Читать книгу Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4 - Александр Дюма - Страница 30
Drittes bis sechstes Bändchen
XXX
Der Club der Jacobiner
ОглавлениеZwei Stunden nach der von uns mitgetheilten Unterredung hielt ein Wagen ohne Livree und ohne Wappen vor der Thüre der Saint-Roch-Kirche, deren Façade noch nicht durch die Kugeln des 13. Vendemiaire verstümmelt worden war.
Aus diesem Wagen Siegen zwei Männer aus, schwarz gekleidet, wie es damals die Mitglieder des dritten Standes waren, und beim gelben Schimmer der Reverberen, welche stellenweise den Nebel der Rue Saint-Honoré durchdrangen, einer Art von Strömung, welche die Menge bildete, folgend zogen sie sich auf der linken Seite der Straße bis zu der kleinen Thüre des Jacobiner-Klosters hin.
Haben unsere Leser, wie dies wahrscheinlich ist, errathen, daß diese zwei Männer der Doctor Gilbert und der Graf von Cagliostro oder der Banquier Zannone, wie er sich zu jener Zeit nennen ließ, waren, so brauchen wir ihnen nicht zu erklären, warum sie vor der kleinen Thüre stehen blieben, da diese Thüre das Ziel ihres nächtlichen Ganges war.
Uebrigens hatten die zwei Ankömmlinge nur der Menge zu folgen, denn die Menge war groß.
»Wollen Sie in das Schiff eintreten, oder werden Sie sich mit einem Platze auf den Tribunen begnügen?« fragte Cagliostro Gilbert.
»Ich glaubte, das Schiff sei einzig und allein den Mitgliedern der Gesellschaft vorbehalten?« erwiederte Gilbert.
»Allerdings; aber bin ich nicht Mitglied von allen Gesellschaften?« versetzte Cagliostro lachend; »und da ich es bin, sind es nicht auch meine Freunde? Hier ist eine Karte für Sie, wenn Sie wollen; ich, was mich betrifft, ich habe nur ein Wort zu sagen.«
»Man wird uns als Fremde erkennen und weggehen heißen,« bemerkte Gilbert.
»Vor Allem, mein lieber Doctor, muß ich Ihnen Eines sagen ., . was Sie nicht wissen, wie es scheint, nämlich, daß die seit drei Monaten gegründete Gesellschaft der Jacobiner schon ungefähr sechzigtausend Mitglieder in Frankreich zählt und, ehe ein Jahr vergeht, viermal hundert tausend zählen wird; überdies, mein Theuerster,« fügte Cogliostro lächelnd bei, »überdies ist hier der wahre Große Orient, der Mittelpunkt aller geheimen Gesellschaften, und nicht bei dem Dummkopf Fauchet, wie man glaubt. Wenn Sie nun nicht das Recht haben, unter dem Titel eines Jacobiners einzutreten, so haben Sie hier Ihren Platz in der Eigenschaft eines Rosenkreuzers anzusprechen.«
»Gleichviel,« erwiederte Gilbert, »ich ziehe die Tribunen vor.
Von den Tribunen herab werden wir über der ganzen Versammlung schweben, und bietet sich eine gegenwärtige oder zukünftige Illustration, die ich nicht kenne, so werden Sie mich mit ihr bekannt machen.«
Die Tribunen waren voll, doch bei der ersten, nach der er sich wandte, brauchte Cagliostro nur ein Zeichen zu machen und leise ein Wort auszusprechen, und zwei Männer, welche vorne standen, zogen sich aus der Stelle zurück, als wären sie nur hierher gekommen, um seinen Platz und den des Doctor Gilbert zu hüten.
Die Ankömmlinge nahmen ihre Plätze ein.
Die Sitzung war noch nicht eröffnet; die Mitglieder der Versammlung waren in Unordnung im dunkeln Schisse verbreitet; die Einen plauderten in Gruppen; die Andern gingen in dem engen Raume, den ihnen die große Anzahl ihrer Collegen ließ, aus und ab; wieder Andere träumten vereinzelt, entweder im Schatten sitzend oder stehend und an einen massiven Pfeiler angelehnt.
Spärliche Lichter goßen in Streifen einige Helle auf diese Menge, deren Individualitäten nur hervortraten, wenn sich ihre Gesichter oder ihre Personen zufällig unter einer von diesen schwachen Flammen befanden.
Nur war selbst im Halbschatten leicht zu sehen, daß man sich mitten in einem aristokratischen Vereine befand. Die gestickten Röcke und die Uniformen der Land- und Seeofficiere waren, die Menge mit Reflexen von Gold und Silber besprenkelnd, im Ueberflusse vorhanden.
Zu jener Zeit demokratisirte in der That nicht ein Arbeiter, nicht ein Mann aus dem Volke, wir möchten sagen, beinahe nicht ein Bürger die illustre Versammlung.
Für die Leute von der kleinen Welt gab es einen zweiten Saal unter dem ersten. Dieser zweite Saal wurde zu einer andern Stunde geöffnet, damit das Volk und die Aristokratie nicht mit dem Ellenbogen an einander stießen. Für die Unterweisung dieses Volkes hatte man eine brüderliche Gesellschaft gebildet.
Die Mitglieder dieser Gesellschaft waren beauftragt, ihm die Constitution zu erklären und ihm die Menschenrechte auseinanderzusetzen.
Die Jacobiner waren, wie gesagt, zu jener Zeit eine militärische, aristokratische, intellectuelle und besonders gelehrte und künstlerische Gesellschaft.
Die Gelehrten und die Künstler sind wirklich in der Mehrheit da.
Es sind hier an Literaten la Harpe, der Verfasser von Melanie; Chénier, der Verfasser von Karl IX.; Andrieux, der Verfasser der Etourdis, der schon im Alter von dreißig Jahren dieselben Hoffnungen gibt, die er noch im Alter von siebenzig gab, und der gestorben ist, nachdem er immer versprochen und nie gehalten; da ist auch Sedeine, der ehemalige Steinhauer, begünstigt von der Königin, ein Royalist seinem Herzen nach, wie die Mehrzahl der Anwesenden; Chamfort, der gekrönte Dichter, Exsecretär des Herrn Prinzen von Condé, Vorleser von Madame Elisabeth; Laclos, der Mann des Herzogs von Orleans, der Verfasser der Liaisons dangereuses, der den Platz seines Patrons einnimmt und je nach den Umständen beauftragt ist, ihn bei seinen Freunden in’s Gedächtniß zurückzurufen, oder von seinen Feinden vergessen zu lassen.
An Künstlern sind da Talma der Römer, der in seiner Rolle als Titus eine Revolution zu machen im Begriffe ist; durch ihn wird es kommen, daß man einstweilen die Haupthaare abschneidet, bis es durch Callot d’Herbois, seinen Collegen, dahin kommt, daß man die Köpfe abschneidet; ferner David, der Leonidas und die Sabinerinnen träumt; David, der sein großes Gemälde: der Schwur im Ballhause, anlegt und so eben vielleicht den Pinsel gekauft hat, mit dem er sein schönstes Gemälde und sein häßlichstes Bild: Marat in seinem Bade ermordet, machen wird; Vernet, der vor zwei Jahren von der Academie für sein großes Bild: der Triumph des Paulus Aemilius, aufgenommen worden ist; der sich damit belustigt, daß er Pferde und Hunde malt, ohne zu ahnen, daß vier Schritte von ihm, in der Versammlung, am Arme von Talma, ein junger corsischer Lieutenant mit glatten, ungepuderten Haaren ist, welcher ihm, ohne es selbst zu vermuthen, fünf von seinen schönsten Bildern, den Uebergang über den St. Bernhardsberg, die Schlachten vom Rivoli, vom Marengo, von Austerlitz und von Wagram vorbereitet; ferner Larive, der Erbe der declamatorischen Schule, der noch nicht geruht, in Talma einen Collegen zu sehen; den Voltaire Corneille und Belloy Racine vorzieht; ferner Lais, der Sänger, der das Entzücken der Oper in den Rollen des Kaufmanns in der Caravane, des Consul in Trajan und des Cinna in der Vestalin bildet; sodann Lafayette, Lameth, Duport, Sieyès, Thouret, Shapellier, Rabaut-Saint-Elienne, Lanjuinais, Monlesier; mitten unter Allem dem endlich, mit herausfordernder Miene und anmaßendem Gesichte, der Abgeordnete von Grenoble, Barnave, aus dem die mittelmäßigen Menschen einen Mirabeau machen, während Mirabeau ihn zermalmt, so oft er sich herabläßt, den Fuß auf ihn zu setzen.
Gilbert warf einen langen Blick auf diese glänzende Versammlung, erkannte Jeden, schätzte in seinem Geiste alle diese verschiedenen Fähigkeiten und war wenig durch sie beruhigt.
Diese royalistische Gesammtheit tröstete ihn indessen wieder ein wenig.
»Im Ganzen,« sagte er plötzlich zu Cagliostro, »welchen Mann sehen Sie unter allen diesen Männern, der wirklich feindlich gegen das Königthum gesinnt wäre?«
»Soll ich mit den Augen von Jedermann, mit den Ihrigen, mit denen von Herrn Necker, mit denen des Abbé Maury oder mit den meinigen sehen?«
»Mit den Ihrigen,« erwiederte Gilbert; »ist es nicht entschieden, daß es Zaubereraugen sind?«
»Nun wohl, es finden sich zwei hier.«
»Oh! das ist nicht viel unter vierhundert Männern.»
»Es ist genug, wenn Einer von diesen zwei Männern der Mörder von Ludwig XVI. sein soll, und der Andere sein Nachfolger.«
Gilbert bebte.
»Ho! hol« murmelte er, »wir haben hier einen zukünftigen Brutus und einen zukünftigen Cäsar!«
»Nicht mehr, nicht weniger, mein lieber Doctor.«
»Sie werden mich wohl beide sehen lassen, nicht wahr, Graf?« sagte Gilbert mit dem Lächeln des Zweifels aus den Lippen.
»O Apostel mit schuppenbedeckten Augen!« erwiederte Cagliostro, »ich werde etwas Besseres thun, wenn Du willst; ich werde Dich sie mit dem Finger berühren lassen. Bei welchem soll ich anfangen?«
»Bei dem Umstürzer, wie mir scheint; ich habe große Ehrfurcht für die chronologische Ordnung. Lassen Sie mich zuerst Brutus sehen.«
»Du weißt,« sprach Cagliostro, sich belebend, als würde er vom Hauche der Inspiration ergriffen, »Du weißt, daß die Menschen nie mit denselben Mitteln verfahren, um ein ähnliches Werk zu vollbringen? Unser Brutus wird also in keiner Hinsicht dem Brutus des Altenhums gleichen.«
»Ein Grund mehr, daß ich begierig bin, ihn zu sehen.«
»Nun, so schau, dort ist er!« versetzte Cagliostro.
Und er streckte die Hand in der Richtung eines an die Kanzel angelehnten Mannes aus, dessen Kopf sich in diesem Augenblick allein im Lichte fand, indeß der übrige Körper im Schatten verloren war.
Dieser bleiche Kopf sah aus wie, in den alten Tagen der Proseriptionen, ein abgeschnittener, an die Rednerbühne genagelter Kopf.
Nur die Augen schienen zu leben, mit einem beinahe verächtlichen Ausdrucke des Hasses, mit dem Ausdrucke der Schlange, welche weiß, daß ihr Zahn ein tödtliches Gift enthält; sie folgten bei seinen zahlreichen Evolutionen dem lärmenden und geschwätzigen Barnave.
Gilbert fühlte etwas wie einen Schauer seinen ganzen Leib durchlaufen.
»In der That,« sagte er, »Sie haben mich zum Voraus darauf aufmerksam gemacht; das ist weder der Kopf von Brutus, noch der von Cromwell.«
»Nein,« versetzte Cagliostro; »doch es ist vielleicht der von Cassius. Sie wissen, mein Lieber, was Cäsar sagte: »»Alle diese fetten Leute, alle diese Wohllebemenschen, welche ihre Tage bei der Tafel, ihre Nächte in Orgien hinbringen, fürchte ich nicht: nein, was ich fürchte das sind die Träumer mit magerem Leibe und bleichem Gesichte.«
»Derjenige, welchen Sie mir zeigen, entspricht den von Cäsar gestellten Bedingungen.«
»Kennen Sie ihn denn nicht?« fragte Cagliostro.
»Doch!« erwiederte Gilbert, indem er ihn aufmerksam anschaute, »ich kenne ihn oder ich erkenne vielmehr in ihm ein Mitglied der Nationalversammlung.«
»So ist es!«
»Einer der weitschweifigsten Redner der Linken.«
»So ist es!«
»Den Niemand anhört, wenn er spricht.«
»So ist es!«
»Ein kleiner Advocat von Arras, nicht wahr? er heißt Maximilian von Robespierre.«
»Ganz richtig! Nun wohl, schauen Sie diesen Kopf mit Aufmerksamkeit an.«
»Ich schaue ihn an.«
»Was sehen Sie daran?«
»Graf, ich bin nicht Lavater.«
»Nein, doch Sie sind sein Schüler.«
»Ich sehe den gehässigen Ausdruck der Mittelmäßigkeit gegen das Genie.«
»Das heißt, Sie beurtheilen ihn auch wie die ganze Welt. Ja, es ist wahr, seine schwache, ein wenig herbe Stimme, sein mageres, trauriges Gesicht, die Haut seiner Stirne, welche an seinen Schädel wie ein gelbes unbewegliches Pergament geklebt zu sein scheint; sein glasiges Auge, das nur zuweilen einen grünlichen Flammenstrahl hervorspringen läßt, welcher sogleich wieder erlischt; diese beständige Spannung der Muskeln; diese gerade durch ihre Unbeweglichkeit ermüdende Physiognomie; dieser unveränderlich olivenfarbige Rock, ein einziger, dürrer, scharfgebürsteter Rock; ja, Alles dies, ich begreife es wohl, muß wenig Eindruck aus eine an Rednern reiche Versammlung machen, die das Recht hat, schwierig zu sein, gewohnt, wie sie es ist, an das Löwengesicht von Mirabeau, an die verwegene Anmaßung von Barnave, an die scharfe Gegenrede des Abbé Maury, an die Wärme von Cazalès und an die Logik von Sieyès; diesem aber wird man nicht, wie Mirabeau, seine Immoralität vorwerfen; dieser ist der redliche Mann; er geht nie aus den Principien heraus, und geht er je aus der Gesetzlichkeit heraus, so wird es geschehen, um den alten Text mit dem neuen Gesetze zu tödten!«
»Aber wer ist denn dieser Robespierre?«
»Ah! da bist Du, Aristokrat des 17. Jahrhunderts! »»Wer ist denn dieser Cromwell?«« fragte der Graf von Strafford, dem der Protector den Kopf abschlagen sollte; »»ich glaube, ein Bierschenk.««
»Wollen Sie damit sagen, mein Kopf lause dieselbe Gefahr, wie der von Sir Thomas Wentworth?« fragte Gilbert, der ein Lächeln versuchte, welches sich auf seinen Lippen in Eis verwandelte.
»Wer weiß?« versetzte Cagliostro.
»Ein Grund mehr, daß ich mich erkundige,« sprach der Doctor.
»Wer dieser Robespierre ist? In ganz Frankreich weiß es vielleicht Niemand als ich. Ich liebe es, damit bekannt zu sein, woher die Auserwählten des Verhängnisses kommen; das hilft mir errathen, wohin sie gehen. Die Robespierre sind Irländer. Ihre Vorfahren gehörten vielleicht zu jenen irischen Colonien, welche im 16. Jahrhundert herüberkamen und die Seminarien und Klöster unserer nördlichen Küsten bevölkerten; dort werden sie von den Jesuiten die starke Widersprecher-Erziehung erhalten haben, die diese ihren Zöglingen gaben; sie waren Notare vom Vater auf den Sohn. Ein Zweig der Familie, der, von welchem dieser abstammt, ließ sich in Arras, einem, wie Sie wissen, großen Centrum des Adels und der Geistlichkeit, nieder. Es waren in der Stadt zwei Herren oder vielmehr zwei Könige: der Eine, der Abt von Saint-Wast; der Andere, der Bischof von Arras, dessen Palast die Hälfte der Stadt in den Schatten stellt. In dieser Stadt ist derjenige, welchen Sie dort sehen, im Jahre 1758 geboren. Was er als Kind gethan hat, was er als junger Mann gethan hat, was er in dickem Augenblicke thut, will ich Ihnen mit zwei Worten sagen; was er thun wird, habe ich Ihnen schon mit einem gesagt. Es waren vier Kinder im Hause. Der Chef der Familie verlor seine Frau; er war Advocat beim Rathe von Artois; nach dem Tode seiner Frau versank er in eine tiefe Traurigkeit; er hörte auf zu plaidiren, unternahm eine Zerstreuungsreise und kam nicht mehr zurück. Mit elf Jahren war der älteste Sohn, – dieser hier, – ebenfalls Familienhaupt, Vormund von einem Bruder und von zwei Schwestern; in diesem Allen begriff, seltsamer Weise, das Kind seine Aufgabe und machte sich sogleich zum Manne. In vier und zwanzig Stunden wurde er das, was er geblieben ist: ein Gesicht, was zuweilen lächelt, ein Herz, das nie lacht. Er war der beste Zögling vom Collegium. Man erhielt für ihn vom Abte von Saint-Wast eines von den Stipendien, über welche der Prälat beim Collége Louis-le-Grand verfügte. Er kam allein nach Paris, empfohlen an einen Domherrn von Notre-Dame; im Verlaufe des Jahres starb der Domherr. Beinahe zu gleicher Zeit starb in Arras seine jüngere Schwester, die er am meisten liebte. Der Schatten der Jesuiten, die man aus Frankreich vertrieben hatte, fiel noch auf die Mauern von Louis-le-Grand. Sie kennen das Gebäude, wo zu dieser Stunde Ihr Sebastian heranwächst; düster und tief wie die der Bastille, entfärben seine Höfe die frischesten Gesichter: das des jungen Robespierre war bleich, sie machten es leichenfarbig. Die anderen Kinder gingen zuweilen aus; für sie hatte das Jahr Sonntage und Feste; für den verwaisten, jeder Protection entbehrenden Stipendiaten waren alle Tage dieselben. Während die Anderen die Luft der Familie athmeten, athmete er die Lust der Einsamkeit, der Traurigkeit und der Langweile: drei schlimme Hauche, welche in den Herzen den Haß und den Neid entzünden und der Seele ihre Blüthe rauben. Dieser Hauch verschmächtigte den Knaben und machte einen faden jungen Mann aus ihm. Eines Tags wird man nicht glauben, daß es ein Portrait von Robespierre im Alter von vier und zwanzig Jahren gibt, wo er eine Rose in einer Hand hält und die andere an seine Brust drückt mit der Devise: »Alles für meine Freundin!«
Gilbert lächelte traurig, indem er Robespierre anschaute.
»Es ist wahr,« fuhr Cagliostro fort, »als er diese Devise nahm und sich so malen ließ, schwor diese Freundin, nichts auf der Welt werde ihr Schicksal trennen; er schwor auch, und zwar als ein Mann, der gesonnen ist, seinen Schwur zu halten. Er machte eine Reise von drei Monaten und fand sie verheirathet wieder. Der Abt von Saint-Wast war übrigens sein Gönner geblieben; er hatte seinem Bruder das Stipendium vom Collége Louis-le-Grand zukommen lassen und ihm die Stelle eines Richters beim Criminaltribunal gegeben. Es kam ein Prozeß zur gerichtlichen Entscheidung, ein Mörder war zu bestrafen; Robespierre, voller Gewissensbisse, daß er, selboritte, es gewagt, über das Leben eines Menschen zu verfügen, obgleich dieser Mensch als schuldig erkannt war, Robespierre nahm seine Entlassung. Er wurde Advocat, denn er mußte leben und seine junge Schwester ernähren; der Bruder wurde schlecht genährt im Collége Louis-le-Grand, aber er war doch am Ende genährt. Kaum hatte er sich in die Liste einschreiben lassen, als ihn Bauern baten, für sie gegen den Bischof von Arras zu plaidiren. Die Bauern waren in ihrem Rechte; Robespierre überzeugte sich hiervon durch die Prüfung der Acten, plaidirte, gewann den Prozeß der Bauern und wurde, noch ganz warm von seinem Siege, in die Nationalversammlung geschickt. In der Nationalversammlung fand sich Robespierre zwischen einen mächtigen Haß und eine tiefe Verachtung gestellt: Haß der Geistlichkeit gegen den Advocaten, der es gewagt hatte, gegen den Bischof von Arras zu plaidiren; Verachtung der Adeligen des Artois gegen den durch die Wohlthätigkeit erzogenen Robin.11«
»Aber was hat er denn bis heute gethan?« unterbrach Gilbert.
»Oh mein Gott! beinahe nichts für die Andern, aber ziemlich viel für mich. Entspräche es nicht meinen Plänen und Absichten, daß dieser Mensch arm ist, so gäbe ich ihm morgen eine Million.«
»Ich frage Sie noch einmal: was hat er gethan?«
»Erinnern Sie sich des Tages, wo die Geistlichkeit heuchlerischer Weise in der Versammlung den durch das königliche Veto unschlüssigen dritten Stand bat, seine Arbeiten zu beginnen?«
»Ja.«
»Nun wohl, durchlesen Sie noch einmal die Rede, welche an diesem Tage der kleine Advocat von Arras hielt, und Sie werden sehen, ob nicht eine ganze Zukunft in dieser herben Heftigkeit liegt, die ihn beinahe beredt machte.«
»Doch seitdem?«
»Seitdem? . . .Oh! das ist wahr. Wir sind genöthigt, vom Monat Mai auf den Monat October überzuspringen. Als am 5. Maillard, der Abgeordnete der Pariser Weiber, im Namen seiner Clientinnen die Nationalversammlung haranguirte, nun, da blieben alle Mitglieder dieser Versammlung stumm und unbeweglich; dieser kleine Advocat aber zeigte sich nicht allein herb, er zeigte sich vermessener, als Einer. Alle angebliche Vertheidiger des Volks schwiegen, er erhob sich zweimal; das erste Mal unter dem Lärmen, das zweite Mal unter dem Stillschweigen. Er unterstützte Maillard, der im Namen der Hungersnoth sprach und Brod verlangte.«
»Ja, in der That,« sagte Gilbert nachdenkend, »das wird ernster; doch vielleicht wird er sich ändern.«
»Oh! mein lieber Doctor, Sie kennen nicht den Unbestechlichen, wie man ihn eines Tages nennen wird: wer würde übrigens den kleinen Advocaten, über den Jedermann lacht, erkaufen wollen? Dieser Mensch, welcher später, – hören Sie wohl, was ich Ihnen sage, Gilbert, – welcher später der Schrecken der Versammlung sein wird, ist heute die Zielscheibe des Spottes. Die adeligen Jacobiner sind übereingekommen, Herr von Robespierre sei der lächerlichste Mensch der Nationalversammlung, derjenige, welcher alle Welt belustige und belustigen müsse, derjenige, über welchen Jeder spotten könne und spotten müsse. Die großen Versammlungen langweilen sich manchmal, es muß wohl ein Gimpel da sein, der sie erheitert. In den Augen der Lameth, der Cazalès, der Maury, der Barnave, der Duport ist Herr von Robespierre ein Gimpel. Seine Freunde verrathen ihn, indem sie ganz leise lächeln, seine Feinde zischen ihn auf und lachen ganz laut; wenn er spricht, spricht alle Welt; wenn er die Stimme erhebt, schreit Jeder; hat er, – immer zu Gunsten des Rechts, immer um irgend ein Princip zu vertheidigen, – eine Rede gehalten, die Niemand angehört, so verlangt irgend ein unbekanntes Mitglied, auf das der Redner einen Moment seinen Blick heftet, ironisch den Druck der Rede. Ein Einziger von seinen Collegen begreift ihn; ein Einziger errathen Sie, welcher? Mirabeau. »»Dieser Mensch wird weit gehen,«« sagte er mir vorgestern, »»denn dieser Mensch glaubt, was er spricht.«« Was, wie Sie sich denken können, Mirabeau seltsam scheint.«
»Ich habe die Rede dieses Mannes gelesen und sie mittelmäßig, flach gefunden,« entgegnete Gilbert.
»Ei! mein Gott, ich sage Ihnen nicht, es sei ein Demosthenes oder ein Cicero, ein Mirabeau oder ein Barnave; ei! nein, es ist ganz einfach Herr von Robespierre, wie man ihn geflissentlich nennt. Uebrigens behandelt man seine Reden eben so rücksichtslos in der Druckerei, wie auf der Tribune: auf der Tribune unterbricht man sie; in der Druckerei verstümmelt man sie. Die Journalisten nennen ihn nicht einmal Herr von Robespierre; nein, die Journalisten wissen seinen Namen nicht. Sie nennen ihn Herr B . . ., Herr N . . .oder Herr *** Oh! Gott allein und ich vielleicht wissen, was sich an Galle in dieser magern Brust, an Stürmen in diesem engen Gehirne anhäuft; denn um alle diese Beleidigungen, alle diese Schmähungen, alle diese Verrathe zu vergessen, hat der ausgezischte Redner, der seine Stärke fühlt, weder die Zerstreuung der Familie, noch die Erleichterung der Welt. In seiner traurigen Wohnung im traurigen Marais, in seinem kalten, dürftigen, jedes Hausraths entbehrenden Zimmer in der Rue Saintonge, wo er ganz klein von seinem Gehalte als Abgeordneter lebt, ist er allein wie in den feuchten Höfen von Louis-le-Grand. Bis zum vorigen Jahre ist sein Gesicht noch jung und sanft gewesen: sehen Sie, seit einem Jahre ist es vertrocknet, wie die Köpfe der Caraiben-Häuptlinge vertrocknen, welche von Oceanien die Cook und die la Pérouse zurückbringen; er verläßt die Jacobiner nicht, und bei den für Alle unsichtbaren Aufregungen, die er erleidet, bekommt er Blutflüsse, welche ihn schon mehrere Male ohne Bewußtsein gelassen haben. Sie sind ein großer Algebrist, Gilbert, nun, ich fordere Sie heraus, durch die übertriebensten Multiplicationen das Blut zu berechnen, welches diesem Adel, der ihn beschimpft, diesen Priestern, die ihn verfolgen, diesem König, der nichts von ihm weiß, das Blut, das Robespierre verliert, kosten wird.«
»Warum kommt er aber in den Club der Jacobiner?«
»Oh! weil man ihn, der in der Nationalversammlung ausgezischt wird, bei den Jacobinern anhört. Die Jacobiner, mein lieber Doctor, das ist der Minotaurus als Kind; er saugt an einer Kuh, später wird er ein Volk verschlingen. Nun wohl, von den Jacobinern ist Robespierre der Typus. Die Gesellschaft faßt sich in ihm zusammen, und er ist der Ausdruck der Gesellschaft: nichts mehr, nichts weniger; er geht denselben Schritt wie sie, ohne ihr zu folgen, ohne ihr vorzugehen. Nicht wahr, ich habe Ihnen versprochen, Sie ein kleines Instrument sehen zu lassen, mit dem man sich gegenwärtig beschäftigt, und das zum Zwecke hat, einen Kopf, vielleicht zwei in der Minute fallen zu machen? wohl, von allen hier anwesenden Personen ist diejenige, welche diesem Tödtungsinstrumente am meisten Arbeit geben wird, der kleine Acvocat von Arras, Herr von Robespierre.«
»Wahrhaftig, Graf, Sie sind fürchterlich,« sagte Gilbert, »und wenn mich Ihr Cäsar nicht ein wenig für Ihren Brutus tröstet, so bin ich im Stande, die Ursache zu vergessen, aus der ich hierher gekommen . . .Doch verzeihen Sie, was ist aus Cäsar geworden?«
»Sehen Sie ihn dort? Er plaudert mit einem Manne, den er noch nicht kennt, währender später einen großen Einfluß auf sein Geschick haben wird. Dieser Mann heißt Barras: behalten Sie seinen Namen und erinnern Sie sich desselben bei Gelegenheit.«
»Ich weiß nicht, ob Sie sich täuschen, Graf,« versetzte Gilbert, »aber in jedem Falle wählen Sie Ihre Typen sehr gut. Ihr Cäsar hat eine wahre Stirne, um die Krone zu tragen, und seine Augen, deren Ausdruck ich nicht erfassen kann . . .«
»Ja, weil sie inwendig schauen; das sind die Augen, welche die Zukunft errathen, Doctor.«
»Und was sagt er zu Barras?«
»Er sagt ihm, wenn er die Bastille vertheidigt hätte, so würde man sie nicht genommen haben.«
»Das ist also kein Patriot?«
»Die Männer wie er wollen nichts sein, bevor sie Alles sind.«
»Sie behaupten also den Scherz in Betreff des kleinen Unterlieutenants?«
»Gilbert,« sprach Cagliostro, indem er die Hand gegen Robespierre ausstreckte, »so wahr als Dieser das Schaffot von Karl l wieder errichten wird, so wahr wird Jener,« – und er streckte die Hand gegen den Corsen mit den glatten Haaren aus, – »so wahr wird Jener den Thron von Karl dem Großen wieder aufbauen.«
»Also ist unser Kampf für die Freiheit unnütz?«
»Wer sagt Ihnen, der Eine werde nicht eben so viel für sie mit seinem Throne thun, als der Andere mit seinem Schaffot?«
»Das wird also ein Titus, ein Marc Aurel, es wird der Gott sein, der die Welt für das eherne Zeitalter tröstet?«
»Das wird zugleich Alexander und Hannibal sein. Mitten im Kriege geboren, wird er durch den Krieg groß werden und durch den Krieg fallen. Ich habe Sie aufgefordert, das Blut zu berechnen, welches dem Adel und der Geistlichkeit, das Blut, das Robespierre verliert, kosten werde; nehmen Sie das Blut, das Priester und Adelige verloren haben werden, häufen Sie Multiplicationen auf Multiplicationen, und Sie werden den Fluß, den See, das Meer von Blut nicht erreichen, das dieser Mann mit seinen Heeren von fünfmal hunderttausend Soldaten und seinen dreitägigen Schlachten mit ihren hundert und fünfzigtausend Kanonenschüssen vergießen wird.«
»Und was wird aus diesem Lärmen, aus diesem Rauche, aus diesem Chaos hervorgehen?«
»Was aus jeder Genesis hervorgeht,« Gilbert; wir sind beauftragt, die alte Welt zu begraben; unsere Kinder werden die neue Welt entstehen sehen; dieser Mann ist der Riese, der die Thüre derselben bewacht; wie Ludwig XIV., wie Leo X., wie Augustus, wird er seinen Namen dem Jahrhundert geben, das sich öffnet.«
»Und wie heißt dieser junge Mann?« fragte Gilbert, unterjocht durch die Miene, der Ueberzeugung von Cagliostro.
»Er nennt sich bis jetzt nur Bonaparte,« erwiederte der Prophet; »doch eines Tags wird er Napoleon heißen.«
Gilbert neigte seinen Kopf aus seine Hand und versank in eine so tiefe Träumerei, daß er, fortgezogen durch den Lauf seiner Gedanken, nicht bemerkte, daß die Sitzung eröffnet war und daß ein Redner die Tribune bestieg.
Eine Stunde war vergangen, ohne daß das Geräusch der Versammlung und der Tribunen, so stürmisch die Sitzung, Gilbert seinem Nachsinnen hatte entziehen können, als er fühlte, daß eine mächtige Hand sich aus seine Schulter legte.
Er wandte sich um, Cagliostro war verschwunden, doch an seinem Platze fand er Mirabeau.
Mirabeau mit einem durch den Zorn verstörten Gesichte.
Gilbert schaute ihn mit fragendem Auge an.
»Nun!« sagte Mirabeau.
»Was gibt es?« fragte Gilbert.
»Man hat uns zum Besten gehabt, schmählich behandelt, verrathen; der Hof will nichts von mir; man hat Sie als einen Gimpel angesehen und mich als einen Dummkopf.«
»Ich begreise Sie nicht, Graf.«
»Sie haben also nicht gehört?«
»Was?«
»Den Beschluß, der gefaßt worden ist!«
»Wo?«
»Hier.«
»Welcher Beschluß?«
»Sie schliefen also?«
»Nein,« erwiederte Gilbert, »ich träumte.«
»Nun denn, morgen werden als Antwort auf meine heutige Motion, welche beantragt, die Minister einzuladen, den nationalen Berathungen beizuwohnen, drei Freunde des Königs verlangen, daß kein Mitglied der Nationalversammlung während der Dauer der Session Minister sein könne. Hiermit stürzt die so mühsam errichtete Combination bei dem launenhaften Hauche Seiner Majestät des Königs Ludwigs XVI. zusammen; doch,« fuhr Mirabeau fort, indem er wie Ajax seine geschlossene Faust gegen den Himmel ausstreckte, »doch, bei meinem Namen Mirabeau, ich werde es ihnen zurückgeben, und wenn ihr Hauch ein Ministerium umstürzen kann, so werden sie sehen, daß der meinige einen Thron zu erschüttern vermag!«
»Aber,« versetzte Gilbert, »Sie werden nichtsdestoweniger in die Nationalversammlung gehen, Sie werden nichtsdestoweniger bis zum Ende kämpfen?«
»Ich werde in die Nationalversammlung gehen, ich werde bis zum Ende kämpfen. Ich gehöre zu denjenigen, welche man nur unter Trümmern begräbt.«
Und obgleich halb niedergeschmettert, entfernte sich Mirabeau doch schöner und furchtbarer durch die göttliche Furche, welche der Donner seiner Stirne eingedrückt hatte.
Am andern Tage nahm in der That auf den Antrag von Lanjuinais, trotz der Anstrengungen eines von Mirabeau entwickelten übermenschlichen Geistes, die Nationalversammlung mit einer ungeheuren Stimmenmehrheit die Motion an: »Daß kein Mitglied der Nationalversammlung während der Dauer der Session Minister sein könne.«
»Und ich rief Mirabeau, als das Decret beschlossen war, »ich schlage folgendes Amendement vor, das nichts an Ihrem Gesetze ändern wird: »»Alle Mitglieder der gegenwärtigen Versammlung können Minister sein, den Grafen von Mirabeau ausgenommen.««
Alle schauten einander bestürzt über diese Dreistigkeit an; dann stieg Mirabeau unter dem allgemeinen Stillschweigen von seiner Estrade mit dem Schritte herab, mit dem er aus Herrn von Dreux-Brézé zugegangen war, als er zu ihm sagte: »Wir sind hier durch den Willen des Volks, wir werden nur mit dem Bajonnet im Leibe weggehen.«
Er verließ den Saal.
Die Niederlage von Mirabeau glich dem Siege eines Andern.
Gilbert war nicht einmal in die Nationalversammlung gekommen.
Er war zu Hause geblieben und sann über die seltsamen Weissagungen von Cagliostro nach, ohne daran zu glauben; aber dennoch konnte er sie nicht aus seinem Geiste verwischen.
Die Gegenwart kam ihm klein im Vergleiche mit der Zukunft vor.
Vielleicht wird man mich fragen, wie ich, ein einfacher Geschichtschreiber der abgelaufenen Zeit, temporis acti, die Wahrsagung von Cagliostro in Beziehung auf Robespierre und Napoleon erklären werde?
Ich werde denjenigen, der diese Frage an mich richtet, bitten, mir die Prophezeiung zu erklären, welche Mademoiselle Lenormand Josephine gemacht hat?
Aus jedem Schritte trifft man in dieser Welt eine unerklärliche Sache: für diejenigen, welche solche Dinge nicht erklären können und nicht daran glauben wollen, ist der Zweifel erfunden worden.
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Ein Spottname für Magistratspersonen, Advokaten, Rechtsgelehrte und dergl.