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Zwei Stunden später waren wir zu Jimmy Talabanis letzter Adresse in Berlin unterwegs. Ich steuerte den Dienstwagen.

Jimmy Talabani hatte ein Penthouse in guter Lager bewohnt.

Das Haus, in dem die Wohnung lag, verfügte über eine eigene Tiefgarage, sodass uns die in Berlin ansonsten meistens ziemlich aufreibende Parkplatzsuche erspart blieb.

Mit dem Aufzug fuhren wir hinauf, nachdem wir uns zunächst mit dem privaten Security Service in Verbindung gesetzt hatten, der im Haus für Sicherheit zu sorgen hatte.

In dem Korridor, der zu Talabanis Wohnung führte, erwarteten uns zwei schwarz gekleidete Security Guards.

Wir zeigten unsere Ausweise.

Die beiden Guards trugen Namensschilder, wonach sie Gonzalez und Dachner hießen. An der Seite trugen sie Revolver vom Typ Schmitt & Wesson Kaliber .38 Special.

Altertümlich.

Aber im Sicherheitsgewerbe ist nicht nur die Bezahlung miserabel.

Die Ausrüstung mitunter auch.

Das haben die privaten Kollegen inzwischen mit den verbeamteten Kräften des mittleren Dienstes gemeinsam.

„Wir haben leider keine Möglichkeit, das elektronische Schloss zu decodieren“, erklärte Dachner, der größere der beiden Security Guards.

„Ich dachte, das ist aus Feuerschutzgründen Vorschrift!“, meinte Rudi.

Dachner zuckte die Schultern.

„Dies ist eine ziemlich exquisite Adresse und da rangieren Mieterwünsche vor irgendwelchen Vorschriften. Tut mir leid, wir werden die Tür aufbrechen müssen, was angesichts der ziemlich aufwendigen Sicherheitstechnik, die hier installiert wurde, nicht so ganz einfach werden dürfte.“

„Immerhin wissen wir, was installiert wurde!“, ergänzte sein Partner Gonzales.

Glücklicherweise hatten wir die Magnetkarte des Opfers bei uns. Die Kollegen der Spurensicherung hatten sie aus Jimmy Talabanis Jackettinnentasche geborgen und gründlich nach Fingerabdrücken untersucht.

Ich nahm die Karte hervor und steckte sie in den dafür vorgesehenen Schlitz.

Die Tür öffnete sich.

Wir traten ein.

Schritten durch einen Korridor in das weiträumige Wohnzimmer, dessen Fensterfronten einem einen phantastischen Panoramablick über Berlin Mitte lieferten.

Ein Geräusch ließ uns zusammenzucken und zur Waffe greifen. Innerhalb eines Augenaufschlags hatte ich die SIG in der Faust.

Die Tür zum Nebenraum – wahrscheinlich dem Schlafzimmer – stand halb offen.

Kein Laut war jetzt zu hören.

Ich bedeutete den Security Guards, die ebenso wie wir ihre Waffe gezogen hatten, ein Stück zurück zu bleiben.

Rudi und ich pirschten uns an die halboffene Tür heran.

Wir wechselten einen kurzen Blick. In solchen Situationen verstehen wir uns ohne Worte. Dann weiß jeder, was der andere denkt. Eine besondere Art von Telepathie, wie sie wohl nur bei langjährigen Partnern im Dienst vorkommt.

Rudi nickte mir zu.

Ich trat die Tür zur Seite und stürmte mit der Pistole in der Hand in Raum. Innerhalb von Sekundenbruchteilen sondierte ich die Lage. Ein großes Wasserbett, ein ultramoderner Kleiderschrank in Metalloptik, ein Airbrush-Gemälde, das eine nackte Frau zeigte, die auf einem Drachen ritt und das in leicht abgewandelter Form auf den Tanks von ungezählten Harley-Bikern zu finden war.

Auf dem Wasserbett befand sich eine Reisetasche.

Eine weitere Tür führte zum Bad.

Ich schnellte vor, hatte die Badezimmertür im nächsten Moment erreicht und traf dort eine junge Frau mit langen blonden Haaren an.

Ich senkte die Waffe und zog stattdessen meine ID-Card.

„Kommissar Harry Kubinke, BKA!“, stellte ich mich vor. „Wer sind Sie?“

Sie schluckte und brauchte wohl erst ein paar Sekunden, um sich vor dem Schrecken zu erholen. Der Beschreibung nach war sie jene Frau, die sich in Talabanis Begleitung befunden hatte, als auf den Captain in der Organisation von Abdullah Al-Khalili geschossen worden war. Sie trug Jeans, T-Shirt und darüber einen Blouson, der eindeutig für den Outdoor-Bereich gedacht war. Zusammen mit der Reisetasche auf dem Bett legte das den Schluss nahe, dass sie ihre Sachen gepackt hatte und nun gehen wollte. Latexhandschuhe, wie sie in Erste-Hilfe-Sets üblich waren, bedeckten ihre feingliedrigen Hände.

Ich bemerkte einen Eimer mit schaumigem Wasser, auf dessen Oberkante hing ein Lappen.

Offenbar hatte die junge Frau noch einmal alles gründlich saubermachen wollen, bevor sie dieses Penthouse auf Nimmerwiedersehen verließ.

„Mein Name ist Jacqueline Berentzen“, sagte sie. „Und was tun Sie hier?“, fragte sie. Ihre Haltung entspannte sich etwas. Sie stemmte eine ihrer Hände in die Hüften.

„Jimmy Talabani, der Eigentümer dieser Wohnung ist vor wenigen Stunden erschossen worden“ erklärte ich. „Aber ich glaube, das wissen Sie schon.“

„Jimmy?“, fragte sie. „Er ist tot?“ Ihre Stimme klang belegt. Sie schluckte. Aber ich hatte allenfalls das Gefühl, es mit einer drittklassigen Schauspielerin zu tun zu haben. Gesamturteil: Nicht gefühlsecht. Sie machte denselben Fehler wie viele Anfänger. Sie trug einfach viel zu dick auf, als das man ihr hätte glauben können.

Ich sah ihr ins Gesicht.

Sie wich meinem Blick aus.

„Sie waren am Tatort, als es geschah, dafür gibt es mehrere Zeugen“, erklärte ich sachlich und kühl. „Also können Sie mir vermutlich mehr über den Tatverlauf sagen als ich Ihnen.“

Sie erwiderte jetzt meine Blick für einen kurzen Moment und schluckte.

Tränen glitzerten in ihren Augen.

Sie begann zu schluchzen.

Ich forderte sie auf, das Bad zu verlassen, was sie auch tat.

Dann sank sie auf das Bett und saß dort wie zur Salzsäule erstarrt. Ihr Blick schien ins Leere zu gehen. Sie wirkte apathisch.

Ein leichtes Zittern durchlief ihren Körper.

Rudi bedachte mich mit einem tadelnden Blick. „Fass sie nicht so hart an“, schien dieser Blick zu sagen.

Für mich war die Situation im ersten Moment ziemlich eindeutig gewesen. Die junge Frau hatte das Chaos nach Jimmy Talabanis Ermordung genutzt, um sich möglichst schnell davon zu machen und sämtliche Spuren zu tilgen, die hätten beweisen können, dass sie jemals mit Talabani in Beziehung gestanden, geschweige denn, seine Wohnung betreten hatte.

Sie hatte etwas zu verbergen.

Etwas, das sie davon abhielt, sich bei der Polizei oder dem BKA zu melden und von sich aus auszusagen, was sie gesehen hatte.

Möglicherweise war sie eine Prostituierte und ihr Gewerbe wurde zwar als das Älteste der Welt bezeichnet und war in Deutschland legal, aber es war illegal, seine Steuern nicht zu zahlen und viele Call-Girls hatten dazu wenig Lust. Kann ich verstehen. Aber als abhängig Beschäftigter hat man ja ohnehin keine Chance, dem wachsamen Auge des Finanzamtes zu entkommen. Und alle anderen bekamen die auch irgendwann in die Fänge. Es konnte also sein, dass die Frau vielleicht ein paar Schwierigkeiten befürchtete.

Ich holte tief Luft. Rudi bedeutete mir mit einem Handzeichen zu schweigen. Er wollte diese Vernehmung ganz offensichtlich in die Hand nehmen.

Ich zuckte mit den Schultern.

Vielleicht erwies sich mein Kollege ja als sensiblerer Vernehmungsspezialist.

„Hören Sie, wir sind vom BKA und nicht vom Finanzamt - wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Ein Ruck ging durch ihren sehr weiblichen und nahezu formvollendeten Körper.

Sie hob trotzig den Kopf.

„Natürlich weiß ich, was sie damit sagen wollen“, gab sie spitz zurück. „Gnädigerweise würden Sie von einer Überprüfung oder dergleichen absehen, wenn ich zu ihrer Zufriedenheit mit Ihnen kooperiere. Das ist es doch, worauf dieses miese Spiel hinausläuft, oder?“

„Nein, ich wollte Ihnen damit eigentlich nur deutlich machen, dass wir an Informationen über Jimmy Talabani interessiert sind – und an sonst gar nichts“, erklärte Rudi leicht gereizt.

„Ich bin – ich war – Jimmys Lebensgefährtin“, erklärte Jacqueline. „Keine Bordsteinschwalbe oder Eros-Center-Tussi. Und wenn Sie mir das nicht glauben, dann sehen Sie sich das hier an!“ Sie griff in ihre Jackentasche und holte eine Magnetkarte für das Türschloss hervor. Ich nahm sie an mich. „Jimmy hätte mir wohl kaum eine Karte für sein Penthouse gegeben, wenn er mich nur für ein paar Euro von der Straße aufgelesen hätte!“

„Sie waren dabei, als Talabani starb“, sagte ich, diesmal etwas ruhiger. Es war eine Feststellung – keine Frage. „Oder müssen wir Sie erst mitnehmen und eine Gegenüberstellung mit dem Betreiber einer Geisterbahn organisieren?“

Sie atmete tief durch. Ihre vollen Brüste hoben und senkten sich dabei.

„Sie haben Recht, Kommissar...“, flüsterte sie schließlich.

„...Kubinke.“

„Ich bin mit Jimmy durch die Gegend gekreuzt und dann kam er irgendwie auf die Idee, zum neuen Fun Park zu fahren.“

„Sie fuhren einfach nur durch die Gegend?“, fragte ich verwundert.

„Ja.“

„Ohne Ziel?“

„Mit Jimmys gelben Ferrari macht das einfach Spaß.“

„Dieser Ferrari wurde am Tatort nicht gefunden.“

„Ich bin damit zurück nach Berlin Mitte gefahren, nachdem...“ Sie zögerte, ehe sie weiter sprach. „...es passiert ist. Ich war völlig fertig und stand unter Schock. In gewisser Weise trifft das immer noch zu. Ich kann das einfach noch nicht wirklich glauben. Plötzlich gehen Jimmy und seine Leibwächter einer nach dem anderen zu Boden. Es ging so verdammt schnell! Selbst seine Männer konnten überhaupt nichts tun, obwohl er immer nur Spitzen-Bodyguards engagiert hat.“ Sie atmete schwer und musste ein erneutes Aufschluchzen unterdrücken. Ihre Lippen zitterten dabei. Sie presste sie aufeinander und fasste sich nach einigen Augenblicken wieder.

Entweder sie hatte das Zeug zum Hollywood-Star, oder ich tat ihr mit meiner Einschätzung ein ziemlich großes Unrecht an und sie war von Jimmy Talabanis Tod tatsächlich so mitgenommen, wie es den Anschein hatte.

Inzwischen war ich mir da nicht mehr sicher.

„Sie hatten keine Angst, selbst getroffen zu werden?“, hakte ich nach.

„Natürlich hatte ich das! Ich war einen Moment wie erstarrt. Dann ging ich hinter der Geisterbahn in Deckung.“

„Warum sind Sie nicht dort geblieben, bis die Polizei eintraf?“

„Weil...“ Sie brach ab, biss sich auf Lippe.

„Weil Sie schnell genug hier her kommen wollten, um in Jimmy Talabanis Appartement jegliche Spuren Ihrer Existenz zu vernichten“, vermutete ich. „Darum tragen Sie die Latexhandschuhe. Oder können Sie mir einen anderen, halbwegs plausiblen Grund dafür nennen, dass Sie – kurz nachdem Ihr Lebensgefährte ermordet worden ist! – Ihre Sachen packen und anfingen, das Bad zu reinigen!“

„Ich weiß nicht, wann Sie das letzte Mal so unter Schock standen, dass Sie glaubten, Ihr Kopf explodiert. Wahrscheinlich sind Sie durch Ihren Job so abgebrüht, dass es Ihnen nichts mehr ausmacht, wenn sechs Menschen vor Ihren Augen sterben.“

„Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich in all meinen Dienstjahren nie an derartige Dinge gewöhnen konnte“, erklärte ich ihr mit großem Ernst. „Ganz gleichgültig, wer auch das Opfer sein mag, ob Männer, Frauen, Kinder, ob Unschuldige oder Schuldige, ob Gangster oder Kollegen – ein Mord bleibt immer ein Mord und der jeweilige Täter muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden.“

Sie lachte heiser.

„Es hört sich eigenartig an, wenn Sie das sagen, Kommissar Kubinke, dann klingt das fast schon überzeugend. Aber die Wirklichkeit sieht doch ganz anders aus. Ich glaube nicht, dass das BKA wirklich betrübt über den Tod von Jimmy ist! Sie haben ihn mit allen möglichen Verdächtigungen überzogen, ihm aber bis heute nichts nachweisen können, was vor Gericht Bestand gehabt hätte! Wer weiß, es würde mich nicht einmal wundern, wenn es einer Ihrer Leute gewesen wäre, der ihn auf dem Gewissen hat.“

„Das ist doch Unsinn.“

„Sie müssen so reden, Kommissar Kubinke. Aber noch kann ich sagen, was ich denke.“

„Wir können uns gerne noch einmal darüber unterhalten, wenn wir den Mörder von Jimmy Talabani hinter Schloss und Riegel gebracht haben.“

Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.

Rudi wandte sich inzwischen an Dachner und Gonzales und sagte ihnen, dass sie gehen und uns sämtliche noch vorhandene Aufzeichnungen der Videoüberwachung heraussuchen sollten, die in diesem Haus auf sämtlichen Korridoren sowie in den Aufzügen und im Eingangsbereich angebracht waren.

„Wir werden sehen, was wir für Sie tun können“, versprach Dachner. „Allerdings werden die Aufnahmen in regelmäßigen Abständen gelöscht.“

„Das macht nichts“, erwiderte Rudi. „Wenn wir erfahren würden, wer Jimmy Talabani in den letzten Tagen besucht hat, wäre das auch schon eine große Hilfe.“

„Wie Sie meinen.“

Die beiden Wachmänner verließen den Raum.

Ich nahm mir inzwischen die Sporttasche vor, die Jacqueline gepackt hatte. „Haben Sie was dagegen, wenn ich mir die mal ansehe?“

„Ich wette, es hätte ohnehin keinen Sinn, wenn ich mich dagegen sträuben würde, Kommissar Kubinke.“

„Da haben Sie Recht.“

„Warum fragen Sie dann?“

Ich durchsuchte den Inhalt der Tasche schnell. Es waren ausschließlich persönliche Sachen. Kleidung vor allem. Ein paar Zeitschriften, Socken, Wäsche, ein paar T-Shirts und ein zusammengepferchtes Kleid aus einem Stoff, der das nicht ertrug. Sie hatte zweifellos in sehr großer Eile gepackt. Das war mehr als offenkundig.

Und für diese Eile musste es Gründe geben.

Die junge Frau hob jetzt das Kinn und sah mir geradewegs in die Augen. „Sie wollen also wissen, warum ich mich aus dem Staub machen wollte!“, sagte sie.

„Wenigstens versuchen Sie mir jetzt nicht mehr etwas anderes einzureden.“

„Hören Sie, Kommissar Kubinke. Ich habe Jimmy geliebt – aber er hatte Geschäftspartner, die ein äußerst unangenehme Auftreten hatten, wenn Sie verstehen was ich meine. Ich wollte keinem von denen begegnen.“

Ich hob die Augenbrauen. „Wollten Sie nicht vielmehr uns aus dem Weg gehen?“

Diesmal begegnete sie meinem Blick.

„Und wenn schon! Bringt es mir Jimmy zurück, wenn ich Ihre Fragen beantworte?“ Ihr Tonfall bekam jetzt eine ungewohnte Schärfe. „Aber wenn irgendjemand von Jimmys Partnern herausbekommt, dass ich mit dem BKA geredet habe, dann fragen die sich gleich, ob ich Ihnen nicht irgendetwas verraten habe, was...“ Sie verschluckte den Rest.

„Was wissen Sie über Talabanis Geschäfte?“, fragte jetzt Rudi.

Jacqueline wandte den Kopf in seine Richtung.

„Das ist es ja. Ich könnte Ihnen noch nicht einmal etwas darüber sagen, weil ich nie etwas davon mitbekommen habe“, behauptete sie. „Das bedeutet allerdings nicht, dass ein paar andere Leute davon überzeugt sein könnten, dass ich sehr wohl etwas darüber weiß und an die Polizei verraten könnte.“

Rudi hob die Augenbrauen. Er gab sich keine Mühe, seine Zweifel zu verbergen. „Und das sollen wir Ihnen wirklich glauben?“, fragte mein Kollege.

„Warum denn nicht? Jimmy hat mir nichts gesagt und ich habe auch nicht gefragt. Es reichte mir völlig, zu wissen, dass Jimmy jemand war, der die Taschen immer voller Geld hatte.“ Tränen rannen ihr über das Gesicht und ließen ihr Make-up schon wenig später wie ein Aquarell aussehen.

„Haben Sie eine Ahnung, wer ein Motiv gehabt haben könnte, Herrn Talabani umzubringen?“, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf.

„Da kann ich Ihnen wirklich nicht weiterhelfen“, behauptete sie.

Wahrscheinlich wollte sie uns auch gar nicht weiter helfen. Es fragte sich nur, ob das daran lag, dass sie selbst etwas mit dem Mord zu tun hatte oder ob sie wirklich Angst vor Talabanis Familie hatte.

Ich schloss ihre Tasche und gab sie ihr. „Sie können gehen, aber wir brauchen Ihre Aussage noch schriftlich. Melden Sie sich in den nächsten Tagen im BKA. Wissen Sie, wo das ist?“

„Um ehrlich zu sein, war ich noch nie dort, aber ich werde es schon finden.“

„Wo können wir Sie erreichen?“

„Bei meiner Schwester. Ich gebe Ihnen die Adresse!“

„In Ordnung.“

Rudi holte einen Notizblock hervor und reichte ihn ihr.

Sie war zunächst etwas unschlüssig und streifte dann die Latexhandschuhe ab und warf sie in einen Papierkorb. „Ich bin gegen die Putzmittel allergisch“, meinte sie, so als glaubte sie, unbedingt noch erklären zu müssen, weshalb sie diese Handschuhe benutzt hatte.

Anschließend nahm sie den Block und schrieb darauf mit zierlicher Handschrift die Adresse und Telefonnummer ihrer Schwester auf.

Ich überprüfte die Telefonnummer.

Eine gewisse Tyra Berentzen bestätigte mir, eine Schwester namens Jacqueline zu haben. Ich gab das Handy an Jacqueline weiter.

Diese kündigte an, gleich bei ihr einzutreffen und für ein paar Tage zu bleiben. Was ihre Schwester sagte, konnte ich natürlich nicht verstehen. Aber Jacqueline sagte zweimal: „Später... Nein, später...“ Ich konnte mir schon denken, was da los war. Solange ich zuhörte, wollte sie auf die bohrenden Fragen ihrer Schwester offenbar nicht antworten und ich hatte mehr als nur ein unbestimmtes Gefühl, dass es sich mit Jimmy Talabanis schöner Freundin so verhielt wie mit der berühmten Spitze eines Eisberges, von dem neun Zehntel unter der Wasseroberfläche verborgen blieben.

„Tja, das wär's dann“, meinte Jacqueline anschließend.

„Wir werden uns sicher noch wiedersehen.“

„Soll das ein Versprechen oder eine Drohung sein?“

„Das hängt wohl ausschließlich von Ihnen ab.“

„Wie auch immer...“

Anschließend hatte es Jacqueline ziemlich eilig, zu verschwinden.

Rudi machte keine Hehl daraus, dass er unzufrieden mit mir war. „Warum hast du sie so hart angefasst, Harry?“, fragte mein Kollege, nachdem Jacqueline Berentzen das Penthouse verlassen hatte.

„Das fragst du im Ernst?“

„Ja!“

„Weil sie uns von vorne bis hinten angelogen hat, Rudi. Das sieht doch ein Blinder! Leider haben wir nichts in der Hand, um sie festzuhalten. Einen Putztick zu bekommen, nachdem der Lebensgefährte erschossen wurde, ist leider kein Straftatbestand!“

Rudi atmete tief durch. „Harry, vielleicht stand sie nicht ganz so sehr unter Schock, wie sie versuchte uns vorzumachen...“

„Sie sollte es als Nebendarstellerin bei einer Soap versuchen!“, unterbrach ich meinen Kollegen.

„...und sehr wahrscheinlich hat sie alles so schön geputzt, um unseren Befragungen zu entgehen und sich Ärger zu ersparen. Aber wenn sie tatsächlich nicht Jimmys Lebensgefährtin ist, wie sie behauptet, sondern nur eine Edel-Nutte, so wie ich vermute, dann hat sie allen Grund dazu.“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, da muss mehr dahinter stecken.“

„Und was schwebt dir da bitte schön so vor?“, fragte Rudi.

„Überleg doch mal! Jemand muss gewusst haben, dass Jimmy Talabani im Fun Park auftauchen würde. Schließlich hat der Killer im siebten Stock des Büroturms nur darauf gewartet, dass Talabani auftauchte.“

„Du denkst, dass diese Jacqueline ihn dort hingelockt hat.“

„Natürlich, Rudi!“

„Sie selbst hat es genau umgekehrt dargestellt!“, gab Rudi zu bedenken.

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das würde ich an ihrer Stelle auch so machen“, erwiderte ich. „Tatsache ist jedenfalls, dass der Besuch des Fun Parks kein spontaner Plan gewesen sein kann. Zumindest der Killer hat jedenfalls vorher davon gewusst, dass sich für ihn eine Gelegenheit ergeben würde, Jimmy Talabani umzubringen. Das dürfte anhand des Tatablaufs wohl feststehen.“

„Angesichts der Größe des Geländes kann man sich sogar fragen, ob der Killer nicht sogar genau wusste, dass Big Jimmy eine ganz gestimmte Geisterbahn aufsuchen würde“, ergänzte Rudi. „Aber wir können Jacqueline Berentzen bis auf weiteres einfach nicht beweisen, dass sie es war, die Talabani dorthin gelockt hat, damit irgendein Profikiller ihn und seine Leute über den Haufen schießen kann. Zumal es auch noch andere Gründe für ihn gegeben haben könnte, im Fun Park vorbeizuschauen.“

„Du meinst, er wollte sehen, was seine Geldwaschanlage so macht?“

„Wäre doch auch möglich, oder?“

„Ich weiß nicht.“

„Alte Ermittlerweisheit: Keine Ermittlungsrichtung vorschnell ausschließen.“

„Ich kenne da eine noch Ältere!“

„Ach, ja?“

„Alles ausschließen, was unwahrscheinlich ist, und das was übrig ist muss die Wahrheit sein. Und ich glaube, die Möglichkeit, die du gerade genannt hast, klingt einfach nicht besonders einleuchtend.“

Sechs Krimis: Ferienkiller

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