Читать книгу Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4 - Александр Дюма - Страница 38
Siebentes bis zehntes Bündchen
XXXVIII
Wo man von Allem, nur nicht von der Schlosserkunst spricht
ОглавлениеNur ging Ludwig XVI. diesmal nicht aus der Werkstätte auf der äußeren, für das ganze Haus gemeinschaftlichen Treppe weg; er stieg die ihm allein vorbehaltene Geheimtreppe hinab.
Diese Treppe führte in sein Arbeitscabinet.
Ein Tisch von diesem Arbeitscabinet war mit rinen ungeheuren Karte von Frankreich bedeckt, welche bewies, daß der König oft schon den kürzesten Weg, um aus seinem Reiche zu kommen, studiert hatte.
Doch erst unten an der Treppe, als die Thüre hinter ihm und dem Schlossergesellen wieder zugemacht war, schien Ludwig XVI., nachdem er einen forschenden Blick im Cabinet halte umherlaufen lassen, denjenigen zu erkennen, welcher ihm mit dem Wamms auf der Schulter und die Mütze in der Hand folgte.
»Endlich sind wir allein, mein lieber Graf!« sagte er; »lassen Sie mich Ihnen vor Allem zu Ihrer Gewandtheit Glück wünschen und Ihnen für Ihre Ergebenheit danken.«
»Und mir, Sire,« erwiederte der junge Mann, »erlauben Sie, Eure Majestät tausendmal um Verzeihung zu bitten, daß ich es, wenn auch für ihren Dienst, gewagt habe, so gekleidet vor ihr zu erscheinen und mit ihr zu sprechen, wie ich es gethan habe.«
»Sie haben wie ein wackerer Edelmann gesprochen, mein lieber Louis, und wie Sie auch angethan sein mögen, es schlägt ein redlich Herz unter Ihrem Kleide. Doch wir haben keine Zeit zu verlieren! Niemand, selbst nicht der Königin, ist Ihre Gegenwart hier bekannt, Niemand hört uns, sagen Sie mir geschwinde, was Sie hierher führt.«
»Hat Eure Majestät meinem Vater nicht die Ehre erwiesen, ihm einen Officier von ihrem Hause zu schicken?«
»Ja, Herrn von Charny.«
»Herrn von Charny, ganz richtig. Er war der Überbringer eines Briefes . . .«
»Eines unbedeutenden,« unterbrach der König, »der nur als Einführung für einen mündlichen Auftrag dienen sollte.«
»Dieser mündliche Auftrag ist vollzogen, Sire, und damit sein Vollzug gewiß sei, bin ich auf den Befehl meines Vaters und in der Hoffnung, allein mit Eurer Majestät zu sprechen, nach Paris abgereist.«
»Sie sind also von Allem unterrichtet?«
»Ich weiß, daß der König in einem gegebenen Augenblick die Sicherheit, Paris verlassen zu können, haben möchte.«
»Und daß er aus den Marquis von Bouillé als auf den Mann gerechnet hat, der am Fähigsten, ihn bei seinem Plane zu unterstützen.«
»Mein Vater ist zugleich stolz und sehr dankbar für die Ehre, die Sie ihm erwiesen.«
»Kommen wir zur Hauptsache. Was sagt er von dem Plane?«
»Er sei verwegen, er heische große Vorsicht, doch die Ausführung scheine ihm nicht unmöglich.«
»Vor Allem,« sagte der König: »müßte man nicht, um der Unterstützung von Herrn von Bouillé die ganze Wirksamkeit zu geben, welche sein biederer Charakter und seine Ergebenheit versprechen, seinem Commando von Metz das von mehreren Provinzen und besonders das von Franche-Comté beifügen?«
»Das ist die Ansicht meines Vaters, Sire, und ich bin glücklich, daß der König zuerst seine Meinung in dieser Hinsicht ausgesprochen hat; der Marquis befürchtete, der König könnte es einem persönlichen Ehrgeize zuschreiben . . .«
»Ei! kenne ich denn die Uneigennützigkeit Ihres Vaters nicht? Lassen Sie mich hören, hat er sich mit Ihnen über den Weg besprochen, der zu wählen wäre?«
»Mein Vater befürchtet vor Allem Eines, Sire.«
»Was?«
»Es dürfen Eurer Majestät mehrere Fluchtpläne, sei es nun von Seiten Spaniens, oder von Seiten des Reiches, oder von Seiten der Emigranten in Turin geboten worden sein, und da diese Pläne einander widersprechen oder sich durchkreuzen, so könnte der seinige durch einige von jenen Umständen scheitern, welche man auf Rechnung des Verhängnisses setzt, während sie beinahe immer die Folge der Eifersucht oder der Unklugheit der Parteien sind.«
»Mein lieber Louis, ich verspreche Ihnen, alle Welt um mich her intriguiren zu lassen: das ist einmal ein Bedürfniß der Parteien, und dann ist es eine Nothwendigkeit meiner Lage. Während der Geist von Lafayette und die Blicke der Nationalversammlung allen Fäden folgen, welche keinen andern Zweck haben, als sie irre zu führen, werden wir ohne weitere Vertraute, als die für die Ausführung des Planes streng nothwendigen Personen, – lauter Personen, aus welche zählen zu können wir fest überzeugt sein dürfen, unsern Weg mit um so mehr Sicherheit verfolgen, je geheimnißvoller er sein wird.«
»Sire, nachdem dieser Punkt festgestellt ist, hat mein Vater die Ehre, Eurer Majestät Folgendes vorzuschlagen.«
»Sprechen Sie,« sagte der König, indem er sich auf die Karte neigte, um mit den Augen den verschiedenen Entwürfen zu folgen, die ihm der Graf mit dem Worte auseinandersetzen würde.
»Sire, es gibt mehrere Punkte, nach denen sich der König zurückziehen kann.«
»Gewiß.«
»Hat der König seine Wahl getroffen?«
»Noch nicht. Ich erwartete die Ansicht vor, Herrn von Bouillé, und ich denke, Sie bringen sie mir.«
Der junge Mann machte mit dem Kopfe ein ehrerbietiges und zugleich bejahendes Zeichen.
»Sprechen Sie,« sagte Ludwig XVI.
»Da ist vor Allem Besançon, Sire, dessen Citadelle einen sehr starken und sehr vortheithaften Posten bietet, um eine Armee zu sammeln und den Schweizern das Signal und die Hand zu geben. Mit der Armee vereinigt, können die Schweizer durch Burgund, wo dir Royalisten zahlreich sind, vorrücken und gegen Paris marschiren.«
Der König machte eine Bewegung mit dem Kopfe, welche bezeichnete: »Etwas Anderes wäre mir lieber.«
Der junge Graf fuhr fort:
»Dann ist Valenciennes da, Sire, oder irgend ein anderer Platz Flanderns, der eine sichere Garnison hätte. Herr von Bouillé würde sich selbst mit den Truppen seines Commandos, entweder vor oder nach der Ankunft des Königs, dahin begeben.«
Der König machte eine zweite Bewegung mit dem Kopfe, welche besagen wollte: »Etwas Anderes, mein Herr.«
»Der König kann auch,« fuhr der junge Mann fort, »durch die Ardennen und Oesterreichisch-Flandern weggehen, sodann über dieselbe Grenze zurückkehren und sich nach einem der Plätze begeben, welche Herr von Bouillé in seinem Commando übergeben würde, und wo man zum Voraus Truppen zusammengezogen hätte.«
»Ich werde Ihnen sogleich sagen, was mich veranlaßt, Sie zu fragen, ob Sie nicht etwas Besseres haben, als Alles dies.«
»Endlich kann sich der König unmittelbar nach Sedan oder nach Montmédy begeben; der General, der sich im Mittelpunkte seines Commandos befände, hätte dort, um dem Wunsche des Königs zu gehorchen, gefiele es ihm nun, sich aus Frankreich zu entfernen oder wäre es ihm dienlicher, gegen Paris zu marschiren, volle Freiheit, zu handeln und zu wirken.«
»Mein lieber Graf,« erwiederte der König, »ich will Ihnen mit zwei Worten erklären, was mich die drei ersten Vorschläge verwerfen läßt, und aus welchem Grunde ich wahrscheinlich bei dem vierten stehen bleiben werde. Einmal ist Besançon zu weit entfernt, und ich hätte zu viel Chancen, ehe ich dahin käme, festgenommen zu werden; die Entfernung von Valenciennes ist gut, und es würde mir dies in Betreff des in dieser Stadt herrschenden vortrefflichen Geistes zusagen, aber Herr von Rochambeau, der im Hennegau, das heißt vor seinen Thoren commmandirt, ist ganz dem demokratischen Geiste zugethan; was die Flucht über die Ardennen und durch Flandern betrifft, wobei man Oesterreich anrufen müßte, – nein: abgesehen davon, daß ich Oesterreich nicht liebe, weil es sich nur in unsere Angelegenheiten mischt, um sie in Verwirrung zu bringen, hat Oesterreich zu dieser Stunde genug an der Krankheit meines Schwagers, am Kriege mit den Türken und an der Empörung Brabants, ohne daß ich ihm noch einen Zuwachs an Verlegenheiten durch seinen Bruch mit Frankreich gebe; überdies will ich Frankreich nicht verlassen; hat einmal ein König den Fuß außerhalb seines Reiches, so weiß er nie, ob er dahin zurückkehren wird. Sehen Sie Karl II., sehen Sie Jacob II.: der Eine kehrt nur nach Verlauf von dreizehn Jahren zurück, der Andere kehrt nie zurück. Nein ich ziehe Montmédy vor; Montmédy liegt in einer entsprechenden Entfernung, im Mittelpunkte des Commando Ihres Vaters . . .Sagen Sie dem Marquis, meine Wahl sei getroffen, und ich begebe mich nach Montmédy.«
»Hat der König die Flucht fest beschlossen, oder ist es nur ein Plan?« erdreistete sich der junge Mann zu fragen.
»Mein lieber Louis,« erwiederte Ludwig XVI., »noch ist nichts fest beschlossen, und Alles wird von den Umständen abhängen. Sehe ich, daß die Königin und meine Kinder neue Gefahren laufen, wie die, welchen sie in der Nacht vom 5. auf den 6. October preisgegeben waren, so werde ich mich entscheiden, und sagen Sie Ihrem Vater: sobald der Entschluß gesaßt ist, wird er unwiderruflich sein.«
»Sire,« fuhr der junge Mann fort, »wenn es mir nun erlaubt wäre, in Beziehung auf die Art, wie die Reise gemacht werden soll, der Weisheit des Königs die Ansicht meines Vaters zu unterwerfen . . .«
»Oh! sprechen Sie.«
»Seiner Ansicht nach, Sire, würde man die Gefahren der Reise vermindern, wenn man sie theilte.«
»Erklären Sie sich.«
»Sire, Eure Majestät würde aus der einen Seite mit Madame Royale und Madame Elisabeth abreisen, während die Königin auf der andern mit Monseigneur dem Dauphin abginge, . . .so daß . . .«
Der König ließ Herrn von Bouillé seinen Satz nicht vollenden und erwiederte: »Es ist unnütz, diesen Punkt zu erörtern; wir, die Königin und ich, haben in einem feierlichen Augenblicke beschlossen, daß wir uns nicht verlassen werden. Will Ihr Vater uns retten, so rette er uns Beide mit einander oder keines von Beiden.«
Der junge Graf verbeugte sich und sprach:
»Ist der Augenblick gekommen, so wird der König seine Befehle geben, und seine Befehle sollen vollzogen werden. Nur erlaube ich mir, dem König zu bemerken, daß es schwierig sein wird, einen Wagen zu finden, der groß genug, daß Ihre Majestäten, deren erhabene Kinder, Madame Elisabeth und einige Dienstleute, welche sie begleiten sollen, darin Platz haben.«
»Seien Sie deshalb unbesorgt, mein lieber Louis: man wird ihn besonders hierfür machen lassen, denn es ist für den Fall vorhergesehen.«
»Noch etwas Anderes, Sire; es führen zwei Straßen nach Montmédy; ich habe Sie zu fragen, welche diejenige ist, der Eure Majestät den Vorzug gibt, damit man sie durch einen vertrauten Ingenieur studiren lassen kann.«
»Diesen vertrauten Ingenieur haben wir. Herr von Charny, der uns ganz ergeben ist, hat Karten von den Gegenden von Chandernagor mit der größten Treue und einem merkwürdigen Talente gezeichnet; je weniger Personen wir in das Geheimniß ziehen, desto besser wird es sein; wir haben im Grafen einen ganz bewährten, verständigen und braven Diener: benützen wir ihn. Was die Straße betrifft, so sehen Sie, daß ich mich damit beschäftigt habe. Da ich zum Voraus Montmédy wählte, so sind die zwei Straßen, welche dahin führen, aus dieser Karte punktirt.«
»Es gibt sogar drei,« bemerkte ehrerbietig Herr von Bouillé.
»Ja, ich weiß es, diejenige, welche von Paris nach Metz geht, die man verläßt, nachdem man durch Verdun gekommen ist, um den Weg längs der Maaß, nach Stennay einzuschlagen, wovon Montmédy nur drei Meilen entfernt ist.«
»Dann ist die nach Rheims, Isle, Rethel und Stennay,« sagte der junge Graf so lebhaft, daß der König wahrnahm, er gebe dieser den Vorzug.
»Ah! ah,« rief der König, »es scheint, das ist die Straße, die Sie vorziehen?«
»Oh! nicht ich, Sire, Gott bewahre mich, daß ich, der ich beinahe ein Kind bin, die Verantwortlichkeit für eine in einer so ernsten Angelegenheit ausgesprochene Meinung haben soll. Nein, Sire, das ist nicht meine Meinung, es ist die meines Vaters, und er stützte sich darauf, daß die Landschaft, welche man durchreise, arm, beinahe verödet sei, daß sie folglich weniger Vorsichtsmaßregeln erforderte; er fügt bei, Royal-Allemand, das beste Regiment des Heeres, das einzige vielleicht, welches völlig treu geblieben, liege in Garnison in Stennay, und es könnte von Isle oder Rethel an mit der Bedeckung des Königs beauftragt werden; so würde man die Gefahr einer zu großen Truppenbewegung vermeiden . . .«
»Ja,« unterbrach ihn der König, »doch man würde durch Rheims kommen, wo ich gesalbt worden bin, wo der Erste der Beste mich zu erkennen im Stande ist, . . .Nein, mein lieber Graf, über diesen Punkt habe ich mich entschieden.«
Der König sprach seine letzten Worte mit einem so festen Tone, daß der Graf es nicht einmal wagte, diese Entscheidung zu bekämpfen.
»Der König hat sich also entschieden? . . .« fragte er.
»Für die Straße nach Chalons durch Varennes, mit Vermeidung von Verdun. Was die Regimenter betrifft, so sollen sie in den zwischen Montmédy und Chalons liegenden Dörfern echelonnirt werden; ich würde sogar nichts Ungeeignetes darin sehen, wenn mich das erste Detachement in letzterer Stadt erwartete,« fügte der König bei.
»Sire, wenn wir so weit sind, wird es ein Punkt der Erörterung sein, bis zu welcher Stadt sich diese Regimenter wagen sollen; nur ist dem König nicht unbekannt, daß es in Varennes keine Pferdepost gibt.«
»Es freut mich, Sie so wohl unterrichtet zu sehen, Herr Graf,« sagte der König lachend: »das beweist, daß Sie mit allem Ernste an unserem Plane gearbeitet haben; doch seien Sie hierüber ruhig, wir werden Mittel finden, Pferde diesseits und jenseits der Stadt bereit halten zu lassen; unser Ingenieur wird uns sagen, wo dies am Besten geschehen kann.«
»Und nun, Sire,« sprach der junge Graf, »ermächtigt mich nun, da beinahe Alles festgestellt ist, Eure Majestät, ihr im Namen meines Vaters ein paar Zeilen eines italienischen Schriftstellers zu citiren, die ihm so sehr der Lage, in welcher sich der König befindet, zu entsprechen schienen, daß er mir befahl, sie auswendig zu lernen, damit ich sie dem König sagen könnte.«
»Sprechen Sie, mein Herr.«
»Sie lauten: »»Der Verzug ist immer nachtheilig, und bei allen Dingen, die man unternimmt, gibt es nie völlig günstige Umstände; so daß derjenige, welcher wartet, bis er eine vollkommene Gelegenheit trifft, nie eine Sache unternehmen oder, wenn er sie unternimmt, häufig schlecht davon kommen wird.«« Es ist der Autor, welcher so spricht, Sire.«
»Ja, mein Herr, und dieser Autor ist Macchiavelli, Glauben Sie mir, ich werde den Rath des Gesandten der herrlichen Republik berücksichtigen . . .Doch stille! . . .ich höre Tritte aus der Treppe . . .Gamain kommt herab; gehen wir ihm entgegen, damit er nicht sieht, wir haben uns mit etwas Anderem beschäftigt, als mit dem Schranke.«
Bei diesen Worten öffnete der König die Thüre der Geheimtreppe.
Es war Zeit, der Schlossermeister stand, mit seinem Schlosse in der Hand, auf der letzten Stufe.