer ein solches Unglück, mein lieber Herr.«

»Sie sehen aber, daß mir dies heute zum Nachtheil gereicht.«

»Nun also! mit zwei Worten will ich Ihnen sagen, wer Oedipus war. Ich habe ihn jung am Hose von König Polybos und alt an dem von König Admetes gekannt. Sie können also das, was ich Ihnen sage, besser glauben, als Sie das glauben würden, was Ihnen Aeschylos, Sophokles, Seneca, Voltaire, Corneille oder Herr Ducis, welche möglicher Weise viel von ihm sprechen hörten, aber nicht den Vortheil haben, ihn selbst zu kennen, zu sagen im Stande wären.«

Beausire machte eine Bewegung, als wollte er Cagliostro um eine Erklärung über seine Behauptung, er habe einen Mann gekannt, der schon vor dreitausend und sechshundert Jahren gestorben, bitten; er dachte jedoch ohne Zweifel, es sei nicht der Mühe werth, den Erzähler wegen einer solchen Kleinigkeit zu unterbrechen, hielt seine Bewegung zurück und setzte sie nur durch ein Zeichen fort, welches besagen wollte: »Sprechen Sie weiter, ich höre.«

Und in der That, als hätte er nichts bemerkt, fuhr Cagliostro fort:

»Ich kannte also Oedipus. Man hatte ihm prophezeit, er werde der Mörder seines Vaters und der Gatte seiner Mutter sein. Da er nun Polybos für seinen Vater hielt, so verließ er ihn, ohne etwas zu sagen, und reiste nach Phokis ab. Im Augenblicke seiner Abreise gab ich ihm den Rath, statt der Landstraße von Daulis nach Delphi zu folgen, einen Weg durch das Gebirge, den ich kannte, einzuschlagen; doch er blieb hartnäckig, und da ich ihm nicht sagen konnte, in welcher Absicht ich ihm diesen Rath gab, so blieben alle meine Ermahnungen, um ihn zu bewegen, eine andere Straße zu wählen, vergeblich. Eine Folge dieser Hartnäckigkeit war, daß das geschah, was ich vorhergesehen hatte. Bei der Verzweigung der Straße von Delphi nach Theben begegnete er einem Manne, dem fünf Sklaven folgten; der Mann saß auf einem Wagen und der Wagen versperrte den ganzen Weg; Alles wäre zu fügen gewesen, hätte der Mann auf dem Wagen eingewilligt, ein wenig links zu fahren, und Oedipus, ein wenig rechts abzubiegen; aber Jeder wollte die Mitte der Straße behaupten. Der Mann aus dem Wagen war cholerischen Temperaments, Oedipus war von einer wenig geduldigen Natur. Die fünf Sklaven warfen sich einer nach dem andern vor ihren Herrn, und einer nach dem andern fiel; dann, nach ihnen, fiel ihr Herr ebenfalls. Oedipus schritt über sechs Leichname hinweg, und unter diesen Leichnamen war der seines Vaters.«

»Teufel!« rief Beausire.

»Dann zog er weiter seines Wegs gen Theben. Auf dem Wege nach Theben erhob sich aber der Berg Phikion, und an einem Fußpfade, welcher noch schmaler als der, wo Oedipus seinen Vater tödtete, hatte ein seltsames Thier seine Höhle. Dieses Thier besaß die Flügel eines Adlers, den Kopf und die Brüste einer Frau, den Leib und die Klauen eines Löwen.«

»Ho! Ho!« machte Beausire; »glauben Sie, Herr Graf, es gebe solche Ungeheuer?«

»Ich vermöchte es nicht zu behaupten, lieber Herr von Beausire,« erwiederte Cagliostro ernst, »in Betracht, daß, als ich mich aus demselben Wege tausend Jahre später, zur Zeit von Epaminondas, nach Theben begab, der Sphinx todt war. Zur Zeit von Oedipus aber lebte er, und es war eine von seinen Manien, sich an der Landstraße aufzuhalten, den Reisenden ein Räthsel aufzugeben und sie zu fressen, wenn sie es nicht lösen konnten. Da nun die Sache über drei Jahrhunderte dauerte, so wurden die Vorübergehenden immer seltener, und der Sphinx hatte sehr lange Zähne. Als er Oedipus erblickte, legte er sich mitten aus die Straße, hob die Pfote auf, bedeutete dem jungen Manne durch ein Zeichen, er möge stille stehen, und sagte: »»Reisender, ich bin der Sphinx.«« »»Nun?«« fragte Oedipus. »»Das Schicksal hat mich auf die Erde geschickt, um den Sterblichen ein Räthsel aufzugeben; errathen sie es nicht, so gehören sie mir; errathen sie es, so gehöre ich dem Tode, und ich stürze mich von selbst in den Abgrund, in welchen ich bis jetzt alle diejenige, welche das Unglück hatten, mich auf ihrem Wege zu finden, gestürzt habe.«« Oedipus warf einen Blick in die Tiefe des Abgrunds und sah ihn weiß von Knochen. »»Es ist gut,«« sagte der junge Mann, »»wie lautet das Räthsel?«« »»Höre,«« sprach der Vogel-Löwe: »»Welches ist das Thier, das auf vier Pfoten am Morgen, aus zwei am Mittag und aus drei am Abend geht?«« Oedipus dachte einen Augenblick nach; dann antwortete er mit einem Lächeln, das den Sphinx ungemein beunruhigte: »»Und wenn ich errathe, wirst du dich von selbst in den Abgrund stürzen?«« »»Das ist das Gesetz,«« antwortete der Sphinx, »»Nun,«« sprach Oedipus, »»dieses Thier ist der Mensch.««

»Wie, der Mensch!« rief Beausire, welcher an dem Gespräche ein Interesse nahm, als hätte es sich um eine gleichzeitige Begebenheit gehandelt.

»Ja, der Mensch! der Mensch, der in der Kindheit, d. h. am Morgen seines Lebens, auf seinen Füßen und seinen Händen geht; der in seinem reiferen Alter, d. h. am Mittag, aus seinen zwei Füßen geht und sich am Abend, d. h. in seinem Alter, aus einen Stab stützt.«

»Ah!« rief Beausire, »das ist bei Gott wahr! Der Sphinx ist angeführt.«

»Ja, mein lieber Herr von Beausire, so sehr angeführt, daß er sich köpflings in den Abgrund stürzte und, da er so redlich war, sich nicht seiner Flügel zu bedienen, das Sie wahrscheinlich sehr einfältig von ihm finden werden, den Schädel auf den Felsen zerschmetterte. Was Oedipus betrifft, so setzte er seine Wanderung fort, kam nach Theben, traf Jokaste als Witwe, heirathete sie und erfüllte so die Prophezeiung des Orakels, welches gesagt hatte, er werde seinen Vater tödten und seine Mutter heirathen.«

»Aber, Herr Graf,« versetzte Beausire, »welche Aehnlichkeit sehen Sie zwischen der Geschichte von Oedipus und der des Verlarvten?«

»Oh! eine große. Warten Sie, Vor Allem haben Sie seinen Namen zu wissen gewünscht.«

»Ja.«

»Und ich, ich habe gesagt, ich wolle Ihnen ein Räthsel aufgeben; ich bin allerdings eine bessere Haut, als der Sphinx, und werde Sie nicht verschlingen, wenn Sie das Unglück haben, es nicht zu errathen. Aufgepaßt, ich erhebe die Pfote: Welcher vornehme Herr des Hofes ist der Enkel seines Vaters, der Bruder seiner Mutter und der Oheim seiner Schwester?«

»Ah! Teufel!« murmelte Beausire, der in eine Träumerei versank, welche nicht minder tief war, als die von Oedipus.

»Suchen Sie, mein lieber Herr,« sagte Cagliostro.

»Helfen Sie mir ein wenig, Herr Graf.«

»Gern . . .Ich habe Sie gefragt, ob Sie die Geschichte von Oedipus kennen.«

»Sie haben mir diese Ehre erwiesen.«

»Wir wollen nun von der heidnischen Geschichte zur heiligen übergehen. Kennen Sie die Anekdote von Loth?«

»Mit seinen Töchtern?«

»Ganz richtig.«

»Ob ich sie kenne! Aber warten Sie doch. Ah!, ., ja . . .was man vom alten König Ludwig XV. und seiner Tochter Madame Adelaide sagte!  . . .«

»Sie sind dabei, mein lieber Herr.«

»Der Verlarvte wäre also  . . .«

»Fünf Fuß fünf Zoll.«

»Der Graf Louis  . . .«

»Stille doch i« »Der Graf Louis von  . . .«

»St!«

»Sie sagten ja, es seyen hier nur Todte.«

»Wohl, aber auf ihrem Grabe wächst Gras, und es wächst sogar hier besser, als anderswo. Nun, wenn dieses Gras wie das Schilfrohr von König Midas, . . kennen Sie die Geschichte von König Midas?«

»Nein, Herr Graf.«

»Ich werde sie Ihnen an einem andern Tage erzählen; für den Augenblick wollen wir zu der unsern zurückkehren.« sprach Cagliostro.

Dann nahm er wieder seinen Ernst an und fügte bei:

»Sie sagten also?«

»Verzeihen Sie, ich glaubte, Sie fragen?«

»Sie haben Recht.«

Während Cagliostro seine Frage vorbereitete, murmelte Beausire:

»Es ist bei meiner Treue wahr, der Enkel seines Vaters, der Bruder seiner Mutter, der Oheim seiner Schwester  . . .es ist der Graf Louis von Nar . . .«

»Merken Sie auf.« sagte Cagliostro.

Beausire unterbrach sich in seinem Monolog und hörte mit allen seinen Ohren.

»Nun, da uns kein Zweifel mehr über die verlarvten oder nicht verlarvten Verschworenen bleibt, gehen wir zum Zwecke des Complots über.«

Beausire machte mit dem Kopfe ein Zeichen, welches besagen wollte, er sei bereit, zu antworten.

»Der Zweck des Complots ist wohl, den König zu entführen, nicht wahr?«

»Das ist in der That der Zweck des Complots.«

»Ihn nach Peronne zu bringen?«

»Nach Peronne.«

»Welches sind nun die Mittel?«

»Die pecuniären?«

»Ja, zuerst die pecuniären.«

»Man hat zwei Millionen.«

»Welche ein genuesischer Banquier leiht. Ich kenne diesen Banquier. Es sind keine andere vorhanden?«

»Nicht daß ich wüßte, . .«

»So viel also, was das Geld betrifft; es ist aber nicht genug, Geld zu besitzen, man muß Menschen haben.«

»Herr von Lafayette hat Vollmacht gegeben, eine Legion anzuwerben, um Brabant zu Hilfe zu kommen, welches sich gegen das Reich empört.«

»Oh! dieser gute Lafayette i« murmelte Cagliostro, »daran erkenne ich ihn.«

Dann sprach er laut:

»Wohl! man wird eine Legion haben, doch es ist nicht eine Legion, was man zu Ausführung eines solchen Planes braucht, es ist eine Armee.«

»Man hat die Armee.«

»Ah! lassen Sie hören.«

»Zwölfhundert Pferde treffen in Versailles zusammen; sie gehen am bestimmten Tage um elf Uhr Abends ab, um zwei Uhr Morgens kommen sie in drei Colonnen in Paris an.«

»Gut!«

»Die erste marschirt durch die Grille de Chaillot, die zweite durch die Barrière du Roule, die dritte durch die Barrière de Grenelle ein. Die Colonne, welche durch die Rue de Grenelle einmarschirt, bringt den General Lafayette um; die, welche durch die Grille de Chaillot einmarschirt, bringt Herrn Necker um; diejenige endlich, welche durch die Barrière du Roule kommt, bringt Herrn Bailly um.«

»Gut!, wiederholte Cagliostro.

»Ist der Streich ausgeführt, so vernagelt man die Kanonen, man versammelt sich auf den Champs-Elysées und marschirt nach den Tuilerien, welche uns gehören.«

»Wie, Ihnen? Und die Nationalgarde?«

»Dort muß die Brabanter Legion agiren; vereinigt mit einem Theile der besoldeten Garde, mit vierhundert Schweizern und dreihundert Verschworenen aus der Provinz, bemächtigt sie sich, unterstützt durch Einverständnisse, die wir am Platze haben, der äußeren und inneren Thore; man tritt beim König ein und ruft: »»Sire, der Faubourg Saint-Antoine ist in vollem Aufruhr  . . .ein Wagen steht bereit  . . .Sie müssen fliehen!«« Willigt der König zur Flucht ein, so macht sich die Sache ganz von selbst; willigt er nicht ein, so bringt man ihn mit Gewalt fort und führt ihn nach Saint-Denis.«

»Gut!«

»Dort findet man zwanzigtausend Mann Infanterie, mit denen sich die zwölfhundert Mann Cavalerie, die Brabanter Legion, die vierhundert Schweizer, die dreihundert Verschworenen, zehn-, zwanzig-, dreißigtausend unter Weges recrutirte Royalisten verbinden, und man führt den König nach Peronne.«

»Immer besser! Und was macht man in Peronne, mein lieber Herr von Beausire?«

»In Peronne findet man zwanzigtausend Mann, welche dort zu gleicher Zeit von Flandern, von der Picardie, vom Artois, von der Champagne, von Burgund, von Lothringen, vom Elsaß und vom Cambresis ankommen. Man steht im Handel um zwanzigtausend Schweizer, zwölftausend Deutsche und zwölftausend Sardinier, welche in Verbindung mit der ersten Escorte des Königs einen Effectivstand von hundertfünfzigtausend Mann bilden werden.«

»Eine schöne Zahl!« sagte Cagliostro.

»Und mit diesen hundertfünfzigtausend Mann marschirt man gegen Paris; man schneidet oben und unten den Fluß ab und entzieht so der Stadt die Lebensmittel; das ausgehungerte Paris wird kapituliren: man löst die Nationalversammlung auf und setzt den König, der nun wieder wahrhaft König, aus den Thron seiner Väter.«

»Amen!« rief Cagliostro.

Dann stand er aus und sprach:

»Mein lieber Herr von Beausire, Sie haben eine äußerst angenehme Conversation; doch es ist am Ende bei Ihnen, wie bei den größten Rednern: wenn sie Alles gesagt haben, haben sie nichts mehr zu sagen, – und Sie haben Alles gesagt?«

»Ja, Herr Graf, für den Augenblick.«

»Dann gute Nacht, mein lieber Herr von Beausire; brauchen Sie weitere zehn Louis d’or, immer als Geschenk, wohlverstanden, so suchen Sie mich in Bellevue auf.«

»In Bellevue, und ich frage nach dem Herrn Grafen von Cagliostro.«

»Nach dem Grafen von Cagliostro? oh l nein, man würde nicht wissen, was Sie sagen wollen; fragen Sie nach dem Baron Zannone.«

»Nach dem Baron Zannone!« rief Beausire. »Das ist der Name des genuesischen Banquier, der die zwei Millionen Wechsel von Monsieur discontirt hat.«

»Das ist möglich,« sprach Cagliostro.

»Wie, es ist möglich?«

»Ja; ich mache so viele Geschäfte, daß sich dieses mit den andern vermischt haben wird; darum erinnerte ich mich im ersten Augenblicke nicht genau; doch, in der That, nun glaube ich mich zu erinnern.«

Beausire war voll Verwunderung vor diesem Manne, der so Geschäfte von zwei Millionen vergaß, und er fing an zu glauben, daß es, und wäre es auch nur aus dem pecuniären Gesichtspunkte, besser sei, im Dienste des Leihers, als in dem des Entlehners zu stehen.

Doch da dieses Erstaunen nicht so weit ging, daß es ihn den Ort vergessen ließ, wo er war, so fand Beausire bei den ersten Schritten von Cagliostro die Bewegung wieder, und er folgte ihm mit einem dergestalt nach dem seinigen geregelten Gange, daß man, würde man sie so gleichsam an einander geklebt gesehen haben, hätte glauben können, es seien zwei durch eine und dieselbe Feder in Bewegung gesetzte Automaten.

Erst an der Thüre und als das Gitter wieder geschlossen, schienen sich die zwei Körper aus eine sichtbare Art von einander zu trennen.

»Und in welcher Richtung gehen Sie nun, lieber Herr von Beausire?« fragte Cagliostro.

»In welcher gehen Sie?«

»In der, in welcher Sie nicht gehen.«

»Ich gehe nach dem Palais Royal, Herr Graf.«

»Und ich nach der Bastille.«

Hierauf verließen sich die zwei Männer; Beausire grüßte den Grafen mit einer tiefen Verbeugung, Cagliostro grüßte Beausire leicht mit dem Kopfe nickend, und Beide verschwanden beinahe in demselben Augenblick unter der Finsterniß, Cagliostro in der Rue du Temple und Beausire in der Rue de la Verrerie.

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

Подняться наверх